Читать книгу Mondo Veneziano - Heidrun Reinhard - Страница 9
Das Buch
ОглавлениеDieses Buch blickt erstmals hinter die Fassaden auf die Menschen, die dort zu verschiedensten Zeiten gelebt und ihre Spuren hinterlassen haben: venezianische Bauherren, die den Palästen ihr Gesicht verliehen, wie der Doge Francesco Foscari oder der Orientreisende Giovanni Dario; spätere Besitzer, die sie nach ihren Bedürfnissen und den jeweils herrschenden Moden umgestalteten; und Ausländer, die im 19. Jahrhundert vom Mythos Venedig angelockt und selbst zum Mythos wurden, wie Richard Wagner, Lord Byron oder George Sand und Alfred de Musset.
Auch bislang weitgehend Unbekannte werden porträtiert, wie der letzte Doge Lodovico Manin und Vertreterinnen der mondänen Welt, wie die Musikmäzenin Winnaretta Singer, Princesse de Polignac, oder die exzentrische Marchesa Casati. Aus diesen Biografien von Menschen und Palästen, die ganz unterschiedliche Lebens- und Gedankenwelten spiegeln, entsteht ein vielteiliges Venedigmosaik zwischen Wirklichkeit und Phantasie.
„Die unwahrscheinlichste aller Städte“ (Thomas Mann) hat seit jeher die Mythenbildung beflügelt und die dichterische Imagination angeregt, von Shakespeare über Schiller, Lord Byron, Henry James, Gabriele d’Annunzio, Hugo von Hofmannsthal bis Joseph Brodsky, um nur einige zu nennen. Seit Lord Byron die postnapoleonische Legende von der tyrannischen Dogenrepublik verbreitete, wimmelt es in der Venedig-Literatur von Spionen, dunklen Geheimnissen, Meuchelmorden und feuchten Verliesen. In der dekadenten Phantasie des Fin de Siècle wird Venedig schließlich gar zur „most beautiful of tombs“ (Henry James), zu einer Stadt, in der sich Schönheit, Eros und Thanatos schicksalhaft verbinden, wofür beispielhaft Thomas Manns Tod in Venedig steht. Alle, die der Stadt literarische Denkmäler gesetzt haben, waren keine Venezianer, sondern Fremde. Und wie bei Thomas Mann sind in ihren Werken auch die Protagonisten generell Fremde auf der Durchreise. Venezianer kommen bis auf die unverzichtbaren Gondolieri nicht vor.
Der Zeitrahmen umfasst etwa fünfhundert Jahre, vom Dogen Francesco Foscari, der sein Amt 1423 antrat, bis zum Dichter Gabriele d’Annunzio, der im Ersten Weltkrieg in Venedig seine militärischen Aktionen plante. Der erste Teil befasst sich mit der Epoche der alten Markusrepublik bis zu ihrem Ende 1797. Thema des zweiten Teils ist das ruinierte Venedig nach dem Verlust der staatlichen Souveränität, in dem ausländische Venedigliebhaber die Deutungshoheit übernehmen und Venezianer um den Anschluss an eine neue Zeit kämpfen. Der letzte Teil spiegelt die neue Glanzzeit Venedigs in der Belle Epoque, als der Canal Grande die Bühne für eine internationale Gesellschaft wurde, und endet mit Venedig im Ersten Weltkrieg.
Ein Schwerpunkt des Buches liegt auf dem 19. Jahrhundert, das sowohl unsere Vorstellung von Venedig als auch die Realität der Stadt entscheidend geprägt hat. Nicht nur die Dichter des 19. Jahrhunderts haben mit ihren romantischen bis dekadenten Mythen von der im Sumpf versinkenden, verführerischen und zweideutigen Wasserstadt unsere Wahrnehmung bis heute beeinflusst. Auch unser Geschichtsbild basiert auf Werken dieser Zeit. Einen enormen Einfluss übte in ganz Europa die 1819 in sieben Bänden erschienene Histoire de la république de Venise von Pierre Daru aus, die erste große Geschichtsdarstellung der Markusrepublik. Daru, der als ehemaliger Generalintendant von Napoleons Grande Armée das erzwungene Ende Venedigs legitimieren wollte, prägte die negative Vorstellung einer von dunklen tyrannischen Mächten regierten Dogenrepublik.
Und ganz konkret ist im 19. Jahrhundert das Stadtbild Venedigs baulich stark überformt worden, auch wenn das auf den ersten Blick nicht gleich erkennbar ist. Eingriffe in die urbane Struktur veränderten das Wegenetz, ganze Stadtbereiche wurden neu überbaut. Und radikale Restaurierungen, die manchmal regelrechte Rekonstruktionen waren, kleideten historische Bausubstanz in ein historistisches Gewand.
Das erste Kapitel erzählt die dramatische Lebensgeschichte des Dogen Francesco Foscari bis zu seinem tragischen Ende und erläutert, wie sein Palastbau als persönliche und politische Machtdemonstration zu lesen ist.
Im zweiten Kapitel wird beschrieben, warum die exotisch wirkende Ca’ Dario trotz der vielen Reisen ihres Bauherrn in das Osmanische Reich keine Orientphantasie, sondern ein patriotisches Bekenntnis ist, und wie ihr malerischer Reiz bei der Sanierung durch eine französische Comtesse noch gesteigert wurde.
Fremde aus vielen Ländern waren in der Welthandels- und Hafenstadt Venedig präsent. Das Zentrum der Deutschen war schon im Mittelalter der Fondaco dei Tedeschi an der Rialtobrücke, wo die großen Kaufmannsdynastien aus Augsburg und Nürnberg ständige Vertretungen unterhielten. Das dritte Kapitel schildert das Leben im Fondaco, die Gestalt des Neubaus nach dem Großbrand von 1505, wie Albrecht Dürer Venedig erlebte und wie sich der Pilgerbruder Felix Fabri dort auf die Reise mit einem venezianischen Schiff ins Heilige Land vorbereitete.
Im 18. Jahrhundert waren die Venezianer keine seefahrenden Kaufleute mehr. Das vierte und fünfte Kapitel präsentieren Vertreter der reichen Oberschicht, die nur noch vom ererbten Reichtum zehrten. Fast dreißig Jahre lang baute die Nobildonna Chiara Pisani-Moretta ihren gotischen Familienpalast in einen Rokokotraum um, den man noch heute bewundern kann. Die wechselhaften Geschicke eines großen Palasts am Canal Grande nach dem Untergang der Republik spiegelt beispielhaft die Geschichte des Palazzo Grassi, der von einer langen Reihe von Besitzern je nach Zeitgeschmack und Funktion umgestaltet wurde und sich vom Wohnpalast zum Kunsthaus wandelte.
Thema des sechsten Kapitels ist der Untergang der tausendjährigen Markusrepublik im Jahr 1797. Es beschreibt die Zeitumstände und die Person des letzten Dogen als dem Vertreter einer aussterbenden Klasse, die sich hilflos den Drohungen Napoleons ausgesetzt sah, die Zerstörungen durch die Franzosen und Napoleons einzigen Besuch in der gefallenen Stadt.
Nach dem Sturz der Republik und dem Niedergang der abwechselnd von Franzosen und Österreichern regierten Stadt wurde das ruinierte Venedig eine Domäne der Poeten. Das siebte Kapitel widmet sich dem englischen Dichter Lord Byron, der fast drei Jahre lang in Venedig lebte und liebte und das romantische Venedigbild für Generationen prägte. Als Intermezzo schildert das achte Kapitel die leidenschaftliche Affäre von George Sand und Alfred de Musset in den Fußstapfen ihres Idols Byron.
Das neunte Kapitel stellt John Ruskin vor, der zwar wie Byron Engländer, aber in vielem sein genaues Gegenteil war: puritanisch und sexuell gehemmt. Er kletterte an Fassaden herum, um die mittelalterliche Architektur zu untersuchen, während seine junge Frau sich in der Gesellschaft amüsierte. Dabei entstand Ruskins Hauptwerk The Stones of Venice (dt. Die Steine von Venedig), dessen eigenwilliges Idealbild vom gotischen Venedig die Vorstellungswelt von Engländern und Amerikanern enorm beeinflusste und, vermittelt durch Marcel Proust, auch in Frankreich Verbreitung fand. In Deutschland, wo das Italienbild durch Jacob Burckhardt auf die Renaissance und Florenz fokussiert war, ist Ruskin hingegen bis heute so gut wie unbekannt.
Das zehnte Kapitel schildert Richard Wagners besondere Beziehung zu Venedig, von der Arbeit am „Tristan“ bis zu seinem Tod im Palazzo Vendramin-Calergi. Für ihn war die Stadt eine phantastische Inspiration, ein Bühnentraum, der die Wahrnehmung des realen Venedig notwendig ausschließen musste.
Das große Thema des elften Kapitels sind die Maßnahmen zur Rettung der Paläste nach Jahrzehnten des Verfalls. Die Problematik der „Restaurierungen“, die Ruskin als Fälschungen beschimpfte, wird an der Rekonstruktion des Fondaco dei Turchi erläutert. Weitere Beispiele sind die Umgestaltung des gotischen Palazzo Cavalli in eine neogotische Residenz sowie die nostalgische Restaurierung der Ca’ d’Oro als Rückbau in eine mittelalterliche Vergangenheit.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde Venedig ein Lieblingsziel der kosmopolitischen mondänen Welt. Das zwölfte Kapitel stellt die Szene der amerikanischen „Expatriates“ im Palazzo Barbaro vor, in dessen Salon sich Berühmtheiten wie der Schriftsteller Henry James, der Society-Maler Singer-Sargent, der Poet Robert Browning und die Kunstsammlerin Isabella Stewart-Gardner versammelten.
Das dreizehnte Kapitel widmet sich der Nähmaschinen-Erbin und Mäzenin Winnaretta Singer Princesse de Polignac, die den Palazzo Contarini dal Zaffo als Dependance ihres Pariser Salons betrieb und eine internationale Elite von Komponisten und Interpreten an den Canal Grande holte.
Für die dekadente Spätblüte des Fin de Siècle steht die Marchesa Luisa Casati im Palazzo Venier dei Leoni, den später Peggy Guggenheim mit ihrer Kunstsammlung bewohnte. Das vierzehnte Kapitel entwirft ein Bild dieser extravaganten Selbstdarstellerin, die ihr Vermögen für Auftritte in exzentrischen Kostümierungen und die Inszenierung legendärer Maskenbälle verschwendete.
Das fünfzehnte und letzte Kapitel beschreibt das Ende dieser Ära im Ersten Weltkrieg – als sich der italienische Großdichter Gabriele d’Annunzio zum Kriegshelden stilisierte und zwischen kühnen Propagandaflügen und anderen Bravourstücken in einem kleinen roten Haus am Canal Grande residierte.