Читать книгу Im Zeichen des Denkmals - Helen Dalibor - Страница 12
8
ОглавлениеBerlin, Hauptbahnhof
Nervös stand Karla am Treppenaufgang zu den S-Bahnen und ließ die Menschen an sich vorbeiziehen. Ihr Blick ging unruhig hin und her, suchte in der Masse nach einem bekannten Gesicht.
Ihre Tasche trug sie unter ihrer Jacke, schützte sie noch mit ihren Armen.
Vor zehn Minuten war sie mit dem ICE angekommen. Der junge Geschäftsmann war bereits eine Station zuvor ausgestiegen. Damit konnte sie ihn von ihrer Liste der Verdächtigen streichen oder doch nicht? Hatte sie sich nicht nur etwas eingebildet? Obwohl sie beruhigt sein müsste, wurde sie das Gefühl nicht los beobachtet zu werden. Wenn sie ehrlich war, stand sie hier mitten auf dem Präsentierteller, konnte von allen Seiten, von oben und unten gesehen werden.
Isis hatte versprochen so schnell wie möglich zu kommen, um sie abzuholen. Allmählich fragte sich Karla, ob ihre Freundin überhaupt wusste, wo sie sich treffen wollten. Die Ägyptologin hatte immer vom Lehrter Stadtbahnhof gesprochen, selbst als Karla sie mehrfach korrigiert hatte. Nun konnte sie nur hoffen, dass ihre Freundin wirklich denselben Ort gemeint hatte wie sie.
Isis war ein wenig merkwürdig, was Dinge betraf, die umbenannt wurden. Bis heute sagte sie zur HSV-Spielstätte Volksparkstadion und nannte nicht den aktuellen Sponsorennamen des Stadions. Vielleicht war es genauso mit dem Lehrter Bahnhof, der nun Hauptbahnhof hieß.
"Setzen Sie sich unauffällig in Bewegung und drehen Sie sich nicht um", flüsterte eine heisere Stimme Karla ins Ohr.
Diese zuckte zusammen und erstarrte. Man hatte sie gefunden! Was sollte sie nur tun? Wie würde Isis an ihrer Stelle reagieren? Um Hilfe schreien? Weglaufen? Gar kämpfen?
Eine Hand legte sich auf ihre Schulter und ließ ihre rasenden Gedanken abrupt zum Stillstand kommen. Unter der Last der Hand schien die angehende Wissenschaftsjournalistin immer mehr in sich zusammenzusinken.
"Entschuldige, dass ich so spät bin, aber du kennst die Berliner S-Bahnen, noch unzuverlässiger als bei uns in Hamburg die Kommisbrote. Wobei, wie ich einmal zur Uni wollte, blieb die Bahn mitten auf der Strecke liegen. Das ist mir hier glücklicherweise noch nicht passiert. War natürlich ein Kommisbrot gewesen. So viel zur Zuverlässigkeit der Hamburger S-Bahnen", plapperte eine bekannte Stimme drauflos.
Als Karla nicht reagierte, verstummte die Person, nahm die Hand von der Schulter und schritt die letzten Stufe hinab, um vor Karla zum stehen zu kommen.
"Alles in Ordnung, Karla?", fragte Isis besorgt, als sie in das schreckensbleiche Gesicht ihrer Freundin blickte. "Habe ich dich erschreckt? Das wollte ich nicht, tut mir leid. Kennst ja meine Angewohnheit, in unpassenden Momenten einen Scherz zu machen."
"Du wirst dich nie ändern", fauchte Karla erbost, die sich schnell von ihrem Schrecken erholt hatte, nachdem sie Isis erkannte. "Tu's nie wieder!"
"Ich verspreche lieber nichts, dann kann ich's nicht brechen."
Für Karla war das Thema beendet. Nervös sah sie sich um.
"Gehen wir?", wollte sie wissen.
In ihr breitete sich ein mulmiges Gefühl aus. Mit einem Mal war ihr dieser Ort zu unsicher. Die vielen Menschen flößten ihr Angst ein, schienen sie zu beobachten, zu wissen, was sie getan hatte.
"Klar, folge mir unauffällig. Wir fahren ein paar Stationen mit der S-Bahn und dann gehen wir ins Museum."
Erleichtert über diese Ansage folgte Karla ihrer Freundin die Stufen zum Bahnsteig hinauf.
Die S5 Richtung Hoppegarten fuhr gerade ein. Isis drängte ihre Freundin zur Eile.
Beide sprangen in die S-Bahn, die kurz nach ihnen die Türen schloss.
Erleichtert lehnte Karla sich in ihrem Sitz zurück. Sie war in Sicherheit. Leider hielt das Gefühl der Erleichterung nicht lange an.
Als die angehende Wissenschaftsjournalistin den Blick durch den Gang schweifen ließ, fiel ihr ein bekanntes Gesicht auf - der junge Geschäftsmann aus dem ICE. Nur trug er jetzt keinen Business-Anzug, sondern legere Kleidung, die ihn beinahe unter den anderen Fahrgästen unsichtbar werden ließ. Er hatte den Anzug gegen eine kamelfarbene Jacke sowie eine Jeans getauscht und anstelle der eleganten Aktentasche trug er nun einen Rucksack über der Schulter. Gelangweilt schien er aus dem Fenster zu blicken, doch Karla war überzeugt, dass er sie beobachtete.
Aufgeregt stieß sie ihrer Freundin in die Seite.
"Hey!", reagierte Isis empört und hielt sich die schmerzende Seite. Normalerweise teilte sie diese Art der Aufmerksamkeit aus und steckte nicht ein.
Ihre Freundin kümmerte sich nicht um diese Belanglosigkeit, ging es doch um etwas weit Wichtigeres. Sie wurden verfolgt! So unwahrscheinlich es war, konnte es gar nicht anders sein.
"Siehst du den Mann dort in der sandfarbenen Jacke? Der hat mit mir im Zug gesessen, allerdings als Geschäftsmann gekleidet."
"Bist du sicher?" Die Ägyptologin musterte den jungen Mann, der kaum älter als sie und ihre Freundin war, unauffällig. Etwas Verdächtiges konnte sie an ihm nicht entdecken. Aber wenn Karla sagte, dass er mit ihr im Zug gesessen hatte, würde es wohl stimmen.
"Der ist eine Station vorm Hauptbahnhof raus."
"Südkreuz", murmelte Isis gedankenverloren.
Es war völlig ausgeschlossen, dass er von dort gekommen war. Sie fuhren gerade in Richtung Südkreuz. Entweder täuschte sich Karla oder der Mann hatte nur so getan, als würde er in Südkreuz den Zug verlassen. Stattdessen könnte er sich in der Behindertentoilette versteckt und sich dort umgezogen haben, um Karla weiter zu beobachten. Möglicherweise hatte er einfach den nächsten Zug genommen, der zum Hauptbahnhof fuhr. Bei der kurzen Strecke würde kein Schaffner durch den Zug gehen und die neu zugestiegenen Fahrgäste kontrollieren.
Isis wandte sich an ihre Freundin: "Was hast du nur angestellt?"
"Nichts, außer das, was ich dir erzählt habe."
"Scheint ausgereicht zu haben", meinte Isis. "Gut, diese Station müssen wir raus. Wir gehen erst los, wenn die letzten raus sind. Also mach dich bereit, aber so unauffällig wie möglich."
Die S-Bahn fuhr in den Bahnhof Friedrichstraße ein und kam zum Halten.
Eine Touristengruppe setzte sich in Bewegung, um den Waggon zu verlassen. Das war die Chance, um unerkannt zu entkommen. Isis gab ihrer Freundin ein Zeichen, sich zu erheben. Schnell schlossen sie sich der Gruppe an und traten aus dem Pulk erst wieder hinaus, als sie den Bahnsteig verlassen und aus Sichtweite des vermeintlichen Verfolgers waren.
Unauffällig sah die Archäologin sich um, während sie das Gebäude verließen und auf die Straße traten. Den jungen Mann hatte sie nirgendwo entdecken können. Das musste allerdings nichts heißen. Er könnte einen Komplizen haben, der ihnen bisher nicht aufgefallen war und sie nun verfolgte. Isis würde die Augen offen halten, mehr konnte sie nicht tun.
Die beiden Freundinnen wandelten einige Meter über die Friedrichsstraße, bevor sie in die Georgenstraße einbogen, die sie zur Museumsinsel führen würde.
"Was willst du eigentlich im Museum?", wollte Karla wissen. Ihr konnte es egal sein, wohin sie gingen. Allerdings fand sie den Ort ein wenig ungewöhnlich.
"Einen Auftrag für Professor Theiding erledigen. Wo Oliver anderweitig beschäftigt ist, muss ich eben springen."
Das klang härter, als es die Ägyptologin beabsichtigt hatte. Wenn sie ehrlich war, störten sie diese Aufgaben nicht. Nur wenn sie manchmal eigentlich etwas anderes zu tun hatte, kamen ihr diese Aufgaben ungelegen.
"Hast du für Professor Winter auch immer gemacht. Der hat dich sogar mehr rumgescheucht als es dein jetziger Herr und Meister tut."
"Komm mir bloß nicht mit dem", sagte Isis energisch. "Der undankbare Kerl hat mich schon wieder angezeigt."
"Was ist es diesmal?"
"Diebstahl von Kultureigentum."
"Mal ehrlich, er sollte sich was Besseres einfallen lassen."
"Ja, du hast recht. Langsam wird es langweilig. Was soll's? Gönnen wir ihm seinen Spaß. Er hat schließlich sonst nichts, worauf er sich in seinem Ruhestand verbeißen kann."
Schweigend überquerten die Freundinnen die Straße und schlängelten sich über einen engen Fußweg.
Auf der Museumsinsel wurde fleißig gebaut, um ein Foyer für alle Museen zu schaffen. Vor über hundert Jahren war dieser Plan entstanden, aber nie ausgeführt worden. Der Erste Weltkrieg hatte dem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung gemacht, dann der Zweite Weltkrieg und schließlich die Gründung zweier deutscher Staaten. Erst mit der Wiedervereinigung und der Rückkehr der Ägyptischen Sammlung sollten die einzelnen Gebäude zu einem großen Komplex verschmelzen.
Isis bog auf die Bodestraße ein. Nun ging es durch einen provisorischen Holzverschlag, der als Fußgängerweg diente.
"Ach, guck mal", rief Karla entzückt aus. "Machen schon für die Schöne am Nil Reklame."
"Richtig originell, wie ich finde. Eine Hand, ein Kopf, nur Andeutungen und dennoch weiß jeder sofort, was gemeint ist."
Wie gut diese Werbung funktionierte, hatte man an ihrer Freundin sehen können. Diese wusste vom alten Ägypten kaum etwas, daran hatte ihre Praktikantenstelle nichts geändert, trotzdem hatte sie Nofretete erkannt.
Erstaunt reckte Karla den Hals, als sie eine Menschengruppe in eines der Gebäude sehen sah."
"Haben die eine Sonderführung gebucht? Ich dachte, montags sind alle staatlichen Museen geschlossen."
"Ja, aber nicht das Neue Museum. Nofretete will jeder sehen und zwar an jedem Tag der Woche."
"Als Königin muss man immer Audienz gewähren."
"Du sagst es."
Isis führte Karla durch einen Nebeneingang, der fürs Personal war, ins Museum, wo sie in der ersten Etage den zweiten Saal des rechten Flügels aufsuchten. Nachdem die Ägyptologin die Gesichter zweier Statuen aus allen Blickwinkeln fotografiert hatte, ging sie mit ihrer Freundin ins zweite Stockwerk.
"Keine Handyfotos!", warnte Isis. "Nofretete mag das nicht. Überhaupt sind momentan Fotos in diesem Teil streng verboten!"
"Ja, ja, hatte gar nicht vor, diesen Kopf zu fotografieren."
"Du kannst mir gleich deinen Fund zeigen. Dahinten gibt es einen Raum, der kaum aufgesucht wird." Die Ägyptologin musterte ihre Freundin noch einmal. "Worauf du dich auch immer eingelassen haben magst, das schlechte Gewissen lastet auf dir."
"Sieht man mir das an? Wahrscheinlich leide ich deshalb unter Verfolgungswahn", meinte Karla.
"Das musst du selbst wissen."
Isis führte ihre Freundin in den Raum, der allein für die berühmteste Büste der Welt reserviert war.
Ein achteckiger Raum, der nur Nofretete in einer sehr hohen Glasvitrine beherbergte. Penibel achtete ein Wachmann darauf, dass niemand das Fotografierverbot überging. Allerdings gab es immer einige Unverbesserliche, die es nicht sein lassen konnten.
"Falls du sie mal anfassen willst, es gibt eine Replik. Aber die Bakterien und sonstigen Mikroben... Du weißt schon."
"Muss nicht sein", sagte Karla, nachdem sie einen kurzen Blick auf die Büste geworfen hatte. Sie sah sich so was lieber an. Für Blinde hingegen mochte so eine Replik ganz schön sein, aber sie musste so etwas befühlen.
In ihr machte sich Enttäuschung breit, als sie endlich der schönen Nofretete gegenüberstand. Schön mochte sie wegen des farbigen Anstrichs sein, mehr nicht. Die angehende Wissenschaftsjournalistin konnte die Magie nicht fühlen, sah nur bearbeiteten Kalk aus dem ein Gesicht entstanden war. Dazu kam ein extrem langer Hals, der einem das Gefühl gab, er könne den Kopf nicht halten.
"Können wir?", wollte Karla wissen und hoffte, dem Gewühl der Masse zu entfliehen. Isis ging aus dem Raum zurück in die Sonderausstellung, schlug dort sofort den Weg nach links ein und blieb vor einer Vitrine mit fünf Gesichtern stehen.
"Den Kaspar gab's bereits im alten Ägypten", sagte Isis und deutete auf den untersten Kopf der Sammlung.
"Ach was!", sagte ihre Freundin erstaunt. "Fehlt nur noch das Krokodil und die Großmutter."
Ein dunkles, langes Gesicht mit lächerlichen Zügen starrte sie an. Das mochte der altägyptische Harlekin gewesen sein. Karla besah sich die Köpfe bis ihr Blick auf dem ganz rechts oben hängen blieb. Ihr stockte der Atem, als ihr das Gesicht ihres ehemaligen Kollegen entgegenstarrte. Wie war das hierher gekommen? Nach dem ersten Schreck fasste sie sich recht schnell und konnte sogar darüber lachen.
Unglaublich, ging es ihr durch den Kopf. Wenn er das wüsste. Auf Karlas Lippen stahl sich ein Lächeln. Zu Schade, dass ich es nicht fotografieren darf. Würde ich Arne zu gerne schicken. Ein jahrtausende alter Kopf, der ihm gleicht wie die Faust aufs Auge.
Die angehende Journalistin fing zu kichern an.
"Hi, hi!", lachte sie, "der Kopf könnte ein Abdruck von Arne sein. Die Ähnlichkeit ist erstaunlich. Vielleicht mache ich doch ein Bild davon und schicke es ihm. - Für dich, du Holzkopf!"
Die angehende Wissenschaftsjournalistin verstummte, als sie merkte, dass Isis ihr gar nicht zuhörte. Wie im Trance stand Karlas Freundin vor der Vitrine und starrte den Kopf an. Besorgt sah Karla zu ihr und wusste nicht, was sie tun sollte. Besonders seltsam war, dass sich ein leichtes Lächeln auf den Zügen der Ägyptologin gebildet hatte, zugleich schien sie die Stirn zu runzeln. In einem Teil war es Verzückung, im anderen Verwunderung.
Merkwürdig, ging es Karla durch den Kopf. So komisch hat sie das letzte Mal ausgesehen, als wir in Ägypten waren und sie diese Visionen hatte.
"Hat der Kalkfritze dir den Kopf verdreht? Du stehst wohl wirklich auf jahrtausende alte Typen."
"Was?" Isis fuhr aus ihrer Trance. "Red nicht so'n Müll!"
Sie war lauter als beabsichtigt gewesen. Schnell drehte sie sich um, ob man auf sie aufmerksam geworden war, aber der Wachmann war gerade anderweitig beschäftigt und hatte ihr nur einen flüchtigen Blick zugeworfen.
"Man, sei nicht so empfindlich. Ich kann wohl noch 'nen Scherz machen. Bloß wenn er auf deine Kosten geht, verstehst du keinen Spaß mehr", erwiderte Karla verärgert, aber ihre Wut verrauchte schnell. "Wenn du nicht in diesen Holzkopf verschossen bist, warum reagierst du so seltsam darauf?"
"Er erinnert mich an jemanden. Leider weiß ich beim besten Willen nicht an wen. Das Gesicht ist mir vertraut, als wäre es Knut, der dort abgebildet wäre."
"Ich denke die ganze Zeit an Arne, wenn ich mir das Gesicht ansehe. Der Kopf gleicht ihm bis aufs Haar."
"Stimmt, du hast mir mal ein Bild von ihm gezeigt. Vielleicht hat sich mein Unterbewusstsein daran erinnert."
Karla erwiderte nichts, blieb stumm. Ihrer Freundin hatte sie nie ein Bild von ihrem ehemaligen Kollegen gezeigt. Isis konnte somit gar nicht wissen, wie Arne Kramm aussah. Dennoch korrigierte sie Isis nicht und ließ die Worte unkommentiert im Raum stehen. Eine falsche Erklärung war weitaus besser, als wenn Isis sich weiterhin ihren Kopf zerbrach.
"Dann zeig mir mal deine antiken Zettel", sagte Isis und wies den Weg durch einen hell erleuchteten Gang, der in einem schmucklosen Raum mit mehreren Glasvitrinen endete. Die Wände waren weiß, das Licht so grell, dass es empfindlichen Menschen in den Augen blendete. Hier kamen nur wenige Besucher hin und wenn sie sich doch hierher verirrt haben sollten, verließen sie den Raum ohne sich länger als nötig dort aufzuhalten.
In der Mitte des leeren Saals befand sich eine Sitzgarnitur samt Ausstellungskatalog.
Die Ägyptologin wies auf die Sitzklötze. Noch während Karla sich setzte, holte sie aus ihrem Notizblock die gefalteten Blätter.
Isis nahm sie vorsichtig entgegen, verärgert, keine Handschuhe oder eine Pinzette dabei zu haben.
"Antik oder brüchig sind sie nicht", stellte sie fest erleichtert fest. Dafür waren sie recht dünn, heutigem Butterbrotpapier ähnlich. "Mal sehen, was da geschrieben stehen mag. - Wie alt, sagtest du, war das Buch, wo sich dieser ominöse Schatz drin befunden hat?"
"So 17. Jahrhundert oder 18. Jahrhundert würde ich sagen. Sah jedenfalls ziemlich alt aus, aber der Einband war nicht so brüchig, dass er unbedingt hätte bearbeitet werden müssen."
"Gut, gehen wir davon aus, dass jemand die Blätter bewusst in dem Buch versteckt hat. Das wäre die erste Vermutung. Wem gehörte das Buch?"
Karla zuckte hilflos mit den Schultern. Ihr war nicht einmal bekannt, wie der Titel des Buches lautete. Darauf hatte sie einfach nicht geachtet.
"Gut, ist momentan nicht weiter wichtig. Vielleicht sagen uns die Seiten, wer sie verfasst hat."
Vorsichtig besah sich die Ägyptologin die einzelnen Blätter. Die Schrift war gut lesbar, auch wenn die Wörter nur mit Bleistift verfasst worden waren. Das Schriftbild war nicht schwer zu entziffern, sodass Isis keine Mühe hatte, die Sätze zu lesen, die der Verfasser geschrieben hatte.
"Die Stadt brennt seit zwei Tagen. Thomas ist seit unserer überstürzten Flucht nicht wieder aufgetaucht. Ich mache mir Sorgen um ihn", murmelte sie und blätterte weiter. "Thomas ist tot. Ich sollte ihn beschützen und habe versagt. Wie soll ich unserer Mutter nur unter die Augen treten?"
Desinteressiert legte Isis die Blätter wieder aufeinander und wandte sich ihrer Freundin zu, die sie die ganze Zeit gebannt angestarrt hatte.
"Scheint ein Soldatentagebuch zu sein. Jemand mit einem Bruder namens Thomas ist auf dem Russlandfeldzug von Napoleon dabei gewesen."
"Das klingt langweilig. Nur wieso bin ich wegen solcher lumpigen Seiten verfolgt worden?"
"Ich will dir nicht zu nahe treten, aber vielleicht bildest du dir das nur ein. Das muss nicht so ein weltbewegendes Dokument sein, wie die Rollen des Seth meines Vorfahren Masut. Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen. Dennoch werde ich sicherheitshalber eine Kopie machen, um mir das genauer anzusehen."
"Danach brauche ich unbedingt was zu essen. Mir ist schon ganz elend."
Seufzend erhob sich die Ägyptologin. Irgendwie war es zu erwarten gewesen, dass Karla damit ankommen würde.
"Gut, deine Lieblingsläden befinden sich am Alexanderplatz. Da gehen wir zu Fuß hin."
"Na, das meinst du nicht ernst?", sagte die angehende Wissenschaftsjournalistin mit einem Grinsen auf den Lippen. Ihre Freundin wollte sie nur verschaukeln. Als Isis nicht darauf reagierte, gefror Karlas Grinsen. Es schien tatsächlich ernst gemeint!
"Der Weg zurück zur S-Bahn und die anschließende Fahrt zum Alexanderplatz dauert in etwa genauso lange, als wenn wir zu Fuß dorthin gehen würden. Außerdem kann so ein Fußweg gar nicht schaden. Das regt den Kreislauf und die Verdauung an. Perfekt vor dem Verzehr von so einem ungesunden Zeug."
Mit einem ergebenen Seufzer nahm Karla die Blätter entgegen und steckte sie wieder gefaltet zwischen die Seiten ihres Schreibblocks.