Читать книгу Hundswand - Heinz Schöpf - Страница 9
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Wasser und Nebel, wohin man schaut. Aus dem Autoradio tönt Don`t look to the eyes of a stranger von Iron Maiden, Hundsvieh blickt kurz zu den Schweinsschnitzeln, rückt aber noch näher an mich heran, dreht den Kopf zu mir her, schaut mir in die Augen, verrenkt seinen Körper, blinzelt und hechelt, als singe es playback. Seine Zungensäfte tropfen auf meine Schultern und besudeln die Polsterung.
Das Thermometer sinkt binnen Minuten von 11 auf 2 Grad.
Nun setzt Schneeregen ein, und wir vier sitzen im Jeep fest, drei in Sommeradjustierung, einer nackt, einer mit warmen Füßen.
Carl schaltet die Heizung auf Hochtouren, sie kann aber nichts gegen die Ausdünstungen im Wageninnern ausrichten, die Fensterscheiben verweigern die Sicht nach draußen, es riecht nach kaltem Schweiß und schlechtem Atem.
„Die Frau da im Film, die ist doch innerhalb dieser Wand eingeschlossen. Gefangen. Alles, was sich von ihr aus gesehen hinter der Wand befindet, ist offenbar tot. Ausgelöscht. Rings um sie nur diese paar Tiere. Der Hund. Die Kuh. Die Katze. Die Gedanken der Frau kreisen eigentlich nur ums Durchfüttern dieser Tiere. Oder habe ich den Film gänzlich falsch verstanden? Was meint ihr dazu?“
Es ist Carls Stimme, die das so monoton vor sich hin sagt, als wolle sie die Nebelwand verscheuchen.
Manuel und ich meinen gar nichts dazu. Manuel, weil er wegen der Kopfhörer nichts hört, und ich, weil ich mich auf keine Diskussion einlassen möchte, ich will einfach nur raus hier, raus aus diesem stinkenden Gefängnis, raus aus dem Nebel. Verzeih, Carl, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für eine Filmkritik.
Carl lenkt den Wagen zielstrebig und routiniert durch die Unbilden dieser unwirtlichen Landschaft, sämtlichen Schlaglöchern nun wie ferngesteuert trotzend, als habe er auf unserer Fahrt vor einem Jahr sämtliche Besonderheiten dieses Wegs detailgetreu auswendig gelernt und bis zum heutigen Tag verinnerlicht.
Dann überschlagen sich die Ereignisse. Carl vollführt eine Vollbremsung, es kracht, wir werden durchgebeutelt, ich stoße mit der Stirn an den Haltegriff des Seitenfensters, Carl ruft: „Limone! Endstation! Aua! Alles aussteigen!“, ich registriere, wie Manuel in ein braun-gelb kariertes Stofftaschentuch prustet, wie er Carl mit einem strafenden Blick versieht, wie er ein zweites, weiß-blau gestreiftes, aus dem Hosensack zieht und sich damit über die Wangen wischt, und während ich noch überlege, wie seltsam das aussieht, so als wolle er uns einen Zaubertrick vorführen, werde ich ohnmächtig, wache aber gleich wieder auf, weil Hundsvieh seinen Körper an mich presst, zitternd auf mir zu liegen kommt, ich schnappe nach Luft, eine Pfote streicht über meine Stirn, ich bin irritiert, frage mich, ob womöglich auch Hunde zu Homophilie neigen können, sein linkes Auge tränt, das rechte zwinkert mich an, seine Zunge leckt mir über die Stirn, rau, dennoch tröstend, mit der freien Hand öffne ich die Schiebetüre und schubse Hundsvieh ins Freie, jaulend vollführt es eine Körperdrehung, kommt auf allen vier Beinen zu stehen, schüttelt sich, wendet den Kopf zu mir, warum hast du das getan, sagt sein Blick, es springt mit einem Satz zu Hermann, dem Alm-Wirt, der unmittelbar nach dem Aufprall herbei geeilt ist und vor ihm zurückweicht, weil es ihn anknurrt, Manuel pfeift es zurück, worauf es sofort kehrt macht, Hermann begrüßt uns mit einem brummenden „Guten Abend zusammen! Also derart spektakulär hat noch keiner hier eingeparkt“, sobald er jedoch bemerkt, dass wir nahezu unverletzt aus dem Wagen steigen, schwingt ein unfreundlicher Ton mit:
„Der neue Hausbrunnen hat übrigens 900 gekostet und hätte mich und eigentlich auch meine Urenkel überdauern sollen.“
Manuel lacht ihm direkt ins Gesicht und sagt:
„Ich bin schon gespannt, was es heute Gutes zum Abendessen gibt.“
Das Gesicht des Wirts zeigt keinerlei Regung, aber ich spüre, dass auch er Manuels Reaktion unpassend findet.
„Wiener Schnitzel vom Schwein, mit Petersilkartoffeln und Salat“, sagt der Wirt ruhig, ebenso ruhig wendet er sich ab. Er würdigt uns keines Blickes mehr. Manuel geht ihm nach, er redet auf ihn ein, erkennt nun offensichtlich selber, dass er einen Fehler gemacht hat, versucht, ihn wiedergutzumachen, mit Lobhudeleien, die der Nebel nicht verschlingt, sondern verstärkt zu mir herüber trägt: wie er sich auf das Wiener Schnitzel freue, wie sehr sich die Fassade des Hauses seit unserem letzten Besuch zum Positiven verändert habe und ähnliches Zeug. Mir ist die Situation peinlich. Ich schäme mich für ihn. Derart servil hat Manuel sich in meiner Gegenwart noch nie geäußert. Meine Verstimmung hat sich in Verwunderung verwandelt.
Ich überlege, dem Wirt nachzurennen und ihm die 900 aus meiner Brieftasche zu bezahlen, damit Manuel endlich den Mund hält. Und Carl wäre damit auch geholfen, denn der Kotflügel muss sicherlich ersetzt werden.
Manuel folgt dem Wirt bis zum Eingang, ohne meine Ratlosigkeit und Carls Kopfschütteln in seinem Rücken zu spüren, ohne sich um mich und Carl zu kümmern. Sein Strohhut leuchtet im Schein der Laterne. Der Nebel trägt ein Bild zu mir her, das aussieht, als befinde sich dort vorne der Heilige Josef wieder einmal auf Herbergssuche.
Hundsvieh bleibt auf halbem Weg unentschlossen stehen. Ein kurzer Pfiff von Manuel. Es läuft los, auffallend zögerlich, nicht wie ein Hund, der seinem Herrn gerne gehorcht, eher wie einer, der nicht bei ihm ankommen will.
„Ich glaube, Manuel macht sich über den Wirt lustig“, sagt Carl.
„Schwein!“, murmle ich.
„Wer? Ich? Das Hundsvieh? Oder Manuel?“, fragt mich Carl.
Ich muss lachen.
„He, Manuel meint das nicht so“, sagt Carl.
„Darum geht es nicht.“
„Manuel kann auch nichts dafür, dass wir erneut hier gelandet sind.“
„Mit Schwein habe ich doch nicht ihn gemeint. Ich habe nur halblaut mein Bedauern ausgedrückt, dass es Wiener Schnitzel zum Essen gibt. Statt coniglio alla cacciatora. Und was auf dem Speisezettel für morgen steht, brauche ich einem Feinspitz wie dir wohl nicht näher zu erläutern.“
„Du musst das positiv sehen: Dafür hat das Kaninchen in Limone heute Schwein gehabt.“
„Tja, wie es scheint, muss es sich bis nächstes Jahr gedulden.“
„Bis dahin setzt es noch ein paar Muskeln an.“
„Und es ist gut abgelegen.“
„Na also.“
„Daran, dass an dem für uns reservierten Tisch in Limone jetzt, in diesem Augenblick, gerade andere Leute Kaninchen Jägerart bestellen, während wir zwei uns über das Almschweinwiener Gedanken machen, wollen wir nicht denken.“
„Richtig.“
Wir lächeln beide.
„Trotzdem: Deine Erklärung betreffend das Schwein nehme ich dir nicht ab. Sei vorsichtig, Paul.“
Wer hat schon einen Freund wie Carl, der einen wieder aufrichtet, wenn man bedrückt ist, und genau versteht, wie man etwas meint.
„Und was ist mit dem eingedrückten Kotflügel?“, frage ich ihn.
„Ach, um den mach dir keine Sorgen. Er hat uns zwar vor ärgeren Verletzungen geschützt, aber leid muss er dir trotzdem nicht tun.“
„Und wie wird deine Frau reagieren?“
„Der macht das sicher nichts aus. Im Gegenteil: Die wird sich freuen, dass uns nichts passiert ist.“
„Weiß sie überhaupt, dass wir schon wieder hier gelandet sind?“
„Nein. Ich habe mein Handy auf unseren Fahrten doch nie dabei.“
„Sie meint also, du wärst in Limone, und in Wirklichkeit …“
„…bin ich schon wieder hier in Almdorf. Genau. Aber was tut das schon zur Sache?“
„Kommt sie da nicht auf abwegige Gedanken?“
„Ich habe nichts zu verbergen, das weißt du so gut wie ich. Außerdem bin ja nicht ich für unseren neuerlichen Umweg verantwortlich, sondern Manuels Frau.“
„Ist mir schon klar, aber nimmt deine Frau dir das ab?“
„Wir kennen uns jetzt seit…warte mal…seit über elf Jahren.“
„Du vertraust ihr so wie sie dir?“
„Darüber denke ich eigentlich nicht nach.“
Solltest du aber, liegt mir auf der Zunge, stattdessen frage ich:
„Aber wie kommuniziert ihr, wenn, sagen wir … ein Notfall eintritt?“
„Erinnerst du dich noch, wie unproblematisch das Leben ohne Handy funktioniert hat?“
„Du wirst älter.“
„Du etwa nicht? Wie meinst du das?“
„Auf mich wartet zu Hause niemand, dem ich Auskunft über meinen aktuellen Standort geben muss. Wenn ich wo krepiere, interessiert das niemanden sonderlich.“
„Du Armer. Oder soll ich Glückspilz sagen?“
„Gute Frage.“
„Schlechte Antwort. - Also, wie hast du das mit dem Älterwerden gemeint?“
„Herzinfarkt. Unfall. Schlaganfall. Zum Beispiel.“
„Dann umso besser ohne Handy: So treffen die Schreckensmeldungen eben wie anno dazumal ein, nämlich mit Verspätung, und das Glück kann sich noch ein bisschen Zeit lassen. – Los, komm, lass uns essen gehen. Das Schwein wartet!“
„Das erzähl ich ihm.“
„Wem: Dem Schwein oder Manuel?“
„Macht das etwa einen …“
Carl lässt mich nicht zu Ende reden, schlägt mir lachend auf die Schulter und schiebt mich ziemlich grob ins Gasthaus.
Ach, Magdalena. Es gibt Momente, da möchte ich dich lieber nicht sehen. Jetzt ist so ein Moment.