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Neue Zeiten

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Der heutige Zustand der Ca’ Dario ist das Ergebnis tief greifender Restaurierungen. Vor Einsturz und Abbruch bewahrte den kleinen Palast der englische Venedigliebhaber Rawdon Brown, der ihn 1837 für 480 Pfund Sterling oder 18.000 österreichische Lire erwarb. Da sein Enthusiasmus jedoch größer als seine finanziellen Mittel war, musste er ihn nach kostspieligen Restaurierungsmaßnahmen schon bald wieder verkaufen. Graf Sigmund Zichy, Neffe des österreichischen Militärgouverneurs der besetzten Stadt, zahlte ihm 1843 21.000 österreichische Lire und schenkte den Palast seiner Frau zur Hochzeit, die ihn allerdings bald wieder veräußerte. Danach teilte die Ca’ Dario das Schicksal vieler Paläste und wanderte von einem Besitzer zum nächsten. Dabei wurde das Haus für eine längere Periode zu einer besonders bei amerikanischen und englischen Malern beliebten Fremdenpension, ebenso wie der benachbarte Palazzo Venier dei Leoni, den später die Marchesa Casati (Kapitel 14) und Peggy Guggenheim bewohnten. Zur Retterin der Ca’ Dario wurde die französische Comtesse Isabelle de La Baume Pluvinel, eine Urgroßnichte von Louis XVI, die Romane unter männlichem Pseudonym schrieb. 1904 setzte sie eine Radikalsanierung in Gang, bei der die gesamte Marmorverkleidung zeitweise entfernt wurde, um die Außenmauern zu flicken und durch ein Korsett aus eisernen Ketten zu konsolidieren. Dann wurde das Haus romantisch-eklektizistisch verschönert. Kamine nach dem Vorbildern wie von Carpaccios Rialto-Ansicht um 1500 (siehe Abb. auf S. 44) wurden anstelle der ursprünglich viel schlichteren aufgesetzt, die alte Fotos zeigen. Das Haus bekam eine phantasievolle neogotische Rückseite mit einem Garten. Das Innere wurde völlig neu gestaltet mit einem marmornen Treppenhaus in „lombardischen“ Frührenaissance-Formen, orientalisch inspirierten Zimmerbrunnen und einem modernen Luxusbad, ebenfalls aus Marmor. Aus dem venezianischen Antiquitätenhandel stammten Möbel, Wandspiegel und Bilder aus dem Rokoko, das für Interieurs gerade en vogue war.

Die Pariser Comtesse verbrachte mit ihrer Lebensgefährtin, der bisexuellen Journalistin und Schriftstellerin Augustine Bulteau, die unter dem Pseudonym Foemina Chroniken für den Pariser „Figaro“ verfasste, das Winterhalbjahr in Venedig. Häufiger Hausgast der Damen war der Erfolgsschriftsteller Henri de Régnier, der mit seiner schönen und für ihre Affären berüchtigten Frau Marie zu den Stars der literarischen Salons von Paris gehörte. In Régniers Bestseller L’Altana ou la vie vénitienne (dt. In Venedig leben), ohne den kein Franzose nach Venedig fuhr, verglich er die große, hagere und leicht gebeugte Madame de La Baume mit einer still durch schmale Seitenkanäle gleitenden Gondel, die robustere Freundin mit ihrem schweren Kinn hingegen mit einem reich mit schönen Früchten beladenen Frachtkahn auf dem Canal Grande. Augustine Bulteau war eine dominante Persönlichkeit, die in Paris einen literarischen Salon unterhielt und von ihren Jüngern beiderlei Geschlechts verehrt wurde. Beide Damen gehörten zu einer Schicht reicher Pariser Erbinnen, die sich nach der Trennung von ihren Ehemännern selbstständig machten, um ihre geistigen, künstlerischen – meist schriftstellerischen – und sexuellen Neigungen auszuleben. Der Palazzo Dario wurde unter Madame de La Baume und Madame Bulteau zum venezianischen Treffpunkt von Pariser Literaten und Intellektuellen, darunter die damalige Starpoetin Anna de Noailles, wo man die Sammlung von barocken Musikinstrumenten und seltenen Partituren bewunderte und kleine brillante Hauskonzerte genoss.

Danach folgte eine schwarze Periode, in der die Ca’ Dario ihren wechselnden Besitzern nur Unheil zu bringen schien und als Casa del diavolo, als Teufelshaus, in Verruf kam. Es kursieren Horrorgeschichten von Morden und Selbstmorden, spektakulären Pleiten und rätselhaften Unglücksfällen: ein tot aufgefundener Graf, von seinem Liebhaber mit einer Statue erschlagen; der tödliche Treppensturz eines berühmten Rockband-Managers, dessen Palastpartys legendär waren; der Bankrott eines Unternehmers und der mysteriöse Mord an seiner Schwester; schließlich der bis heute ungeklärte Selbstmord des Großindustriellen Raul Gardini im Jahr 1993.

Trotz vieler Interessenten, darunter Woody Allen, hat der kleine Palazzo danach lange keinen Käufer gefunden. 2010 ging die Ca’ Dario schließlich für eine zweistellige Millionensumme an Unbekannt und wird derzeit restauriert.

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