Читать книгу Hundswand - Heinz Schöpf - Страница 24
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Noch bevor ich auch nur irgendeinen Gedanken dingfest machen kann, spaziert Hundsvieh aus dem Gebüsch, vergnügt, entspannt, gut gelaunt, leckt an meiner Hand, betrachtet die reglose Gestalt hinter der Wand, abschätzig, respektlos, hebt sein Hinterbein und lässt sein Wasser ungeniert gegen die Wand prasseln, wie um sein, nein unser neues Revier abzustecken. Dann schaut es mich an.
Das wäre nun also erledigt. Ich habe dich gewarnt. Nicht nur einmal. Du hast nicht begreifen wollen. Vergiss deine Vergangenheit, jetzt heißt es vorausschauen und vor allem Ruhe bewahren. Wir zwei benötigen ab nun Sinn und Verstand, letzteren vor allem du.
Ich laufe los.
Ich blicke kein einziges Mal zurück.
Ich stolpere über Wurzeln und Steine, schlage mir die Füße an Dornen und Disteln wund, spüre den Schmerz nicht, nicht meinen Herzschlag, spüre nichts, renne und falle, stehe auf, schreie, bekreuzige mich, knie mich hin, schweige, wälze mich im Moos, ohrfeige mich, lache drauflos, weine, spucke auf eine Föhre, lecke an ihrer Rinde, zertrete wahllos Pilze, rupfe Grasbüschel aus, werfe sie in die Luft, fange sie mit dem Gesicht auf, ziehe an Farnen, greife nach einem Fichtenzapfen, schleudere ihn gegen den Stamm der nächstbesten Lärche, klaube einen Käfer auf, wirble auch ihn in die Höhe, fange ihn auf, bevor er seine Flügel streckt und davonfliegen möchte, specke ihn mit zwei Fingern wie einen Zigarettenstummel ins Gras, kümmere mich nicht mehr um ihn, laufe weiter, weine, weil ich mich so nicht kenne, so unbeherrscht, so grob, so herzlos, Marlen, he, das ist doch jetzt wohl nur ein Scherz, ich ziehe mir die Flipflops von den Füßen, schleudere sie gegen einen Felsen, trample auf ihnen herum, ergreife einen, lege ihn am Fuß eines Ameisenhügels ab, beobachte die Ameisen, wie sie darüber spazieren, als wär nichts geschehen, eine Golden Gate, Mädels, extra für euch, ha, ha, ich spucke auf euren Hügel, lege die flache Hand ganz nah an ihn heran, rieche daran, alles wie gehabt, meine Damen, eure Säure fährt mir ins Hirn, lasst euch nicht weiter stören, lasst euch von einer lächerlichen Wand nicht aus eurem Rhythmus bringen, ich renne barfuß weiter, Hundsvieh folgt mir auf Schritt und Tritt, es beäugt mein Tun, ich halte inne, um Luft zu holen, geh weg, lass mich alleine, bleib da, lass mich nicht im Stich, ich zerquetsche mit dem rechten Fuß die Ameisen, die meine linke Wade hinauf geklettert sind, ich weine, weil sie mir sofort leidtun, weine über mich, den ich so nicht kenne, der mir mit einem Mal so fremd ist, ich reiße mir die Riemen des Rucksacks von der Schulter, öffne nacheinander die Reißverschlüsse, krame in den Taschen herum, suche das Handy, endlich, aber was soll ich damit, wen anrufen, wer ist denn relevant, ich ärgere mich über das Wort relevant, das ist in diesem Moment einfach nicht, wie soll ich sagen, relevant, haha, ich Witzbold, sogar unter diesen Umständen noch humorvoll, ein Spaßvogel, ich raufe mir die Haare, also, wen bitte anrufen, jetzt sag ich auch noch bitte zu mir selber, also was bringt das, so ein Anruf, Polizei, lächerlich, Rettung, mir fehlt ja nichts, Feuerwehr, die haben allesamt Wichtigeres zu tun, nämlich zu sterben, wie der Pfarrer, seine Augen, wie die geschaut haben, dieser Blick, so verwundert, nein, stärker, so verblüfft, nein, trifft es auch nicht, so fassungslos, schon eher, so bestürzt, genau, so bestürzt und vom Donner gerührt, das ist es, und der Almwirt, die Jäger, die Förster, allesamt Ruhetag heute, ewige Ruhe, ha, daheim, bei ihren Familien, alle so ruhig, so still, totenstill, Magdalena, wo bist du, hoffentlich wartest du in Limone auf mich, da unten wird das Leben doch hoffentlich normal weitergehen, da wirst du lange warten können, bis ich dort auftauche, har har, komm schon, heb ab, melde dich, mit wem telefonierst du, Hundsvieh, warum schaust du so argwöhnisch, keine Sorge, alles normal bei mir, und bei dir?, wir werden doch kein unnötiges Aufsehen machen wegen dem bisschen Wand da unten, was? Ha, wär doch gelacht, los, komm, in ein paar Minuten sind wir am Ziel, har har, Ziel, wie das klingt, Magdalena, heb endlich ab, Mailbox, gib ihre Stimme frei, lass los, Hundsvieh, ich bin nicht dein Herrchen, lauf, such dein richtiges Herrchen, erzähl ihm, was passiert ist, teil ihm bei dieser Gelegenheit auch gleich mit, dass ich deinem Frauchen den Hals umdrehen werde, wenn ich es erwische, Marlen Haushofer, wo sind Sie, ich will nicht hier oben verrecken wie Sie oder Ihre Filmheldin, wie hieß sie noch gleich, Sie haben doch mit dieser Sache zu tun, machen Sie gemeinsame Sache mit Selma, wollen Sie uns Männern einfach eins auswischen, wir sind doch ok, Manuel und Carl sind brave Ehemänner, ich schwöre es, und ich, ja, was bin ich eigentlich, aber an mir braucht ihr euren Frust doch auch nicht abzuladen, ich hab keiner Frau jemals etwas zu leide getan, also was soll das, sorgt dafür, dass diese Wand wieder hochgeht oder sich nach unten, in den Waldboden, zurückzieht, na los, Hundsvieh, verschwinde, nein, komm, bleib, sitz, lauf, Platz, endlich, da ist die Brücke, und dort die Hütte, Gott sei Dank, tut mir Leid, Herr Pfarrer, aber im Moment einfach keine Lust auf Speisen, Scheiße, Hundsvieh, was machen wir bloß, du schaust so gelassen, so zufrieden, also bitte übernimm du das, na was schon, bring du es ihnen bei.