Читать книгу Im Zeichen des Denkmals - Helen Dalibor - Страница 20
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ОглавлениеHamburg-Lokstedt
Isis bog auf die Julius-Vosseler-Straße ein, als ihr zwei Männer entgegen kamen. Augenblicklich machte sich ein Unbehagen in ihr breit. Sie konnte nicht sagen warum, aber diese zwei Männer schienen nichts Gutes im Schilde zu führen. Unauffällig warf sie einen Blick zur Ampel, die leider rot für Fußgänger zeigte.
Sollte sie umkehren und den Weg zurücklaufen, den sie gekommen war? Keine gute Idee, beschloss die Archäologin. Der Weg war viel zu einsam. Auf der großen Hauptstraße hatte sie eher eine Chance, dass jemand auf sie aufmerksam würde. Falls sich jemand die Mühe machte, dem Fußgängerweg größere Aufmerksamkeit zu schenken.
Isis seufzte innerlich. Es half alles nichts. Sie musste an den beiden Männern vorbei.
Links vorbei, rechts vorbei oder durch die Mitte? Für einen kurzen Moment zögerte Isis, dann lief sie los, direkt auf die Männer zu. Die verständigten sich mit Blicken. Es war eine Falle.
Kurz bevor sie mit ihnen zusammenstieß, schlug sie einen Haken und rannte links an der Straßenseite an den Männern vorbei. Dann beschleunigte sie ihren Schritt, wobei ihr schwerer Rucksack sie behinderte. Sie hörte das Schreien der beiden Männer, verstand allerdings kein Wort. In ihren Ohren rauschte es, dennoch vernahm sie deutlich die schweren Schritte ihrer Verfolger.
Isis war eine exzellente Sprinterin, die zu Schulzeiten bei Jugend trainiert für Olympia teilgenommen hatte. Von ihrer Schnelligkeit hatte sie in all den Jahren nichts verloren. Nur eines hatte sich bis heute nicht geändert. Isis war keine Langstreckenläuferin. Obwohl sie mit dem Joggen begonnen hatte und inzwischen deutlich längere Strecken als früher laufen konnte, reichte die Länge der Strecke immer noch nicht aus.
Sie merkte, wie bei jedem weiteren Atemzug ihre Lunge zu brennen begann. Die Beine hatten noch genügend Kraft, doch die Luft wurde ihr knapp.
Nur noch bis zur nächsten Laterne, ging es ihr durch den Kopf.
Isis konzentrierte sich auf ihr Ziel, wusste, dass sie es nicht erreichen würde.
Der Atem ihrer Verfolger kam dicht an ihr Ohr. Die Archäologin wagte nicht sich umzudrehen, um keinen wertvollen Zentimeter Vorsprung zu verlieren. Sie spürte das Keuchen im Nacken und wusste, dass sie verloren hatte, wenn nicht augenblicklich ein Wunder geschah.
Noch einmal zog sie das Tempo an. Es reichte nicht mehr. Isis spürte einen schmerzhaften Griff an ihrem linken Arm und wurde zurückgerissen. Nun hielt man auch ihren recht Arm. Die Archäologin versuchte, die beiden abzuschütteln, es gelang ihr nicht.
"Lasst mich los!", schrie sie zornig.
"Wo wir dich gerade erst haben", bekam sie zu hören. "Wollen wir nicht so sein. Gib uns, was wir haben wollen und du bist uns los."
"Was sollte das sein?", fragte die Archäologin und gab sich alle Mühe, keine Furcht aus ihrer Stimme durchklingen zu lassen. Mit der Frage spielte sie auf Zeit, wollte ergründen, mit was für Gegnern sie zu tun hatte. Verstanden sie sich auf ihr Handwerk oder waren sie nervös und mit der Situation überfordert? Ein nervöser Gegner war schlimmer als einer, der genau wusste, was er tat.
"Wo ist die Karte?", kam eine Frage, mit der Isis am allerwenigsten gerechnet hätte. Noch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, was die zwei mit der alten russischen Karte wollten, antwortete sie völlig unverbindlich.
"Was für eine Karte?" Im dumm stellen war sie gut, auch wenn es sie in der gegenwärtigen Situation erhebliche Überwindung kostete. "Eine Postkarte? Eine Landkarte vielleicht? Es gibt viele Sorten Karten."
Der Griff um ihre Handgelenke wurde fester. Offensichtlich konnte ihr Gegner sich besser beherrschen, als sie vermutet hatte. Doch wie sah es mit dem anderen aus? Unter halb gesenkten Augenlidern verfolgte Isis jede Bewegung des anderen Mannes. Als er sich ihr unwillkürlich näherte, zuckte sie zusammen.
"Depp!", rügte der Mann seinen Komplizen, der Isis festhielt.
"Weißt du eigentlich worum es geht? Also hör mit dieser Karte auf. Wer weiß, ob die noch existiert."
Interessant, befand die Archäologin. Die beiden schienen nicht ganz einig zu sein, was sie von ihr haben wollten. Möglicherweise konnte sie das für sich ausnutzen. Die beiden Männer gegeneinander aufbringen und die Gunst eines Streits nutzen, um zu fliehen. Würde sich ihr so eine Gelegenheit bieten?
"Die Tagebuchaufzeichnungen, wo sind sie?", wurde Isis von dem Mann aus ihren Gedanken gerissen.
"Meine gehen niemanden etwas an."
Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, als sie begriff, dass sie einen Fehler begangen hatte. Lebensmüde musste sie sein, ihre Gegner so offen zu provozieren.
Ihre Arme wurden zusammengedrückt, was Isis ein schmerzhaftes Wimmern entlockte. Dennoch versuchte sie, sich ihre Panik nicht anmerken zu lassen.
Sie befand sich auf einem Gehweg, der an einer belebten Straße entlangführte. Es konnte nicht sein, dass niemand auf ihre Not aufmerksam wurde.
"Hör auf, uns für dumm zu verkaufen", brachte der schlanke, etwa Vierzig Jahre alte Mann seinen Kopf nah an ihren, dass sie seinen Atem riechen konnte. Er roch nach Pfirsichkaugummi mit künstlichem Aroma. Der Geruch ließ die Archäologin würgen. Pfirsicharoma hatte Isis noch nie vertragen. "Du weißt ganz genau, was wir meinen. Also sag uns, wo du es hast."
Seine Stimme war leise, aber die Worte waren deutlich zu verstehen.
Die Archäologin begann innerlich zu zittern.
Das war keine Aufforderung mehr, sondern hatte stattdessen einem Befehl gegolten. Nun war guter Rat teuer. Die Tagebuchseiten lagen noch bei ihr zu Hause in einer Schublade. Bisher hatte sie einfach nicht die Zeit gehabt, diese zu ihrem Schließfach zu bringen. Würde sich diese Nachlässigkeit nun rächen?
"Sieh in ihrem Rucksack nach, vielleicht sind sie dort drin."
Bevor Isis reagieren konnte, wurde der Rucksack von ihren Armen gerissen und fiel unsanft zu Boden.
Noch bevor die Archäologin einen Befreiungsversuch starten konnte, wurden ihre Arme wieder brutal nach hinten gerissen.
"Versuch es erst gar nicht", hörte sie eine drohende Stimme an ihrem Ohr.
Hilflos musste sie mit ansehen, wie der Reißverschluss ihres Rucksacks geöffnet wurde.
Hoffentlich würde der Inhalt nicht auf dem gesamten Gehweg verteilt werden, ging es ihr durch den Kopf.
Verrückt! Sie wurde von zwei Männern bedroht und dachte an solche Nichtigkeiten.
Zwei Mappen, ihre Regenjacke und ihr Regenschirm waren im Hauptfach verstaut. Im hinteren Fach befanden sich ihr Tablet und ein Ordner.
Der Mann nahm beide Mappen heraus und ließ den Rucksack achtlos fallen.
Ein Glück, dass ich nichts Zerbrechliches eingesteckt habe, ging es Isis durch den Kopf. Das Tablet war nicht so empfindlich und in dem Ordner gut geschützt.
Schnell wurden die Mappen durchblättert und achtlos zurück in den Rucksack gestopft, als nicht das Gewünschte gefunden wurde. Nun wandte sich das Interesse des Mannes dem kleinen Fach zu, aber außer jeder Menge Taschentuchpackungen, zwei benutzten Taschentüchern, die dort schon eine halbe Ewigkeit drin lagen, weil Isis immer vergaß sie wegzuwerfen, und mehreren Kugelschreibern und Bleistiften sowie unzähligen Notizblättern, befand sich nichts in dem Fach.
"Das wäre auch zu einfach gewesen", hörte sie den Mann murmeln. Er wandte sich an Isis. "Wo hast du die Tagebuchseiten?"
"Zu Hause?", mischte sich der andere ein, der sie festhielt. "Werden wir dort fündig werden?"
Die Archäologin starrte ihn unverwandt an. So langsam müssten sie wissen, dass sie ohne Schlüssel nicht ins Haus kamen, weil das gesamte Grundstück alarmgesichert war.
"Dort werdet ihr nie reinkommen. Ihr seid schon einmal gescheitert, wenn ich daran erinnern darf."
Isis merkte, wie eine Ruhe sie überkam. Den beiden Männern würde nichts anderes übrig bleiben, als sie laufen zu lassen. Das würde die zwei ärgern, aber es würde ihnen nichts anderes übrig bleiben.
"Ich entsinne mich. Aber freu dich nicht zu früh. Jedes Alarmsystem lässt sich umgehen, vor allem wenn man den Haustürschlüssel hat. Am Ende nimmt man einfach die Festplatte mit und braucht nichts zu befürchten."
Der Triumph aus den Augen der Archäologin verschwand und machte Schrecken Platz.
Daran hatte sie überhaupt nicht gedacht! Sie brauchten nur ihren Schlüssel, um im Haus herumzuspazieren und alle Beweise mitzunehmen, die von ihrer Anwesenheit zeugten. Nein, das durfte sie keinesfalls zulassen! Sie würde es den zwei Typen zeigen, dass man eine Isis Just nicht übertölpelte.
"Nun sag schon, wo hast du deinen Haustürschlüssel? Du ersparst mir eine Menge Arbeit und dir jede Menge Unannehmlichkeiten."
Isis wurde blass, als sie die Worte hörte. Die Furcht gewann nur wenige Sekunden die Macht über sie und wich schnell großem Zorn, der sich in ihr ausbreitete.
Was erlaubten sich die zwei Typen? Erst wurde ihr Rucksack durchsucht und nun wollten sie in ihr Haus eindringen. Das war zu viel! In ihrem Haus hatten fremde Leute nichts zu suchen. Nicht einmal Oliver duldete sie in den eigenen vier Wänden. Da hatten diese zwielichtigen Gestalten erst recht nichts bei ihr verloren.
Erneut versuchte sie, sich loszureißen. Abermals vergeblich, zu fest war der Griff um ihre Arme. Allerdings hatten sie nicht bedacht, dass ihre Beine frei waren. Mit denen konnte sie zur Not auch etwas ausrichten.
Ruhig wartete sie ab bis der Mann sich ihr näherte. Sie fixierte ihn unauffällig. Als er nur noch eine Armlänge von ihr entfernt war, trat sie ihm gegen das linke Schienbein und vollführte anschließend einen wuchtigen Tritt gegen seine empfindlichste Stelle aus. Ihr Gegenüber klappte augenblicklich wie ein Messer zusammen und krümmte sich vor Schmerzen am Boden.
"Das wirst du büßen!", heulte er.
Isis verspürte Genugtuung. Den ersten ihrer Gegner hatte sie ausgeschaltet, nun war der andere dran.
"Du Schlampe!", hörte sie den verbliebenen Angreifer mit schriller Stimme in ihr Ohr kreischen. Sogleich spürte sie einen Tritt in die Kniekehlen. Die Archäologin verlor den Halt, als ihre Knie zusammenknickten und sie auf den Boden aufzuprallen drohte. Wenn sie erst am Boden lag, würde sie wehrlos sein. Nur der schmerzhafte Griff um ihre Handgelenke sorgte dafür, dass sie weiter aufrecht stand.
Das bedeutete Glück für Isis, denn im nächsten Augenblick hupte jemand lautstark. Ob das ihr galt?
Die Archäologin hatte keine Zeit darüber nachzudenken. Sie spürte, wie sich der Griff um ihre Gelenke lockerte. Diesen Moment der Unaufmerksamkeit machte sie sich zu nutzen, um sich aus den Klauen des verbliebenen Angreifers zu befreien. Ohne darüber nachzudenken, was sie tat, wirbelte sie zu ihm herum und schlug ihm mit der Faust in den Solarplexus. Ihr Angreifer krümmte sich und schnappte nach Luft. Nun war auch der letzte ausgeschaltet.
Auf ihrem Erfolg durfte sie sich nicht ausruhen. Sie musste weg, bevor sich einer der beiden wieder erholt hatte. Schnell hob Isis ihren Rucksack vom Boden auf, klemmte ihn sich unter den Arm und rannte los.
Bis zur nächsten Ampel musste sie es wenigstens schaffen.
"Verdammt noch mal, halt sie auf, Tom!", hörte sie hinter sich den noch immer am Boden wälzenden Mann schreien. Der Tritt in seinen Schritt hatte ihn vollkommen ausgeschaltet.
"Keine Luft", hörte sie den anderen Mann namens Tom röcheln. Er keuchte und rang um Atem. "Die Legende interessierte Jahrhunderte niemand und nun willst..."
Mehr verstand Isis nicht von dem Gebrüll. Das Blut rauschte in ihren Ohren, während sie sich so schnell als möglich von den beiden Übeltätern entfernte.
Die Archäologin rannte, als ginge es um ihr Leben, achtete nicht auf das Stechen in ihrer Lunge, auf die einsetzende Schwäche in ihren Knien. Mehrfach drohte sie einzuknicken und zu stolpern, doch jedes Mal konnte sie sich fangen.
Sie fühlte sich erst sicher, als sie sich in der U-Bahn befand und sich hinter ihr die Türen schlossen.
Als sie endlich saß und den Reißverschluss ihres Rucksacks schloss, gingen ihr die Worte durch den Kopf, die sie diesen Tom hatte sagen hören.
"Eine Legende", murmelte sie und fragte sich zugleich, was es damit auf sich hatte.
Welche Sagen und Legenden gab es in Russland, die einen wahren Hintergrund hatten? Das sollte sie möglichst schnell herausfinden. Außerdem musste sie die Tagebuchaufzeichnungen samt Karte in ihr Bankschließfach bringen. Der Tresor in ihrem Haus erschien ihr auf einmal nicht mehr sicher genug, auch wenn sie die Aufzeichnungen dort bisher nicht verwahrt hielt und sie noch in einer Schublade lagen.