Читать книгу Hundswand - Heinz Schöpf - Страница 5
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Der Taxifahrer, beim Einstieg eben noch überschwänglich freundlich, bestraft mich für die zweiminütige Fahrt mit Schweigen sowie einer kleinen Reise durch Sackgassen und Baustellen, bis er mit elfminütiger Verspätung und um zwölf Euro reicher endlich in die Schillerstraße einbiegt.
Carl und Manuel sitzen längst im Wagen, damit beschäftigt, mit den Unterarmen die beschlagenen Scheiben trocken zu wischen.
Ich steige hinten ein und lasse mich erschöpft auf die Rückbank fallen, völlig durchnässt, weil mich der Taxifahrer nach Erhalt des Fahrgelds, begleitet von einer zaghaften Beschwerde meinerseits, ziemlich grob ins Freie befördert hat, grußlos, mit der fadenscheinigen Ausrede, er dürfe weder da noch dort anhalten, sondern ausschließlich hier. Und dieses Hier heißt ungefähr zweihundert Meter Entfernung zu Carls Wagen, heißt demnach zweihundert Meter Fußmarsch durch orkanartige Gewitterböen, sodass sich meine Flipflops wie zwei Stangen Zuckerwatte nahezu in Nichts auflösen, heißt: Ich hätte gleich mit meinen Freunden mitlaufen können, barfuß, gratis.
Carl dreht mit der rechten Hand den Zündschlüssel und schmiert mit dem Rücken der linken über die Seitenscheibe. Manuel niest.
„Noch ein zweites Mal Die Wand angesehen, was?“, fragt Carl.
„Und, wie ich sehe, endlich ohne Genierer die Kleider vollgeweint,
weil Carl und ich nicht mehr zugegen waren?“, fragt Manuel.
„Der Hund hat sehr gut gespielt“, sage ich, gleichsam als Entschuldigung für mein Zuspätkommen, bemüht, meine Atmung unter Kontrolle zu bringen, die Schwermut aus dem Film zu nehmen und Manuel daran zu erinnern, Carl daran zu erinnern, Manuels Hundsvieh abzuholen.
Manuel, der wie immer sofort versteht, was ich meine, sagt:
„Apropos Hund, Carl, vergiss nicht, Hundsvieh abzuholen, du weißt, ich hab`s meiner Frau versprochen und, an mich gewandt:
„Paul, drehst du mir eine Zigarette?“
„Gern“, lüge ich.
„Das Hundsvieh hätt ich jetzt glatt vergessen“, sagt Carl genau in dem Moment, als Manuels Handy läutet. Manuel schaut auf das Display, lässt betont langsam den Blick zuerst in die Nebellandschaft schweifen, dann zu Carl und schließlich zu mir, zündet sich die von mir gedrehte, von ihm geleckte Zigarette an, die gesenkten Augenbrauen und die fächelnde Handbewegung von Carl ignorierend, drückt die grüne Taste, hält das Handy dicht an sein Ohr, meldet sich mit „Hallo, Schatz“ und hört eine Weile still zu.
Carl dreht seinen Kopf zu mir her, schüttelt ihn, gibt im Rhythmus des Kopfschüttelns ruckartig Gas, was wohl daran liegt, dass er barfuß ist, und formuliert mit den Lippen:
„Siehst du. Ich hab`s doch gleich geahnt.“
Manuel scheint die aufkeimende Unruhe zu spüren, drückt das Handy noch näher an sein Ohr und flüstert hinein:
„Ja. - Ja. – Ja. Toller Film – Ja. – Ja. War erst kurz nach vier zu Ende. – Ja. - Nein. – Weiß ich. - Mach ich. – Ja. Jaja. – Ja, ja gut. – Ja. – Jaja. – Ja klar. – Ja. – Ja, seh ich ein. – Jaja. Natürlich. – Ja, ich auch. – Ja, du dir auch. - Ja, richt ich den beiden aus. – Ja. Ich dich auch.“
Carl dreht sich erneut zu mir und sagt halblaut:
„Übrigens, Paul: Ich darf dich jetzt schon höflich daran erinnern, dass du, als Verlierer der Wette, heute Abend mit der Bezahlung der Obstler an der Reihe bist.“
Manuel massiert mit beiden Zeigefingern seine Augenlider, das Handy in der rechten Hand festhaltend.
„Grappas, nicht Obstler“, antworte ich arglos.
Manuel klappt sein Handy zu und blickt versonnen zum Plafond, setzt sich seine Kopfhörer auf, atmet ein paarmal tief durch, drückt an seinem iPad herum, schließt die Augen, zupft an einer imaginären Gitarre und summt eine dissonante Melodie.
Carl hebt die Brauen, massiert mit zehn Fingern das Lenkrad, zwinkert mir über den Rückspiegel zu, wirft Manuel einen kurzen Blick zu, stellt fest, dass wir unter uns sind, und beginnt, Manuels Sprechpausen von vorhin mit Sinn und der Stimme von Manuels Frau zu füllen:
„Und? Wie war der Film? Ergreifend, was? Hat er den beiden auch gefallen?“
Ich lache in meine Hand, gebe ihm aber augenblicklich mit meinem Zeigefinger an den Lippen zu verstehen, er müsse aufpassen, dass Manuel nichts mitbekomme. Carl nimmt die Hände vom Steuer, lenkt mit den Oberschenkeln weiter, gibt Gas und bedeutet mir mit gefalteten Händen, die er an seine Wange schmiegt, dass Manuel nichts mitbekommen könne, weil er über seiner Luftgitarre eingeschlafen sei. Ich grinse und äffe Selmas Stimme nach:
„Schatz, du hast das Buch von Marlen Haushofer doch hoffentlich eingepackt? Jetzt hast du ja zwei ganze Tage und Nächte Zeit zum Lesen! Noch dazu im sonnigen Süden, während wir hier schon wieder die Wintersocken auspacken müssen. Ich Berg-Schi, du Wasser-Schi.“
Carl schlägt mit beiden Händen aufs Lenkrad und setzt noch eins drauf:
„Und, Schatz, du vergisst wirklich nicht auf Hundsvieh? Ihr müsstet doch eigentlich schon längst hier sein. Hundsvieh furzt in einer Natur. Das zeigt mir, wie es sich auf die Almhütte freut. Es braucht wirklich mal wieder ausgiebig Frischluft und ordentlich Auslauf. Und sag bitte Carl, er soll vorsichtig fahren.“
Was sollte das jetzt heißen? Warum erwähnte Carl die Almhütte?
In der Hoffnung, Carl mit Hilfe einer weiteren Frage von Selma die Antwort zu entlocken, gebe ich ihm mit ihrer Stimme einen kleinen Impuls:
„Wie ich das mit der Almhütte meinte, Schatz?“
„Äh, Schatz, das wollte ich dir ja gerade vorschlagen: Wenn ihr drei schon mal dabei seid, euch zu amüsieren, schaut doch bitte vor Limone noch auf einen Abstecher in Almdorf vorbei, um in der Hütte nach dem Rechten zu sehen“, antwortet Carl mit einem sarkastischen Unterton, den ich an ihm nicht kenne.
Jetzt habe ich Blödmann es endlich kapiert: Manuels Frau will uns auch heuer wieder von Limone fernhalten - wie schon letztes Jahr. Die will sich das Geld für die teure Sanierung dieser Almbruchbude auf unsere Kosten sparen.
Ich bin gleichermaßen irritiert wie verärgert, dass ich lauter als zuvor in Richtung Manuels Ohr spreche:
„Lass mich bitte ausreden, Schatz, meine hübsche Almhütte liegt ja in etwa auf eurem Weg. Und nur so ganz nebenbei: Müsst ihr überhaupt nach Limone? Almdorf ist doch genauso schön! Und noch dazu viel näher!“
Manuel hört und sieht nichts, er summt mit geschlossenen Augen unverdrossen vor sich hin, Carl hebt den Daumen, wohl als Zeichen dafür, dass ich endlich begriffen und mit meiner Antwort den Nagel auf den Kopf getroffen habe, und sagt, jedes Wort nach allen Seiten hin mit einem Nicken untermauernd:
„Ihr spart Benzin und könntet dort oben gleich ein bisschen nach dem Rechten sehen, was meinst du? Und wenn ihr alles erledigt habt, könnt ihr ja, wenn`s denn sein muss, eventuell immer noch nach Italien aufbrechen.“
Ich (stinksauer): „Ihr habt doch euren Spaß da wie dort, oder? Und Hundsvieh befände sich noch dazu auf vertrautem Terrain. In Limone langweilt es sich vielleicht zu sehr. Da fehlen ihm die Berge.“
Carl (feierlich): „Ich bin schon so gespannt auf deine Interpretation des Romans! Mensch, Manuel, zwei Tage und Nächte Zeit zum Lesen – wenn ich die bloß einmal für mich zur Verfügung hätte.“
Ich (getragen): „Und Paul und Carl sollen dir bitte während deiner Lesepausen bei den Ausbesserungs- und Aufräumarbeiten ordentlich zur Hand gehen!“
Carl (gönnerhaft): „Meinetwegen kannst du ihnen ja dafür ein Stamperl Obstler servieren. In der Kredenz müsste sich noch eine angebrochene Flasche vom letzten Jahr befinden. Aber vergiss nicht, die Flasche wieder gut zu verschließen! Dann müsste der Schnaps für Juli nächsten Jahres reichen!“
Ich (sehr ernst, lange nicht so feierlich wie vorhin Carl):
„Pass auf!“
Carl, eben im Begriff, gleichzeitig das Fenster und die Augen trockenzuwischen und einen neuen positiven Satz für Manuels Frau zu formulieren, legt eine Vollbremsung hin, um einer Fichtenkrone auszuweichen, die quer in die Fahrbahn herein ragt. Mir ist nicht entgangen, dass Manuel inzwischen die Kopfhörer abgenommen und sich meine Zigarette erneut angezündet hat, nachdem er sie zuvor am Haltegriff des Seitenfensters ausgelöscht hat. Carl spricht nach seinem gewagten Bremsmanöver munter weiter, ohne zu registrieren, dass Manuel uns inzwischen aufmerksam zuhört:
„Ach, übrigens: weil wir uns ja heute gerade so intensiv mit dem Thema Wand befassen: Ich glaube, die Wand hinter dem Ofen gehört wieder einmal frisch geweißelt, Schatz. Da müsste noch genug Dispersionsfarbe in der Speisekammer sein, in einem der Marmeladengläser von Oma! Nicht dass ihr sie aus Versehen zum Frühstück aufs Brot streicht! Und vergiss bitte nicht, die Hortensien unterm Nordfenster zu gießen und die Engelstrompeten hinterm Haus!“
Ich sage, nun ziemlich laut:
„Ich glaube, es beginnt bald zu schneien.“
Carl vermag meinen Wink nicht richtig zu deuten:
„Ich geh jetzt übrigens mit Hundsvieh schon mal vor die Tür. Bis dann! Ich liebe dich! Genießt die Zeit! Hast du mich auch lieb?“
Er blökt drauflos. Mir ist längst nicht mehr zum Lachen zumute, ich schwitze trotz der Kälte und verdrehe meine Augen zum Plafond wie Manuel vorhin.
Manuel kratzt mit seinem vom Tschick geschwärzten Daumennagel einen Totenkopf in das Sitzpolster und schnäuzt in sein weinrotes Stofftaschentuch.
Das weinrote Tuch hat er bisher nur einmal verwendet. Beim Begräbnis seiner Mutter.
Schon wieder Almdorf. Wieder nicht Limone. Wieder nur Nebel. Nässe. Kälte. Enge. Und Arbeit.
„Carl, müsstest du jetzt nicht eigentlich dort drüben fahren?“, frage ich scheinheilig.
Carl, eben im Begriff, den Wagen in die Spur Richtung Autobahn Brenner, Richtung Limone zu lenken, tritt aufs Bremspedal, ohne in den Rückspiegel zu blicken und das Gehupe hinter uns zu registrieren, erwidert nüchtern, als ob wir nie anders miteinander geredet hätten:
„Scheiße, natürlich falsche Richtung, diesmal geht`s ja wieder nach Dings. – Und, Scheiße, ja, das Dings.“
Seit ich Carl kenne, verwendet er Dings immer dann, wenn es ihm die Sprache verschlägt: aus Verlegenheit oder vor Wut. Scheiße ist ihm noch kein einziges Mal über die Lippen gekommen und nun gleich zweimal hintereinander. Das verheißt nichts Gutes. Manuel reibt sich mit seinem braun-gelb karierten Stofftaschentuch über die Augenlider.
Die Stimmung im Inneren des Autos hat sich schlagartig der kühlen Außentemperatur angepasst.
Wäre ich nur annähernd Herr über meine Gefühle, würde ich jetzt zwei Dinge tun: aus dem fahrenden Auto springen und die vierzig Kilometer barfuß nach Hause laufen.
Mein Instinkt lässt mich völlig im Stich.