Читать книгу Der Magier und die Halsbandaffäre - Helmut Höfling - Страница 15
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ОглавлениеOft schon hatte Elisa von der Recke mit Cagliostro über die Verbindung der Geister- und Körperwelt gesprochen, auch über Erscheinungen sowie über die Kraft des Gebetes und die Gabe der Apostel, Wunder zu tun, und dabei so manches Wunderbare von ihm erfahren. Auch hatte sie ihm gestanden, seit dem Tod ihres Bruders bedeute ihr diese Welt nur noch wenig. Einzig der Gedanke, für viele tätig sein zu können, gab ihrem Leben noch einen Sinn. Wie oft schon hatte sie sich die Verbindung zu verklärten Geistern herbeigesehnt und so manche Nacht in Meditation und Gebet auf dem Kirchhof verbracht, um sich des Glücks würdig zu erweisen, die Erscheinung ihres seligen Bruders zu erleben.. Durch Cagliostros magische Kräfte hoffte sie, dass ihr Wunsch nun endlich in Erfüllung gehe.
Zur ihrer Enttäuschung erklärte er, leider keine Gewalt über die Verstorbenen zu haben, nur die mittleren Geister der Schöpfung, die dem Menschen dienten, seien ihm untertan. Durch sie könne er als Eingeweihter der heiligen Mystik den belehrenden Umgang mit höheren Geistern genießen. Doch verfüge er leider nicht über die Kraft, erwachsenen Personen Erscheinungen zu verschaffen.
Elisa merkte nicht, wie listig Cagliostro sich herausredete, um ihr nur ja nicht eine Erscheinung ihres Bruders vorgaukeln zu müssen, dessen Gesichtszüge er im Gegensatz zu ihr nicht kannte.
Außerdem dürfe er es auch niemals rein zum Spaß machen. Nur wichtige Gründe könnten ein solches Vorgehen bei seinen Oberen rechtfertigen. Wenn er dagegen seine Beschwörungen einzig deswegen mache, um die Neugier anderer zu befriedigen oder um mit seiner eigenen Größe zu prahlen, dann würden sich schon bald unter seine dienstbaren Geister die bösen einschmuggeln, von denen die Schrift sage, sie schlichen umher, um die Menschen zu verführen. Am Ende könne es ihm gar so übel ergehen wie Schrepfer, der seine Gaben arg missbraucht habe, weswegen ihm die bösen Geister, die ihn dazu verführt, so lange zugesetzt hätten, bis ihm nichts anderes übrigblieb, als sich selbst zu erschießen. Eva, die durch den Biss in den Apfel fiel und damit das ganze Menschengeschlecht zu Fall brachte, sei nichts als eine magische Parabel dafür, dass Neugier, Eitelkeit und Herrschsucht Unglück brächten bis ins tausendste und abertausendste Glied. Der Weg der Magie, den sie, eingeweiht als Ordensschwester, gehen wolle, sei höchst gefährlich, falls nicht allein der Wunsch, Gutes zu wirken, sie der Mystik zuführe. Im Augenblick sei er zwar noch nicht von der Lauterkeit und Wahrheit ihrer Gesinnung restlos überzeugt, doch werde er in wenigen Stunden von seinen Oberen wissen, wie sie wirklich denke, und dann mit ihr weiterreden.
Dazu kam es erst am folgenden Tag, als sie sich wieder im Haus des Landmarschalls begegneten und Cagliostro ihr verkündete, seine Oberen hätten ihm versichert, ihre Absicht, sich der Magie zu weihen, sei nicht nur edel, sie brächte es auch sehr weit in dieser hohen Wissenschaft, sofern sie immer mit dem gleichen Eifer und der gleichen Treue ihren Oberen folge. Solange er sich in Mitau aufhalte, gelte ihr daher seine ganz besondere Fürsorge und Betreuung, wofür er erwarte, dass sie ihm aufs Neue gelobe, seinen Anweisungen unbegrenzt zu folgen. Bestimmt werde sie, wenn sie durch ihr Streben zu höheren Kräften gelange so wie Christus und seine Apostel, ebenfalls die Kräfte haben, um wie Petrus mit einem Wort, nämlich „Ananias, du lügst“, jenen tot umfallen zu lassen, der ihrer Voraussicht nach gewillt sei, Tausende ins Unglück zu stürzen und den erhabenen Plan des großen Baumeisters aller Welten zu durchkreuzen.
Trotz all ihrer Intelligenz war Elisa von der Recke damals noch zu sehr für Cagliostro eingenommen, um zu erkennen, welche verwerflichen Ansichten er vertrat.
Um sie schneller in die erhabene Geheimlehre einzuführen, versprach er, ihr durch einen magischen Traum möglichst noch in dieser Nacht mit dem Geist ihres Bruders zu einer wichtigen Zwiesprache über die heilige Mystik zu verhelfen. Sie müsse jedoch im Schlaf den Vorsatz fassen, mit ihm über Magie zu sprechen, sobald er ihr im Traum erscheine. Er selbst werde ihrem Vater ein versiegeltes Schreiben überreichen, mit einer Frage darin, die ihm Aufschluss über ihren Traum geben werde. Von dem Gespräch mit ihrem Bruder solle sie möglichst viele Einzelheiten behalten.
Noch am gleichen Abend, als sich auch weitere Gäste im Haus des Landmarschalls eingefunden hatten, sprach Cagliostro mit Elisa von der Recke über die eine und andere Form der Magie. Was er damit bezweckte, verschwieg er ihr wohlweislich: Er wollte auf diese Art verschiedene Ideen von Magie in ihrem Geist so lebhaft werden lassen, dass sie in dieser Nacht davon träumen musste.
Beim Abschied nahm Cagliostro sie und ihren Vater beiseite und überreichte ihm ein versiegeltes, dreieckiges Schriftstück mit der Bitte, es erst dann zu erbrechen, wenn Elisa den Traum, den er ihr von ihrem Bruder verschaffen werde, auch tatsächlich gehabt habe. Außerdem solle sie vorher noch in seinem Beisein diesen Traum sowie die Unterredung mit ihrem verstorbenen Bruder dem eingeweihten Kreis erzählen. Auch bat er sie, noch einmal über alles nachzudenken, bevor sie sich zur Ruhe lege, und dann unter ernsthaften Gebeten einzuschlafen.
Zu Hause angekommen, sann sie noch einmal gründlich über alles nach, worüber sie mit Cagliostro gesprochen hatte, und ging zu Bett, versunken in andächtigem Gebet. Aber der Schlaf floh sie, ein Gedanke jagte den anderen, und als der Morgen anbrach, war sie noch immer nicht eingeschlummert. Übernächtigt suchte sie Cagliostro auf, wo sie trotz der frühen Stunde schon einige aus ihrem Kreis vorfand, und berichtete ihm sogleich, was sich zugetragen hatte.
Ihre Seele sei zu aufgewühlt, auch jetzt noch, erklärte er ihr. Sie müsse sich zur Ruhe zwingen, sonst werde es ihr nie gelingen, ihren Bruder zu sehen. In der kommenden Nacht solle sie es erneut versuchen.
Elisa nahm sich die Ermahnung zu Herzen und gab sich alle Mühe, ausgeglichen zu sein und ruhig einzuschlafen, um endlich den gewünschten Traum zu erleben. Auch diesmal zog ein Bild nach dem anderen in raschem Wechsel vorüber, und ein Gedanke reihte sich an den nächsten. Hoffnung und Sehnsucht, mit höheren Geistern in Verbindung zu treten, ließen sie erschauern, und trotz aller Übermüdung schlief sie nicht ein, was ihre Ungeduld und Erregung noch steigerte. Erst inbrünstige Gebete an Gott gaben ihr zwar wieder Ruhe, aber keinen Schlaf.
Am folgenden Morgen fuhr sie erneut zu Cagliostro und bekannte ihm offenherzig, die ganze Nacht kein Auge zugetan zu haben, woraufhin er sie anfuhr, er hätte ihr größere Fähigkeiten zur Mystik zugetraut. Am besten solle sie überhaupt nicht mehr mit diesem Traum rechnen.
Sosehr diese Abfuhr sie auch schmerzte, so schwieg sie dennoch, um ihn durch Einwände nicht noch weiter zu erzürnen. Ihrem Vater aber und einigen Bekannten erklärte Cagliostro, eigentlich hätte er es schon vorher bedenken sollen und ihrer hoch empfindsamen Seele die Erwartung nehmen müssen, den Geist ihres Bruders im Traum zu sprechen. Er habe aber die berechtigte Hoffnung, ihr kommende Nacht den magischen Traum geben zu können.
Den ganzen Tag über unterhielt sich Cagliostro weniger als sonst mit Freifrau von der Recke. Als sich die Diskussionsrunde am Abend auflöste, bestellte er ihren Vater und Onkel sowie die Herren von der Howen, Major von Korff und andere um neun Uhr am folgenden Morgen zu sich. Auch Elisa könne mitkommen, sagte er beim Abschied, obwohl die Barba Jovis eigentlich nicht zu ihrem Fachbereich gehöre. Trotzdem dürfe sie alles beobachten und an allem Anteil nehmen, damit ihr wenigstens kein Gebiet der Science occulte völlig fremd sei.
Mit Barba Jovis bezeichnete Cagliostro eine Arznei, die, seiner Aussage nach, alle Kräfte der Natur im Gleichgewicht halte und die Lebenserwartung des Menschen um Jahrhunderte erhöhe, wenn man dieses Wundermittel nach seiner Vorschrift gebrauche. Das uralte Märchen, der Mensch könne viele hundert Jahre leben, erschien bei dem weitverbreiteten Glauben an die unglaublichsten Dinge auch vielen Angehörigen der Mitauer Gesellschaft keineswegs so unwahrscheinlich und abwegig, wie es einem vernunftgeleiteten Wesen vorkam. Cagliostro, schlau und gerissen wie er war, hatte herausgefunden, dass er damit den Neigungen und Erwartungen seiner Anhänger entgegenkam.
Da Elisa jedoch nur von dem Wunsch nach der Gemeinschaft mit höheren Geistern beseelt war und deshalb keine Notiz von allen anderen Verheißungen des Magiers nahm, wollte sie sich auch nicht mit der Barba Jovis näher befassen noch mit dem roten Pulver. Dennoch dankte sie ihm für die Einladung, um ihn nicht zu kränken, und fuhr nach Hause.
Im Grunde hatte sie damit auch nichts versäumt, denn wie Ferber herausfand, war die Barba Jovis, um die Cagliostro ein solches Geheimnis machte und die er als Universalmedikament anpries, ein simples Allerweltsgebräu. Er nahm dazu Salpeter, vermutlich auch Vitriol und Bittersalz sowie einige zerhackte Kräuter und gab alles zusammen mit Wasser in einen unglasierten Topf, den er drei Tage lang im Keller stehen ließ. In dieser Zeit wuchs an der Außenseite des Gefäßes ein langes haariges Salz heraus, das er sorgfältig aufsammelte und Barba Jovis nannte. Es schmeckte etwas bitterlich, das war aber auch alles; denn herauszufinden, ob das Wundermittel wirklich die Lebenserwartung des Menschen um Jahrhunderte erhöhen würde, dazu hatte niemand Gelegenheit.
Um sich in eine mystische Stimmung zu versetzen, las Elisa, ehe sie ins Bett ging, noch einige Seiten in Swedenborgs theosophischen Schriften und schlief dann rasch ein.
Wie oft schon hatte sie sich in die Gedankenwelt dieses umfassend gebildeten Gelehrten aus Schweden hineingelesen, der besonders die exakten Wissenschaften, darunter die Mathematik, liebte und dann plötzlich, im Alter von sechsundvierzig Jahren, in London eine Vision hatte. Nach seinen Angaben war ihm zur Nachtzeit ein von strahlendem Licht umflossener Mann erschienen, der sich als Gott zu erkennen gab und ihm befahl, den Menschen den inneren und geistigen Sinn der heiligen Schriften auszulegen. Gott werde ihm diktieren, was er schreiben solle. In dieser Nacht seien ihm die Augen seines inneren Menschen geöffnet und er befähigt worden, in die Geisterwelt und in die Hölle zu schauen, wie er verlauten ließ, was in der Folgezeit noch öfters geschehen sei, sogar am hellichten Tag. Mit den Augen seines Geistes habe er dabei sehen können, was in der anderen Welt vorging, und mit Engeln und Geistern geredet wie mit Menschen. Der Verkehr mit den Geistern wurde für Emanuel Swedenborg zu einer Quelle des Genusses und der Freude. Stundenlang konnte man hören, wie er sich in seinem Zimmer mit den Aposteln Petrus, Paulus oder Johannes unterhielt, ferner mit Virgil, einmal mit Moses, hundertmal mit Luther und täglich mit den Engeln, die der Herr ihm beigegeben hatte; doch natürlich waren die Stimmen aus dem Jenseits für fremde Lauscher nicht vernehmbar. Wie er berichtete, war er außer auf dem Mond auch dreimal auf dem Saturn gewesen und sechsmal auf dem Merkur, wo sich das Leben der Geister so ähnlich abspiele wie das der Menschen auf der Erde. So beschäftigten sich „drüben“ beispielsweise die Holländer vornehmlich mit dem Handel. Die Mondbewohner beschrieb er als Pygmäen, die so fürchterlich schreien könnten, dass man darüber das Gehör verlöre; sie seien so hurtig und behende wie Heinzelmännchen und trügen einander wie Buben auf dem Rücken.
Erst als Swedenborg ein Jahr vor seinem Tod einen Schlaganfall erlitt, der ihn rechtsseitig lähmte, brach sein Umgang mit dem Jenseitigen plötzlich ab. Seine theosophische Lehre aber, ein spekulativer Mystizismus auf physikalischer Grundlage, verwirrte die Köpfe seiner Anhänger weiter, denn seine Schriften in verschiedenen Sprachen fanden weite Verbreitung. Die Swedenborgischen Zirkel nahmen zum Teil ein freimaurerisches Gewand an, und ungekehrt fand in die alten Logen der Swedenborgismus allmählich Eingang und wurde verquickt mit Mesmers Irrlehre zu einer neuen Form des Mystizismus, der in den entarteten Freimaurerlogen eine Pflegestätte fand. Der Gespenster- und Wunderglaube, theosophische Spekulationen und magische Phantastereien sowie die aufs Materielle gerichteten alchimistischen Grübeleien wurden zu einer Modekrankheit. Cagliostro aber, der Menschenkenner mit dem sicheren Instinkt für das, was gerade besonders ankam, benützte die Umstände, um mit seinem freimaurerisch aufgeputzten System, jenem theosophisch-kabbalistischen Gemengsel von Blödsinn und Betrug, die vornehmsten und gebildetsten Kreise an sein Narrenseil zu binden und sich die Taschen zu füllen.
Doch von dieser Erkenntnis war Elisa, und nicht nur sie, noch weit entfernt. Ihre Sehnsucht, mit der Geisterwelt so zu verkehren wie bis vor kurzem noch Swedenborg, dieser stets heitere und freundliche Mensch und Ehrenmann durch und durch, machte sie blind für jenen mystischen Unsinn, den ein vernünftiger Mensch wie etwa Hofrat Schwander nur mitleidig belächeln konnte.
Wie erhofft, hatte die kurze Lektüre von Swedenborgs Schriften sie an diesem für sie bedeutenden Abend so in die gewünschte mystische Stimmung versetzt, dass sie danach rasch eingeschlafen war. Mitten in der Nacht aber wurde sie von tausend Ängsten und Alpträumen geplagt, Hitze wallte in ihr auf, ihr Herz pochte wild, und nach einem Krampf in allen Gliedern vermochte sie weder Hand noch Fuß zu rühren. Ermattet lag sie da, und als sie morgens aufstehen wollte, fühlte sie sich so schwach, dass sie sich im Bett kaum von einer Seite zur anderen wenden konnte. Wieder fiel sie in einen lähmenden Dämmerzustand, halb schlafend, halb wachend, aus dem sie, von Furcht und Beklemmung eingeschnürt, mit einem Schreckensschrei auffuhr.
Es sehe nicht gut aus mit der verehrten Freifrau, befand Cagliostro, als sich die von ihm eingeladenen Herren am Morgen bei ihm versammelt hatten. Ihre Nerven wie auch ihr Körper seien zu schwach, als dass er ihr zu dem magischen Traum hätte verhelfen können, ohne ihr Leben in Gefahr zu bringen. Zwar habe er seine wichtigsten Geister aufgeboten, um mit ihrer Hilfe auf die physische Verfassung einzuwirken und sie im Traumzustand auf ein Gespräch mit ihrem Bruder vorzubereiten, aber ihr Körper sei so beschaffen, dass sie bei allen Beschwörungen immer nur ängstliche, wirre Träume gehabt habe, ohne jeden Zusammenhang, und wie ihm seine Geister sagten, sei sie auch jetzt noch vom letzten Versuch völlig erschöpft und krank. Wäre er in seinen Bemühungen noch weiter gegangen, hätte sogar die vollständige Auflösung von Elisas Organismus gedroht.
Die Herren zeigten sich zutiefst verstört und fragten sich besorgt, wie der jungen Frau zu helfen sei. Besonders ihr Vater war so erregt, dass er sofort zu ihr gefahren wäre, hätte Cagliostro ihn nicht beruhigt und vorgeschlagen, jemand anders zu ihr zu schicken, einen Herrn, der nicht familiär mit ihr verbunden sei und daher die Lage weniger emotional beurteile. Sein Blick fiel auf einen ehrwürdigen Greis, der sich auch gern dazu bereit erklärte. Er brauche nur die Arme hierher zu bitten, sonst nichts. Übrigens werde er die gute Frau sehr krank und, wie ihm seine Geister versicherten, im Bett finden, außerstande jetzt zu kommen, doch sei die Krankheit völlig harmlos. Schon heute Nachmittag um drei werde Elisa wieder wohlauf sein, versprach er dem Vater und wandte sich dann erneut an den Greis: Bei ihr angekommen, solle er ihr nichts erzählen von dem, was er, Cagliostro, jetzt mitgeteilt habe, sondern nur einfach so tun, als wisse er nichts von ihrer Krankheit, und ihr sagen, er würde sich wundern, dass sie noch nicht hier sei, da sie ihm doch gestern versprochen habe, heute Morgen um neun Uhr herzukommen.
Wie Cagliostro es vorhergesagt hatte, fand der alte Herr Elisa wie zerschlagen im Bett liegen, unfähig, aufzustehen und das Haus zu verlassen. In dieser Bestätigung sah er einen weiteren Beweis für die wunderbaren Fähigkeiten des großen Magiers, und nur mit Mühe gelang es ihm, seine Zunge im Zaum zu halten, um der jungen Frau nicht alles zu verraten, was der Magier ihnen über ihren Zustand mitgeteilt hatte, so begeistert war er. Sicherlich handele es sich nur um eine vorübergehende Unpäßlichkeit, redete er beruhigend auf sie ein. Nach Tisch komme er sie wieder besuchen, dann werde sie sich bestimmt schon wohler fühlen. Beim Grafen Cagliostro werde er sie natürlich für ihr Ausbleiben entschuldigen.
Bald nach seinem Weggang fiel sie in einen ruhigen, erholsamen Schlaf. Als es ihr gegen drei Uhr wirklich besser ging, stand sie auf und begab sich beschwingt und frisch ins Schreibzimmer, wo sie einige Gedanken über die letzten Ereignisse im magischen Kreis niederschrieb.
Um die gleiche Stunde wandte sich Cagliostro erneut an den alten Herrn, der bereits am Vormittag Elisa aufgesucht hatte, mit der Bitte, wieder zur Frau von der Recke zu fahren. Diesmal werde er sie in ihrem Zimmer am Schreibtisch vorfinden, ziemlich munter. Er solle die Dame herbringen, ihr aber kein Wort von dem verraten, was er gesagt habe.
Der Besucher wunderte sich nicht wenig, sie so quicklebendig anzutreffen, noch dazu am Sekretär ihres Schreibzimmers, hatte er sie doch erst vier Stunden zuvor so elend im Bett liegen sehen. Da sie sich wieder gesund fühlte, fuhr sie mit ihm zu Cagliostro, wo sie ihrem Vater und Herrn von der Howen begegnete. Der Magier begrüßte sie herzlich, als sie ins Zimmer trat, reichte ihr die Hand und sagte, er wisse, wie sehr sie diese Nacht gelitten habe, aber sie sei zum Teil selbst daran schuld, weil sie unbedingt den Geist ihres verstorbenen Bruders im Traum sprechen wollte und er deshalb seine Kräfte aufgeboten habe, ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Wären ihre Nerven stärker und die Liebe zu ihrem Bruder weniger übertrieben, so hätte er ihr zu dem Traum verhelfen können, der sie näher ans Ziel gebracht und tiefer in die heilige Mystik hätte hineinsehen lassen. Doch wie die Dinge nun mal lägen, müssten sie jetzt gemeinsam den gewöhnlichen Weg gehen. Allerdings warne er sie schon jetzt vor Hanachiel, dem Schutzgeist, den er ihr zugeordnet habe und der sie beobachte, seit sie in seinen, Cagliostros, Bund getreten sei. Er gebe ihm Auskunft über all ihre Gedanken und Handlungen und habe ihm versichert, dass in erster Linie der Schmerz über den Tod des Bruders sie jetzt hin zur Mystik geführt und ihr persönliches Schicksal ihr das erste Samenkorn für ihre Neigung zur Magie in die Seele gelegt habe.
Erfreut bestätigte Elisa seine Worte, die er, gewieft wie er war, im Gespräch wie von ungefähr hatte fallen lassen. Dabei hatte er in den zahlreichen Unterredungen mit ihr, also nicht von ihrem Schutzgeist Hanachiel, oft genug erfahren, was ihren Hang zur Mystik zuerst geweckt hatte. Daher könnten die guten Geister noch nicht auf sie einwirken, fuhr er fort, weil sie die Magie nicht bloß um der Magie willen liebe, sondern darum, weil der Tod ihr das genommen habe, woran sie mit ihrer ganzen Seele hänge.
Schlau verstand es Cagliostro, jede Kleinigkeit zu seinem Vorteil zu nutzen. Elisa war zu verblendet, um zu erkennen, auf wie natürliche Weise er über ihren Seelenzustand Bescheid wusste; vielmehr bewunderte sie seine Kraft, in ihrer Seele zu lesen, wodurch ihr Glaube an seine Gemeinschaft mit höheren Geistern noch weiter gestärkt wurde.
Für den Abend kündigte Cagliostro ein magisches Experiment an, dem alle beiwohnen sollten. Er hoffe nämlich, dass allmählich in ihnen selbst die Fähigkeit zu ähnlichen Arbeiten heranreife. Von ihrem Vater forderte Cagliostro das versiegelte Papier zurück, weil Elisa den Traum nicht gehabt hatte, und verbrannte es sogleich, ohne das Siegel zu brechen und jemanden den Text lesen zu lassen.
Was sie selbst verkannte, glaubten die Skeptiker zu erkennen, sobald sie den Vorgang erfuhren. Elisas Nerven liegen blank, so sagten sie sich, und Cagliostro hat alles daran gesetzt, die Einbildungskraft dieser armen Frau bis zum Zerreißen zu spannen, um sie von ihrem Bruder träumen zu lassen. Wäre er ihr dann auch tatsächlich in dem verheißenen magischen Traum erschienen, so hätte der Scharlatan die Botschaft, die er in dem versiegelten Schriftstück aufgeschrieben hatte, schon so auszulegen gewusst, wie es ihm am besten in den Kram gepasst hätte. Da er aber merkte, dass sich ihre Einbildungskraft nicht wunschgemäß beeinflussen ließ, habe er bestimmt mit einer Arznei oder gar Droge heimlich nachgeholfen, um sie für einige Stunden krank zu machen.
Gelegentlich war ihnen aufgefallen, wie Cagliostro Elisa und eine Freundin gezwungen hatte, wider ihren Willen eine Prise von seinem Schnupftabak zu nehmen, was einige besonders misstrauische Gegner jetzt so deuteten, als habe er ein feines Gift darunter gemischt, um seine Absicht zu erreichen. Einem hergelaufenen Gauner wie ihm ist alles zuzutrauen, meinten sie.
Ob er nun mit vergiftetem Schnupftabak oder einem anderen Mittel nachgeholfen hatte: Aus den Erfahrungen, die er bis dahin in Mitau gemacht hatte, wusste er, dass Elisa keinen Augenblick im Bett liegen konnte, wenn sie nicht ernsthaft krank war. Gewöhnlich hielt sie sich in ihrem Schreibzimmer auf, damals sogar noch häufiger als sonst, um alles niederzuschreiben, was sich in ihrem magischen Kreis zutrug. Da dies Cagliostro bekannt war und ebenso, wie lange sein Mittel wirken würde, hatte er dem alten Herrn voraussagen können, er werde Elisa um drei Uhr am Sekretär vorfinden.
Anderen dagegen schien die Erklärung mit dem vergifteten Schnupftabak zu weit hergeholt. Elisa hatte Cagliostro versprochen, ihn um neun Uhr aufzusuchen, war aber nicht gekommen. Was lag da bei einer so gewissenhaften Schülerin näher, als dass sie eben krank sein musste? Ihr übernächtigter, erregter Zustand am Tag zuvor ist dem Gaukler bestimmt nicht entgangen, dachten sie, und mit hoher Wahrscheinlichkeit durfte er daher annehmen, dass sie eine schlechte Nacht verbracht hatte, wenn sie morgens um neun nicht erschien, und sich nach einem ziemlich sicher zu erwartenden kräftigenden Schlaf, so wie die Natur es verlangte, besser fühlen würde. Sollte sie dann entgegen seiner Berechnung um drei Uhr nicht im Schreibzimmer sitzen, so hätte ein mit allen Wassern gewaschener Mann wie Cagliostro schon eine passende Ausrede gefunden.