Читать книгу Der Magier und die Halsbandaffäre - Helmut Höfling - Страница 4

Der göttliche Cagliostro E r s t e r T e i l Seine Frau sein größtes Kapital 1

Оглавление

„Ich werde unterdrückt, ich werde beschuldigt, ich werde verleumdet. Habe ich dieses Schicksal verdient? Ich wende meine Gedanken nach innen und finde dort den Frieden, den die Menschen mir verweigern. Ich bin weit gereist, bin in ganz Europa und in einem großen Teil Afrikas und Asiens bekannt. Allenthalben habe ich mich als Freund meiner Mitmenschen erwiesen und meine Kenntnisse, meine Zeit, mein Vermögen stets unermüdlich eingesetzt, um das Los der Unglücklichen zu erleichtern. Ich habe Medizin studiert, ich habe sie ausgeübt. Doch nie habe ich die edelste und tröstlichste aller Künste durch schnöde Gewinnsucht erniedrigt. Ein leidendes Wesen übt auf mich eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus, und so bin ich Arzt geworden.“

So versuchte sich Cagliostro, der berühmte Bastillehäftling, dessen Freiheit, ja, dessen Leben auf dem Spiel stand, vor seinen Richtern in Paris zu rechtfertigen. Er berichtete die unwahrscheinlichsten Geschichten über seine Abkunft, seine Erziehung, über das ungeheure Wissen, das er sich angeeignet, die Wunderheilungen, die er überall erzielt hatte, stets darauf bedacht, einen möglichst exotischen Eindruck herauszuschinden.

„Niemand weiß, woher er kommt, was er ist, wohin er geht“, hieß es drei Jahre zuvor in den Lettres sur la Suisse. „Geliebt, geehrt, geachtet von den Tonangebenden des Orts, angebetet von den Armen und dem Volk, gehasst, verleumdet, verfolgt von gewissen Leuten bringt er sein Leben damit hin, Kranke zu besuchen, vor allem Arme, immer bereit, den Unglücklichen beizustehen, welche Stunde es auch sein mag, kennt er doch keine andere Freude als die, seinen Mitmenschen zu helfen: ein unwahrscheinlicher Mensch, ein Teufelskerl. Er ist fünfhundert oder sechshundert Jahre alt, besitzt den Stein der Weisen, die Allheilkunst. Kurz, er ist eines jener Geistwesen, die der Schöpfer von Zeit zu Zeit auf die Erde entsendet. Die Unglücklichen werfen sich, von Dankbarkeit, Liebe und Achtung durchdrungen, ihm zu Füßen, umfassen seine Knie, nennen ihn ihren Retter, ihren Vater, ihren Gott. Das rührt den braven Mann, Tränen stürzen ihm aus den Augen. Er versucht sie zu verbergen, vermag es aber nicht. Er weint, und die ganze Versammlung bricht in Tränen aus. Köstliche Tränen, ein Labsal fürs Herz, deren Zauber man sich nicht vorstellen kann, wenn man noch nie das Glück gehabt hat, ähnliche zu vergießen.“

Er wolle sich nicht rühmen, fuhr Cagliostro, die Bescheidenheit in Person, in seiner Rechtfertigung fort. „Ich habe das Gute getan, weil ich es tun musste. Doch was war mein Lohn für die Dienste, die ich dem französischen Volk erwiesen habe? Schmähschriften und die Bastille!“

Der Mann, den seine glühenden Anhänger als großen Magier priesen, als Wunderheiler, Goldmacher, Geisterbeschwörer, Großmeister der Freimaurer und Großkophta und der nun nach seinem jähen Sturz aus den höchsten Schichten der Gesellschaft in der Bastille auf seinen Prozess wegen des abgefeimten Schurkenstreichs um den sündhaft teuren Halsschmuck der Königin Marie Antoinette wartete, war nicht der von so vielen Geheimnissen umwitterte Alessandro Graf Cagliostro, für den er sich ausgab, sondern der am achten Juni 1743 in Palermo geborene Giuseppe Balsamo, ein Sizilianer also, aus einfachen Verhältnissen, was aber zu jener Zeit niemand wusste, jedenfalls keiner, der damit die Öffentlichkeit hätte aufrütteln können.

Gleichfalls von niederer Herkunft waren auch seine Eltern: Pietro Balsamo und dessen Ehefrau Felicia Braconieri. Nach dem frühen Tod des Vaters, eines Krämers, der sich mit Ach und Krach durchgeschlagen und schließlich Bankrott gemacht hatte, ließen seine Onkel mütterlicherseits das noch unmündige Kind im Seminar San Rocco unterrichten, was ihm aber nicht passte, denn mehr als einmal lief der kleine Giuseppe davon.

Mit dreizehn Jahren vertrauten seine Verwandten den schwer erziehbaren Jungen der Obhut der Barmherzigen Brüder in Cartagirone an, eines Ordens, der sich vorzugsweise der Krankenpflege widmete. Er wurde als Novize eingekleidet und vorwiegend in der Apotheke beschäftigt, wo er sich erste Kenntnisse in Chemie und Medizin aneignete. Auffallend war sein lebhaftes Interesse für Arzneien, Pulver, Salben und Zugpflaster. Für ein gottgefälliges Klosterleben hatte er jedoch gar nichts übrig, im Gegenteil, nach kurzer Zeit entpuppte er sich als ein durch und durch verdorbenes Früchtchen, so dass die Mönche ihn wegen seiner Ausschweifungen oft bestrafen mussten. Was ihnen besonders missfiel, war sein frevelhafter Übermut, sich als Vorleser bei Tisch nicht an den gedruckten Text zu halten, sondern aus dem Stegreif heraus zu phantasieren und in der Geschichte der Märtyrer die Namen der heiligen Jungfrauen gegen die der verrufensten Huren auszutauschen. Da er die Abtötung und Bußen, die man ihm auferlegte, nicht länger ertragen wollte, verließ er das Kloster und kehrte nach Palermo zurück. Keiner der Barmherzigen Brüder weinte dem räudigen Schaf eine Träne nach.

Eine Zeitlang versuchte er sich in der Zeichenkunst. Sein zügelloser Lebenswandel besserte sich jedoch nicht. Er trieb sich mit den liederlichsten jungen Leuten herum, mischte bei allen Schlägereien mit und machte sich ein Vergnügen daraus, sich mit Polizeidienern anzulegen und Gefangene zu befreien. Mit allerlei Betrügereien hielt er sich über Wasser. So fälschte er Theaterkarten, bestahl seinen eigenen Onkel und prellte den Liebhaber seiner Kusine, für den er Liebesbriefchen hin und her trug, bald um Geld, bald um eine Uhr und bald um dieses oder jenes, was die Angebetete sich angeblich wünschte. Seine Geschicklichkeit, fremde Handschriften nachzuahmen, nutzte er dazu, bei einem verwandten Notar das Testament des Marchese Maurigi zum Schaden einer frommen Stiftung zu fälschen. Erst Jahre später, als sich der Täter nicht mehr in Palermo aufhielt, fiel der Betrug auf und wurde gerichtlich geklärt. Giuseppe Balsamo geriet sogar unter Mordverdacht an einem Kanonikus.

Mehrmals wurde er angeklagt und eingesperrt, kam aber immer wieder frei, meist aus Mangel an Beweisen. Doch allmählich wurde ihm der Boden unter den Füßen zu heiß. Den letzten Anstoß zur Flucht gab ihm die Todesdrohung eines seiner Opfer, des Goldschmieds Marano, dem er weismachte, er kenne eine Höhle auf dem Land, wo ein beträchtlicher Schatz verborgen liege. Für sechzig Unzen Gold wolle er ihn dort hinführen. Angesteckt von der Schatzgräberei, die auf Sizilien so viele Herzen höher schlagen ließ, und von dem Versprechen, der Schatz werde ihm ganz allein gehören, rückte Marano nur allzu leichtgläubig die sechzig Goldunzen heraus und folgte Balsamo zu der einsamen Stelle, wo der Schatz liegen sollte. Nachdem der Betrüger dort durch faulen Zauber und anderen Hokuspokus die Nerven des Goldschmieds aufs Äußerste gespannt hatte, fuhr plötzlich unter höllischem Geheul eine Horde Teufel aus der Höhle, stürzte sich auf den Geprellten und gerbte ihm das Fell so gründlich durch, wie es der Leibhaftige persönlich nicht hätte besser besorgen können. Im ersten Augenblick war Marano starr vor Schreck, dann jedoch aufs Höchste entrüstet, als er erkannte, dass es sich um Balsamos Freunde handelte, die sich als Teufel vermummt hatten.

Der Goldschmied begnügte sich nicht nur damit, den Gauner und Betrüger bei der Polizei anzuzeigen, sondern nahm sich vor, auch persönlich Rache zu nehmen und ihn sogar mit dem Dolch abzustechen. Kein Wunder also, dass Giuseppe Balsamo es für ratsam hielt, Palermo schnellstens den Rücken zu kehren.

Über Kalabrien gelangte er schließlich nach Rom, wo zwielichtige Gestalten aller Art ein fruchtbares Betätigungsfeld für ihre dunklen Geschäfte vorfanden. Im Gasthof Sole alla Rotonda, wo er abgestiegen war, geriet er mit einem Burschen in eine Schlägerei, weswegen er festgenommen, nach drei Tagen aber wieder freigelassen wurde.

Einen Teil seines Lebensunterhalts verdiente er sich mit Zeichnungen, die er mit Feder und Tusche anfertigte, aber als angebliche Kupferstiche großer Meister ausgab und verkaufte, ein Schwindel, der von Laien nur schwer erkennbar war. Unterstützt wurde er außerdem von einigen Religiosen, lauter Landsleuten, bei denen er gelegentlich Besuche machte, und verschaffte sich, wenn auch nur mit mäßigem Erfolg, bald als Abbé, bald als Weltmann auftretend, Einlass bei vornehmen Herrschaften.

Weitaus bessere Einkünfte sollte er jedoch schon bald mit Lorenza Feliciani erzielen, der Tochter eines Messinggießers für Wagenverzierungen. Schon bei seiner ersten Begegnung im Laden ihres Vaters verliebte er sich in das schöne, erst fünfzehnjährige Dienstmädchen, das mit seinen feurigen blauen Augen, gepaart mit einem reizvoll melancholischen Gesichtsausdruck, der hübschen, leichtgebogenen Nase, dem eigensinnigen Mund, der weißen Haut, dem hellen Haar, den frisch erblühten, jungfräulichen Rundungen und dazu einem sanften, einnehmenden Wesen alle Begierden in ihm entflammt hatte. Auch ihr war der junge Mann nicht gleichgültig, sie genoss es, von ihm umworben zu werden und willigte schließlich ein, sich heimlich mit ihm zu treffen. Ihre Zusammenkünfte fanden im Haus einer alten Neapolitanerin statt, nicht weit vom väterlichen Geschäft entfernt. Lorenza schwamm in Glückseligkeit, wenn sie, den Kopf an die Knie des Geliebten gelehnt, seinen Worten lauschte. Bewundernd las sie mit ihren großen, klaren Augen in seinen Zügen, nichts entging ihr, keine Regung, er konnte so schön sprechen, wie sonst niemand auf der Welt, und seine Schmeicheleien schmeckten ihr so süß wie Honig, wenn er den Glanz ihrer Augen mit einem unergründlichen See verglich, ihre welligen Haare mit der Farbe reifer Weizenähren und ihre roten Lippen von schwellender Frische mit Kirschen im Mai.

Besorgt redete ihr Vater, als sie ihm schließlich ihr süßes Geheimnis offenbarte und von Heiraten sprach, auf sie ein, sie sei noch zu jung und solle lieber noch ein paar Jahre damit warten, bis sie zu Verstand gekommen sei. Genauso gut hätte er versuchen können, einen Stein zu erweichen: Die Kleine wollte kein Kind mehr sein und erklärte, dass sie entweder Balsamo heiraten oder sterben werde. Der biedere Handwerksmann seufzte schwer und schickte sich schließlich ins Unvermeidliche: Am Tod seines Kindes wollte er sich nicht schuldig machen. Mit Einwilligung der Eltern, die ihrer Tochter eine kleine Mitgift gaben, wurde das junge Paar in der Pfarrkirche der Gemeinde San Salvatore in Campo getraut und wohnte für die nächsten Monate im Haus des Vaters.

Wie Giuseppe Balsamo mit untrüglichem Gespür erkannte, war Lorenza sein größtes Kapital, mit dem er bald auch geschickt zu wuchern verstand. Denn die Freuden, die sie ihm im Bett bereitete, würde seiner Ansicht nach auch andere Männer reizen, gut betuchte Kavaliere, die für ein Schäferstündchen mit einem so unschuldig aussehenden jungen Ding schon etwas springen ließen. Er musste sie vorher nur in diese Rolle gründlich einweisen und ihr beibringen, den Mitmenschen zu gefallen und sie an sich zu locken. Schon durch ihren Gang müsse sie die Aufmerksamkeit der Männer erregen, sie durch verführerische Bewegungen betören, mit schmelzendem Blick ihre Leidenschaft wecken und sie natürlich auch durch aufreizende Kleider, die nur wenig zeigten, aber alles ahnen ließen, ihre Sinnlichkeit so anheizen, dass sie ihren Verstand verlören und ihr zu Füßen lägen.

Unverdorben wie Lorenza damals noch war, fand sie doch rasch Gefallen an seinen Unterweisungen, die sie in kindlicher Einfalt mehr für ein unterhaltsames Spiel hielt als für die ernsthaften Vorbereitungen auf ein Geschäft. Ihre Mutter aber durchschaute die wahren Absichten ihres Schwiegersohns und machte ihm deswegen wiederholt Vorhaltungen, sie habe ihre Tochter immer fromm und gottesfürchtig erzogen, und deshalb gefalle es ihr ganz und gar nicht, dass er sie jetzt zu Gott weiß was machen wolle, worauf er stets mit dem gleichen Argument antwortete, sie sei seine Frau, und er als ihr Mann habe das Recht, aus ihr mehr zu machen als sie jetzt sei.

Da die Eltern aber ein so sündhaftes Treiben unter ihrem Dach nicht dulden wollten, und um weiteren Auseinandersetzungen zu entgehen, zog das Paar bald in eine eigene Wohnung. Ungestört durch die Schwiegermutter fuhr er fort, die junge Frau für seine Zwecke zu formen, und sehnte den Tag herbei, an dem sie ihre neu erlernten Künste gewinnbringend einsetzen konnte.

Es machte ihm keine Schwierigkeiten, ihr zu einem Stelldichein mit zwei vornehmen Herren in einem Lustgarten zu verhelfen. Obwohl er ihr ans Herz gelegt hatte, sich beider Lebemänner anzunehmen, gelang es ihr bei dem einen nicht, dafür aber desto besser bei dem anderen. Die Gespräche und Annäherungsversuche, die er, gut verborgen aus der Nähe verfolgte, verliefen ganz nach Wunsch, und guter Hoffnung entließ er das Turtelpaar schließlich seinem prüfenden Blick. So konnte er nicht Zeuge davon sein, dass Lorenza bei dieser ersten Gelegenheit noch widerstanden hatte und unberührt davongekommen war.

Als sie, eine gehorsame Schülerin, ihrem Lehrer das Ergebnis anvertraute, überschüttete er sie mit Vorwürfen und Drohungen und erklärte ihr, was er ihr später, wenn das Gewissen sie wieder einmal plagte, noch oft wiederholte: „Der Ehebruch einer Frau ist keine Sünde, sofern sie sich einem Dritten nicht aus Liebe, sondern nur zum Nutzen ihres Mannes hingibt.“ Um seine Worte auch durch Taten zu belegen, überzeugte er sie durch sein eigenes Beispiel, dass dies auch umgekehrt galt, und machte ihr damit klar, wie wenig ihm die eheliche Treue bedeutete.

In ärmlichen Verhältnissen geboren, hatte Lorenza als Tochter von Eltern, die frommer lebten als erforderlich, die Ehe mit Giuseppe Balsamo als willkommene Flucht gesehen, und da sie auch von einem Leben in besseren Kreisen träumte, versuchte sie nach diesem ersten Fehlschlag mit umso größerem Eifer und Geschick die Rolle zu spielen, die ihr Mann ihr zugedacht hatte. Bereitwillig ließ sie sich von ihm wiederholt zum verabredeten Treffpunkt mit dem Freier hinführen, von dem sie dann als Lohn für ihre Venusdienste mal dies oder das zum Anziehen, mal etwas Geld erhielt. Viel war das alles nicht, und das Darlehen von einem Scudo, um das Balsamo den Kavalier im Namen seiner Frau schriftlich bat, machte den Kohl auch nicht fett.

Auf der Suche nach anderen Erwerbsquellen lernte er zwei Sizilianer kennen, kein unbeschriebenes Blatt der eine wie der andere: der berüchtigte Ottavio Nicastro, der später als Mörder am Galgen endete, sowie der angebliche Marchese Agliata, der sich selbst als Oberst in preußischen Diensten ausgab. Von beiden Erzlumpen eignete sich Balsamo Kenntnisse an, wie man andere übers Ohr hauen konnte.

Sein Hauptlehrer war dabei der selbsternannte Marquis, mit dem ihn schon bald eine enge Freundschaft verband. Stundenlang schlossen sie sich oft im Zimmer ein, wo Agliata seinen neuen Busenfreund in die hohe Kunst einweihte, falsche Wechsel auszufertigen, worin der Schüler es rasch zu solcher Meisterschaft brachte, dass selbst sein Lehrer, als er zwei Wechselbriefe miteinander verglich, das Original und die Fälschung, die Balsamo gerade vollendet hatte, sich zu dem Lob hinreißen ließ, besser könne man es nicht machen.

Giuseppe fühlte sich geschmeichelt, denn, selber einschlägig vorbelastet, hatte er mit Kennerblick erkannte, dass Agliata ein wahrer Meister darin war, Papiere und Siegel zu fälschen. Aus seiner Hand erhielt er auch ein Patent als Offizier des Königs von Preußen, das mit der geschickt nachgeahmten Unterschrift König Friedrichs unterzeichnet war.

So unverhofft zu militärischen Ehren gekommen, verschaffte sich Balsamo die passende Uniform und trat künftig, wo immer er sich davon etwas versprach, als Offizier eines preußischen Regiments auf.

Der Magier und die Halsbandaffäre

Подняться наверх