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Der Almwirt ist mürrisch und wortkarg geblieben, er hat uns zwar während des Essens ein Glas Rotwein nach dem anderen nachgeschenkt, aber ohne zu fragen, ob uns das recht sei, und sich jedes Mal sofort zurückgezogen, ohne sich länger als nötig bei uns aufzuhalten.

Manuel hat mich gebeten, sich um Hundsvieh zu kümmern (der Wirt verlangt einen Fünfer pro gefüllten Fressnapf, und es verzehrt vier Portionen), da es in der Hütte nur im Weg sei, und ist sofort nach dem Essen gemeinsam mit Carl aufgebrochen, ohne zu bezahlen, mit den üblichen Worten „Also dann! Bis später!“. Er wird mir die Zeche schuldig bleiben (mit dem Argument, dass ich dafür ja gratis in der Hütte nächtigen dürfe, sollte ich ihn daran erinnern, was ich nicht zu tun beabsichtige, was er bestens weiß), Carl wird einfach darauf vergessen. Ich werde es wie immer hinnehmen, werde wie immer keinem der beiden böse sein, werde die Rechnung ohne zu murren für uns vier begleichen.

Der Pfarrer hat Manuels Platz eingenommen und sitzt nun mir gegenüber, der Kartenstapel liegt auf dem Tisch, zum Mischen bereit, Hundsvieh hat seinen Platz unterm Tisch zeitgleich mit Manuels Rückzug verlassen, hat ihm ohne Wehmut hinterher geschaut, ich habe auf den leeren Stuhl von Carl gedeutet und „Sitz!“ zu ihm gesagt, worauf es auf Anhieb hinauf gesprungen ist und eine Pfote auf das Tischtuch gelegt hat und die andere in die Luft geschwenkt, als wolle es Blutwurst mit Kraut bestellen oder den Wirt zum Zahlen herbei winken.

Was die banalen Dinge des Lebens betrifft, gibt sich der Pfarrer im Verlauf unseres langen Gesprächs während des Schnapsens unprätentiös und pragmatisch (Ich bin nicht mehr in der Lage, den gesamten Wortlaut wiederzugeben.):

 „Sag ehrlich, Paul, wie lang ist es bei dir her, seit du das letzte Mal hrrmm hast? – Ich für meine Person lebe seit nunmehr sage und schreibe fünfzehntausendsiebenhundertdreiundzwanzig Tagen in Keuschheit, sprich: über dreiundvierzig Jahre Entsagung. – Erraten. Ja, ich führe tatsächlich eine Strichliste, und zwar an der Nordwand meines Arbeitszimmers, ein Sträfling mit gespitztem Bleistift in der Arrestzelle seines Glaubens. So Gott will, ist in zirka zwei Wochen die Südwand mit dem ersten Strich an der Reihe. – Jetzt weißt du wenigstens, wie man die Floskel „Auf den Strich gehen“ noch interpretieren kann. Ha.“

 „Jenseits? Ich bitte dich, Paul, nach dem Tod ist alles aus. Glaub mir. Aber unsereins tut sich einfach viel leichter, wenn er hier im Diesseits an ein höheres Wesen glauben kann. - Warum? Es nimmt dir die Angst.“

 „Der Sinn des Lebens? Gute Frage. Reduziert sich mit dem Alter auf zwei Dinge: ein gutes Essen und einen guten Tropfen. Als junger Kooperator habe ich es mir seinerzeit angewöhnt, pro schlechte Neuigkeit im „Almdorfer Boten“ einen Happen oder ein Gläschen zu mir zu nehmen. Im Gegenzug habe ich mir bei guten Meldungen Verzicht auferlegt. Dummer- oder soll ich sagen glücklicherweise? gewannen die negativen Schlagzeilen an Übergewicht – so wie ich. Ha. In guten Jahren mit vielen negativen Schlagzeilen nahm ich zehn bis zwanzig Kilo zu. Apropos zwanzig: Zwanzig in Laub! Und Sieg! - Einen Fasttag hat es nur ein einziges Mal in meinem Leben gegeben: Als der Almdorfer Bote eines Tages den Versuch unternahm, ausschließlich positive Meldungen abzudrucken. Das hatte eine Kündigungswelle zahlreicher altehrwürdiger Abonnenten zur Folge. Projekt positive Meldung sofort eingestellt. Projekt Fasten gescheitert.“

Eine Frage, Herr Pfarrer: Sie haben heute, als Ihr Wiener Schnitzel serviert wurde,

Gott sei Dank gesagt. Warum?“

 „Das hat mich mein Onkel Josef gelehrt, als ich noch ein kleiner Bub war. Gottfried, hat er gesagt, die Leute nehmen diese drei Wörter viel zu oft viel zu gedankenlos in den Mund: Gott. Sei. Dank. Deshalb setze ich sie vor jedem Essen langsam und bewusst in den Imperativ: Gott! Sei! Dank! – Ich hab diese Allüre kommentarlos von meinem Onkel übernommen, ihm jedoch die Argumentation nicht abgenommen. Der wollte doch bloß, dass der Schweinsbraten seiner Frau, meiner Tante Johanna, nicht kalt wurde. Dazu musst du wissen, dass in frommen Familien seinerzeit vor und nach jedem Mahl nahezu der gesamte Rosenkranz gebetet wurde. – Was ich nach dem Essen gebetet habe? Einen Verdauungsrosenkranz.“

 „Ausländer? Gibt es natürlich unnatürlich viele! Überall, wo ich hinkomme: nichts wie Ausländer! Neulich in Rom, Petersplatz, und was sehe ich? Erraten! Und sogar der Papst ist ja einer. Und wer läuft mir heuer zu Weihnachten in Bethlehem über den Weg? Richtig! Die Ausländer nehmen meines Erachtens überall auf dem Globus in einem derart hohen Maße zu, dass ich, egal, wo ich mich gerade aufhalte, nie weiß, ob ich nun In- oder Ausländer bin. Für die Jäger dort vorne sind ja schon die Förster da hinten Ausländer. Mittlerweile kennt sich doch keiner mehr aus, wer er jetzt gerade ist: ob gerade noch ein In- oder schon wieder ein Ausländer. Wenn ich etwas zu sagen hätte, müssten sämtliche Ausländer mindestens einmal pro Monat ins Inland reisen und im Gegenzug die Inländer allesamt ins Ausland. Warum? Na, weil sich dann überhaupt keiner mehr auskennt und sich jeder fühlt wie ein Inländer. Nein. Wie ein Ausländer natürlich. Und, Paul, bitte, wo kämen wir denn da hin, wenn sich die Ausländer ständig im Inland oder, wär doch noch schöner, im Ausland aufhielten? Da hätte doch niemand mehr den Durchblick, ob er sich selber nun eigentlich gerade im In- oder Ausland wähnt. Einerlei. – Herr Wirt! Noch einen Liter von diesem ausländischen Roten!“

Er redet sich und damit auch mich in einen Strudel hinein, dass ich mir im Moment selber nicht mehr sicher bin, ob ich jetzt ein In- oder ein Ausländer bin. Deshalb verstehe ich überhaupt nicht, warum er plötzlich „Vierzig!“ und „Gewonnen! Rien ne va plus!" verkündet.

Zwei Pfarrer, zwei Wirte, an die achtzig Jäger und Förster, zwei Hunde - alles dreht sich, wir sind nun alle Freunde, zugleich In- und Ausländer, „64, 65, 66 – voilá! Sieg!“, sagt der Pfarrer schon wieder, ich verliere ein Spiel nach dem anderen, egal doch, inmitten dieser Schar lustiger, sympathischer in- und ausländischer Männer, in dieser wundersamen Stube, in der es von Stunde zu Stunde heimeliger geworden ist, in der es sich ohne Sauerstoff so angenehm leben lässt. Und ohne Frauen. Magdalena, nicht böse sein, im Moment ist mir nicht so sehr nach Hrrmm.

Ohne Hundsvieh an meiner Seite hätte ich das Ende des Abends nicht so tapfer überstanden. Irgendwann hat sich seine Schnauze in meinem Oberarm festgebissen, nicht grob, sondern behutsam und sachte.

Hundsvieh, ich weiß, höchste Zeit aufzubrechen. - Hundsvieh? Du hast mir eigentlich noch gar nicht verraten, ob du In- oder Ausländer bist“, lalle ich.

Wu!“, sagt es.

Chinese?“, frage ich und lache blöd.

Es knurrt. Die Art von Humor ist unter seiner Würde.

Ich schäme mich und bin wieder nüchtern genug, um zu registrieren, dass es in meiner Gegenwart zum ersten Mal gebellt hat.

Ein freundliches, dunkles Bellen.

Ich werte das als gutes Zeichen.

Hundswand

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