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In letzter Zeit war Hofrat Schwander so krank, dass er an den Versammlungen nicht teilnehmen konnte. Dennoch wusste er Bescheid über alles, was sich dort zutrug. Der Vorfall neulich und Elisas Reaktion darauf waren ihm äußerst willkommen. Er betrachte das alles als eine Art Seelenarznei für sie, bekannte er, als Elisa ihn aufsuchte, als ersten Schritt auf dem Weg der völligen Heilung. Sie jedoch dämpfte seine Hoffnung: Er solle sich keine Illusionen machen, sie wolle nur nichts mehr von Cagliostro wissen. Dagegen wandte ihr väterlicher Freund ein, sich nicht sofort anmerken zu lassen, was sie von Cagliostro halte. Denn würde sie ihn meiden, dann könnte er ihren Starrsinn als Ursache für alle möglichen Fehlschläge auslegen. Weil sie sich von ihm abgewandt habe, ihm den Gehorsam verweigere, sich ihm widersetze, könne der magische Schatz nicht gehoben werden, überhaupt all die Verheißungen, die er verkündet hat, seien nun hinfällig geworden, und das nur wegen ihrer Widerspenstigkeit. Das alles sei im Grunde genommen noch nicht mal so schlimm, es werde ja sowieso nichts daraus. Doch was wäre die Folge für sie und wahrscheinlich auch für ihre Familie? Sie würde sich Feinde machen, Feinde unter den Eingeweihten, unter Freunden. Ob sie das wolle?

Sich Feinde machen wollte Elisa keineswegs, doch was sei die Folge solcher Rücksichtnahme? Auch sehr vernünftige Leute, die eine Täuschung, einen Betrug erkennen, trauen sich nicht, den Schwindel aufzudecken. Deswegen würden ja auch so viele Beutelschneider und Scharlatane nicht entlarvt und könnten, sehr zum Schaden der Vernunft, immer weiter ihr schändliches Gewerbe betreiben und die Pläne ihrer Oberen wie auch ihre eigenen verwirklichen.

Damit sprach sie dem Hofrat aus dem Herzen, und trotzdem bat er sie, weiterhin zu Cagliostro zu stehen. Denn würde sie ihm und dem Mitauer Kreis den Rücken kehren, so könne sie dadurch auch verhindern, dass dem Magier die Maske abgerissen und der Wundermann mit der Zeit endlich als Gauner bloßgestellt werde, der allen Leichtgläubigen mit Taschenspielereien den Kopf verwirrt, ihnen Luftschlösser vorgaukelt und das Blaue vom Himmel verspricht, ohne je etwas davon erfüllen zu können.

Durch Schwanders Vorstellungen und die Bitten ihres Vaters bewogen, rückte sie von ihrem Entschluss ab und ließ sich wieder bei der nächsten Vorlesung blicken. Diesmal trug der bewunderte Geisterbanner und Zauberpriester erneut hohe Lehren der Magie vor, die Elisas Zweifel an ihm zu zerstreuen begannen, je mehr er mit seinen Anschauungen ihre Einbildungskraft entfaltete und ihr Bestreben nach überirdischen Kräften weiter stärkte.

Mit seiner Bauernschläue und dem Gespür für seelische Regungen war es Cagliostro nicht entgangen, wie unvorsichtig er gehandelt hatte. Da es wichtig für seine Pläne war, Elisa auch weiterhin auf seiner Seite zu wissen, versuchte er ihr Vertrauen zurückzugewinnen. Um die Unstimmigkeiten aus dem Weg zu räumen, tischte er ihr so manches auf, was Hanachiel ihm angeblich alles von ihr und ihren Gedanken über ihn offenbart habe: in ihren Augen erneut ein Beweis für seine Kraft, in den Seelen der Menschen lesen zu können.

Wie schon bei früheren Gelegenheiten warnte er sie, mit niemandem über ihr Gespräch zu reden, kein Wort nach draußen, es könne böse Folgen haben. Doch auch Elisa machte sich Sorgen, nicht um sich selbst, sondern um sein Seelenheil, und beschwor den Herrn Grafen, wachsam zu sein und sich vor sich selbst zu hüten, damit er nicht ein Opfer der Nekromantie werde, was er verwundert zur Kenntnis nahm. Sie solle ganz ruhig sein, seine guten Geister würden ihn schon beschützen. Wenngleich niemand, fügte er vielsagend hinzu, aber auch niemand davor gefeit sei, von bösen Geistern versucht zu werden und vom guten Prinzipium abzufallen.

Ihre Besorgnis stand ihr noch immer ins Gesicht geschrieben, ja sie schien eher noch gewachsen, als sie, ihm ernst und entschlossen in die Augen sehend, erklärte, ihn und seine Frau auf der Reise nach Sankt Petersburg nicht begleiten zu können, weil er ihr gerade erst selbst gestanden habe, dass auch er nicht davor geschützt sei, von bösen Geistern versucht zu werden und vom guten Prinzipium abzufallen. Sie wolle sich nicht in die Gefahr begeben, in einem fremden Land in ständigem Umgang mit einem Magier zu leben, der von den Dämonen überwunden werden könne. Doch zugleich verspreche sie ihm: Sollte die Zarin Katharina in ihrem Reich die Schirmherrschaft über die Loge d’Adoption übernehmen und sich in die Magie einweihen lassen, und sollte ferner sie von ihr zur Stifterin der dortigen Loge berufen werden, dann sei sie bereit, mit ihrem Vater, ihrem Vorgesetzten und noch einem Bruder und einer Schwester nach Petersburg zu kommen.

Cagliostro wandte all seine Beredsamkeit auf, sie dennoch zur Reise mit ihm zu bewegen, wobei er ihr zum wiederholte Male den Nutzen für ganz Kurland vor Augen führte, wenn er die erhabene Monarchin aller Russen als Beschützerin der Loge d’Adoption aufnähme, als deren Stifterin er Elisa vorgesehen habe. Seit Wochen war sein Bestreben darauf gerichtet, ihren wohlgemeinten Hang zur Schwärmerei für seine Absichten zu nutzen, ihre Seele durch immer höhere Erwartungen zu spannen und sich ihr als Wundertäter darzustellen: all das mit dem einzigen Ziel, in Petersburg leichteren Eingang bei denen zu finden, die zur Wundersucht neigten und ihn mit offeneren Armen empfangen würden, wenn er außer den Empfehlungen verschiedener Freimaurerlogen auch noch eine Dame aus einem angesehenen Haus in seiner Begleitung mitbrächte. Mit ihrer Hilfe hoffte er noch mehr Anhän-ger, Männer wie Frauen, zu gewinnen. Als Patriot hatten sich auch Elisas Vater und noch einige andere von den verlockenden Vorteilen für das gesamte polnische Lehnsherzogtum Kurland, die Caglio-stro ihnen vorspiegelte, dazu bewegen lassen, sie zur Reise mit dem Magier und seiner Frau aufzufordern. Doch das alles übte nun bei Elisa keine Wirkung mehr aus, wie der Magier erkennen musste, der sich schließlich, als er einsah, dass ihr Entschluss unwiderruflich war, mit ihrer Erklärung abzufinden schien. Dennoch gab er sein Ziel nicht auf und versuchte sie nun mit einem anderen Köder zu locken. Um ihre Phantasie weiter zu beflügeln und ihr mit seinen profunden Kenntnissen der Magie den Kopf zu verdrehen, kündigte er mit hochwichtiger Miene an, als wolle er ihr das tiefste Geheimnis aller Geheimnisse der Welt offenbaren, ihr über Dreieck und Zirkel bedeutsame Aufschlüsse anvertrauen.

Und schon legte er los, dass er in seinem eigenen Überschwang fast erstickte. Wie Felsbrocken bei einem Steinschlag so prasselten magisch klingende Namen, Zahlen, Formeln in solcher Fülle auf sie herab, dass sie sich schon bald wie zugeschüttet fühlte und nicht mehr wusste, wie sie sich da je wieder herausfinden sollte. Statt die versprochene Aufklärung zu erhalten, verwirrte sich ihr Geist immer mehr im Gedankengestrüpp, bis sie dann endgültig den Faden verlor und am Ende nichts anderes mehr wusste, als dass Cagliostro ein Dreieck und darin eine kreisrunde Figur eingezeichnet hatte, die er immerzu nur Zirkel nannte. In den Kreis schrieb er den Namen Gabriel, ferner Jturiel, Raphael und Gamakiel auf die Schenkel des Dreiecks sowie Elias, Christus und Moses an die Ecken außen und innen Uriel, Hanachiel und Michael. Dazu sprudelte er mit großer Inbrunst viel unverständliches Zeug hervor, das seine schon reichlich angeschlagene Zuhörerin jedoch für tiefe Weisheit hielt, in der Hoffnung, in naher Zukunft werde ihr schon ein Licht aufgehen.

Mit seinem allumfassenden Wissen prahlend, sagte Cagliostro ihr auch viel Nebelhaftes und Unbegreifliches über das Geheimnisvolle und Heilige der Zahlen in den beiden geometrischen Figuren. Dreieck und Zirkel, die drei Vorsteher unseres Erdballs und die sieben Hauptgeister würden zusammen eine Zwölf ergeben und ständen in geheimer Beziehung zu den zwölf Aposteln der wahren Freimaurerei.

Doch das war nur der Anfang seiner Zahlenmystik und bis dahin auch noch leicht zu begreifen. Schwieriger wurde es schon, als er nun in die geometrischen Figuren Ziffern anstelle der Namen eintrug - und zwar die Eins in den Zirkel, innen in die Ecken des Dreiecks die Zwei, die Drei und die Vier und an die Außenecken die Fünf, die Sechs und die Sieben - und dann in seinem wirren Kauderwelsch erklärte, dass man damit eine Anspielung auf die Zweiundsiebzig habe, weil die in Zirkel und Dreieck stehenden Ziffern die Zahl Sieben ergäben, und man dabei an unsere sieben Planeten denke, die dereinst Wirkungskreise für die Zweiundsiebzig werden, wenn sie zur Zahl Zwölf gelangt und aus dieser in höhere Regionen hinaufgehoben würden. Zirkel und Dreieck müsste man zur Zahl Sieben als Zahl Zwei nebenan setzen, dann habe man die Zahl Zweiundsiebzig. Aber zähle man zur Zahl Sieben noch Zirkel und Dreieck als Zahl hinzu, dann würde aus Zwei und Sieben die geheimnisvolle Zahl drei mal drei, deren Kraft und Aufschluss nur den zwölf Untergeordneten des Elias ganz verständlich sei und eine tiefe Weisheit enthalte. Das waren nur Bruchstücke von den vielen Absurditäten, mit denen er ihr den Kopf heißredete, und ob sie das Wenige, was sie davon überhaupt aufzuschnappen vermochte, auch wirklich richtig behalten hatte, wusste sie hinterher genauso wenig: viel Geschrei und wenig Wolle.

Der Magier und die Halsbandaffäre

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