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Magische Experimente 1

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An dem Tag, an dem der Loge der letzte Grad gegeben wurde, saßen sie zu dritt im Haus des Landmarschalls von der Medem beisammen. Sie hatten bereits eine Weile miteinander geplaudert, als Cagliostro sich in ein abgelegenes Zimmer zurückzog, um dort, wie er vorgab, ungestört ein paar Gedanken niederzuschreiben. Als er eine halbe Stunde später zurückkehrte, blickten ihm Elisa und ihr Onkel erwartungsvoll entgegen, denn aus seiner Miene schlossen sie, dass in der Abgeschiedenheit Bedeutendes geschehen sein musste.

Zufrieden stellte Cagliostro fest, dass sein Auftritt die gewünschte Wirkung zeigte. Er gab sich betont geheimnisvoll, während er sich schwerfällig auf seinem Sessel am Kamin niederließ und erst noch am linken Ärmel zupfte, als sei er ihm bei der Bewegung nach oben gerutscht. Er komme aus einer wichtigen Besprechung mit seinen Oberen, eröffnete er ihnen und warf dabei den Kopf in den Nacken, als wolle er den Erlauchten noch einmal nachschauen, wie sie gerade ins Himmelsall entschwebten. Er habe die Ehre, unter Elias zu stehen. Kophta, einer der mächtigsten Geister, sei ihm vom guten Prinzipium als Schutzgeist gegeben, auch unter ihm stehe er. Doch habe er ebenfalls schon einige Geister unter sich, die ihm dienstbar seien und bald die Schutzgeister der Anwesenden würden.

Vor Ehrfurcht wagten seine Zuhörer kaum zu atmen.

Seine Oberen hätten ihm soeben seine hiesigen Aufgaben noch näher umrissen und genauestens den Ort beschrieben, wo die wichtigsten magischen Schriften vergraben lägen, nämlich in Wilzen auf dem Landgut des Herrn Marschalls, wovon dieser jedoch nicht das Geringste wusste. Vor sechshundert Jahren habe an dieser Stelle ein großer Magier gelebt, der dort wertvolle Instrumente sowie einen reichen Schatz im Wald vergraben habe, weil seine Nachfolger zur Nekromantie neigten. Trotz wiederholter Bemühungen habe bis heute niemand die Stelle entdeckt, doch gerade jetzt bestehe die größte Gefahr, dass diese unersetzlichen Instrumente und Schätze in die falschen Hände gerieten, denn auch die Anhänger des bösen Prinzipiums suchten nun verstärkt danach - oder um es noch deutlicher zu sagen: die Nekromantisten. Einer dieser gefährlichen Totenbeschwörer halte sich schon seit einiger Zeit in Kurland auf. Zum Glück hätten seine dienstbaren Geister den Ort noch nicht ausfindig machen können, wo der große Magier, der übrigens jetzt in anderen Regionen vollkommenere Wesen beglücke, diese Sachen vergraben habe, die für das Wohl der Menschheit so überaus interessant seien.

Obwohl Cagliostro keinen Namen genannt hatte, ahnten seine Zuhörer, wer gemeint war: Doktor Stark, der als Professor der Philosophie seit gut einem Jahr in Mitau lebte, hatte verlauten lassen, auch er sei Oberhaupt einer Geheimgesellschaft gewesen, die er, wozu auch immer, mit hohen Erwartungen hingehalten habe. Da er ihm für seine eigenen Machenschaften gefährlich erschien, hatte Cagliostro ihn kurzerhand als Abgesandten des bösen Prinzipiums angeprangert und allen strengstens verboten, Doktor Stark oder einem seiner Eingeweihten auch nur die geringste Kleinigkeit über ihre Erfahrungen mit ihm mitzuteilen. Dagegen stempelte der Philosophieprofessor den hergereisten Wundermann als Vertreter der schwarzen Magie ab. Der eine warnte seine Schüler vor Beschwörungen, bei denen Räucherkerzen abgebrannt wurden, der andere vor solchen, bei denen der Magier mit dem Degen magische Zeichen setzte.

Cagliostro hatte nun also Elisa und ihrem Onkel angedeutet, auch Doktor Stark sei von seinen Oberen gesandt worden, den verborgenen magischen Schatz im Norden aufzudecken. Im öligen Ton eines Predigers bat er den großen Baumeister der Welten, seinen Fleiß zu segnen und ihn den Glücklichen sehen lassen, der diese für die Menschheit so bedeutungsvollen Schätze heben werde. Dieses Unternehmen sei eines der gefährlichsten Wagnisse der Welt, denn alle bösen Geister befänden sich in Aufruhr und setzten alles daran, ihn hinüberzuziehen zur Nekromantie, nur damit so das böse Prinzipium die Oberhand behalte. Das aber wäre verheerend, ein großes Unglück für sie alle, denn sobald die magischen Schätze in die Hände der schwarzen Magier fielen, hätte das die schlimmsten Folgen für die Welt. Erst nach Jahrhunderten könnte dann unser Erdball von den Plagen erlöst werden, die mit dieser Revolution verbunden seien. Er holte tief Luft und faltete die Hände, als er seine gläubigen Zuhörer wie ein Hohepriester beschwor, ihre Gebete mit den seinigen zu vereinen und vom ewigen Urheber des Guten Kraft und Stärke für ihn zu erflehen, den Versuchungen der bösen Geister zu widerstehen und treu im Glauben zu verharren.

Nachdem er ihnen diese Offenbarung gemacht hatte, skizzierte er auf einem Blatt Papier die Gegend, wo der magische Schatz vergraben läge, und beschrieb ihnen wortreich zum Erstaunen aller genau die Lage des Waldes, ohne je in Wilzen gewesen zu sein. In der halben Stunde, die er nebenan allein war, habe er sich keine Notizen gemacht, das sei nur ein Vorwand gewesen, um ungestört zu bleiben. Vielmehr habe er sich durch die Kraft seiner Geister und auf Geheiß des Großen Kophta nach Wilzen versetzt und dort alles genau besichtigt, Baum für Baum, Strauch für Strauch, kurzum Punkt für Punkt. Was er ihnen vorhin anvertraut, habe er von seinem Geist erfahren, der die Schätze und magischen Sachen an der geheimen Stelle bewacht. Die Schätze, die er dort auf dem Grundstück heben werde, solle der verehrte Herr Marschall erhalten. Nur die magischen Sachen seien für ihn selbst oder vielmehr für seine Oberen.

Marschall von Medem nickte wie benommen und bat darum, einen Blick auf die Skizze zu werfen, auf der zu seiner größten Verwunderung wirklich alles haargenau gezeichnet war, die ganze Gegend auf seinem Gut, vor allem der Wald, wo die Schätze vergraben sein sollten, und sogar die Stelle, wo er als Knabe oft gespielt hatte, erkannte er darin. Stark beeindruckt erinnerte er sich daran, dass schon in seiner Kindheit die Rede von einem vergrabenen Schatz gewesen war, und man sich die gruseligsten Spukgeschichten von Gespenstern erzählte, die dort ihr Wesen trieben. Die Eltern hatten nur ein Lächeln dafür übrig, die Kinder aber erschauerten jedes Mal, wenn sie davon hörten.

Es musste also doch etwas Wahres daran gewesen sein, wie er und seine Nichte Elisa jetzt zu erkennen glaubten, nachdem Cagliostro so geschickt ein Märchen zusammengefädelt und ihre Seelen in die Zauberwelt hineingeführt hatte. Sie waren so in ihrem Wunderwahn befangen, dass sie allen Ernstes nicht im Geringsten daran zweifelten, Cagliostro habe sich auf Geheiß des Großen Kophtas nach Wilzen versetzen können. Da auch viele ihrer Bekannten Swedenborgs aufsehenerregende Erzählung vom Brand in Stockholm für wahr hielten, neigten sie sehr dazu, ihrem so unverhofft in Mi-tau erschienenen Helden keine geringere Kraft zuzutrauen.

Über soviel Mangel an Vernunft konnte Hofrat Schwander nur den Kopf schütteln. Er sah in Cagliostro nicht den Hellseher und Geisterbeschwörer, für den er sich ausgab, sondern einen abgefeimten Bube, der vielleicht Tage vorher durch einen nach Wilzen gesandten Geheimkundschafter über alles unterrichtet worden war. Vielleicht aber hatte er auch durch unverfängliche Gespräche den Gutsherrn selbst, ohne dass es jenem bewusst wurde, über die ganze Lage des Waldes ausgefragt.

Für Ferber, der zwar beides für möglich hielt, war die Sache in Wirklichkeit aber noch einfacher, so einfach, dass auch jeder andere Fremde, ohne je dort gewesen zu sein, die Lage des Waldes genau hätte angeben und den Besitzer zu dem Ort führen können, wo der Schatz begraben sein sollte. Der leider allzu leichtgläubige Marschall besaß nämlich eine Karte von seinem Gut, die Cagliostro oft betrachtet hatte. Wenn niemand von der Gesellschaft darauf achtgegeben hatte oder sich jetzt nicht mehr daran erinnerte, so war das entweder eine Folge der Unaufmerksamkeit oder ein so tiefes Vorurteil für die hohen Einsichten des vergötterten Wunderknaben, dass die auffallendsten Absurditäten, die plumpsten Lügen und Torheiten dieses nichtswürdigsten aller Hochstapler nicht den geringsten Argwohn geweckt zu haben schienen, sondern vielmehr als hehre Weisheit bewundert wurden. Gegen Dummheit ist nun mal kein Kraut gewachsen, eine Erkenntnis, aus der er weiter folgerte: Sollte dennoch einmal Misstrauen aufkeimen, das eigentlich aus Cagliostros Widersprüchen und seinem ganzen Betragen wie von selbst entstehen müsste, dann wird es mit aller Macht unterdrückt, weil man es sich nicht mit ihm verderben möchte. Denn wer will schon nicht dahinterkommen, wie man Gold macht oder Perlen und Diamanten vergrößert und so weiter, was der Meister seinen Gläubigen ja in Aussicht gestellt hat, sofern sie sich folgsam um ihn scharen wie die Küken um die Glucke. Weil man es vorher schon nicht für unmöglich gehalten hat, überhaupt wenig Ahnung von physikalischen Dingen besitzt und der Kopf voll ist mit mystischen Albernheiten, deshalb vertraut man dem Sprücheklopfer blindlings. Wer von diesen doch sonst so klugen und gebildeten Leuten stellt schon scharfe Beobachtungen an? Niemand, sie alle fürchten, dass Cagliostro in seiner Allwissenheit ihre geheimsten Zweifel entdecken und zur Strafe seine Versprechungen unerfüllt lassen könne. Wie oft schon hatte er ihnen mit seiner Abreise gedroht und war dann doch geblieben im warmen Nest.

Um die Richtigkeit seiner hellseherischen Visionen bei seinen wundergläubigen Gastgebern noch fester zu untermauern, machte Cagliostro tags darauf im Beisein von Marschall von Medem und Gemahlin sowie des Kammerherrn von der Howen ein magisches Experiment, an dem auch noch seine eigene Ehefrau, die „Gräfin“ Serafina, teilnahm. Dabei bediente er sich als Medium wiederum des fünfjährigen Söhnchens der Familie, des kleinen Vetters von Elisa.

Nach dem üblichen Beschwörungsritus bestätigte der Kleine auf Befragen, den Wald von Wilzen zu sehen und darin genau die Stelle, wo der Schatz verborgen läge. Woraus dieser Schatz bestand, wusste er auch anzugeben, als ihm, so versicherte er, ein anderes Kind erschien, gleichfalls ein Knabe, der im Wald die Erde geöffnet und ihm viel Gold, Silber, Papiere, magische Instrumente sowie ein Kästchen mit rotem Pulver gezeigt habe.

Die Gunst der Stunde nutzend, flüsterte Serafina ihrem Mann zu, brennend gern eine Nachricht von ihrem Vater zu haben. Ob er den Kleinen danach fragen könne? Cagliostro nickte wohlwollend und begann mit erklärenden Hinweisen die Phantasie des Knaben nach Italien und dann näher nach Rom zu lenken, mit dem Ziel, ihm vor seinem geistigen Auge den Schwiegervater erscheinen zu lassen.

Es dauerte auch nicht lange, bis der Kleine lebhaft ausrief: „Jetzt erkenne ich einen langen, hageren Mann, der wie die Gräfin aussieht. Er hat einen Orden und ist vergnügt und gesund.“

„Fragen Sie den Mann, ob er auf dem Land ist oder in der Stadt“, forderte Cagliostro den Knaben auf.

„Er ist auf dem Land.“

„Fragen Sie ihn weiter, ob er den bewussten Brief schon erhalten habe.“

„Ja, er hat den Brief erhalten.“

Serafina schwelgte vor Freude über diese guten Nachrichten, jedenfalls erweckte sie diesen Eindruck bei den anderen Anwesenden, die sich jedoch noch mehr darüber freuten, dass durch dieses magische Experiment erneut Cagliostros Enthüllung über den vergrabenen Schatz in Wilzen bestätigt worden war.

Die Anhänger des Magiers fühlten sich dadurch nur noch mehr in ihrem Glauben an seine übernatürlichen Kräfte bestärkt. Die anderen aber, die ihn für einen Betrüger hielten, sahen darin ein weiteres Beispiel seiner Gaukeleien; doch wie er es angestellt hatte, wussten sie sich nicht zu erklären. Was den Wundergläubigen so unbegreiflich erscheint, so überirdisch und unnatürlich, muß in Wirklichkeit ein Schwindel mit ganz natürlichen Mitteln sein, sagten sie sich, und einer von ihnen, ein gewisser Herr Hinz, der als Spötter bekannt war, schlug vor, den Knaben zu befragen, das sei der einfachste Weg, dahinter zu kommen. Da jedoch die Mehrheit noch zu den Gläubigen zählte, wagte niemand, aus Furcht vor drohendem Unheil, Cagliostros Gebot zu überschreiten, was Hinz nur umso mehr reizte, den faulen Zauber aufzudecken. Als einziger wagte er sich daran, aus dem kleinen Jungen herauszulocken, was Cagliostro vorher mit ihm angestellt, denn er war sich sicher, dass der Meister das Kind zu seinem gehorsamen Medium abgerichtet hatte. Einzelheiten erfuhr er dabei jedoch nicht, dafür wich der Knabe ihm zu geschickt aus, auf manche Fragen verweigerte er sogar die Antwort; aber an der Befangenheit des Kindes, der verlegenen Miene und dem Erröten merkte er, dass er mit seinem Argwohn richtiglag.

Als er seine Vermutungen in der ihm eigenen spöttischen Art im Mitauer Kreis äußerte, erntete er bei den einen Beifall, bei den anderen dagegen Entrüstung. Wie erbost wären sie aber erst gewesen, hätte Professor Ferber ihnen berichtet, was er zufällig beobachtet hatte, jedoch nicht allgemein verbreiten wollte. Um den Knaben gefügig zu machen, spannte Cagliostro auch die Reize seiner Frau Serafina ein. In seiner Gegenwart gestattete sie dem Kleinen Freiheiten, mit denen sie gewöhnlich das Blut ihrer Verehrer in Wallung brachte und die jetzt die Sinnlichkeit des Knaben erregten: ein Mittel, das ihn außer Drohungen und Versprechungen dazu anspornen sollte, dem großen Magier unbedingten Gehorsam zu leisten, um auch weiterhin ihm bis dahin unbekannte Gefühle durch die schöne Madame Cagliostro in sich wecken zu lassen. Zwar hatte der Augenzeuge es für seine Pflicht gehalten, den Vater zu warnen, war dabei jedoch auf Ungläubigkeit gestoßen, da er Ferber als einen jener Zweifler betrachtete, der keine Gelegenheit ausließ, dem erhabenen Gast etwas ans Zeug zu flicken. Und wenn er ihm glaubte, würde er damit nicht den Fluch des Magiers heraufbeschwören und alles zunichte machen, was er ihnen verheißen hatte?

Obwohl sich in der Folgezeit nach und nach selbst bei den fanatischsten Anhängern die Überzeugung durchsetzte, Cagliostro habe sie von Anfang an betrogen, hütete sich jeder davor, das Kind über all diese sogenannten magischen Operationen zu befragen; denn sie schämten sich und wünschten, der Knabe möge alles rasch vergessen.

Wie empörten sie sich aber, als Monate später Elisas kleiner Vetter durch sein Geständnis der Tante gegenüber den Fall selbst aufklärte. Mit einem solchen Ausmaß an Arglist und Einschüchterung bei dem betrügerischen Hokuspokus hatte bis dahin niemand gerechnet. Jetzt erst ging Freifrau von der Recke ein Licht auf, warum Cagliostro schon bald, nachdem er im Haus ihres Onkels Eingang und herzliche Aufnahme gefunden hatte, um ihren kleinen Vetter so eifrig bemüht gewesen war. Noch nie habe er einen so witzigen und gesprächigen jungen Mann kennengelernt, hatte er damals bei einer fröhlichen Tischrunde gesagt. Wie gern wäre auch er Vater eines solchen Kindes, das sei das einzige, was ihm noch zu seinem Glück auf Erden fehle.

Der Knabe, dem nicht entging, wie sehr alle Cagliostro verehrten, und der dazu ermuntert wurde, ihm gleichfalls mit Liebe zu begegnen, schenkte dem Gast, mit dem er sich so oft die Zeit vertrieb, nun auch offen seine Zuneigung. Cagliostro zeigte ihm allerlei selbstgezeichnete Bilder, stellte ihm darüber Fragen und lehrte den aufgeweckten Jungen auch die passenden Antworten dazu. Er lobte ihn oft und redete ihm ein ums andere Mal ein, wie er seinen Vater und seine Mutter glücklich machen könne, seine Geschwister, sogar seinen treuen Diener sowie ihn selbst und alles, was er liebe. Er brauche dazu nur zu tun, was er ihm sage, und dürfe nie jemandem auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verraten, was er mit ihm bespreche. Dagegen müsse er ihm unbedingt und sofort alles mitteilen, welche Meinung jeder im Haus und anderswo über ihn äußere. Mit grimmiger Miene zog er den Degen und bedrohte damit das verängstigte Kind; wenn er aber nur schon das Geringste über ihr gemeinsames Geheimnis ausplaudern und sich nicht nach seinen Anweisungen richten sollte, dann werde er ihn in tausend Stücke zerhacken, Glied für Glied.

Kein Wunder also, dass der Kleine nach jedem magischen Experiment so erhitzt gewesen war: Die Angst, seine Lektion nicht fehlerfrei aufzusagen, hatte ihm das Blut ins Gesicht getrieben. Er, der von seinen Eltern, von Verwandten und Bekannten unaufhörlich dazu angespornt worden war, Cagliostros Liebe zu gewinnen, hatte alles getan, was der große Magier von ihm verlangte.

Seine Folgsamkeit war auch gleich belohnt worden. Denn vor dem ersten Experiment hatte Cagliostro dem Knaben eine schöne Uniform versprochen, wenn er seine Sache gut mache. Schon am nächsten Tag ließen die Eltern dann auch auf Bitten des Wundermanns ihrem Söhnchen eine prächtige Montur schneidern.

Das gefiel dem kleinen Mann, der sich so plötzlich in den Mittelpunkt gerückt sah, auf einer Stufe mit dem großen Magier, und von Sitzung zu Sitzung wurde er immer kecker und selbstsicherer. Unter dem mit Kennzeichen beschriebenen Papierbogen lag ein anderes Blatt, auf dem alle angeblichen Erscheinungen in der Reihenfolge skizziert waren, wie Cagliostro sie abfragte. Das gewitzte Kerlchen hatte nur einen Blick darauf zu werfen brauchen, um immer auf die allernatürlichste Art antworten zu können: „Jetzt sehe ich einen Wald... nun dies und das.“

Doch noch hatte der Knabe seiner Tante nichts gebeichtet, Cagliostro war noch nicht entlarvt, und seine Anhänger standen weiterhin treu zu ihm. Daran änderte auch nichts der Reinfall mit seinem Rezept, wie man minderwertige, kleine Bernsteinstücke zu wertvollen, großen Stücken verschmelzen könne, was so leicht sei wie das Schmelzen von Zinn, sofern man das Geheimnis kenne.

Einige Mitglieder der Mitauer Gesellschaft, die schon von einem blühenden Bernsteinhandel träumten, baten ihn dringend, ihnen die Geheimformel zu offenbaren, wozu er sich dann auch nach der Art von Königen huldvoll herabließ. Er setzte sich mit Schwung an einen Tisch und genoss es, wie ihm alle an den Lippen hingen, als er das Rezept zu diktieren begann. Aber wie enttäuscht waren sie, sobald sie nach den ersten Worten feststellen mussten, dass sie alle sein streng gehütetes Geheimnis seit langem kannten. Denn die angebliche Schmelzformel für Bernstein war nichts anderes als ein allen zugängliches Rezept für Räucherpulver, weshalb ihn einer der Herren äußerst unwirsch unterbrach, um seinem Missvergnügen Luft zu machen. Sie wüssten alle, wie man das Zeug herstelle, nur Bernstein schmelzen könne man damit nicht.

Cagliostro hatte nicht damit gerechnet, unter seinen Zuhörern auch Leute vor sich zu haben, die etwas von Chemie verstanden und diesen groben Betrug sogleich entdecken würden. Kaum sichtbar zuckte er zusammen, fasste sich jedoch im nächsten Augenblick und wand sich wie eine Schlange aus der peinlichen Lage heraus. So lerne man Menschen richtig kennen, indem man sie nämlich auf die Probe stelle. Er habe die ganze Geschichte nur deshalb inszeniert, um die Charaktere seiner Schüler und Anhänger zu studieren, und sei äußerst betrübt, dass so viele unter ihnen mehr vom Krämergeist besessen seien als vom Drang, für das Allgemeinwohl zu wirken.

Da die meisten damals noch in blindem Glauben an dem großen Magier hingen, nahmen sie auch diese Erklärung hin. Die Übrigen aber schwiegen, weil sie nicht wussten, wie sie den Verblendeten die Augen öffnen könnten. Selbst Hofrat Schwander, der wirklich nichts von Chemie verstand, war das Rezept für Räucherpulver nicht ganz unbekannt. Wie konnte Cagliostro nur solchen Allerweltskram als Geheimformel verkaufen wollen? Hatte er ihnen denn nichts Besseres zu bieten?

Für Ferber besaß der Magier so gut wie keine Kenntnisse in irgendeinem Fach. All seine plumpe Weisheit habe er nur aus einigen alten medizinischen oder lächerlich mystischen Büchern entlehnt und die Geschichte des Federico Gualdo in italienischer Sprache ihm den Stoff für seine Lügen von seinem eigenen hohen Alter und seinen chemischen Künsten geliefert. Sein Geschwafel von den verschiedenen Arten der Geister habe er sich bestimmt bei Cornelius Agrippa und beim Grafen von Gabalis angeeignet. Was er ihnen in der ägyptischen Loge diktierte, könne man fast wortwörtlich in diesen Büchern nachlesen. Fest stand für ihn auch, dass Cagliostro alle Rezepte abgeschrieben hatte, teils aus den Schriften der arabischen Ärzte Rhazes und Mesue, teils aus irgendeinem italienischen Apothekerbuch. Nicht nur ihm, auch den anderen müsste doch längst aufgefallen sein, dass er noch nicht einmal alles richtig lesen konnte und kein Kraut kannte, keine Droge, und auch kein Wort mehr zu sagen wusste als in dem Buch stand, das er unter seinem schwarzen Mantel zu verbergen suchte. Wenn er vom hohen Katheder herab daraus vorlas, sollte es so aussehen, als würden die Geister ihn inspirieren. Für Ferber war es ein Vergnügen gewesen, wie einige kurische Edelleute begierig die verschiedenen Kniffe für das Weidwerk aufgenommen hatten, zum Beispiel die Witterungsrezepte für Jagdhunde, oder wie man schwarzen Pferden weiße Flecken ins Fell beizt.

Schwander hatte diese Lektion leider versäumt, dafür jedoch davon gehört, dass er die Damen gelehrt haben sollte, wie man aus Flachs mit Hilfe von Urin und Salpeter Seide herstellen könne. Gelegentlich hatte der Wohltäter ihnen auch den Wink gegeben, wie sie ihre Brüste einschmieren müssten, damit die Warzen nicht verhärteten und zerbarsten, sondern jugendlich zart und weich blieben wie frühlingsfrische Knospen. Doch auch den Männern hatte er einen guten Tipp verraten, um die Liebe der Frauen zu gewinnen, so sicher wie das Amen in der Kirche. Sein Rezept war so erregend, dass manche es nicht aushalten konnten, sondern oft aufstehen und weggehen mussten: Ratschläge, die für den Hofrat leider zu spät kamen, Zur Erweckung der Liebe hatte er Kanthariden und Satyrion verschrieben und davon solche Dosen verordnet, die einen Menschen mitsamt der Liebe umgebracht hätten, wäre auch nur einer so süchtig gewesen, sie zu schlucken. Doch vielleicht stand ihnen ein solches Unglück ja noch bevor, wenn die Liebestollheit die Vernunft besiegte oder kein Schutzengel vorher eingriff - so wie er bei Frau von der Recke. Schmunzelnd verwarf er den Gedanken wieder, denn Elisa und ein Aphrodisiakum, das konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen.

Dafür hatte sie ein Abführmittel genommen, das er ihr verschrieben, und zwar ein so heftiges Drastikum in einer solchen Portion, dass sie davon sicher, wenn schon nicht gestorben, so doch elend krank geworden wäre, hätte Ferber sie nicht davor bewahrt, es einzunehmen. Cagliostros Verjüngungstropfen hätten auch eine so verheerende Wirkung, allerdings nur auf den Geist, für den Körper wären sie dagegen völlig harmlos, wie seine wissenschaftliche Analyse ergeben hatte.

Wieso auf den Geist? wollte der Hofrat wissen, dem der spöttische Unterton nicht entgangen war, worauf Ferber ihm entgegnete, wer so weit gekommen sei, dass er daran glaube, sei der noch geistig normal? Selbst Männer blieben davon nicht verschont, wie man ja neulich selbst miterlebt habe.

Ferber spielte damit auf den peinlichen und zugleich lächerlichen Vorfall an, der erst kürzlich geschehen war. Cagliostro hatte in der Loge einen alten, angesehenen Mann mit verbundenen Augen und gebundenen Händen vorführen lassen und wie einen armen Sünder abgekanzelt, ihm danach aber zum Trost verjüngende Tropfen verschrieben, die der gutmütige Mann auch wirklich einnahm, nicht nur in Mitau, sondern auch noch später in Warschau, wenngleich ohne den geringsten Erfolg.

Auch seine physiognomischen Vorlesungen, bei denen er Menschen mit Tieren nach den verschiedenen Temperamenten verglich, hatte Cagliostro aus irgendeinem der vielen Bücher herausgeschrieben, die bereits vor einiger Zeit hierüber erschienen waren, wie Ferber erklärte. Was stammte eigentlich wirklich von ihm? Nichts! Noch nicht mal eine einzige Sprache konnte er richtig lesen, noch viel weniger sprechen oder schreiben. Mit einem Wort: Der große Magier war ein Ignorant. Unfähig einen zusammenhängenden Vortrag zu halten, fiel er vom Hundertsten ins Tausendste. Wann würden auch seinen glühendsten Verehrern endlich die Augen aufgehen?

Der Magier und die Halsbandaffäre

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