Читать книгу Der Magier und die Halsbandaffäre - Helmut Höfling - Страница 16

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Am Abend fand im Beisein einiger Logenmitglieder das angekündigte magische Experiment im Haus des Landmarschalls von Medem statt. Zur Vorbereitung bat Cagliostro Freifrau von der Recke um die Taufnamen eines guten Bekannten und ihres verstorbenen Bruders, deren Anfangsbuchstaben er aufzeichnete. Zwischen die einzelnen Buchstaben fügte er dann noch Charaktere, seltsame Merkmale, ein, die sie nicht zu deuten wusste. Darauf blieb er noch eine Weile allein im Zimmer, schrieb dies und jenes nieder, verbrannte einige Papiere und kehrte dann in den Salon zu den Logenmitgliedern zurück. Auf den jüngsten Sohn der Familie deutend, der sich bereits früher als Medium bewährt hatte, erklärte er den Eltern und Besuchern, sie sollten das Kind dazu bewegen, ihn zu bitten, ihm dieses und jenes in der Kammer zu zeigen, worauf die Mutter auf ihr Söhnchen einredete, der Herr Graf möge ihn wieder den Wald sehen lassen wie vor einigen Abenden, oder wenn er wolle, auch etwas anderes.

Gehorsam nickte der Knabe seiner Mutter zu. Dann nahm Cagliostro ihn auf den Schoß, rieb ihm mit den vorhin verbrannten Papieren den Kopf, küsste ihn und schmeichelte ihm mit der Weissagung, auch er könne später noch in reifen Jahren ein großer Mann werden, doch jetzt möge der liebe Junge mit ihm kommen, er solle Dinge von außerordentlicher Wichtigkeit sehen.

Daraufhin führte er ihn ins Nebenzimmer, wo er zuvor geschrieben hatte, und schloss die Tür. Außer den Möbeln, die immer dort standen, befand sich sonst nichts darin, nur auf dem Schreibtisch des Landmarschalls brannten zwei Lichter, und dazwischen lag ein mit Charakteren, geheimnisvollen Schriftzeichen, beschriebener Bogen. Zärtlich legte er dem Knaben die rechte Hand aufs Haar und redete vertrauensvoll auf ihn ein, ganz ruhig zu bleiben und geduldig auf die schönen Dinge zu warten, die er ihm versprochen habe. Er solle sich vor nichts fürchten, selbst wenn er aus dem Zimmer nebenan Lärm höre, das habe nichts zu bedeuten.

Mit der Würde eines Hohepriesters kehrte der Magier in den Salon zurück, wo die Teilnehmer gegenüber der verschlossenen Tür im Kreis saßen. Er zog den Degen, den er in seiner Aufgeblasenheit als Herr Graf stolz zu tragen pflegte, trat in die Mitte und gebot allen Anwesenden strengstes Stillschweigen, Ernst und Andacht. Keiner dürfe sich bewegen, keiner sprechen, jeder müsse alle anderen Gedanken aus dem Kopf verbannen, er erwarte von jedem äußerste Konzentration.

Mit dem Degen machte er nun einige Charaktere an der Tür des Zimmers, in dem sich das Kind aufhielt. Dann stampfte er mit den Füßen, um die Höllenbrut zu bannen, bald auf den Boden, bald gegen die Tür, schrieb mit der Klinge Geheimzeichen in die Luft und stieß dabei allerlei Namen und beschwörende Worte aus, die niemand verstand, außer „Helion, Melion, Tetragrammaton“, drei Ausrufe, die darin am häufigsten vorkamen.

Mitten in diesem Hokuspokus flüsterte die Mutter des Mediums ihrem ältesten Sohn zu, er solle im Zimmer nebenan nachschauen, ob auch dort die Türen fest verschlossen seien.

„Um Gottes willen, was machen Sie denn?“, warf Cagliostro, seinen dämonischen Firlefanz unterbrechend, ihnen erzürnt vor, als er bemerkte, wie der Sohn aufstand und aus dem magischen Kreis ausbrach. „Seien Sie still, ich bitte Sie, seien Sie still und rühren sie sich nicht vom Fleck. Sie sind in größter Gefahr und ich mit Ihnen.“

Man sah ihm an, wie schlimm das Unheil war, das allen drohte. Um das Verhängnis abzuwenden, stampfte er jetzt noch ungestümer auf, schrie sich mit schauerlich lauter Stimme einige für seine Zuhörer unbekannte Wörter und Namen aus dem Hals und fuchtelte wild mit seinem Degen herum, mit dem er zunächst in der Luft verschiedene Figuren zeichnete und dann von neuem einen Kreis um die Sitzungsteilnehmer zog. In der Mitte der Runde stehenbleibend, machte er ihnen die Hölle heiß, indem er sie, schnaubend und mit den Augen rollend, einschüchterte und warnte, sie würden sich alle ins Unglück stürzen, wenn auch nur einer von ihnen sich rühre oder ein Sterbenswörtchen flüstere.

Still und hölzern saßen sie da und wagten kaum zu atmen, man hätte eine Nadel fallen hören. Der große Magier war zufrieden und begann erneut mit seinen Beschwörungen.

„Knien Sie nieder!“, rief er dann plötzlich dem Kleinen zu, der bis dahin mucksmäuschenstill im verschlossenen Nebenzimmer gewartet hatte. „Sprechen Sie mir alles nach, was ich Ihnen vorsage, und bleiben Sie so lange auf den Knien, bis Sie eine Erscheinung gehabt haben.“

Darauf stampfte Cagliostro wieder mit den Füßen, um die höllischen Mächte zurückzustoßen, vollführte mit dem Degen die sonderbarsten Stöße und Bewegungen und fragte das Kind: „Was sehen Sie jetzt?“

„Ich sehe den kleinen, schönen Jungen, der mir das letzte Mal im Wald die Erde geöffnet hat.“

„Gut. Bitten Sie nun den Jungen, Ihnen Herrn von Golshagen vorzuführen, und zwar mit Ketten um den Hals sowie an Händen und Füßen.“

Alle erstarrten, als sie den Namen hörten. Tags zuvor hatte Golshagen beim Mittagessen mit dem Magier wohl dessen Fähigkeiten angezweifelt. Genaueres wusste man zwar nicht, doch war Cagliostro wütend über ihn gewesen. Welches Unheil drohte ihrem geschätzten Mitbürger wohl jetzt?

„Ich sehe Herrn von Golshagen“, rief der Knabe durch die geschlossene Tür. „Er macht ein mürrisches Gesicht und hat Ketten an den Händen und Füßen, auch am Hals.“

Aus den Augenwinkeln heraus nahm Cagliostro mit Genugtuung wahr, welche Bestürzung die Erscheinung beim Teilnehmerkreis hinterließ.

„Was sehen Sie jetzt?“, fragte er nach einer kurzen Pause weiter.

„Der kleine, schöne Junge zieht die Kette um den Hals des Mannes immer fester zusammen.“

„Wo ist Herr von Golshagen jetzt?“

„Nur wenige Meilen von der Stadt entfernt, auf seinem Landgut.“

„Gebieten Sie, indem Sie mit dem Fuß auf den Boden stampfen, dass Herr von Golshagen verschwinden soll.“

Das Geräusch klang nicht so laut wie bei dem schwergewichtigen Magier, mehr wie das Trampeln eines kleinen Trotzkopfs, aber jedermann im Salon hörte es.

„Bitten Sie jetzt den schönen Knaben, Ihnen den seligen Bruder Ihrer Kusine Elisa zu zeigen“, forderte Cagliostro ihn auf.

„Der Bruder ist da!“, rief der Kleine freudig aus.

„Sieht er munter oder traurig aus, und wie ist er gekleidet?“

„Er ist vergnügt und hat eine rote Uniform an.“

„Sagen Sie ihm, er soll Ihnen auf meine Gedanken durch ein Zeichen ja oder nein zu erkennen geben.“

„Er sagt ja.“

„Was tut er jetzt?“

„Er legt die Hand aufs Herz und schaut mich freundlich an.“

Unter den Zuhörern herrschte die hellste Aufregung, besonders bei Freifrau von der Recke, aber niemand wagte sich zu rühren oder gar den Magier zu bitten, dies und jenes zu fragen, was den verstorbenen Bruder Elisas betraf.

„Was wollen Sie jetzt sehen?“, fragte Cagliostro den Kleinen.

„Das kleine Mädchen, das wie Ihre Gemahlin aussieht und das Sie mir schon beim letzten Mal gezeigt haben.“

„Gut. So, und was sehen Sie jetzt?“

„Das kleine Mädchen ist da.“

„Umarmen Sie das Mädchen, küssen Sie es und bitten Sie die Kleine, Ihnen den Wald zu zeigen.“

Mit gespitzten Ohren saßen die Anwesenden im Salon und hörten, wie der Knabe im angrenzenden Zimmer die Erscheinung küsste. Major von Korff und der Hausherr von Medem behaupteten später, sie hätten auch den Kuss der Erscheinung deutlich vernommen, was Freifrau von der Recke jedoch nicht bestätigen konnte.

„Ich sehe den Wald“, verkündete der Knabe, „und darin einen abgehauenen Baum.“

„Bitten Sie das Mädchen, dass die Erde sich öffne.“

„Die Erde ist offen, und ich sehe fünf Leuchter, viel Gold und Silber, allerlei Papiere, rotes Pulver und auch Instrumente aus Eisen.“

„Nun lassen Sie die Erde wieder zumachen, den ganzen Wald verschwinden, das Mädchen auch, und sagen Sie mir, was Sie nun sehen.“

„Alles ist verschwunden, und jetzt sehe ich einen schönen, großen Mann, er hat ein weißes, sehr langes Gewand an und ein rotes Kreuz auf der Brust.“

„Küssen Sie die Hand des Mannes und lassen Sie sich auch von ihm küssen.“

Diesmal hörten alle Anwesenden beide Küsse.

„Ehrwürdiger Geist“, gebot daraufhin Cagliostro der Erscheinung, „bleibe du von jetzt an der Schutzgeist dieses Kindes.“

Er ließ noch einen Wortschwall auf arabisch folgen - wenigstens kam es der Runde so vor, wenngleich niemand auch nur einen blassen Schimmer von dieser Sprache hatte, stampfte mit den Füßen gegen die Tür und öffnete sie schließlich, um den Knaben herauszulassen.

„Sie brauchen nicht mehr länger auf Ihren Plätzen zu bleiben“, verkündete er allen, „Sie können also jetzt aufstehen, wenn Sie wollen.“

Während sich die meisten erhoben, fiel sein Blick auf Elisas Vetter, den ältesten Sohn des Gastgebers. „Wie haben Sie es nur wagen können“, schalt er ihn, „mitten in der magischen Beschwörung aus dem Kreis zu treten und uns alle...“ Er kam nicht weiter, ein Krampf rüttelte und schüttelte ihn von Kopf bis Fuß, der Degen entglitt ihm, mit einem Seufzer wie ein Sterbender griff er sich ans Herz und sank ohnmächtig zu Boden. Allen fuhr der Schreck in die Glieder, und bestürzt sahen sie, wie der massige Leib des großen Magiers immer noch zuckte, obwohl sein Geist von ihm gewichen zu sein schien. Besorgt fühlte Elisas Vater ihm den Puls. Hatte der große Magier nur das Bewusstsein verloren, oder stand es schlimmer um ihn? Die einen tätschelten dem Herrn Grafen die Wange, die anderen riefen seinen Namen, und alle hofften, ihn so bald wie möglich wieder ins Diesseits zurückzuholen. Er ließ sich auch nicht allzu lange bitten, schlug die Glupschaugen auf und kam, zur allgemeinen Erleichterung, allmählich wieder zu sich. Endlich! Was für ein Glück! Die Herren halfen ihm wieder auf die Beine, und Landmarschall von Medem drückte ihm den Degen in die Hand. Graf Cagliostro war wieder ganz der alte.

Äußerste Ruhe und tiefen Ernst gebietend, ging er auf die Tür des Nebenzimmers zu, wo der Knabe die Erscheinungen gesehen hatte, und trat ein. Noch ehe jemand auch nur einen flüchtigen Blick hineinwerfen konnte, schlug er die Tür hinter sich zu, und gleich darauf hörten ihn alle mit voller Lautstärke in einer fremden Sprache reden, bis schließlich ein dumpfes Getöse den Spuk beendete. Dann ging die Tür auf, und völlig ruhig, munter wie ein Fisch, betrat er wieder den Salon, wo ihm alle ratlos entgegenblickten: erst das seltsame Geschehen hinter verschlossenen Türen - und jetzt der Triumph in seiner Miene.

Er sei Herrn von Golshagen noch eine Strafe schuldig gewesen, klärte er sie auf, und habe ihm nun verabreicht, was er verdient habe, mit aller Härte. Morgen früh könnten sie sich selbst davon überzeugen, dass er zur gleichen Stunde, in der das Kind die Erscheinung gehabt und ihn in Ketten gesehen hatte, schwer unter Halswürgen und heftigem Gliederreißen gelitten habe. Noch in der Nacht werde sein Hausarzt, Doktor Niemeyer, zu ihm hinauseilen. Schon in wenigen Stunden erführen sie, dass alles so geschehen sei wie von ihm gerade verkündet.

Seine gläubigen Anhänger zweifelten keinen Augenblick daran, hatte sie doch der große Magier schon durch viele andere Beweise seiner Wunderkraft von seinen guten Beziehungen zur Geisterwelt überzeugt. Warum aber, so fragten sie sich, hatten ihn diese höheren Wesen nicht vor dem Zusammenbruch bewahrt, der sie alle fast zu Tode erschreckt hatte? War es nur eine Unpässlichkeit gewesen, die sich rein körperlich erklären ließ, oder steckte vielleicht etwas völlig anderes dahinter?

Seine Ohnmacht sei tatsächlich eine Plage der bösen Geister gewesen, erwiderte Cagliostro, weil der eine Monsieur, er wies dabei auf den ältesten Sohn der Familie, den Kreis, in dem alle eingeschlossen waren, übertreten habe, trotz seines ausdrücklichen Verbots, sich nicht vom Platz zu rühren. Denn bei jeder Beschwörung regten sich die bösen Geister, ganz außer Rand und Band, und setzten mit all ihrer Bosheit demjenigen zu, der auf Geheiß des guten Prinzipiums die Beschwörung mache, das heißt, sie versuchten es, wenn man sie nicht daran hindere. Durch den magischen Kreis aber seien sie gefesselt und ihrer Wirkung beraubt.

Freifrau von der Recke fand es einfach unbegreiflich, wie ein bloßer Stich mit dem Degen die Geister so im Zaum halten könne, gewissermaßen in Acht und Bann, worauf Cagliostro entgegnete, die Wirkung des Magnets sei noch unerklärlicher, aber der magische Zirkel und seine Kraft seien dem verständlich, der dadurch die bösen Geister bezwinge.

Obwohl diese Erklärung nichts als leeres Stroh war und im Grunde genommen gar nichts aufhellte, gaben sich alle damit zufrieden, in der Hoffnung, demnächst den tieferen Sinn erfassen zu können, wenn sie erst einmal weitere Fortschritte in dieser erhabenen Wissenschaft gemacht hätten: so groß war ihr blinder Glaube an Cagliostros Wunderkraft!

Das Unbehagen, das sie bei einem für ihr Empfinden peinlichen Vorfall der Geisterbeschwörung an diesem Abend beschlichen hatte, bedrängte sie so sehr, dass sie sich schließlich ein Herz fasste, Cagliostro deswegen zur Rede zu stellen. Um nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, begann sie, als sie endlich Gelegenheit fand, ihn unter vier Augen zu sprechen, mit der mehr beiläufigen Frage, warum er während der Beschwörung so heftig mit dem Fuß gestampft habe.

Dafür gebe es mehrere Gründe, die er ihr aber leider nicht alle darlegen könne, wich er aus und zitierte den Spruch „Des Weibes Samen wird der Schlange den Kopf zertreten, und sie wird ihn in die Fersen stechen.“

Sie wurde aus der wirren Antwort nicht klug, wollte sich aber nicht die Blöße geben, ihm dies zu zeigen, was Cagliostro nur recht war, fand er doch dadurch erneut bestätigt, wie leicht sich selbst intelligente Menschen ins Bockshorn jagen ließen. Jetzt rückte sie mit ihrem eigentlichen Anliegen heraus und warf ihm vor, seine magischen Kräfte zum Schaden eines Mitmenschen Missbraucht zu haben. Mit der Pflicht des Christen zur Nächstenliebe sei es nicht vereinbar, einem Bruder solche Schmerzen zuzufügen wie Herrn von Golshagen.

Keineswegs verlegen warf er ihr vor, eine so weichherzige Seele wie sie kenne eben nicht den rechten Standpunkt eines wahren Magiers. Er hänge weniger vom eigenen Willen ab als die Alltagsmenschen und schulde seinen Oberen unbedingten Gehorsam, auch wenn es ihm wehtäte, einem Mitmenschen manchmal ein Leid antun zu müssen; aber wenn er dadurch oft Länder und Völker vor dem Untergang rette und der durch ihn bestrafte Übeltäter vielleicht vor dem Sturz in die ewige Verdammnis bewahrt werden könne, dann schöpfe er den Mut, den Willen seiner Oberen getrost und entschlossen auszuführen.

Im weiteren Verlauf des Gesprächs bekannte er, aus dem Mitauer Kreis drei Personen ausgesucht zu haben, die er von seinen dienstbaren Geistern beobachten lasse, und sie sei eine davon, denn die Dreistigkeit mit der sie ihn zur Rede stelle, ihre hohe Moral und Menschlichkeit zeigten ihm, dass in ihr eine echte, starke Begabung zur Magie schlummere mit außerordentlichen Fähigkeiten.

Der Magier und die Halsbandaffäre

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