Читать книгу Hundswand - Heinz Schöpf - Страница 20
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Der Gedanke, dass der Hund ein echtes Blinzeln von einem falschen nicht zu unterscheiden vermag, bereitet mir größere Sorge als jener an die fremde innere Stimme mit diesem monotonen, gleichgültigen Singsang, die sich in meinem Gehirn einzunisten beginnt wie das Geplapper der Tonbandansagerin aus den Lautsprechern der U-Bahn-Station. Klingt sie deshalb so ironisch, fast hämisch?
„Limone oder Waldheimat? Hast du denn eine Wahl?“, fragt sie mich. „Willst du im Ernst deine Freunde im Stich lassen? Und lässt es sich mit deinem Gewissen vereinbaren, den Pfarrer alleine und benebelt im unwegsamen Gelände umher irren zu lassen und einfach wegzusehen, wie er in Jesussandalen abstürzt und sich womöglich das Genick bricht? Apropos Pfarrer: Wo ist er eigentlich? Such ihn. Ohne deine Hilfe wird er die Hütte nämlich nie erreichen. Zumindest nicht im Diesseits. Ha.“
Täuscht es mich, oder hat die Stimme dreimal hintereinander das Verb lassen verwendet? (Einem Schulkind hätte ich diesen sprachlichen Mangel sofort angekreidet.) Außerdem spricht sie viel zu undeutlich. Hat sie nun Waldheimat oder Wahlheimat gesagt? Und was soll das heißen, deine Freunde im Stich lassen? Die beiden kommen locker ohne mich zurecht. Wie ich sie kenne, werden sie den Proviant bereits in die Vorratskammer geschlichtet, den Herd und den Boiler befeuert, den Machine Head angelassen und die Bierflaschen im Bach ein paar Schritte unterhalb der Hütte eingekühlt haben. Machine Head ist Manuels liebevolle Bezeichnung für das lärmende Diesel-Aggregat hinter der Hütte, mit dem er sich zu allererst beschäftigt, noch bevor er die Hütte aufsperrt. Er befreit das hässliche Ding von seiner Plastikabdeckung, wischt mit einem braun-gepunkteten Tuch darauf herum, sodass ein zufällig vorbeimarschierender Wanderer vielleicht meinen könnte, er rubble einem Schafs- oder Kindskopf die Haare trocken. Zu spät wird der Wanderer erkennen, worum es sich bei diesem liebevollen Zeremoniell handelt, denn Manuel dreht nun an verborgenen Knöpfen, zieht unvermittelt an einem Ring und springt in Deckung. Eine Detonation. Sie hört sich an wie das Live-Intro zu Smoke on the Water von Deep Purple´s Made in Japan. Zumindest ist dies Manuels Erklärung für den zu Tode erschrockenen Wanderer auf dessen Frage, in welchen militärischen Konflikt er da hineingeraten sei.
Immerhin beliefert das Gerät die gesamte Hütte mit Strom, und der Lärm lässt sich zwei Tage lang aushalten.
Wahrscheinlich werden meine Freunde jetzt gerade mit dem Frühstück fertig sein, Manuel wird sich mit dem rot-weiß karierten Taschentuch oder ist es das grün-gelb gestreifte die Brösel vom Mund wischen, wird leise in seine Armbeuge rülpsen, die Gitarre vom Haken zwischen dem hölzernen Christus und der Büchse nehmen, sie minutenlang stimmen, anschließend auf der einzigen gemütlichen Sitzgelegenheit Platz nehmen, einem weinroten, abgewetzten Ohrenbackensessel aus den Dreißigerjahren, dem Erbstück aus dem Fundus von Selmas verstorbener Tante, und mit den ersten zwölf Takten von Smoke on the Water beginnen. (Gitarre, Büchse und Christus haben ungefähr die gleiche Größe, sodass Manuel letztes Jahr ein Malheur passiert ist: Er hat den Christus anstelle der Gitarre abgenommen und sage und schreibe zehn Minuten versucht, den Christus an den Holznägeln zu stimmen. Unser Gelächter schien ihn nicht zu stören.) (Wir waren nüchtern, er nicht.) (Hauptsache, er ließ die Büchse in Ruhe.)
Nach dem zwölften Takt wird das Spiel von vorne beginnen.
Währenddessen wird Carl das Geschirr spülen, es abtrocknen, es polieren, Carl ist der einzige Mensch, den ich kenne, der jeden einzelnen Teller nach dem Abtrocknen anhaucht und mit einem zweiten Tuch nachpoliert, er wird es in die Fächer und Schubladen der Vitrine Louis-quatorze räumen, das Holz im Ofen nachlegen, ein dreigängiges Mittagessen vor- und zubereiten, den Esstisch decken und dazu Elton`s Candle in The Wind oder YMCA von den Village People pfeifen. Manuel wird einmal kurz in seinem Gitarrespiel innehalten und beiläufig erwähnen: „Der Fußboden gehört auch wieder einmal gekehrt und nass gewischt.“