Читать книгу Alles wird gut ... - Heidi Dahlsen - Страница 6
1.2
ОглавлениеChristine ist außer sich vor Freude, als Jutta anruft. In den vergangenen Jahren hat sie oft an ihre Schulfreundin gedacht.
„Das ist eine tolle Neuigkeit, dass du zurückgekommen bist? Jetzt sind wir alle vier wieder beisammen“, sagt sie zur Begrüßung.
„Darüber bin ich auch sehr froh“, antwortet Jutta. „Ich bin erst letztes Wochenende umgezogen. Zu Ferienbeginn kommt meine Tochter noch nach. Lydia meint, du kannst mir über die Schule etwas erzählen. Ich wusste gar nicht, dass du auch schon eine so große Tochter hast und Olli die Sybille geheiratet hat. Meine Eltern haben mir nie gesagt, dass ihr noch hier wohnt oder irgendetwas von euch erzählt.“
„Das holen wir alles nach. Über die Schule kannst du mit Tilly selbst reden. Was hältst du davon, wenn wir uns Freitag bei mir treffen? Ich sage Olli Bescheid. Das wird lustig, wie in alten Zeiten. Wir haben alle viel zu berichten“, schlägt Christine vor.
„Das lasse ich mir ganz bestimmt nicht entgehen. Lydia wird mich sicher mit dem Auto mitnehmen können. Ich habe ja jetzt keins mehr. Mach´s gut, Christine“, verabschiedet sich Jutta.
„Ja, du auch. Bis Freitag. Ich freue mich.“
Lydia holt Jutta pünktlich ab, um mit ihr in die Waldsiedlung zu fahren.
„Schade, dass ich mein Auto nicht behalten durfte“, sagt Jutta. „Rüdiger ist der Meinung, dass ich mir diesen Luxus reichlich verscherzt habe.“
„Na ja, du musst ihn auch verstehen. Erst schenkst du ihm keinen Erben und dann verlässt du ihn auch noch. Ganz schön frech von dir“, versucht Lydia an die frühere Unbeschwertheit anzuknüpfen.
Jutta sagt mit ernster Miene: „Ja. Du hast Recht. Das war ganz schön unverfroren von mir.“ Dann lacht sie. „Bin ich vielleicht froh, wieder bei euch zu sein. Mir kommt es so vor, als hätte ich mich aus einem Stahlpanzer befreit. An freundliche und lockere Unterhaltungen muss ich mich erst wieder gewöhnen.“
„Das wird ganz schnell gehen, wenn du dir genug Zeit für uns nimmst. Jetzt kann ich dir auch endlich von Tilly vorschwärmen. Zu ihr habe ich schon immer ein besonderes Verhältnis. Eigene Kinder möchte ich nicht, zumindest noch nicht.“ Lydia runzelt die Stirn und erzählt schnell weiter. „Das Zusammensein mit Tilly kann ich voll genießen, denn ich muss sie nicht erziehen. Christine hat es aber auch nicht schwer mit ihr, denn Tilly hat schon zur Geburt viel Vernunft mitbekommen. Und Daniel hat ein sonniges Gemüt. Er ist ziemlich wild und unternehmungslustig. Mit seinen Freunden lässt er seinem Tatendrang freien Lauf. Die machen öfter die Waldsiedlung unsicher. Abends fallen sie todmüde in die Betten – sehr zur Freude ihrer Eltern. Aber du wirst alle gleich selbst sehen.“
Lydia ist auch aufgeregt, als wäre sie längere Zeit nicht hier gewesen und freut sich mit Jutta über das Wiedersehen.
„Es hat sich nicht viel verändert“, stellt Jutta erstaunt fest, „als wäre die Zeit stehengeblieben. Das erste Haus war mir immer unheimlich. Ich dachte, darin wohnt eine Hexe. Es sieht genau noch so aus, wie ich es in Erinnerung habe. Wir waren ja oft bei Christine, weil wir uns hier am wohlsten gefühlt haben. Um ihre Mutti habe ich sie beneidet. Nie Vorschriften, nie Gemecker, immer nur freundliche Worte. Wer hat das schon als Kind?“, schwärmt sie wehmütig.
„So geht Christine auch mit ihren Kindern um“, sagt Lydia und fährt langsam um die letzte Kurve. „Hier muss man wirklich aufpassen, dass kein Kind vors Auto springt, und abends trifft man ständig auf Wildschweine und Rehe.“
Christine kommt sofort angestürmt, als sie Lydias Auto sieht. Sie kann es kaum erwarten, dass Jutta endlich aussteigt und umarmt sie herzlich. Beide sehen sich in die Augen und lachen vor Wiedersehensfreude.
Sie machen es sich auf der Terrasse gemütlich. Christine bringt Kaffee und Kuchen heraus.
„Nun erzähle mir auch, was du in den letzten Jahren gemacht hast“, fordert Christine Jutta auf.
Diese schildert die Kurzfassung ihrer Geschichte, worauf sie von Christine mitleidig angesehen wird.
„Dann kann es ab sofort für dich nur noch besser werden.
Wenn du das nächste Mal kommst, musst du deine Tochter unbedingt mitbringen, damit wir sie kennenlernen können. Tilly ist total unkompliziert und wird ihr den Anfang etwas erleichtern und sie aufmuntern. Außerdem haben wir hier ein Paradies für Mädchen. Meinem Onkel gehört der Reiterhof im Nachbarort, gleich hinter dem Wald. Was denkst du, wie schnell Jenny dort aufblüht. Welches Mädchen steht nicht auf Pferde?“
„Seit wann hat dein Onkel einen Reiterhof?“, fragt Jutta erstaunt.
„Den hat er vor ungefähr zehn Jahren erst gekauft, weil doch Reitsport groß im Kommen war. Mein Onkel hatte schon immer ein Händchen für lukrative Geschäfte. Er macht selbst aus Pferdemist noch Geld. Eine alte Scheune hat er zu einer Pension ausgebaut. Und damit für meine zwei schnellwachsenden Kinder hier genug Platz ist, ist meine Mutti zu ihm gezogen. Sie hilft ihm viel, weil er oft ausgebucht ist. Meine Kinder sind fast täglich dort. Sie können mit dem Fahrrad gleich durch den Wald fahren und kommen am Reitplatz raus. Das ist praktisch, und ich muss mir keine Sorgen machen, dass sie auf einer verkehrsreichen Straße unter die Räder kommen.“
„Hier ist es immer noch sehr schön. Genauso hatte ich es in Erinnerung. Den ganzen Tag zwitschern Vögel und sicher noch die halbe Nacht“, schwärmt Jutta.
Sie lehnt sich zurück und genießt den Augenblick.
„Jetzt kannst du dir sicher gut vorstellen, dass ich hier in Ruhe schreiben kann“, sagt Lydia. „Meine Dachterrasse ist zwar auch sehr schön, aber im Sommer ist es vor Hitze kaum auszuhalten.“ Sie fragt Christine: „Olli hat wohl keine Lust zu kommen?“
„Vielleicht hat er es vergessen. Ich werde ihn gleich mal anrufen und erinnern“, sagt Christine.
Sie nimmt den Hörer in die Hand und lässt sich von seiner Sekretärin mit ihm verbinden.
Tilly kommt in diesem Moment angeradelt. Sie strahlt übers ganze Gesicht, als sie Lydia erblickt und fällt ihr um den Hals.
„Hallo, Patentantchen. Hätte ich gewusst, dass du schon da bist, hätte ich mich noch mehr beeilt.“
„Noch schneller geht kaum“, lacht Lydia, weil Tilly total außer Atem ist und stellt sie Jutta vor.
„Und das ist mein supertolles, quicklebendiges, liebenswürdiges und natürlich einziges Patenkind Tilly.“
Tilly wird leicht verlegen.
„So perfekt bin ich nun auch wieder nicht. Meine Mama feilt noch genug an mir rum“, sagt sie.
„Ich bin auch eine aus der alten Viererclique“, sagt Jutta und reicht ihr die Hand.
„Davon habe ich schon manches Mal etwas gehört“, sagt Tilly.
Christine hat unterdessen ihr Telefonat beendet.
„Ich soll euch von Olli grüßen. Er kommt gleich“, informiert sie die anderen.
„Dann bleibt ihr sicher alle zum Abendessen, und ich werde euch Simsalabim wieder etwas zaubern“, sagt Tilly und verschwindet im Haus.
Lydia erzählt Jutta: „Tilly hat Christines Talent geerbt. Sie kocht ebenso gern, experimentiert mutig und benutzt uns als Verkoster. Wir dürfen aber unsere ehrliche Meinung sagen und geben auch manchmal Tipps. Sie lacht uns aber meistens nur aus. Wir haben immer noch nicht viel Ahnung vom Kochen und lassen uns einfach überraschen.“
Das nächste Hallo setzt ein, als Olli eintrifft.
„Du bist wieder da? Das ist eine schöne Überraschung“, begrüßt er Jutta.
„Ich bin einfach nur sprachlos, dass ich hier so viel verpasst habe. Wäre ich nur eher zurückgekommen. Aber das konnte ich ja nicht wissen, dass es keinen von euch in die Ferne getrieben hat. Wie ich höre, lieber Olli, hast du in die höhere Gesellschaft eingeheiratet. Wie kam es denn dazu, dass du ausgerechnet Sybille gewählt hast?“
„Ach, das hat sich so ergeben“, sagt er und winkt ab.
Jutta lacht. „So, so. Es hat sich einfach so ergeben. Sicher kannst du gar nichts dafür.“
Um das Thema zu wechseln, berichtet Olli stolz, dass Richard, sein vierjähriger Sohn, seit einiger Zeit Klavierunterricht bekommt.
„Karl-Otto passt sehr darauf auf, dass den Jungs eine angemessene Ausbildung zuteil wird“, sagt er schmunzelnd. „Das ist selbst für uns Erwachsene ziemlich anstrengend.“
„Und beruflich bist du auf dem Weg nach ganz oben?“, fragt Jutta.
„Meine Werbeagentur lief bisher recht gut. Sorgen macht mir aber, dass es mein Partner nicht mehr für nötig hält, gemeinsam mit mir an einem Strang zu ziehen. Er glänzt ziemlich oft durch Abwesenheit. Das ist nicht gut“, antwortet er.
„Erzählt doch bitte von eurer Schulzeit. Das ist immer so lustig. Bitte, bitte“, bettelt Tilly um eine Geschichte aus der gemeinsamen Vergangenheit. Sie guckt vor lauter Erwartung und Vorfreude ganz begeistert. Sie hilft ihrer Mutter, den Tisch abzuräumen. Christine bringt Gläser und eine Flasche Wein.
Jutta lässt in Gedanken ihre Schulzeit Revue passieren und lächelt vor sich hin. Spontan fällt ihr ein Streich von Olli ein. Sie denkt sich aber: „Eigentlich ist das nichts für ein junges Mädchen, das den Respekt vor den eigenen Lehrern nicht verlieren sollte.“
Aber der Nachmittag ist gemütlich und der Wein löst die Zunge, also fragt sie ihre Freunde: „Wisst ihr noch, als uns der Herr Vogel in Geografie einen Film zeigen wollte, über das Leben in der Wüste?“
„Wie langweilig“, denkt Tilly, stutzt aber, weil alle herzhaft lachen.
Olli prustet los und versprüht fast seinen köstlichen Wein. Nun wird Tilly doch neugierig, was es wohl im Unterricht ihrer Mutter mit dem geheimnisvollen Leben in der Wüste so auf sich hatte.
Jutta spricht weiter: „Der Herr Vogel hatte Olli gebeten, ein Video mit dem Titel `Das Leben in der Wüste´ bis zur nächsten Geografiestunde zu besorgen. Das hat er auch getan.“
„Ich habe meistens getan, was die Lehrer von mir wollten“, wirft Olli ein.
„Ja, ja und noch viel mehr“, sagt Christine lachend. „Ich habe mich schon auf dem Schulweg gewundert, dass du so verschmitzt geguckt hast und sogar mal pünktlich warst. Als könntest du den Unterricht kaum erwarten.“
„Konnte ich auch nicht“, meint er breit grinsend.
Tilly rutscht nun ganz gespannt auf ihrem Stuhl hin und her.
„Nur gut, dass Herr Vogel noch etwas besorgen wollte, und wir wenigstens den Filmanfang genießen konnten“, sagt Jutta.
„Nee, war der wütend. Als er reinkam und das Ausmaß der Bescherung begriff. Da staune ich heute noch, dass ich nicht gleich von der Schule geflogen bin“, sagt Olli.
Tilly guckt verständnislos in die Runde und wird von Christine aufgeklärt.
„Olli hat den Film eingelegt und alle saßen gelangweilt auf ihren Plätzen. Sie konnten sich auch nicht vorstellen, dass das Leben in der Wüste spannend sein soll. Olli sah nach, dass der Herr Vogel wirklich nicht mehr in Sichtweite war und startete den Film. Nach dem Vorspann setzte ein kurzes Gejohle ein, danach war es ganz still im Zimmer und auch die letzte Schlafmütze wurde aufmerksam. Alle staunten nur noch.“
„Dem tollen Reiner lief sogar das Wasser im Mund zusammen“, erzählt Olli weiter. „Der Titel lautete nämlich `Das wüste Leben der Agnes Busch´. Nur unsere Streberin Annegret Müller bekam Panik und wollte mich dazu bringen, den Film abzustellen. Da hat sie aber nicht mit den anderen Jungs gerechnet. Die haben sie einfach auf ihrem Stuhl fixiert. Als Herr Vogel reinkam, stutzte er kurz und brüllte los: `Was soll das denn? Das kann mich meinen Job kosten! Wagner, dafür fliegst du von der Schule!´“
„Olli hat ganz erstaunt getan und behauptet, dass er auch nicht weiß, wie das passieren konnte, denn die Hülle wäre die richtige. Der Film muss wohl in der Videothek vertauscht worden sein. Daran würde er ja nun mal nicht schuldig sein“, ergänzt Lydia.
„Herr Vogel war total verunsichert“, meint Jutta lachend zu Olli. „Er wusste nicht so recht, ob er dir glauben und trauen sollte.“
„Und wie hast du das gemacht?“, fragt Tilly.
„Na ja“, will Olli nicht so recht raus mit der Sprache, sodass Christine ergänzt: „Der Olli war doch der Schwarm von der kleinen Schwester vom Videothekenbesitzer. Die hat ihm gern einen Gefallen getan und natürlich gaaanz aus Versehen die Kassetten vertauscht.“
„Wir mussten ziemlich lange suchen, bis wir etwas Passendes gefunden hatten. Wir kannten uns in der Abteilung hinter dem Vorhang ja überhaupt noch nicht aus“, sagt Olli.
Tilly stellt enttäuscht fest: „Bei euch war immer was los. So etwas kann bei uns nicht passieren.“
„Nur gut. Da bleibt mir einiges erspart“, sagt Christine erleichtert.
Tilly geht in die Küche, um nachzusehen, ob in der Zwischenzeit der Auflauf fertig geworden ist.
Sie bringt Teller, gefüllt mit überbackener Hühnerbrust mit Gemüse und Nudeln, und stellt diese auf den Tisch.
„Wie das duftet“, schwärmt Lydia und lässt sich den ersten Happen auf der Zunge zergehen. „Wie hast du das nur wieder gemacht?“
„Ach, ganz einfach. Alles in einen Topf und dann eine Stunde in den Ofen – fertig“, antwortet Tilly lachend.
Nach dem Essen räumt Tilly den Tisch ab und sagt: „Ich lass euch jetzt alleine, aber beim nächsten Mal möchte ich eine andere Geschichte hören. Viel Spaß noch und gute Nacht.“
„Dass die Zeit so schnell vergeht und wir jetzt unseren Kindern einige Sünden und Untaten beichten, hätte ich damals nicht gedacht. Es ist aber schön, dass wir wieder zusammen sein können. Habt ihr eigentlich mal etwas von dem Rest der Klasse gehört?“, fragt Jutta in die Runde.
„Soviel ich weiß, will Streberin Annegret Müller ein Klassentreffen organisieren“, meint Olli. „Was wohl aus denen allen geworden ist? Die meisten Eltern wohnen noch hier. Da ist das sicher kein Problem, fast alle zu erreichen. Ich kann mich ja etwas umhören. Vielleicht lässt sich die schöne Müllerin herab und erlaubt mir, ihr zu helfen. Ich werde aber bemüht sein, mich im Hintergrund zu halten, damit ihr nichts vom Ruhm abhandenkommt.“
„Na, wenn du ihr das gleich so sagst, hat sie bestimmt kein Problem damit, dir die Arbeit zu überlassen. Ich wünsche dir viel Glück und starke Nerven“, sagt Lydia.
„Ja und grüß das Annegretchen von uns allen“, ergänzt Jutta.
„Wir können doch die alten Fotos schon mal raussuchen. Das wird sicher lustig“, schlägt Christine vor.
„Aber von mir nehmen wir nur Bilder“, äußert Jutta einen Wunsch, „auf denen ich von hinten zu sehen bin. Ich kriege heute noch die Krise, wenn ich sehe, wie ich damals rumlaufen musste. Schon alleine die Frisur. Buh. Wozu ich mich doch als Kind von meinen Eltern zwingen lassen musste. Und Lydia kann aus ihrem ersten Roman vorlesen. Einige ehemalige Mitschüler haben sicher daran Interesse und kaufen dann deine Bücher. Wer weiß denn schon, dass du berühmt bist, wenn du unter Pseudonym schreibst. Da kommt ja niemand drauf, dass unsere Lydia Bach dahintersteckt.“
Lydia grinst und sagt: „Und wir müssen unbedingt alle Lehrer dazu einladen. Hoffentlich können die sich nicht mehr an alles erinnern. Das wird bestimmt interessant.“
Als ein Telefon klingelt, zuckt Olli zusammen. Er sieht auf sein Display, stellt das Handy ab und sagt: „Oh Mann, ist das schon wieder spät. Mädels, es tut mir leid, aber ich muss nach Hause. Der Ärger in der Agentur reicht mir, da will ich nicht noch welchen mit Sybille riskieren.“
Jutta sieht Lydia an und sagt: „Dann fahren wir auch gleich mit.“