Читать книгу Hundswand - Heinz Schöpf - Страница 15
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Der Nebel hat einem klaren Sommertag Platz gemacht.
Wir sitzen auf einer Bank, ein paar Meter vom Gasthaus entfernt, der Pfarrer und ich, wir schauen Hundsvieh zu, wie es den demolierten Brunnen beschnuppert, der im Scheinwerfer der Morgensonne leuchtet. Hundsvieh geht ein paar Schritte zurück, mustert ihn mit Kennerblick, wie ein Galerist, der im Begriff ist, ein interessantes Objekt für die Kunstmesse auszuwählen.
Carls Stoßstange hat ganze Arbeit geleistet.
Hundsvieh hebt sein Bein, lässt sein Wasser gegen den Brunnenschaft rinnen, streckt sich durch, krallt sich mit den Vorderpfoten am Schaft fest, rollt die Zunge aus und säuft das Brunnenwasser aus dem deformierten Rohr.
„Komm her, Hundsbanause!“, rufe ich. Hundsvieh wedelt mit dem Schwanz und läuft zu mir. Den Pfarrer ignoriert es. Ich bücke mich nach einem Holzstück und werfe es in die Luft.
„Wenn du es fängst und mir bringst, fahren wir nach Limone. Wenn nicht, wandern wir gemeinsam mit dem Pfarrer zur Almhütte“, wette ich mit ihm.
„Wu.“
Hundsvieh bleibt ruhig neben mir sitzen.
„ In Ordnung, ich habe verstanden“, sage ich, während ich sein warmes Fell streichle. „Andrerseits – so richtig verstehe ich dich jetzt doch nicht. Erinnerst du dich denn nicht mehr, wie sehr du dich auf die italienischen Hundedamen gefreut hast?“
Hundsvieh springt einfach davon und verschwindet im Wald.
„Was der Köter wohl hat?“
Die fragende Stimme des Pfarrers. Er blickt Hundsvieh nach, während er eine Flasche des Vino tinto entkorkt, er schnuppert am Korken, legt ihn neben sich auf die Bank, setzt die Flasche an den Mund, tätigt einen kräftigen Schluck, wischt den Flaschenhals mit dem Handrücken sauber und reicht sie mir.
„Eine einheimische Häsin? Eine ausländische Hundedame? Keine Ahnung“, sage ich.
Wir sitzen da, lange Zeit schweigend, die Wärme genießend, einander abwechselnd die Flasche reichend.
„Übrigens. Danke.“
„Guter Tropfen, nicht wahr?“
„Ja. - Aber das habe ich nicht gemeint.“
„Ach, für den Zungenkuss?“
„Wenn man das bei euch so nennt, quasi als Synonym für eine lebensrettende Mund-zu-Mund-Beatmung …“
„Weißt du … ich bin immer froh, wenn … nun … wie soll ich sagen … wenn etwas in dieser Art passiert … Wie sonst käme ein Mann in meiner Position zu irgend einer Art Körperkontakt ... Ha.“
„Ich habe es ernst gemeint.“
„Ich auch.“
Er dreht die leere Flasche um, entlässt die restlichen Tropfen ins Moos, stöpselt sie zu, verstaut sie im Rucksack, zieht die zweite Flasche heraus, entkorkt sie, schnuppert am Korken, scheint wiederum zufrieden, setzt zum ersten Schluck an. Die gleiche Prozedur.
„Ich bin übrigens nicht wenn du weißt was ich meine.“
„Ich weiß zwar nicht, was Sie meinen, aber das habe ich auch nicht angenommen, wenn Sie wissen, was ich meine.“
Er lacht, neckt mich mit den Ellbogen, ich sage „Prost!“ und versuche, das Thema zu wechseln.
„Wohin sind eigentlich die Jäger und Förster verschwunden?“
„Zu ihren Frauen und Kindern. - Die Armen.“
„Die Jäger und Förster und arm?“
„Nein. Die Frauen und Kinder.“
Dann hätte es eigentlich den Armen heißen müssen, denke ich und ärgere mich sofort über mich, den Herrn Lehrer, dessen geschultes Ohr sogar hier oben, in dieser Stille, den richtigen Fall hören will.
„Die haben heute ihr Jahresfest gefeiert. Zu Ehren von Sankt Hubertus, ihrem Schutzpatron.“
„Also forstet heute kein Förster mehr auf? Und kein Jäger jagt heute in der Gegend herum, um diesem Heiligen Hubertus ein hübsches Opfer zu schießen?“
Der Wein vergreift sich an meinen Gedanken. Ich beginne dummes Zeug zu reden. Der Pfarrer scheint mich trotzdem zu verstehen.
„Nein. An diesem hohen Festtag lassen sie Wald und Wild in Ruhe.“
„Außerdem sind sie sicher zu besoffen dafür. - Zum Wohl. Auf die Frauen. Und die Kinder.“
„Nein. Auf die Jäger und Förster.“
„Bitte?“
„Auf dass sie endlich Vernunft annehmen. Die Frauen und Kinder sind mit Vernunft gesegnet. Die Jäger und Förster müssen erst einmal lernen, dass es sie überhaupt gibt, die Vernunft, dann, wie sie damit umgehen sollen und, was weitaus am schwierigsten ist, wie sie im täglichen Umgang miteinander anzuwenden ist. Gegenüber den Schwächeren, und das sind nun mal die Frauen und Kinder, des Weiteren gegenüber den Tieren. Gegenüber den Fremden. Überhaupt gegenüber allen Andersdenkenden. Einfach mehr Respekt gegenüber der Schöpfung zeigen. - Vernunft und Weitsicht. Dazu braucht es keins dieser Ferngläser, das sie ständig in ihren Pranken halten oder um ihre dicken Hälse gehängt haben wie duale Phallussymbole – einen Teil zum Pinkeln, den anderen zum Hrrmm.“
„Vernunft gegenüber Tieren - Das sagt ausgerechnet einer, der keine Hunde mag?“
„Wie kommst du denn darauf? - Ach, du meinst, weil dieser Köter und ich …?“
„… nicht gerade die besten Freunde sind. Richtig.“
„Das bedarf natürlich einer Erklärung. Äh, ich habe dieses liebenswerte Geschöpf auf Anhieb gemocht, aber ich darf es äh nicht näher an mich heran lassen, nicht ins Herz schließen, wie es so schön heißt, sonst würde mir das nach eurer Abreise das Herz brechen. Das fängt bereits bei der Sprache an – das Wort Köter dient mir von vorneherein dazu, den Hund gefühlsmäßig äh von mir fernzuhalten.“
Gute Ausrede, denke ich, muss ich meinen Schulkindern weiterempfehlen, wenn sie wieder einmal im Begriff sind, einen Klassenkameraden äh zu schikanieren.
„Warum?“, frage ich.
„Ich habe einfach schon zu viele schmerzliche Trennungen hinter mich bringen müssen. Wie seinerzeit, als …“
Ich will nichts Genaueres wissen. Wen interessiert denn das Leben der anderen, seien wir doch ehrlich. Wer hat denn mich je danach gefragt, wie ich mich gefühlt habe, als ich mich der Reihe nach von meinen Liebsten trennen musste? Von meinem ersten Teddybären, von Laura aus der vierten Volksschulklasse? Wer hat je gemeinsam mit mir über den Verlust meiner Langzeitfreundin Sabine, meiner krebskranken Großmutter oder meines ständig verstimmten Stutzflügels geklagt?
Ich falle ihm mit der Frage ins Wort, ob er Hundsvieh gesehen habe. Aus meinem Mund wird er mit Sicherheit kein Welche Trennungen?, auch kein Warum waren sie schmerzlich? und ähnliches Zeug hören. Seine Lebensbeichte soll er meinetwegen beim Wirt ablegen, der rechnet seinen Zuhörservice ja ordentlich in die Preise der Speisekarte mit ein.
Besser schweigen, Wein trinken, nach jedem Schluck die Flasche weiter reichen, dem Kreischen der Krähen, dem Gesang der Haubenmeisen lauschen oder den Pfoten der Eichhörnchen, wie sie die Fichtenstämme empor klettern, den letzten Nebelfeldern hinterher winken und der Sonne einen guten Tag wünschen, das angenehme Schwindelgefühl genießen.
Der Pfarrer mag einfach keine Hunde und damit basta. Der eine mag die Berge, der andere das Meer, der eine mag beides, der andere nichts.
Der Wein macht es sich in meinem Gehirn gemütlich, hat Spaß daran, mir Wörter einzusagen, die ich gar nicht denken will, spuckt eins ums andere auf meine Zunge, mischt sie dort noch einmal gehörig durch und zwingt mich Sätze wie diesen zu sagen:
„Jetzt würde ich gerne ficken.“
„Ich auch.“
Ich verstehe nicht, was der Pfarrer sagt, da es im selben Augenblick aus heiterem Himmel donnert, aber ich habe sicherlich nichts Wichtiges versäumt, ich lehne mich zurück und lasse die Sonne auf mein Gesicht und meine Weichteile scheinen, die in diesem Moment ihrem Namen nicht mehr gerecht werden.
Der Pfarrer streckt gähnend die Arme zum Himmel. Bitte keine Schwänke aus deiner Vergangenheit. Bitte keine Predigt. Du bist zwar ein sympathischer Kerl, aber bleib still. Ruh dich aus. Mach von mir aus dort drüben im Moos ein kleines Nickerchen.
Ich stoße ihm meinen Ellbogen in die Seite. Er versteht die Geste als Spaß. „Ha. Das erinnert mich an ein Erlebnis, das …“
Ich schubse dich von der Bank, wenn du weiterredest. Mensch, Magdalena, du statt dem da, hier und jetzt, auf meinem Schoß, im Schneidersitz, in meiner linken Hand die Sonnencreme, in meiner rechten dein Schulterknochen, ein knuspriger Truthahnflügel, vor mir ausgebreitet, zum Anbeißen und Abnagen bereit.
Hintereinander ein Gottseidank, das Knurren meines Magens, ein Wu, eine warme Zunge auf meiner Nasenspitze, ein Ha, zwei Sätze:
„Lass uns aufbrechen, Paul! Deine Kollegen haben sicherlich schon Sehnsucht nach dir und diesem Köter da!“