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Noch vor den monatelangen Untersuchungen ab Februar 1777, die dem eigentlichen Gerichtsverfahren vorausgingen, hatte Cagliostro Verbindung zu den Londoner Freimaurern aufgenommen, die ihre Herkunft von den im Mittelalter blühenden Geheimbruderschaften ableiteten. Die englische Fraternity of Freemasons, deren Mitglieder sich aus Adligen und Geistlichen, Reichen und Intellektuellen, Katholiken, Protestanten und Juden zusammensetzte, knüpfte an den Geist der Bauhütten an, von denen sie ihre Symbole und Werkzeuge herleitete: Hammer, Zirkel, Winkelmaß. Über ihr Wirken gab es geteilte Meinungen: Während die einen der geheimen, weitverzweigten Gesellschaft nur sittliche und wohltätige Zwecke nachsagten, hielten andere sie für gemeingefährlich.

In der Freimaurerei, nicht nur in London, gab es zahlreiche abergläubische Phantasten und Schwärmer, die darauf hinarbeiteten, in nähere Gemeinschaft mit Gott zu treten, und zwar über die Geisterwelt, die den Verkehr zwischen Gott und den Menschen vermittelte. Mit dieser Schwärmerei wurden das Rosenkreuzertum und Swedenborgs Theosophie zu einem magischen Unfug verquickt, der in der Weisheit gipfelte, die Welt stehe in der Gewalt von Geistern, die stufenweise in ihrer Macht aufeinander folgten, das heißt, wer unten stehe, sei dem Höhergestellten untertan, und die Geister der höchsten Stufe vollzögen nur die Befehle Gottes. Je nach dem Grad seiner Tugend könne der Mensch mit allerlei mystischen Handlungen und Formeln, mit Kreuz, Dreieck und Zirkel, Macht über die Geister der einzelnen Stufen ausüben. Wer so begnadet war, dass ihm sogar die Geister einer der höchsten Stufen gehorchten, der vermochte Tote zu zitieren, besaß die Gabe des Hellsehens und verstand sich auch auf die hohe Kunst, die Materia prima, den Urstoff, zu bereiten, ein Geheimnis, das nur solchen zuteil wurde, die in der Tugend den höchsten Stand der Vollkommenheit erreicht hatten. Es bestand darin, mit Hilfe Gottes und seiner mächtigsten Geister der obersten Stufe durch chemische Vorgänge Quecksilber in festes Silber zu verwandeln und dieses dann zu Gold - ja, mit der Materia prima ließ sich überhaupt aus allen Metallen Gold machen.

Solche Phantastereien, die in den Londoner Logen die Köpfe erhitzten, kamen Cagliostro sehr gelegen, und deshalb setzte er alles daran, in die Brudergemeinde aufgenommen zu werden. Am zwölften April war es dann soweit. Bei einer Festlichkeit der Loge Hoffnung wurde er in die Bruderschaft der Freimaurer aufgenommen und gelobte, „in Gegenwart des Großen Baumeisters aller Welten, in Anwesenheit meiner Oberen und der verehrungswerten Versammlung, in der ich mich befinde, alles zu tun, was mir meine Oberen befehlen: So verpflichte ich mich bei Strafe, blindlings zu gehorchen, ohne zu versuchen, das Motiv ihrer Befehle zu ergründen und das Geheimnis der Mysterien, in die ich eingeweiht werde, weder durch Worte noch durch Gebärden noch durch meine Niederschrift zu entdecken.“

Erfolgreich unterzog er sich der Feuer-, Luft- und Erdprobe sowie dem kleinen Aderlass aus der Vene des linken Arms, die zum Ritual gehörten. Er wurde eingeweiht in die Legende von Hiram, legte sich in den Sarg des Osiris und gab zu verstehen, dass er die Zeichen, Symbole und Riten kannte. Als ihm der Ehrwürdige die schwarze Binde von den Augen nahm, wurde dem Neuerwählten bewusst, dass er in die brüderliche Familie der Geheimgesellschaften des heiligen Johannes eingetreten war. Der Weihrauch, die Inszenierung, der Schein der unzähligen Kerzen, die das Dunkel des reich geschmückten Saales erleuchteten, erfüllten ihn mit Stolz und Glück. Ein Wonneschauer durchrieselte ihn, als ihm der Ehrwürdige die Hände auf die Stirn legte und erklärte: „Mit meinem Odem weihe ich Euch zu einem neuen Menschen, einem Menschen, der nichts gemein hat mit dem, der Ihr bis zum heutige Tag gewesen seid, zu dem, der Ihr von nun an sein sollt!“ Unter Worten des heiligen Johannes wurde ihm dreimal Atem eingehaucht, und er erhielt drei Schwertschläge auf die rechte und linke Schulter sowie aufs Haupt.

Mit Cagliostros Aufnahme in den Londoner Freimaurerorden trat ein Wendepunkt ein. Aus einem gewöhnlichen Gauner und Zuhälter sollte schon rasch ein Mysterienschwindler größten Stils werden, der für sich eine neue Quelle des Betrugs entdeckt hatte. Ein Leben voller Glanz und Ruhm lag vor ihm, er musste es nur geschickt anfangen. Nicht nur dass er seinen richtigen Namen Balsamo abgelegt und sich Cagliostro genannt hatte, er erhob sich auch selbst in den Adelsstand mit dem stolzen Titel eines Grafen und kürte standesgemäß seine Frau zur Gräfin Serafina, denn mit einer gewöhnlichen Lorenza Feliciani konnte er sich natürlich nicht länger abgeben. Mit Bewunderung sprach man in London, vor allem in Freimaurerkreisen, über die geheimnisvolle Herkunft dieses adligen und reichen Fremden aus Malta, wozu übrigens auch andere Versionen im Umlauf waren, ebenso wie über seine bildenden Lebensjahre auf der Insel im Mittelmeer, rühmte seine außerordentliche Gabe des Hellsehens und die Fähigkeit, mit Hilfe kabbalistischer Berechnungen die Gewinnzahlen in der Lotterie vorherzusagen, Gold herzustellen und Brillanten zu vergrößern.

Nachdem er bei einem Buchhändler zufällig einige Schriften eines gewissen George Cofton über die ägyptische Maurerei aufgestöbert hatte, begann er die gewöhnlichen Londoner Logen nach diesem ägyptischen Ritus umzugestalten und durch selbsterfundene Regeln, Praktiken und Lehren allmählich sein System zu entwickeln, das ihn am meisten in der Welt berühmt machen und ihm den größten Gewinn für seine Schwindeleien bringen sollte. Wie sehr er durch die Reformen die Menge verblendete, überraschte selbst ihn, und die Zahl der Anhänger, die sich um ihn scharten und ihn als Haupt und Meister anerkannten, wuchs von Monat zu Monat. Sein Auftreten, seine Lebensart, seine Reden trugen viel dazu bei, den Fanatismus anzufachen, der wie eine Seuche um sich griff. Als überzeugter Reformator zeigte er denen, die ihn in ihre Weisheit einweihen wollten, dass sie selbst der echten Weisheit entbehrten: „Euer Orden ist von seiner ursprünglichen Bestimmung abgewichen und hat damit zugleich seine ursprüngliche Reinheit verloren. Eine Rückkehr, eine Wiedergeburt ist damit dringend geboten. Ich, meine Brüder, bin berufen, die Versunkenen wieder zu erheben und zum uralten ägyptischen Ritus zurückzuführen, da aus Ägypten der Freimaurerorden hervorgegangen ist, wie ich durch eigene Studien des in den Pyramiden aufbewahrten Geheimwissens herausgefunden habe.“

Seit Cagliostro in London mit der ägyptischen, die „wahre“ Freimaurerei gestiftet hatte, errang er als Hüter solcher Logen und Verwalter der tiefsten und ältesten Geheimnisse in diesen Kreisen überall eine hervorragende Stellung. Der sizilianische Gauner und Zuhälter hatte seinen wahren Beruf entdeckt.

Eine glänzende Zukunft in England schien ihm bevorzustehen, als ihm Miss Fry und ihr Liebhaber Mister Scott einen dicken Strich durch die Rechnung machten. Die Untersuchung der von ihnen vorgebrachten Anklagepunkte - Brillantenhalsband, Goldschatulle, Magie, ein nicht zurückgezahltes Darlehen und Gelddiebstahl - hatten zur Verhaftung von Cagliostro und seiner Frau geführt, doch waren sie bereits am nächsten Tag gegen eine Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt worden. In den folgenden Wochen kam es unentwegt zu Verhören und Haussuchungen und Anfang Juli schließlich zur gerichtlichen Vorladung der streitenden Parteien. Cagliostro, kaum des Englischen mächtig, konnte weder einen Zeugen stellen noch seine Unschuld beweisen. Durch Gerichtsbeschluss musste er das Diamantenhalsband und die Goldschatulle, die ihm angeblich Miss Fry geschenkt hatte, wieder herausrücken. Von der Zauberei, dem Diebstahl von zweihundert und der Schuld von weiteren hundertneunzig Pfund Sterling dagegen wurde er mangels Beweises freigesprochen, zumal er und Lorenza mit einem Meineid beschworen, niemals Geld von den Klägern erhalten zu haben. Die Gerichtskosten hatte er jedoch allein zu tragen.

Kaum wieder auf freiem Fuß, machte ein Bekannter, der die Bürgschaft für ihn übernommen hatte, einen Rückzieher. Cagliostro wurde unter Aufsicht gestellt, bis sich ein anderer Bürge für ihn fand, und musste einen weiteren Monat hinter Gittern.

Noch bevor im November das Urteil öffentlich verkündet wurde, hatte er schon den Entschluss gefasst, England zu verlassen, um etwaigen weiteren Scherereien und Verfolgungen aus dem Wege zu gehen. Seinen Bekannten, vor allem seinen Logenbrüdern gegenüber, denen er sich als unschuldig Verfolgter ausgab, erklärte er, ein Land, in dem Gerechtigkeit, Dankbarkeit und Gastfreundschaft derart mit Füßen getreten werden, nie mehr betreten zu wollen.

Der Magier und die Halsbandaffäre

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