Читать книгу Im Zeichen des Denkmals - Helen Dalibor - Страница 11
7
ОглавлениеICE zwischen Leipzig und Berlin
Endlich ging es nach Hause. Unruhig saß Karla in ihrem Sitz und konnte es kaum erwarten, ihre Neuigkeiten loszuwerden.
Die Zettel lagen sicher verstaut in ihrem Notizblock. Bis jetzt hatte sie es nicht gewagt, sie sich genauer anzusehen. Zu groß war die Furcht, dass jemand ihren Fund zu Gesicht bekommen würde, den das alles überhaupt nichts anging. Dabei war die Befürchtung hinfällig. Niemand saß hinter oder neben ihr. Das Großraumabteil war relativ leer, was die angehende Wissenschaftsjournalistin verwunderte. Wollte niemand in die Bundeshauptstadt fahren oder nahm man dafür lieber das Auto? Es war viel bequemer, wenn man im Zug saß. Man musste nicht auf den Verkehr achten und konnte sich anderen Aufgaben widmen.
Da der Platz neben ihr frei war, hatte sie dort ihre Tasche hingestellt statt in den Fußraum. Während sie diese im Blick hatte, hörte sie die Aufnahmen von ihrem Diktiergerät ab und tippte es wortgetreu in ihr Tablet. Es war ein mühsames Unterfangen, weil sie schneller tippte, als das Tablet die eingegebenen Daten verarbeiten konnte. Isis hatte sie davor gewarnt, aber woher sollte sie noch ein Netbook bekommen? Seit die Branche auf der Tabletschiene fuhr, gab es nichts anderes mehr, das man problemlos in seinem Rucksack verstauen konnte. Wenn sie wenigstens eine externe Tastatur hätte, würden ihr die Texte sicherlich besser von der Hand gehen. Leider gab es für ihr Gerät so etwas noch nicht, weshalb sie sich manchmal selbst verfluchte, ein billiges Gerät gekauft zu haben, das technisch bestens ausgerüstet war, für das es aber keine Zusatzteile gab.
Einen Laptop durch die Gegend zu schleppen, war keine Alternative. Lieber langsam arbeiten, als sich zu Tode zu schleppen. Ihr Rücken würde es ihr danken.
Nachdem mehrmals beim Abtippen nur Kauderwelsch herausgekommen war, gab sie es auf. Ausnahmsweise hatte Isis recht behalten. Tablets waren für eine schnelle Textverarbeitung nicht geeignet und dienten mehr für eine schnelle Recherche oder den Kontakt in den sozialen Netzwerken. Von letzteren hielt die angehende Wissenschaftsjournalistin sich seit einiger Zeit allerdings fern. Früher hatte sie relativ viel auf ihrem Blog gepostet und selbst Bilder von sich reingestellt für die sie sich inzwischen schämte. Mit Monas Hilfe hatte sie diese restlos gelöscht und sie auch nirgendwo im Netz mehr vorgefunden. Da hatte sie noch einmal Glück gehabt. Nicht auszudenken, wenn ein späterer Arbeitgeber auf diese Fotos stoßen würde.
Resigniert packte Karla Tablet und Diktiergerät in ihre Tasche. Zu Hause erwartete sie ein voll funktionstüchtiger PC samt geeigneter Tastatur. Zwar streikte diese ab und an, weil ihr mal Cola über die Tasten gelaufen war, größere Probleme machte das nicht, höchstens wenn sie sich einem Computerspiel widmete. Da war es äußerst ärgerlich, wenn die Tastatur gerade dann streikte, während man sich gegen einen oder mehrere Gegner erwehren musste.
Ihr Blick fiel auf den Notizblock mit dem verhängnisvollen Inhalt. Die Fingerspitzen der angehenden Wissenschaftsjournalistin fingen zu kribbeln an, dass Karla sie über den Stoff ihrer Hose fahren ließ. Es gab ein unangenehmes Geräusch, wodurch sie sich innerlich schütteln musste.
Welcher Teufel sie geritten hatte, diese vergilbten Zettel an sich zu nehmen, konnte sie immer noch nicht erklären. Nicht einmal das Buch hätte sie anfassen sollen, aber die Finger nicht davon lassen können. Als hätte es sich um eine Tafel Schokolade gehandelt. Die konnte sie auch nicht unangetastet liegen lassen. Nun steckte Karla in der Klemme. Was sollte sie mit den Seiten bloß anfangen? Und was stand dort überhaupt drauf?
Vorsichtig zog die angehende Wissenschaftsjournalistin den Notizblock aus ihrer Tasche. Bevor sie ihn aufschlug, ließ sie ihren Blick unauffällig durch das Großraumabteil wandern. Der Waggon hatte sich trotz eines zwischenzeitlichen Halts nicht weiter gefüllt und blieb schwach besetzt. Ein älteres Ehepaar und zwei einzeln reisende Geschäftsleute befanden sich mit ihr im Abteil, so weit sie es sehen konnte. Klaras Blick blieb länger als nötig auf einem der Anzugsträger haften. Es war kein Interesse das sie länger verweilen ließ. Der junge Mann mochte so alt wie sie selbst sein, vielleicht zwei oder drei Jahre älter. Er hatte dunkle kurze Haare, die er mithilfe von Gel in Form gebracht hatte. Möglicherweise hatte er auch Nivea-Creme oder ähnliches benutzt. Das war egal.
Karla hingegen fand die Frisur affig. In der Schule konnten Jungen so was machen, auch noch im Studium, aber spätestens, wenn sie im Berufsleben standen, sollten sie auf Haargel verzichten. Nicht einmal Arne Kramm hatte es benutzt und der war ein Blödmann erster Güte.
Der junge Geschäftsmann war in ein Wirtschaftsmagazin vertieft, dessen Titel Karla nicht entziffern konnte. Je länger sie in beobachtete, desto überzeugter war sie, dass er nicht in der Zeitschrift las. Was war ihr aufgefallen und merkwürdig an ihm vorgekommen? Sie konnte es nicht benennen, aber ihr Gefühl trog sie selten.
Als hätte der junge Geschäftsmann den Blick der angehenden Wissenschaftsjournalistin auf sich gespürt, sah er auf und blickte sie an. Seine Miene war undurchdringlich und hatte etwas Forderndes. Karla war es unangenehm und sie senkte den Blick.
Irgendwie wirkte er mit seinem Blick verdächtig. Ob es wirklich stimmte, dass er sie beobachtete? Wahrscheinlich redete sie sich das nur ein, weil sie etwas Unerlaubtes getan hatte und überall Gespenster sah. Jeder andere Fahrgast hätte genauso gut negativ auffallen können, weil er irgendetwas getan hätte, was ihr aufgefallen wäre, weil es nicht zu ihm passte.
Dennoch war Karla verunsichert. Sie steckte das Notizbuch wieder zurück in die Tasche, legte sich den Riemen über die Schulter, erhob sich und ging zur Toilette.
Sorgfältig verriegelte sie die Tür, nahm das Notizbuch aus der Tasche und holte die vergilbten Blätter hervor. Sie waren dünn und raschelten, als Karla sie durchblätterte. Viel konnte sie nicht entziffern, aber mehrere Datumsangaben stachen ihr ins Auge.
"Oktober 1812", las sie und wunderte sich darüber.
Was machten zweihundert Jahre alte Seiten in einem Buch, das mehr als doppelt so alt war? Verstehen musste sie das nicht, auch wenn der Grund sie durchaus interessiert hätte.
Die angehende Wissenschaftsjournalistin schreckte zusammen, als Stimmen an ihr Ohr drangen. Auf dem Flur war jemand!
Hastig packte sie die Blätter zusammen, legte sie zurück zwischen die Seiten ihres Notizbuches. Schnell betätigte sie die Spülung und wusch sich die Hände. Der Gang war frei, als sie die Toilette verließ. Dabei hatte sie gehört, wie jemand aufgefordert worden war, den Weg frei zumachen. Jetzt war niemand da. Karlas Blick ging durch die Glastür in ihr Abteil, wo der junge Geschäftsmann seine Zeitschrift wieder aufnahm. War er hinter ihr hergeschlichen? Hatte ihr Gefühl sie nicht getrogen und er beobachtete sie?
Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter.
Jetzt nur nicht in Panik geraten, ermahnte sie sich.
Langsam atmete sie ein und aus, konzentrierte sich ganz auf ihre Atmung bis sie sich beruhigt hatte und wieder klar denken konnte.
Sie musste etwas unternehmen! Wenn dieser Typ sie tatsächlich verfolgte, würde er garantiert versuchen, ihr die vergilbten Seiten abzunehmen. Nach Hause konnte sie unmöglich allein gehen. Der Weg von der U-Bahn bis zum Haus war lang und lag einsam. Dort ein Taxi zu finden würde bereits schwierig werden.
Am besten holte sie jemand ab, damit sie nicht allein war. Genau, Isis sollte das machen. Die interessierte sich ohnehin für alles, das alt und vergilbt war, wie die Seiten es waren. Karla musste ihre Freundin nur anrufen, um sich mit ihr zu treffen.
Noch rechtzeitig erinnerte sie sich daran, dass Isis sich nicht in Hamburg, sondern in Berlin befand. Da kam Karla ein Gedanke. Der Zug fuhr über die deutsche Hauptstadt Richtung Hamburg, also konnte sie am Berliner Hauptbahnhof aussteigen und sich mit ihrer Freundin treffen.
Schnell nahm Karla ihr Handy zur Hand und schlug den entgegengesetzten Weg zum nächsten Waggon ein. Schnellen Schrittes durchquerte sie das Großraumabteil bis sie auf dem Gang bei der Toilette zum stehen kam.
Mit klammen Fingern drückte sie die Kurzwahltaste und wartete darauf, dass Isis den Anruf entgegennehmen würde.