Читать книгу Der Magier und die Halsbandaffäre - Helmut Höfling - Страница 18
2
ОглавлениеEinige Tage danach reiste Cagliostro mit seiner Frau nach Wilzen, begleitet von einigen Herren des Mitauer Kreises und Elisa von der Recke, die er bat, zu ihm in den Wagen zu steigen, da er mit ihr gern ein Gespräch über Magie und Heilkunst führen wolle. Serafina nahm dafür in der Kutsche von Major von Korff Platz.
Im Verlauf der Reise kam er zum wiederholten Mal auf seine Zeit in Medina zu sprechen, wo er Medizin studiert und dabei ein anderes Bild von der Natur erhalten habe als die Ärzte in Europa, die zu flüchtig über die Krankheitssymptome hinweggingen, überhaupt über die Veränderungen im menschlichen Körper. Er dagegen prüfe nicht nur den Puls, sondern stelle seine Diagnose nach dem, was er in den Augen lese, nach der Gesichtsfarbe, dem Gang und allen anderen Bewegungen des Körpers. Bei diesen Worten fiel ihr Johann Kaspar Lavater ein, der schweizerische Pfarrer und Schriftsteller, der in seinem Werk Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe versuchte, aus einer großen Zahl von Bildnissen Gesetze körperlicher Abhängigkeit von seelischen Eigenschaften zu ergründen, und damit eine große Wirkung auf die jungen Zeitgenossen des Sturms und Drangs erzielte, besonders auf Goethe, der an den Fragmenten mitarbeitete. Für Deutschland hatte Lavater, der sich schlechthin für alles einsetzte, was phantastisch und „übernatürlich“ war, die Rolle des Wunderapostels übernommen, und es entsprach nur dem Zuge der Zeit, dass er überall Anhänger fand und diese auch ihrerseits sich berufen fühlten, den Geistesdunst über Deutschland ausbreiten zu helfen. Was den Mystizismus und den auf ihn bauenden Schwindel anbelangte, war inzwischen bereits ein großer Teil Europas zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten geworden.
Da Elisa gern wissen wollte, wie Cagliostro über den protestantischen Pastor dachte, fragte sie ihn nach seiner Meinung, worauf er dozierte, Lavater sei der größte Physiognomist und die Physiognomik ein natürlicher Teil der Arzneikunde. Die Krankheiten lägen vor allem im Blut und in seiner Verteilung, weshalb der Arzt darauf besonders zu achten habe. Da die ganze Natur miteinander verwandt sei, müsse der Arzt sie umfassend kennen, vor allem auch die Gesetze der Chemie.
Elisa stutzte. Hatte sich nicht erst neulich beim Schmelzen von Bernstein herausgestellt, dass er von Chemie nicht viel verstand? Aber schon schwadronierte er eifrig weiter: Da alles auf alles wirke auf der Erde wie im gesamten Sonnensystem, so sei für einen Arzt auch die Kenntnis vom Einfluss der Gestirne unentbehrlich, weshalb er meistens seine Arzneien im Aquinoktium herstelle, der Tagundnachtgleiche. Dieser gegenseitige Einfluss aller Dinge sei aber nicht bloß auf die Körperwelt begrenzt. Die Körperwelt sei Wirkung, der Geist dagegen Ursache und die Geisterwelt eine zusammenhängende Kette, aus der immer Wirkungen ausströmten. Die wahren Naturkenner seien mithin jene, die ebenso gut hinauf wie hinab sehen könnten, das heißt, die Personen, die mit Geistern wie mit der Materie in Verbindung ständen. In dieses Geheimwissen sei er gleichfalls in Arabien eingeweiht worden, und zwar durch eine Gesellschaft in Medina, wo er wie jeder neu Aufgenommene das Gelübde ablegen musste, zum Besten der Menschheit eine gewisse Zeit durch die Welt zu wandern und unentgeltlich das wiederzugeben, was er selbst genauso empfangen habe. So sei er dann über Ägypten nach Europa gekommen.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs, bei dem Cagliostro das große Wort führte, gewann Elisas Achtung vor seinem Charakter und seiner Moral immer mehr die Oberhand gegenüber dem Misstrauen, das sich in den letzten Tagen einzuschleichen begonnen hatte. Manches, was ihr an ihm missfallen hatte, rückte nun in ein anderes Licht. Sein Scharfsinn und seine Menschenkenntnis setzten sie nicht weniger in Erstaunen als seine magischen Experimente.
Unvermittelt fragte er sie plötzlich nach ihrer Meinung über Zierentz, was er für ein Mensch sei und ob sie ihm Näheres über ihn erzählen könne, seinen Charakter, seinen Umgang, sein Leben. Verblüfft schaute sie ihn an. Wie kam er gerade auf diesen Mann, und warum wandte er sich ausgerechnet an sie? Verlegen antwortete sie, Zierentz zu wenig zu kennen, um ihm die gewünschte Auskunft geben zu können. In Wirklichkeit jedoch hatte sie mehr über ihn gehört, als sie zugab, unter anderem von einem Vorfall, der ihm Nachteil hätte bringen können. Doch außer zwei Freunden und ihrer Stiefmutter, die ihr alles unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut hatte, wusste sonst niemand davon.
Cagliostro sah ihr scharf ins Gesicht, wobei er den Kopf mit dem kurzen Hals gegen sie vorstieß wie ein angriffslustiger Hahn und sie eine Schlange nannten, die er an seinem Busen nähre, sie lüge und solle ihm schwören, dass sie aus dem Leben von Zierentz kein Ereignis kenne, über das außer ihr nur noch drei andere Bescheid wüssten.
Sie war bestürzt und schwieg, um mit sich zu Rate zu gehen, wie sie sich aus dieser peinlichen Lage herauswinden könne, ohne ihr Wort zu brechen und Unrecht zu tun. Sie tadelte sein Betragen und fragte ihn, wem er damit überhaupt etwas vorspielen wolle, wo er jetzt doch nur sie an seiner Seite habe, sie, die von seinem dienstbaren Geist Hanachiel beobachtet werde, wie er selbst sage. Da sie das Auge des Allwissenden, der das Innere ihres Herzens lese, nicht zu scheuen habe, so fürchte sie auch die Beobachtung Hanachiels nicht, wenn er als guter Geist in ihrer Seele lese. Sie vertraue dem, der Dämonen und Nekromantisten im Zaum zu halten wisse, und sei überzeugt, dass er alle Wirren in der Welt meistern und das Schlechte zum Guten wenden werde.
Bei ihren Worten hatte sich Cagliostros Miene aufgehellt. Freundlich blickte er sie an und drückte ihr die Hand, nannte sie jetzt eine gute Seele und schmeichelte ihr in den süßesten Tönen. So viel Verschwiegenheit, so viel Stärke des Geistes und so viel Klugheit hätte er ihr bei ihrer Jugend nicht zugetraut, einer Frau von gerade mal fünfundzwanzig Jahren! Wie sie sich aus der Affäre gezogen, das habe seine Erwartung weit übertroffen. Jetzt könne er es ihr ja sagen, wie die Sache zusammenhänge. Seine Oberen hätten ihm befohlen, ihr diese verfängliche Frage zu stellen, nachdem sie ihm den ganzen Sachverhalt entdeckt und sogar mitgeteilt hätten, dass ihre Mutter ihr die Geschichte zur Erweiterung ihrer Menschenkenntnis erzählt habe. Hätte sie ihm alles gestanden, dann hätte er befürchten müssen, dass sie in ihrer Schwäche auch künftigen Versuchungen unterliegen und an den gefährlichen Klippen der Magie scheitern würde. Wenn sie die Stirn gehabt hätte, einen solchen Eid zu schwören, dann hätte sie den ersten Schritt getan, um noch tiefer in den Sumpf der Laster zu sinken, und er wäre dann gezwungen gewesen, allmählich seine Hand von ihr abzuziehen. Die Bahn der Magie, auf der sie weit kommen könne, da sie dazu alle Gaben des Geistes und Herzens besitze, sei gefährlich. Unter tausend erreiche höchstens einer das hohe Ziel, durch das man sich selbst und andere beseligen könne, sobald man allen Versuchungen entkommen und nicht schon vorher in den Abgrund gestürzt sei. Über dieses Gespräch in der Kutsche solle sie mit niemandem reden, ermahnte er sie, er habe gute Gründe, seine Kraft, in Menschenseelen zu lesen, auch weiterhin zu verheimlichen.
Ebenso gute Gründe hatte er, gerade bei Elisa von der Recke als Mann zu gelten, der übernatürliche Kräfte des Geistes besitze und in den Seelen der Menschen wie in einem offenen Buch lese. Da er es seit einiger Zeit darauf angelegt hatte, sie zur Reise mit ihm nach Petersburg zu bewegen, was er wiederholt in ihre Unterhaltungen einzustreuen verstand, hatte er in seiner Durchtriebenheit diese Geschichte raffiniert eingefädelt. Wenn auch die Saat nicht ganz nach seinen Berechnungen aufging, jedenfalls noch nicht, wie er sich tröstete, so durfte er wenigstens aus ihrem Verhalten schließen, dass nun jeder letzte Zweifel an seine Kraft, in Menschenseelen zu lesen, beseitigt war, sie ferner große Stücke auf ihn und seine Verbindung zu höheren Geistern hielt und er ihre Hoffnung weiter genährt hatte, durch ihn zum Gipfel der Magie zu gelangen.
Erst viel später, als Cagliostro längst aus Kurland verschwunden und endlich auch Elisa dem Betrüger auf die Schliche gekommen war, erwies sich die ihr bis dahin unerklärliche Geschichte genauso als billiger Trick eines Taschenspielers wie anderes auch. Sie wagte es nämlich entgegen seinem Verbot mit ihrer Stiefmutter und den beiden Freunden, die über den Vorfall mit Zierentz Bescheid wussten, die so geheimnisvolle Begebenheit mit Cagliostro zu erörtern. Wie sie dabei erfuhr, hatte der große Magier dem einen Freund durch verfängliche Fragen alles entlockt, auch dass Elisa und ihre Stiefmutter zu den wenigen Mitwissern gehörten, und ihn damals feierlich geloben lassen, niemandem auch nur ein Sterbenswort über sein Gespräch mit ihm zu sagen. Die von ihren Oberen zum blinden Gehorsam erzogenen Schüler, waren so einfältig, seine Vorschriften zu befolgen. Deshalb konnte der Scharlatan auch so sicher sein, dass niemand ihn durchschauen würde, solange sie an seine vorgespiegelte Verbindung mit höheren Geistern glaubten.
Die Unterhaltung in Cagliostros Wagen plätscherte noch eine Weile dahin, viel Zeit, den einen oder anderen Gedanken zu vertiefen, blieb ihnen nicht mehr, die Fahrt näherte sich ihrem Ende. In der Ferne tauchte bereits der Wald von Wilzen auf, wo angeblich die Schätze vergraben sein sollten, als der große Magier das Gespräch mit Freifrau von der Recke abbrach, um zunächst still vor sich hin in einer fremden Sprache zu murmeln und zu beten und dann in einem kleinen, roten Buch zu lesen, einem magischen Buch, wie er ihr früher einmal erklärt hatte.
Plötzlich riss er die Augen weit auf, als sie an einer wild verwachsenen Baumgruppe vorbeifuhren. Sein Blick flackerte, und seine Stimme bebte, als er ausrief: „Dort, dort liegen die magischen Schriften vergraben!“ Den Kopf in den Nacken werfend und nach oben schauend, wo statt des erhabenen Himmels leider nur das abgewetzte Verdeck der Kutsche zu sehen war, flehte er inbrünstig: „Du, großer Baumeister der Welten, hilf mir das Werk zu vollenden!“
Im nächsten Augenblick flog er in die Ecke, als das linke Hinterrad in einem nur mit einer dünnen Eisschicht bedeckten Schlagloch einbrach, was ihn jedoch nicht aus der Fassung brachte. Er schnaufte nur einmal tief und wandte sich dann an seine Reisebegleiterin: Diese magischen Schriften und Schätze würden von den stärksten Geistern bewacht, und nur Geister könnten sie heben. Ob er der Glückliche sein dürfe, durch dessen Vermittlung sie geborgen werden sollten, wisse jener allein, der ihn gesandt habe. Aber er werde die Geister, die den Schatz bewachen, schon so in die Pflicht nehmen, dass sein Nachfolger nichts ohne sein Wissen und seine Hilfe unternehmen könne, selbst wenn er dreihundert Meilen entfernt sein sollte.
Als Cagliostro auf dem Landgut ankam, traf er dort bereits Elisas Onkel und Tante mit ihren drei Kindern an. Ohne sich auszuruhen, und sei es auch nur für kurze Zeit, und auch ohne sich nach dem richtigen Weg zu erkundigen, eilte er mit ausgreifenden Schritten, begleitet von Herrn von der Howen und dem Brüderpaar von Medem auf den Wald zu, den er beschrieben hatte, und zeigte dort den abgebrochenen Baum, unter dem die von Geistern gehüteten Schätze liegen sollten. Doch statt die brennende Neugier seiner Begleiter zu befriedigen und das Geheimnis zu lüften, machte er wieder nur eine Beschwörung, um einen seiner Geister an den Fundort zu bannen, wie er ihnen auf dem Rückweg erläuterte. Die zaghaft vorgebrachte Frage, wie und wann die Bergung des Schatzes vor sich gehen solle, ließ er unbeantwortet.
Am nächsten Vormittag zwischen zehn und elf führte Cagliostro in Gegenwart aller Logenmitglieder wieder eine spiritistische Sitzung mit dem Knaben durch. Anders als bei früheren magischen Experimenten hielt sich das Medium diesmal mit den erwartungsvoll dasitzenden Teilnehmern im gleichen Zimmer auf, nur durch einen Wandschirm getrennt, und neu war auch, dass Herr von der Howen im Zuschauerkreis neben dem Magier stand.
Cagliostro hatte dem Kleinen einen großen Eisennagel in die Hand gedrückt und ihn aufgefordert, niederzuknien und nicht eher aufzustehen, als bis er den bereits bekannten schönen Jungen gesehen habe. Nachdem sich dieser, laut Angabe des Mediums, eingestellt hatte, gebot er dem Geist mit dem roten Kreuz zu erscheinen, sich an den Nagel zu binden und den Schatz im Wald so zu hüten, dass niemand sich ohne sein Wissen der Stelle nähern könne. Auch, so trug er dem soeben verpflichteten Wächter auf, solle der Schatz ohne Herrn von der Howen nicht gehoben werden und nie zu finden sein.
Darauf forderte er Herrn von der Howen auf, niederzuknien, und dem Geist mit dem roten Kreuz, sich an ihn zu fesseln. „Sprechen Sie mir nun Folgendes nach“, wies der Magier den vor ihm Knienden an und berührte ihn, während er die Worte wiederholte, mit dem magischen Schwert: „Im Namen meines Meisters und Lehrers Cagliostro gebiete ich dir, du zum Seher auserkorenes Kind, dir von den dienstbaren Geistern unseres großen Lehrers den Wald, der die Schätze enthält, zeigen und die Erde, die diese deckt, öffnen zu lassen.“
„Der Wald ist da“, versicherte der Knabe, „die Erde ist offen, und ich sehe eine Treppe und einen langen Gang.“
Der Magier nickte feierlich und sah sich im Kreis der Teilnehmer um, die auf ihren Stühlen nicht zu rutschen wagten, so gebannt waren sie von der Offenbarung, die ihnen soeben zuteil geworden war.
„Stehen Sie auf“, befahl er dem immer noch auf den Knien liegenden von der Howen, „aber bleiben Sie im magischen Zirkel.“
Sobald der andere Platz genommen hatte, setzte Cagliostro nun selbst das Gespräch mit dem Kind fort: „Steigen Sie die Treppe hinunter. Zählen Sie die Stufen so laut, dass wir es hören können, gehen Sie dann bis ans Ende des Ganges und sagen Sie mir, was Sie da sehen.“
Tritt für Tritt hörten die Anwesenden, wie der Knabe die Stiegen hinunterging und dabei laut zählte, und danach vernahmen sie auch noch einige Schritte weiter durch den Gang, bis der Kleine schließlich stehenblieb und sagte: „Hier sind viele goldene Ruten, Münzen aus Gold und Silber, allerlei Sachen und Geräte aus Eisen, beschriebene Papiere und rotes Pulver.“
Das rote Pulver, das der Knabe angeblich unter den Schätzen erblickte, war nach Cagliostros Aussage die Erste Materie, durch die man alle Metalle zur Reife des Goldes zu bringen vermochte, wie er mehrfach in seiner geschwollenen Redeweise beteuert hatte.
Der Magier gebot nun der Erscheinung zu verschwinden, machte eine weitere Beschwörung und fragte den Knaben: „Was sehen Sie jetzt?“
„Ich sehe sieben sehr schöne Menschen, alle in weißen Kleidern: Der eine hat ein rotes Herz vor der Brust, all die anderen haben auch rote Herzen und etwas auf der Stirn geschrieben, was ich aber nicht lesen kann.“
Cagliostro gebot diesen Geistern, sich so, wie er es im Sinn hatte, an gewisse Gegenstände zu fesseln, und forderte das Kind auf, alle sieben Geister zu umarmen, jedem einen Kuss zu geben und sich von jedem küssen zu lassen, was auch genauso zu geschehen schien, denn die Sitzungsteilnehmer hörten deutlich vierzehn Küsse. Zum Schluss befahl der Magier den Erscheinungen zu verschwinden, ließ den Knaben hinter dem Wandschirm hervortreten und ging mit ihm und den anderen Herren in den Wald. An der Stelle, wo die magischen Schriften vergraben liegen sollten, befestigte er den durch die Beschwörung geheiligten Nagel an der abgebrochenen Fichte.
Auf dem Rückweg sprach niemand ein Wort, alle hatten das erhebende Gefühl, einer weihevollen Zeremonie des großen Magiers beigewohnt zu haben.
3
Nach einem Streit über zwei Taler, die der Wirt des Gasthofs in Mitau ihm seiner Meinung nach zu viel in Rechnung gestellt hatte, kam Cagliostro die Einladung des Barons Johann Friedrich von Medem äußerst gelegen, mit seiner Frau zu ihm in das um 1760 erbaute schlossähnliche Stadthaus zu ziehen, natürlich ohne etwas dafür zu bezahlen, auch nicht für die ausgezeichnete Verpflegung, wie sie einem so hohen Gast gebührte. Obwohl der große Magier nicht müde wurde zu betonen, er könne Gold machen, war er wie versessen aufs Geld aus, wenn er auch nicht selbst Geschenke forderte oder annahm. Er schenkte aber auch keinem Dienstboten auch nur einen Groschen, trotz aller Höflichkeit, mit der sie ihn behandelten. Wie in alten Zeiten musste seine Ehefrau gewisse Leute, bei denen etwas zu holen war, in sich verliebt machen und von ihnen wertvolle Geschenke zu erhalten suchen, was der verführerischen Gräfin auch gelang und dem Herrn Gemahl mehr als nur das nötige Kleingeld einbrachte.
Ihr Liebreiz verfing nicht nur bei Männern, auch die Damen waren von ihr entzückt, denn im Gegensatz zu Cagliostro, der oft grob und jähzornig wurde und unmäßig aß und trank wie ein Scheunendrescher, war Serafina feiner als er. Die einst kindliche, bis zur Einfalt naive Tochter eines Messinggießers hatte sich in wenigen Jahren zu einer mondänen Schönheit gemausert, die kokett und neckisch ihre weiblichen Mittel einzusetzen wusste. Mit wachsendem Vergnügen hatte sie sich in die Rolle gefunden, die ihr Mann ihr zugedacht hatte, wenn sie auch bisweilen von Gewissensbissen geplagt wurde, deren sich ihre wechselnden Beichtväter besorgt annahmen. Die guten Ratschläge fruchteten jedoch nichts, denn immer wieder fanden sich Männer, darunter Edelleute, die sich um ihre Gunst bewarben, zahlungskräftige Liebhaber, die meist nicht nur anziehender waren als ihr eigener Ehemann, sondern ihr auch mehr zu bieten hatten, und diese immer neuen Abenteuer befriedigten ihre Gefallsucht. Die engelgleiche Hingabe, mit der sich Serafina - nomen est omen! - ihrer Aufgabe widmete, trieb Cagliostro zu immer neuen Ausbrüchen blinder Eifersucht, bis er dann jedes Mal wieder einsah, dass sich sein gekränkter Mannesstolz dem gemeinsamen Karriereziel unterzuordnen hatte. Er liebte das Geld, sie den Erfolg.
Durch ihre Liebkosungen brachte die Gräfin Serafina einen ihrer Anbeter in Mitau sogar so weit, dass er sie entführen wollte. Als sie in trauter Abendstunde mit ihm in irgendeinem finsteren Winkel zusammensaß, hatte sie ihm ihr Herz über ihren Gemahl ausgeschüttet: Er sei ein Betrüger, der sie schändlich misshandle, und nur die Furcht vor seinen Ausbrüchen zwinge sie dazu, seine Gaukeleien mitzumachen. Welcher Kavalier hätte da nicht den Stab über einen solchen Tyrannen gebrochen und sich erboten, seine Flamme den Klauen dieses Unholds zu entreißen! Serafina hatte nichts Eiligeres zu tun, als Cagliostro zu hinterbringen, wie abfällig sich der edle Ritter über ihn geäußert hatte, was den Ehemann zunächst wie Othello rasen und vor Wut kochen ließ, so schien es jedenfalls, doch sobald er sich abgekühlt hatte, gewann sein Geschäftssinn wieder die Oberhand: er sah ein, dass es für die gemeinsame Haushaltskasse besser sei. wenn sie jenem Liebesnarren auch weiterhin ihre Gunst gewähren würde.
Mit seinem Einzug ins Haus von Elisas Vater, der es begrüßte, den hohen Abgesandten der Freimaurer nun ständig um sich zu haben, schwoll Cagliostro noch mehr der Kamm, und sein Stolz und Standesdünkel waren ebenso albern wie demütigend für die Gesellschaft, mit der er eine Woche später aufs Land reiste. Hoch zu Ross ritt er wie ein Herzog vorneweg, alle Wagen mit den Brüdern, die im magischen Kreis eingeweiht waren, mussten ihm folgen. Den Dienern des Gastgebers, die sich zu Pferde dicht hinter dem geckenhaft aufgeputzten Reiter zu halten hatten wie eine Leibgarde oder sein Gefolge, war auferlegt worden, alle naselang auf Posthörnern zu blasen, damit die ganze Stadt bemerken sollte, welch hohes Ansehen der berühmte Magier oder eitle Narr, je nach Standpunkt, bei den ersten Familien Mitaus genoss.
Die Reise ging nach Alt-Autz, zu Elisas Stiefmutter, wo sich bereits die Familie des Landmarschalls von Medem eingefunden hatte, darunter auch der kleine Sohn, Cagliostros bevorzugtes Medium. Noch am Ankunftstag forderte der Magier, ohne irgendeine magische Vorkehrung getroffen zu haben, den Knaben im Beisein der Gesellschaft auf:
„Gehen Sie ins Nebenzimmer. Dort werden Sie eine Person in einem langen, weißen Kleid sehen. Sagen Sie dieser Person, sie solle mir heute Nacht um ein Uhr erscheinen und sich darauf einstellen, mir auf alles, was ich fragen werde, gewissenhaft zu antworten. Sobald Sie dies getan haben, gebieten Sie der Erscheinung zu verschwinden.“
Beherzt, er hatte ja schon genügend Übung darin, ging der Knabe ins Zimmer nebenan, kam nach einer Weile wieder zurück und erklärte: „Ich habe alles so vorgefunden, wie Sie gesagt, und alles bestellt, was Sie befohlen haben."
Wer an den großen Magier glaubte, und das waren die meisten, staunte über die Kraft des kleinen Sehers, drückte und liebkoste ihn, da sie in ihm einen künftigen Geisterbeherrscher vermuteten. Die Zweifler aber, die Cagliostro schon immer misstrauten, fanden sich in ihrer Meinung bestätigt, dass der Knabe wohlabgerichtet war und über die Erscheinung berichtet hatte, ohne irgendetwas gesehen zu haben. Überdies war ihnen aufgefallen, dass der Kleine immer von denselben Erscheinungen wie bei früheren Experimenten erzählte, eine Übereinstimmung, die es Cagliostro also viel leichter machte, ihm passende Winke zu geben. Aber was sie dachten, behielten sie für sich.
Für diesmal hatte der Magier die Erwartungen der Gäste schon aufs Höchste gespannt, wie er ihren Äußerungen entnahm; erst für den folgenden Abend versprach er ihnen, ihre Neugier durch eine weitere Kostprobe seiner magischen Fähigkeiten zu befriedigen.
Wenige Stunden vor der angekündigten Geisterbeschwörung in Alt-Autz suchten mehrere Gäste Cagliostro in seinem Zimmer auf, um ihn das Blaue vom Himmel zu fragen und den Predigten des hehren Meisters über die unbegreiflichen Phänomene und letzten Geheimnisse aller Welten andächtig zu lauschen. Einige hatten noch keiner Beschwörung beigewohnt, fieberten aber dennoch, angeheizt durch die überschwänglichen Erzählungen der Auserwählten, denen dieses Heil schon widerfahren war, in Verzückung der Stunde entgegen, in der auch sie all diese Wunder erleben durften.
Cagliostro wusste auf ihren Seelen zu spielen wie auf den Tasten eines Klaviers. Er zeigte seinen neuen Zuschauern einen Kasten, der, wie er sagte, vor der Beschwörung von einem Mitglied der Gesellschaft im Zimmer umhergetragen werden müsse, warnte jedoch zugleich, dies könne für den Träger des Kastens gefährlich werden, obgleich der Behälter nicht schwer sei. Herr von Medem auf Tittelmünde, ein entschlossener Mann, stellte sich freiwillig zur Verfügung und trug auf Caglio-stros Wink den Kasten kreuz und quer durchs Zimmer, ohne dabei im Geringsten die Fassung zu verlieren. Auch durch solche Tölpeleien, die seine verblendeten Gläubigen nicht durchschauten, versuchte Cagliostro herauszufinden, wie er sich ihnen gegenüber verhalten solle, um für sich den größtmöglichen Vorteil herauszuschlagen.
Am Abend führte er unter den Augen aller Anwesenden dasselbe Experiment durch wie schon zuvor in Wilzen. Nur brauchte er diesmal keinen Nagel, winkte außerdem mitten in der Beschwörungszeremonie Burggraf von der Howen zu sich und hieß ihn durch eine stumme Geste niederzuknien.
„Wer erscheint Ihnen jetzt?“, fragte er den Knaben, der im gleichen Zimmer hinter einem Wandschirm stand.
„Herr von der Howen liegt auf den Knien.“
Darauf zog Cagliostro seine Uhr aus der Westentasche und überreichte sie dem Burggrafen.
„Was sehen Sie jetzt?“, fragte er das Kind.
„Herr von der Howen hält die Uhr in der Hand.“
Für die neuen Bewunderer des Magiers war dieses Experiment ein erhebendes Beispiel seiner übersinnlichen Kräfte, wenngleich sie sich, wie sich mancher eingestand, nach den Berichten der alten Teilnehmer doch etwas mehr davon versprochen hatten. Aber sie trösteten sich damit, im Laufe der Zeit wohl noch weitere Gelegenheiten zu erhalten.
Wenig erbaut von der Vorführung war diesmal Elisa von der Recke, ja sogar leichte Zweifel keimten in ihr auf, wenn auch nicht an Cagliostros Fähigkeiten. Denn noch vor Beginn der Beschwörung hatte er sie hinter dem Wandschirm den Platz sehen lassen, wo ihr kleiner Vetter die Erscheinung haben würde. Weder gab es dort einen magischen Spiegel, noch konnte das Kind, sosehr es sich auch nach allen Seiten winden mochte, auf natürliche Art sehen, was außerhalb seines eng eingegrenzten Standorts geschah. Doch anders als bei früheren Experimenten war ihr an diesem Abend einiges merkwürdig vorgekommen, was sie nach dem üppigen Festmahl Cagliostro gegenüber nicht verschweigen wollte.
Bis es jedoch dazu kam, musste sie sich länger gedulden, als ihr lieb war. Denn obwohl die Tafel sich schon unter der Vielfalt erlesener Speisen bog, hatte Cagliostro es sich nicht nehmen lassen, dazu auch noch selbst Makkaroni zu kochen, worauf er sich nach einhelliger Meinung vortrefflich verstand, ein Grund mehr für ihn, jedem Einzelnen zuzuprosten. Er war inzwischen von dem schweren Wein so angeheitert und ungehemmt, dass er sich, wollüstig wie er von Natur aus war, vergaß und seine Nachbarinnen mit anzüglichen Zoten in sich verliebt machen wollte. Als er dabei so laut redete, dass Frau von der Recke am Tischende aufmerksam wurde, brach er jäh ab, wie er überhaupt stets in ihrer Gegenwart bemüht war, den gesitteten Edelmann hervorzukehren. Ohne Übergang nutzte er die Gelegenheit, aus voller Kehle der Gesellschaft zu verkünden, wie gesund es sei, vor allem für die Verdauung, sich nach einem guten Essen körperliche Bewegung zu verschaffen, forderte einen der Lakaien auf, von dem er wusste, dass er musikalisch war, das Klavier zu bearbeiten, und lud alle ein, mit ihm ein Tänzchen aufs Parkett zu legen. Um ihn nicht zu kränken, folgten auch einige seinem Beispiel, doch nach einigen Umdrehungen hatten sie genug davon und schauten lieber ihm zu, wie er, allein gelassen, umhertrampelte. Er tanzte gern, wie er gestand, aber wie ein Bär, was er, darauf verwundert angesprochen, für türkische Tänze ausgab.
Da aber bekanntlich auch die Türken nicht ewig tanzen können, fand diese Einlage schließlich ein Ende, was Elisa von der Recke die ersehnte Möglichkeit bot, ihn zu fragen, warum er eigentlich diese Beschwörung gemacht habe, obwohl doch diesmal überhaupt kein ausreichender Grund vorlag. Nach seinen eigenen Worten dürfe dies nicht bloß aus eitler Neugier geschehen. Außerdem habe Herr von der Howen den magischen Kreis übertreten, und zwar ohne irgendeine schlimme Folge. Auch scheine ihr die ganze Geschichte mit seiner Erscheinung und dem Halten der Uhr unter der Würde der Magie zu sein.
Cagliostro griff nach einem Glas Burgunder, als ein Lakai mit einem Silbertablett vorbeikam, und nahm erst einen vollen Schluck, ehe er ihr vorhielt, immer noch wie der Blinde über Farben zu urteilen. Sie fände eben manches unerklärlich, solange sie sich noch im Vorhof dieser heiligen Wissenschaft aufhalte. Was den magischen Kreis betreffe, den Herr von der Howen übertreten hatte, so sei das heute genauso geplant gewesen. Deshalb habe er seinen Geistern bei der Beschwörung auch sogleich geboten, die Stellen zu bewachen, die Herr von der Howen betreten werde. Allerdings könne er ihr nicht sagen, warum er ihn heute habe erscheinen lassen. Die Uhr, die er ihm gegeben, sei eine magische Uhr. Werde sie, wenn er eine Erscheinung beschwöre, von jenem gehalten, den Hanachiel oder Gabriel bewache, dann übe sie die Wirkung aus, die seine Oberen wünschten. Zu jeder anderen Stunde aber ruhe die Kraft dieser Uhr. Doch wenn die Geister durch die Beschwörung um ihn schwebten, dann möchte er keinem raten, die Uhr ohne seine Erlaubnis zu berühren. Außerdem könne er in der Seele des Menschen, der unter diesen Umständen die Uhr einige Minuten in seinen Händen halte, viel schneller lesen als in den Seelen der anderen.
Was jeder unbefangene, nüchtern denkende Zuhörer sogleich bei diesen leeren Ausflüchten erkannt hätte, kam Freifrau von der Recke damals noch nicht in den Sinn: Zu sehr schon hatte Cagliostro sie eingewickelt und ihr eine so hohe Meinung von sich eingeimpft, dass er sie mit seinem Wortschwall und den gestelzten Ausdrücken nicht nur zufriedenstellte, sondern sogar noch ihre hoch gesteckten Erwartungen erneut schürte. Die Dreistigkeit, mit der er seine Betrügereien verschleierte, vernebelte den Verstand, und das nichtssagende Wort „magisch“, Schall und Rauch, wühlte einen Wust von Gefühlen auf.
4
Den Aufenthalt in Alt-Autz nutzte Cagliostro auch dazu, so etwas wie öffentliche Vorlesungen zu halten, sozusagen Belehrungs- und Erbauungsstunden, doch waren nur die Mitglieder der Loge d’Adoption, Elisas Stiefmutter und noch zwei Profane seine Zuhörer. Er nahm dabei an einem großen Tisch Patz, die anderen saßen um ihn herum und durften mit seiner Erlaubnis alles mitschreiben, soweit sie überhaupt mit seinem überschäumenden Redefluss mitkamen und verstanden, was er im Ton eines von sich selbst und seinen Worten begeisterten Narzisses vortrug. Obgleich er keiner Sprache so recht mächtig war, so machte doch der Schwung, mit dem er redete, sein schwülstiges Geschwafel und das verwirrende Sammelsurium von fremden, teils rätselhaft dunklen Wörtern großen Eindruck auf die Runde, die in ihrer Seelenstimmung ohnehin für alles Übersinnliche, mit der Vernunft nicht Fassbare empfänglich war.
Wenn sie glaubten, es habe nur die eine Sintflut gegeben, wie in der Bibel überliefert, so sei das falsch, wie uns die Naturforscher aus den Ablagerungen in den verschiedenen Bodenschichten beweisen. Das Alter der Erde übertreffe alle menschlichen Vorstellungen, doch wäre es ungerecht, wollte man Moses vorwerfen, er habe die ungeheure Zeitspanne, die unsere Erde schon besteht, falsch berechnet.
Auf diesem Pfad hatten ihm noch alle folgen können, bis er dann unvermittelt von Mosis falscher Erdalterberechnung zu Lots Weib hinüberschwenkte und die durch Gottes Zorn zur Salzsäule Erstarrte als Beweis für die Schädlichkeit der Neugier anführte. Nützlich, weil förderlich, sei dagegen die Neugier, wenn sie der Tugend und dem Trieb zur Vervollkommnung diene. Ob es auch mit Neugier zu tun oder andere Gründe hatte, dass er plötzlich den Lauschenden offenbarte, Moses, Elias und Christus würden bisweilen in diesen geheiligten Kreisen unseren Erdball besuchen, ließ er ebenso offen wie die Erläuterung, ob mit „diesen geheiligten Kreisen“ die Freimaurer im allgemeinen oder Magier seines Kalibers gemeint seien. Wer sich selbst einen Reim darauf machen wollte, konnte es vielleicht auf die mystischen Geheimgesellschaften beziehen, in denen sich einige quietschfidel tummelten, die, wie er versicherte, bereits Jahrhunderte auf dem Buckel hatten.
Schon bei früheren Vorlesungen war den wenigen kritischen Zuhörern der Mitauer Gesellschaft aufgefallen, wie geschickt er den alltäglichen Dingen durch seine Stimmlage und einen gelehrt klingenden Anstrich mehr Gewicht zu geben wusste, als ihnen zukam; aber allzu oft entrutschten ihm auch Plattheiten, reichlich starker Tobak. Als Elisa ihn deswegen einmal zur Rede stellte, weil sie sich solche Widersprüche in ihm nicht zusammenreimen konnte, hatte er ihr erwidert, dass er den Geist und Charakter seiner Jünger durch viele ungewöhnliche Methoden und Versuchungen auf die Probe stellen müsse. Um Ausreden war er nie verlegen, und wäre sie damals weiter in ihn gedrungen, hätte er sie leichtzüngig mit neuen Scheingründen mundtot gemacht.
Die Heilige Schrift sei voll von Bildern tiefer Magie, tönte Cagliostro im weiteren Verlauf seiner Vorlesung in Alt-Autz. Bekanntlich habe Judith die belagerte Stadt Bethulien durch die Enthauptung des grausamen Feldherrn Holofernes vor der Vernichtung durch die assyrischen Feinde gerettet. War das ein verabscheuungswürdiges Verbrechen? Nein, die wahre Weisheit war ihr Eigentum, denn sie war schon so weit zur Reife der Seele gelangt, dass sie erkannte: Die Gebote ihrer Oberen waren ihr absolut heilig, das Höchste überhaupt, weil diese Oberen niemals etwas gebieten konnten, was der guten Absicht des großen Baumeisters der Welten nicht förderlich sei. So habe also das schwache Weib die Kraft gehabt, den Abgesandten der Finsternis zu töten, der, wäre er noch länger am Leben geblieben, dem bösen Prinzipium zur Vormachtstellung verholfen hätte.
Bei diesen Ausführungen war Elisa von der Recke zusammengezuckt. Lief Cagliostros Lehre nicht darauf hinaus, dass auch sie, seine Schülerinnen, wie Judith morden mussten, sollten ihm das seine Oberen befehlen? Was für ein abscheuliches Gebot, dachte sie im ersten Augenblick, beruhigte sich dann aber mit der Überzeugung, dass er sie in Wirklichkeit bestimmt nicht dazu zwingen werde.
Weiter in ihren Betrachtungen gingen Hofrat Schwander und der Buchhändler Hinz, die auch zur Runde gehörten. Unwillkürlich trafen sich ihre Blicke, und jeder fragte sich, ob der andere wohl dieselbe Befürchtung hege. Denn das Dogma, so erkannten sie, das der Magier ihnen bei der Gelegenheit verkündete, nämlich die Oberen würden nie etwas anderes befehlen als das, was Gottes Absichten fördere, weshalb man ihnen also unbedingt gehorchen müsse, konnte zu erschreckenden Folgen führen und unbekannten Leuten, die solche Abenteurer wie Cagliostro aussandten, eine alles beherrschende, gefährliche Machtfülle verleihen. Rechtfertigten sich die Jesuiten, über die damals die unglaublichsten Geschichten im Umlauf waren, nicht damit, alle Befehle ihrer Oberen und alles, was durch ihren Orden geschehe, gereiche zur höheren Ehre Gottes? Genau das war es, was Cagliostro gemeint hatte, als er Judith, die Mörderin des Holofernes, als ein Symbol der Magie anführte.
Zu jener Zeit sei die geheime Weisheit der Mystik bei Männern und Weibern zu finden gewesen, fuhr Cagliostro fort. Aber weder waren diese Menschen damals Eitelkeit und Tand noch den Sinneslüsten so ergeben wie heute. Daher durften sie schon in ihrer irdischen Hülle Gemeinschaft mit höheren Geistern pflegen.
Was für paradiesische Zeiten! dachten die meisten.
Auch jetzt könnten noch alle Wunder, von denen die Schrift berichtet, geschehen, wenn wir nur alle sinnlichen Fesseln sprengen, mit edlem Trieb nach Vollkommenheit streben und so selbstaufopfernd dem Allgemeinwohl dienten wie einst in fernen Zeiten der edle römische Jüngling Marcus Curtius, der sich freiwillig in den Tod stürzte, um einen Erdspalt auf dem Forum mit seinem Leib zu schließen.
Der Buchhändler Hinz, der die Sage kannte, konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er sah den schlanken Jüngling und den breiten Erdspalt vor sich und fand, man hätte das Loch besser mit einem Fettwanst wie Cagliostro stopfen sollen.
Nachdem der große Meister gerade noch von der Vergänglichkeit alles Irdischen gesprochen hatte, kehrte er nun wieder zu den Methusalems zurück, die in einigen mystischen Geheimgesellschaften ihr behagliches Zuhause hatten. Stärke der Seele sei das erste Mittel, alt zu werden, und die erste Tugend eines echten Freimaurers. Durch diese Seelenstärke reife man zu höheren Kräften, doch gebe es auch physische Mittel, durch die man sein Leben um Jahrhunderte verlängern könne.
Nur das nicht, dachte Elisa abwehrend, die sich vor einem hohen Alter mehr fürchtete als vor dem Tod, denn sie sehnte sich nach einem Wiedersehen mit ihren verstorbenen Freunden.
Alexander der Große lebe noch in Ägypten und bilde dort mit anderen eine eigene Sekte der Magier, die nur über die Helden und Krieger wachten, wusste Cagliostro der staunenden Runde weiter zu berichten. Nach dem Plan des großen Baumeisters der Welten beschützten und leiteten sie all jene, in deren Hände, so scheine es jedenfalls, die Gewalt dieser Erde gegeben sei. So werde zum Beispiel Friedrich der Große durch Alexanders dienstbare Geister geschützt und bewacht. Wenn er eben betont habe, die Gewalt der Könige und Fürsten sei ihnen als Herrschern nur anscheinend gegeben, so heiße das, dass sie eigentlich den Magiern unterständen, den guten und schwarzen. Daher regierten sie auch entweder gütig und gerecht oder mit grausamer Härte und tyrannischer Unterdrückung. In diesem Zusammenhang erwähnte er auch König Salomon, dessen Tempelbau in gewissen Gesellschaften als allegorisches Bild diene, und fragte sie, ob sie wüssten, dass der Sohn Davids auf seiner magischen Laufbahn vom Guten abgefallen, dann aber wieder gerettet und den Klauen des bösen Prinzipiums entrissen worden sei. Auch die Geschichte vom Fall der Engel sei nichts anderes als ein allegorisches Bild des Übergangs von der weißen zur schwarzen Magie.
Hinter diesem widersinnigen Geschwätz steckte zweifellos mehr als nur ein Körnchen Wahrheit, wie Hofrat Schwander fand. Suchten nicht die meisten angeblichen Mystiker und Magier jede Gelegenheit, die Großen dieser Erde zu umschmeicheln und zu bedrängen, Geheimgesellschaften zu stiften, um dadurch, wenn Könige und Fürsten für okkulte Lehren und Praktiken dieser Art empfänglich sind, über sie zu herrschen und so leichter in die Amtsgeheimnisse der Kabinette und Staaten einzudringen? In diesem Zusammenhang kam ihm auch die weit verbreitete Auffassung von einer Verschwörung der Jesuiten in den Sinn, eine teils aberwitzige Befürchtung, die er allerdings nicht teilte, zumal man mit diesem Begriff bisweilen so manches verband, was mit dem aufgelösten Orden nicht identisch war. Doch wer sie ernst nahm, konnte der nicht in Cagliostro einen Emissär der Jesuiten vermuten, die ja auch die Staaten und deren Regierungen zu unterwandern suchten, um die Macht an sich zu reißen? Er schmunzelte bei der Vorstellung, wie so viele Leute tatsächlich glauben konnten, in diesem Jahrmarktsgaukler ein gefährliches Werkzeug der Gesellschaft Jesu zu sehen. Widersprach dem, von allem anderen abgesehen, nicht schon allein die Erwägung, dass die Jesuiten, die jederzeit über die besten Köpfe verfügten, sich bestimmt niemals eines so unzuverlässigen Menschen wie Cagliostro bedienen würden? Auch die Annahme, der Magier könne seinen großen Aufwand nur durch die finanzielle Hilfe geheimer Auftraggeber treiben, teilte er nicht. Der Tag wird kommen, an dem so mancher Betrogene - und nicht nur hier - den Mut haben wird, einzugestehen, dass er auf die Prellereien dieses Beutelschneiders hereingefallen ist, dachte er. Wer gibt schon gern zu, diesem Hochstapler stattliche Beträge für fadenscheinige Versprechen zugesteckt, doch statt eines Gewinns einen Verlust gemacht zu haben. Für mich steht fest, dass er nur auf eigene Faust gehandelt hat und nicht im Dienst geheimer Mächte.
Leider konnte der Hofrat den Gedanken nicht weiterspinnen, denn Cagliostro hatte, sprunghaft wie er war, ein neues Kapitel in seiner Vorlesung aufgeschlagen, das jedermann gefangennahm, nicht nur Potentaten mit ihren ewig leeren Kassen: die Kunst des Goldmachens.
Jedes Metall zur Reife zu bringen sei eine Wissenschaft, in die niemand einzudringen vermöge, der das Gold nur um des Goldes willen sowie aus Eitelkeit und Geltungsdrang verwende, nicht aber zu wohltätigen Zwecken. Doch einigen von ihnen werde er das Rezept für das rote Pulver mitteilen oder, genauer gesagt, für die Erste Materie, durch die sie Metalle zur Reife bringen könnten. Er wolle nämlich gern sehen, wie sie mit diesem Pfund wuchern würden. Aber, er hob warnend seine Stimme, auf hundert Meilen und mehr könne er die Wirkung des Pulvers außer Kraft setzen und jedes unwürdige Mitglied der Gesellschaft strafen.
Da hat sich der schlaue Patron ja was ganz besonders Raffiniertes zusammengesponnen! dachte Hofrat Schwander. Wer mit dem roten Pulver aus Dreck kein Gold machen kann, der ist einfach kein würdiger Schüler und gehört bestraft, denn bei so niederträchtigem Gewürm darf das Wundermittel einfach nicht wirken. Mit diesem Dreh ist die Kraft der Ersten Materie für immer gerettet.
Es war nicht das erste Mal, dass er den Köder auswarf, mit dem man die meisten Menschen locken kann: das Versprechen, sie alle reich zu machen, wobei er ihre Gier behutsam schürte. Zwar gab er in Mitau nur selten Proben seiner Taschenspielereien mit Karten zum Besten, obwohl er darin nicht ungeschickt war und sich zudem auf die Kunst des corriger la fortune verstand, dennoch ließ er sich ein paarmal dazu überreden, ihnen zu zeigen, wie man im Pharao mit gutem Erfolg pointieren könne. Auch wusste er im Lotteriespiel von fünf Nummern drei anzugeben, die bei der Ziehung wirklich herauskamen, wobei er sich eines Kniffs bediente, den niemand durchschaute. Er ließ sie jedoch wissen, dass er durch diese Weisheit, fast schon der Allwissenheit gleich, einige Brüder in Holland zu wohlhabenden Leuten gemacht habe. Der Große Kophta habe ihm nämlich in der Nacht zuvor die Gewinnummern ins Ohr gelispelt, die am folgenden Tag gezogen würden. Wollten auch die Anwesenden solche Vorteile genießen, dann sollten sie ihre profanen Ämter niederlegen, denn er werde sie reich machen, wenn sie sich nur den geheimen Wissenschaften widmeten und ihm treu ergeben seien.
Nicht nur mit dem Großkophta stand er auf so vertrautem Fuß, auch mit den Geistern, so gab er vor, hatte er nachts Umgang, um mit ihnen zum Glück und Wohl der Menschheit zu arbeiten. Einen jeden Geist bestellte er zu gewissen Stunden und hielt so in nur einer einzigen Nacht an die fünf bis sechs Konferenzen ab. Die guten Geister waren seine Freunde - wie konnte es bei einem guten Menschen auch anders sein! -, die bösen aber fesselte und züchtigte er. In jenen Nächten, die sich zu solchen Arbeiten eigneten - was teils von den himmlischen Konstellationen abhing, worauf er großen Wert legte, ohne auch nur eine einzige zu kennen, teils aber auch von den Ratschlägen seiner Schutzgeister -, ging er angeblich nicht zu Bett, sondern verbrachte die Zeit auf einem Stuhl, von wo aus er seine außerirdischen Gesellen zu sich rief. Damit ihn niemand bei diesem hehren Wirken belauschen könne, verschloss und verriegelte er alle Abende, auch an den geisterlosen, seine Türen und verstopfte sogar von innen das Schlüsselloch. Am Morgen musste seine Frau entweder das Bett so zurechtmachen, damit man nicht merken sollte, dass er entgegen seiner Beteuerung darin geschlafen hatte, oder er lagerte in Kleidern auf dem Pfühl , als habe er sich erst gegen Morgen zur Ruhe begeben, und blieb dort auch den ganzen Vormittag auf der faulen Haut liegen, bis er schließlich, von seinem knurrenden Magen getrieben, unfrisiert zu Tisch kam. Er hatte aber auch, um seinen Nimbus zu wahren, allen Grund, sich so sorgfältig vor fremden Augen und Ohren abzuschotten; denn die Geister, die er zu nächtlicher Stunde rief, waren seine Frau, die ihm die letzten Neuigkeiten erzählte, um dann mit ihr das gemeinsame Vorgehen für den folgenden Tag festzulegen, und sein italienischer Diener, der ihm beim Auskleiden verwertbare Hinweise gab, wie die Unpässlichkeit des Herrn von Golshagen und die Ankunft des jungen Herrn von Medem: Ereignisse, die er dann großspurig als Eingebungen seiner guten Geister verkündigte.
Indes was er andere glauben machen wollte, glaubte er selber nicht. Misstrauisch wie er war, man könne ihm auf die Schliche kommen, versuchte er jeden Zweifel an ihm durch Drohungen über künftiges Unheil schon im Keim zu ersticken. So sprach er oft von Rache gegen die Schlange, die er im Busen nähre, und gegen einen Verräter unter seinen Anhängern, ohne jedoch jemanden beim Namen zu nennen. War es bisher bei diesen versteckten Anspielungen geblieben, so gebärdete er sich eines Abends in Alt-Autz äußerst wütend und sprach von Mord und Totschlag, wobei es zwei Herren so vorkam, als habe er sie besonders giftig ins Auge gefasst. Der eine machte Cagliostros Frau, der himmlischen Serafina, den Hof, der andere hatte es gewagt, dem Magier unerfüllte Verheißungen vorzuwerfen. Da beide Herren neben seinem Zimmer schliefen, hielten sie es für angebracht, Stöcke und Degen griffbereit neben ihre Betten zu legen. Als der Herr der Geister dies bemerkte, wechselte er sogleich den Ton und begegnete ihnen von nun an mit erlesener Freundlichkeit: ein weiterer Beweis unter vielen anderen, die zeigten, dass er nur ein Maulheld und Hasenfuß war, der sich vor einer Tracht Prügel fürchtete und keinen Pfifferling auf den Beistand seiner Geister gab.
Ein Judas und andere Feinde
1
Nach acht Tagen kehrte die ganze Gesellschaft, die mit dem großen Magier nach Alt-Autz gekommen war, nach Mitau zurück. Auch diesmal fuhr Elisa von der Recke auf Cagliostros Wunsch hin wieder in seiner Kutsche, da er sich unterwegs mit ihr ungestört unterhalten wollte. Ausführlich ließ er sich über die Einstufung der einzelnen Logenmitglieder und ihren Wirkungsbereich aus, damit jeder nach besten Kräften seinen Teil zum Wohl der Welt leisten könne. Was er dazu sagte, leuchtete ihr ein. Ihre Hochachtung für seinen Charakter und Bewunderung für seinen Verstand söhnten sie mit seiner bisweiligen Marktschreierei, wie ihr schien, und so mancher Unebenheit seiner Wesensart aus. Die körperliche Nähe zu ihrem verehrten Lehrer in der Kutsche nahm Elisa zum Anlass, sich ihm in einer Frage anzuvertrauen, die sie seit längerem bedrückte: Stärke der Seele sei das erste Mittel, alt zu werden, und die erste Tugend eines echten Freimaurers, habe er neulich gesagt. Durch diese Seelenstärke reife man zu höheren Kräften, doch gebe es auch physische Mittel, durch die man sein Leben um Jahrhunderte verlängern könne. Er werde sich vielleicht wundern, für sie aber seien solche Aussichten schrecklicher als der Tod. Die Sehnsucht nach ihren verstorbenen Freunden sei so übermächtig, dass sie durch die Magie nicht gern dem frühen Tod entgehen möchte.
Ob denn ihre Sucht zu genießen und sich nur in seligen Freuden zu wiegen so viel stärker als das Verlangen sei, für das Allgemeinwohl tätig zu sein, tadelte Cagliostro sie im Ton eines zurechtweisenden Schulmeisters. Wenn das zutreffe, dann besäße sie allerdings nicht genug innere Stärke, diese Laufbahn einzuschlagen, die andere beglückt, und zwar weniger durch Selbstgenuss als vielmehr durch Arbeit, Fleiß und Selbstbekämpfung, und die so allmählich der Glückseligkeit näherkomme, wie sie nur solche Auserwählte genössen, die dem Thron des großen Baumeisters der Welten am nächsten ständen. Sie solle hinauf zum Sternenhimmel schauen, zu den Millionen und Abermillionen Welten, und sich fragen lassen, ob sie ihren Wirkungskreis nicht erweitern - oder nur für diesen einen winzigen Punkt in der Schöpfung und für jene leben wolle, die sie hier kannte und kenne. In dem Fall solle sie auch weiterhin nach der Tugend streben, der zu leben sie bis jetzt bemüht gewesen; aber den Pfad verlassen, der sie entweder ins tiefe Unglück stürzen oder zu der Seligkeit führen könne, in verschiedenen Welten für das Seelenheil Tausender zu wirken.
In ihrer jugendlichen Begeisterungsfähigkeit spürte Elisa, wie Cagliostros Worte ihren Eifer zur Magie erneut entflammten, aber zugleich legte sich auch ein Schatten von Schwermut über ihre Seele. Einerseits wollte sie, andererseits aber auch nicht. Einige der Toten, die ihr lieb und teuer seien, vertraute sie ihrem mystischen Lehrer an, gehörten nicht zu den Eingeweihten der Magie. Auch unter den Lebenden habe sie manchen guten Freund, der schwer zu bekehren sei. Sie dachte dabei vor allem an Hofrat Schwander, ohne jedoch seinen Namen zu nennen. Von all diesen Freunden wolle sie nicht getrennt sein, selbst nicht durch größere Seligkeit.
Vorwurfsvoll schüttelte Cagliostro den Kopf. Die Schwachheit ihres irdischen Geistes, der noch nicht die ewigen Schätze der Magie erfasst habe, lasse sie so denken und fühlen. Sie möge bedenken, was Christus alles von seinen ersten Anhängern verlangt habe: „Verlasset alles und folget mir nach!“ Diesen Verzicht auf alles Eigene fordere auch er zum Wohl des Ganzen. Doch um sie zu beruhigen, könne er ihr versprechen: Wenn sie erst einmal auf der Bahn der Magie emporsteigen werde, dann könne sie auch mit ihren frühverstorbenen Freunden zusammentreffen und sogar jenen, die hier die Magie verworfen haben, weil sie alles nur mit ihrem Verstand begreifen wollten, allmählich zur magischen Glückseligkeit verhelfen, auch nach der Trennung ihrer Seele vom Körper, sofern eine edle, untadelige Grundlage vorhanden sei.
So spielte Cagliostro mit der schwärmerischen Einbildungskraft der jungen Frau, mit dem Ziel, sie ganz für seine Zwecke einzunehmen, was ihm auch, wie er aus ihrer Miene las, zu seiner Zufriedenheit gelungen war. Um in diesem Gespräch auf der Rückfahrt noch eins draufzusetzen, schmeichelte Cagliostro ihr mit dem Hirngespinst, das ihr in ihrer damaligen Gemütsverfassung jedoch höchst glaubwürdig schien: Er könne ihr sogar noch Wunderbareres in Aussicht stellen. Wenn sie sich unermüdlich der Magie weihe, dann dürfe sie bald nicht nur den belehrenden Umgang mit Verstorbenen genießen, sondern werde auch von ihren Oberen zu geistigen Reisen auf die Planeten eingesetzt und anschließend zu einer der Beschützerinnen unseres Erdballs befördert, um dann später als eine bewährte Schülerin der Magie in noch höhere Regionen aufzusteigen.
Wäre Hofrat Schwander dieses Geschwätz zu Ohren gekommen, er hätte laut aufgelacht und sich über die Toren lustig gemacht, die einer so überspannten Phantasterei Glauben schenken. Dabei waren diese Narren keineswegs dumm und einfältig, sondern oft blitzgescheite Leute, die durch ihren unseligen Hang zur Schwärmerei den Stiftern geheimnisvoller Sekten auf den Leim gegangen waren. „Schwärmerei ist ansteckend wie Schnupfen“, hatte er einmal gesagt.
Ihr blindes Vertrauen in die magischen Vorspiegelungen eines Cagliostro hatte Elisa von der Recke aus der wahren in die ideale Welt versetzt. All ihre Träumereien, durch verschiedene Umstände begründet, hielt sie für beglückende Wahrheiten. Schuld an den Verirrungen des Verstandes war ihr alles beherrschender Wunsch nach Übernatürlichem.
2
Nicht erst seit dem Gespräch auf der Rückfahrt nach Mitau war Freifrau von der Recke für den großen Magier eingenommen, schon viel früher hatte er ihr überwältigende Beweise seiner Fähigkeit gegeben, in den Seelen der Menschen zu lesen.
Ganz besonders aber die Versammlung in Alt-Autz hatte sie völlig überzeugt, dass höhere Kräfte in seiner Gewalt standen. Cagliostro nannte ihr nicht nur die Namen jedes Zweiflers, sondern bei jedem einzelnen auch den Grund für das Misstrauen, wodurch sie sich trotz vieler guter Eigenschaften um das Glück brachten, Magier zu werden. Herr von Wichert, so behauptete er, lebe und sterbe geradezu für seine Lieblingswissenschaft. Solange aber die Seele sich allzu sehr einer Wissenschaft hingebe, fühle man zwar eine gewisse Befriedigung der edelsten Art, sei jedoch für die höheren Geister allzu irdisch gesinnt, als dass sich die Seele entfesseln und die Geister sie zu der Seligkeit führen könnten, für das Menschengeschlecht und für höhere Regionen tätig zu werden.
Sicherlich muss man alle Vernunft ausschalten, wenn die Seele sich mit Mystik und Magie beschäftigt, fand auch Elisa, und um das bei mir zu erreichen, hat er Wicherts Hang zur Wissenschaft getadelt. Als wolle er ihre Überlegungen noch unterstreichen, erteilte er ihr sogleich den Rat: Falls sie sich wirklich der Magie weihen wolle, dann müsse sie ihre allzu starke Neigung für die Dichtkunst, die sie ablenke, völlig unterdrücken. Denn die Seele dürfe sich nur dieser einzigen Sache allein widmen, wenn man bis zum höchsten Gipfel der Magie gelangen möchte. Doch sollte ihr die Dichtkunst lieber sein als die Magie, so wolle er ihr den gleichen Freundschaftsbeweis geben wie bereits früher der italienischen Dichterin Corinna. In dem Fall stelle er ihr einen Geist zur Seite, der ihrer Seele stets den höchsten Schwung verleihen und sie die poetischsten Wendungen lehren werde.
Auf ihre beschwörende Abwehr, ein solches Zugeständnis komme für sie nicht in Betracht, der Herr Graf solle sie nur der heiligen Mystik zuführen, gaukelte seine zustimmende Miene ihr seine Zufriedenheit mit ihrer Einstellung vor; in Wirklichkeit aber lachte er über die Törin, wie schon so oft, wenn er ihr in feierlichem Ernst Vorträge über die Magie hielt und sie dabei als gläubige Schülerin an seinen Lippen hing.
In seiner Abrechnung mit den Zweiflern kam nun die Rede auf Hofrat Schwander, der nur gelten lasse, was man rational fassen könne. Der Vernunft schenke er zu viel, den Geheimnissen der Religion zu wenig Glauben. Bei seinen vortrefflichen Anlagen des Herzens und des Geistes verdiene er zu Lebzeiten ihrer aller Hochachtung, und nach seinem Tod werde er gewiss selig werden. Dennoch werde er zu jener Glückseligkeit, die er bei seinem außergewöhnlichen Talent erlangen und verbreiten könne, nie emporsteigen, weil er im Grunde genommen keinen Glauben habe und mehr Beobachter als Teilnehmer der geheimnisvollen Mystik sei. Doch seinem von schwerer Krankheit gezeichneten Körper drohe ohnehin der baldige Verfall, und das mache ihn, da er nicht an die Magie glaube, noch unfähiger, mit höheren Geistern in Verbindung zu treten.
Elisa schwieg betreten, denn auch sie sah zu ihrem Leidwesen keine Möglichkeit, den väterlichen Freund zu bekehren. Ihr Vetter, fuhr Cagliostro fort, Herr von Medem auf Tittelmünde, brächte eigentlich die beste Veranlagung mit, wäre er nicht durch Schwanders schädlichen Einfluss für die Magie verdorben. Auch er wolle nur gelten lassen, was vor der Vernunft Bestand hat, obwohl diese Vernunft nicht erklären könne, welche Kraft die Magnetnadel nach Norden ausschlagen lasse, worauf allerdings auch seine Zuhörerin keine Antwort wusste, Naturwissenschaften waren nicht ihr Fach.
Cagliostro hob die Brauen, Unmutsfalten kräuselten seine Stirn, als er nun auf den Buchhändler Hinz zu sprechen kam, der eines seiner ersten und wichtigsten Gebote überschritten und sich dadurch auf immer und ewig aller Möglichkeiten beraubt habe, die erhabenen Gefilde der Magie zu betreten. Und warum? Aus Unglauben. Denn er habe es mit frecher Stirn gewagt, den Knaben über die Art der Erscheinungen zu befragen, die er ihren kleinen Vetter habe sehen lassen. Wäre Gabriel nicht schon seit einiger Zeit der Schutzgeist des Kindes und der ganzen Gesellschaft, so hätte Hinz sich höchst unglücklich machen und den Knaben um den Vorzug bringen können, jemals der Erscheinung guter Geister gewürdigt zu werden.
Elisas kleiner Vetter war von Cagliostro so gut abgerichtet worden, dass er ihm sogleich von den vergeblichen Bemühungen des Herrn Hinz berichtet hatte, ihn auszufragen. Da niemand etwas über die verschworene Gemeinschaft von Magier und Medium wusste, waren alle noch mehr irregeführt worden, weil der Knabe behauptete, bei jeder Sitzung wirklich alles gesehen zu haben, was er der Runde verkündet hatte. Wem kam es da schon in den Sinn, einem so wohlerzogenen, unschuldigen Kind mit solch wunderbarer Gabe zu misstrauen und es gar als Lügner zu verdächtigen! Musste man nicht vielmehr jetzt erst recht an die übersinnlichen Kräfte des großen Magiers glauben und sich jeder böswilligen Unterstellung schämen, einem plumpen Betrüger aufgesessen zu sein?
Nicht nur Elisa, auch andere waren mit Hinz höchst unzufrieden gewesen, als sie von der Geschichte erfuhren. Sie hatten ihre Meinung nicht hinterm Berg gehalten und ihm heftige Vorwürfe gemacht. Ein Glück, dass der Herr Graf dank seiner Langmut und Weisheit das Unheil abgewendet hatte, das daraus hätte entstehen können. Dem pflichtete Cagliostro aus tiefster Seele bei, konnte er doch nicht oft genug wiederholen, wie entsetzlich die Not und Plagen seien, die über alle hereinbrächen, falls sie seine Befehle nicht genau befolgten, besonders wenn jemand es wage, den Knaben auszuhorchen. Durch solche Warnungen und Drohungen heizte Cagliostro die Einbildungskraft seiner Gläubigen immer mehr auf. Ihre Gier auf alles, was er ihnen vorzugaukeln versprach, wuchs ständig so, wie ihr Urteilsvermögen abnahm, die Wahrheit zu erkennen, so deutlich sie auch zutage lag.
Einen Heiden wie Hinz spornte diese erneute Einschüchterung erst recht dazu an, den Magier herauszufordern und als Betrüger bloßzustellen, wofür er ihn ohnehin seit langem hielt. Die Gelegenheit bot sich ihm schon bald, als Cagliostro wieder eine seiner mystischen Vorlesungen hielt. Nachdem der Meister den magischen Kreis um die erlauchte Gesellschaft gezogen und mit dem Degen in der Hand Ernst, Andacht und Stille geboten hatte, legte er in seiner üblichen hochtrabenden Art los, als habe er der Menschheit die letzte Weisheit zu verkünden. Aber er traute seinen Ohren nicht! War es das eigene Echo, das ihm da entgegenschallte, oder gar das Höchste Wesen, das die gleichen Worte sprach wie er? Nein, es war Herr Hinz, der Ketzer und Skeptiker, der mit lautem Seufzen und in possenhaftem Tonfall alles nachzuplappern versuchte, was der erhabene Lehrer von sich gab. Wie aus allen Himmeln gerissen, sprang Cagliostro auf, warf Tisch und Stühle um und gebot allen, das Zimmer zu verlassen, wenn sie durch die bösen Geister nicht zerschmettert werden wollten. Er selbst stürzte Hals über Kopf hinaus, allen anderen voran, die ganze Gesellschaft folgte ihm auf den Fersen. Von Krämpfen geschüttelt, warf er sich in einen Lehnstuhl, behielt aber seinen Degen wohlbedacht in der Hand - man konnte ja nicht wissen, mit wem man noch zu kämpfen hatte! -, und befahl allen unter ebenso fürchterlichen Drohungen wie Zuckungen, sich schleunigst von ihm zu entfernen, weil jeder, der sich ihm nahe, durch Dämonen ins Unglück gestürzt werde.
Sein Wort war ihnen Befehl: Sie verließen ihn allesamt - bis auf Herr von Medem aus Tittelmünde, der im Gegenteil ganz nahe an ihn herantrat, vor ihm stehenblieb und ihn sogar an jener Hand fasste, mit der Cagliostro den Degen hielt, um sofort eine Waffe ergreifen zu können, falls das Heer der Dämonen sich erdreisten werde, über ihn herzufallen.
„Kommen Sie zu uns hinaus, mein Herr, wenn Sie nicht des Todes sein wollen“, rief Serafina ihm aus sicherer Entfernung von der Tür aus zu, „ich beschwöre Sie!“
„Halten zugute, Gnädigste“, erwiderte der Ritter ohne Furcht und Tadel, „ich gebe mich ganz in die Hand der guten und bösen Geister, denn ich weiche nicht eher von der Seite des Herrn Grafen, bevor ich sehe, wie es mit ihm und seiner Ohnmacht weitergeht.“
Herr von Medem wagte es also, das strenge Gebot zu übertreten und den dringenden Warnungen des Cagliostroschen Ehepaares nicht zu folgen. Aus einem früheren Vorfall dieser Art wusste er, dass der Meister in einer solchen konvulsivischen Ohnmacht, die er aufopferungsvoll für alle erlitt, nach eigenem Bekunden einen schweren Kampf mit den bösen Geistern ausfocht. Neugierig, wie es diesmal ausgehen werde, blieb er wie ein Turm in der Schlacht bei dem Wundermann stehen, bis dieser es für gut befand, ohne Blessuren aus dem Jenseits ins Diesseits zurückzukehren. Trotz seines Ungehorsams wurde dem mutigen Schüler von den Dämonen kein Haar gekrümmt, und auch der Spötter Hinz, der die gefährliche Heimsuchung ausgelöst hatte, erlitt keinen Schaden durch die bösen Geister. Obwohl das Ereignis deutlich genug zeigte, dass Cagliostro die Mitauer Gesellschaft allein durch leere Drohungen in Schach hielt, damit sie aus Furcht seinen Betrug nicht merken sollte, waren die meisten noch immer verblendet genug, dies nicht einzusehen.
3
Die Zeit, die Cagliostro nun in Mitau zubrachte, widmete er ausschließlich seinen Anhängern, die beständig um ihn versammelt waren. Ihrem Wunsch, noch einige Freunde in ihren Kreis aufzunehmen, widersetzte er sich mit der Begründung, keinem Fremden mehr den Beitritt zu gestatten. Mit viel Mühe gelang es ihnen dennoch, Herrn von Bassewitz dem Magier vorzustellen, der ihn, zur Freude aller, wohlwollend behandelte. Doch lud er ihn nie zu den Gesprächen ein, die er mit der erlauchten Teilnehmerrunde über die verschiedenen Klassen der Magie führte.
Nach drei Wochen reisten alle wieder nach Alt-Autz, weil Cagliostro selbst noch vor seinem Aufbruch nach Sankt Petersburg Elisas Stiefmutter sowie weitere Mitglieder in die Loge d’Adoption aufnehmen wollte, um jene, die sich zur Magie eigneten, allmählich in die heilige Mystik einzuweihen. Nachdem allen neuen Mitgliedern der dritte Grad verliehen worden war, bat Elisas Tante den großen Magier, Herrn von Bassewitz auch an einer Beschwörung teilnehmen zu lassen. Zunächst sträubte er sich noch, gab dann aber endlich nach und eröffnete der Gesellschaft, im Beisein aller Ordensmitglieder eine Beschwörung zu machen, die ihm über einige von ihnen Aufschluss geben solle sowie auch über seinen künftigen Aufenthalt in Petersburg, seinem nächsten Ziel.
Sobald er allen ihre Plätze angewiesen und das Kind hinter den Wandschirm gestellt hatte, hielt er eine weitläufige Rede, ermahnte alle zu Treue und Eifer in ihrem Wirkungskreis und zeigte ihnen die Gefahren der Magie auf, aber auch deren wohltätige Einflüsse in der gesamten Schöpfung. Danach leitete er seine Beschwörung mit den üblichen Zeremonien ein. Der Knabe hatte wiederum dieselben Erscheinungen wie schon zuvor in Wilzen und vor einem Monat in Alt-Autz.
Neu war nur, dass Cagliostro völlig unerwartet Elisa von der Recke aus dem magischen Kreis herauswinkte, sie niederknien hieß und ihr mit bannendem Blick die magische Uhr zu halten gab. Mit dieser Inszenierung wollte er schon im Keim ihre Zweifel ersticken, die sie ihm gestanden hatte, als vor Wochen Herr von der Howen über den magischen Kreis getreten war. Es gelang ihm auch, wie er aus ihrem Verhalten schloss, und um sie in ihren Träumereien noch zu bestärken, sparte er nach der Sitzung nicht mit Lobhudeleien über ihren Hang zur Magie und ihren Glauben an seine Kraft. Er gab ihr zudem die Hoffnung, zu den Zweiundsiebzig aufzusteigen und damit des Glücks teilhaftig zu werden, bald mit höheren Fähigkeiten ausgestattet zu sein.
Der große Augenblick war gekommen. Cagliostro richtete seine erste Frage an das Medium hinter dem Wandschirm: „Sagen Sie, was Sie jetzt sehen.“
„Ich sehe meine Tante Elisa vor mir auf den Knien liegen“, antwortete der Kleine, „mit einer Uhr in der Hand.“
Cagliostro nickte und fuhr mit der Befragung fort. Außer den gewöhnlichen Erscheinungen, die der Knabe zu sehen vorgab, erschien ihm auch noch ein Geist. „Er trägt ein langes, weißes Gewand, eine goldene Krone auf dem Haupt, und vor der Brust erkenne ich ein rotes Kreuz.“
„Fragen Sie den Geist nach seinem Namen.“
„Wie heißt du, Geist?“, wollte der Knabe wissen, und da der Geist nicht antwortete, bat er ihn erneut: „Nenne mir deinen Namen.“
Da der Geist beharrlich schwieg, erkundigte sich Cagliostro nach einer Weile: „Nun, was ist? Hat der Geist Ihnen seinen Namen nicht genannt?“
„Nein!“
„Warum nicht?“
„Weil er ihn vergessen hat.“
Die Stimme des Knaben klang kleinlaut und bänglich, denn nicht der Geist hatte seinen Namen vergessen, sondern der Knabe, der deswegen den Tadel des Magiers fürchtete. Noch ehe die Sitzungsteilnehmer aus der Panne Argwohn schöpfen konnten, hatte Cagliostro sich schon geistesgegenwärtig gefasst, stampfte heftig mit den Füßen auf den Boden, machte mit dem Degen allerlei Figuren in der Luft und redete mit fremdklingender Stimme in einer fremden Sprache, so schien es den meisten, den anderen klang es mehr nach unbekannten Wörtern. Was aber alle heraushörten, war „Helion, Melion, Tetragrammaton“, da er diese Ausrufe oft wiederholte. Eng vertrauten Logenmitgliedern, darunter Freifrau von der Recke, hatte er diese Wörter für arabisch ausgegeben, was auch alle glaubten, da niemand diese Sprache kannte.
Nach diesen Rufen in die Geisterwelt bat Cagliostro die Anwesenden um äußerste Ruhe, Andacht und Ernst. Dann trat er feierlichen Schritts hinter den Schirm, wo das Kind stand, und obwohl ihn dort niemand sehen konnte, schlossen alle aus dem Papiergeraschel und dem Kritzeln des Federkiels, dass er hastig etwas niederschrieb. Einige hätten schwören können, ein Beben unter den Füßen zu spüren und ein seltsames Geräusch zu hören, als rolle etwas auf dem Boden umher; zwei fühlten sogar, wie ein Unsichtbarer sie am Ärmel zupfte: Was hört und sieht überspannte Einbildungskraft nicht alles!
Aber auch für die anderen, die nichts dergleichen wahrnahmen, war die Luft zum Zerreißen gespannt, als Cagliostro mit ernster Miene wieder in den magischen Kreis trat und aufs Neue einigen Geistern sich zu zeigen gebot. Auf diese Weise wurde auch Herr von Bassewitz dem Knaben vorgeführt¸ der zum Schluss noch über die Erscheinung eines schwarzgekleideten, alten Mannes berichtete.
Alle standen noch unter dem Bann des Erlebten, als Cagliostro gleich nach der Beschwörung eine kurze Ansprache hielt:
„Ihr, meine lieben Schwestern und Brüder, wart soeben Zeugen eines ungewöhnlichen Vorfalls. Unter euch ist ein Judas, der mich verraten und schädigen will. Das ist mir in dem Augenblick klargeworden, als der Geist verstummte und uns seinen Namen verschwieg. Ich möchte nicht darüber reden, wie sehr mir diese Entdeckung das Herz zerreißt. Nicht um mich ist mir angst und bange, sondern um den Unglücklichen, der an mir zum Verräter wird. Ich stehe unter der Obhut des großen Baumeisters der Welt, und die Macht, die einen Mann wie Petrus aus dem doppelt bewachten Kerker befreit hat, wird auch mich beschützen, wenn der Verräter und meine Feinde mich zu Staub zermalmen wollen. Aber keine Gewalt vermag den Unglücklichen, der verblendet genug ist, sich wider mich zu erheben, vor dem Untergang zu bewahren. Bedauern und beweinen werde ich seinen Sturz ins Verderben, doch retten kann auch ich ihn nicht. Aber ihr, die ihr im Guten verharrt, vereinigt eure Gebete mit den meinigen, bittet für jenen, der sich unter euch dem Verhängnis naht, und betet auch für mich, damit ich allen Versuchungen, mit denen der Urheber des Bösen mich verführen will, ausweichen und meiner bevorstehenden Verwandlung entgegengehen möge.“
Wie in den verstörten Gesichtern seiner Zuhörer zu lesen war, hatte der Betrüger es geschafft, den ihn entlarvenden Zwischenfall zu seinem Vorteil umzubiegen. Indem er sie mit dem drohenden Verrat und dem daraus folgenden Unheil einschüchterte, lenkte er sie davon ab, über das Missgeschick des Knaben mit dem Geist weiter zu grübeln. Sollte wider Erwarten jemand seine Schwindeleien aufdecken, so wollte er ihm durch die Furcht, sich selbst ins Unglück zu stürzen, von vornherein den Mund stopfen. Falls dennoch ihm selbst oder einem der weniger Gläubigen etwas zugestoßen wäre, so hatte er dafür schon den Ausspruch vorbereitet, alles über sein Schicksal oder das eines anderen gewusst und vorhergesagt zu haben, was den Glauben seiner Jünger an ihn noch mehr gestärkt hätte.