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Geisterbeschwörungen 1

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Am nächsten Morgen erfuhren die Teilnehmer des magischen Experiments, dass tatsächlich alles so geschehen war, wie Cagliostro es ihnen verkündet hatte. Für Elisa grenzte es ans Wunderbare, dass er von der Stadt aus genau die Stunde angeben konnte, in der Herr von Golshagen auf seinem Landgut erkrankt war. Hofrat Schwander dagegen hielt das alles für völlig natürlich, weil Cagliostro ihm wahrscheinlich unbemerkt ein Mittel verabreicht hatte, das nach einer bestimmten Zeit auf den Organismus einwirkt, etwa ein Gift, das er ihm zum Beispiel mit dem Schnupftabak zugeführt haben könnte, wie übrigens auch Herr Hinz dachte, mit dem er sich kurz zuvor darüber unterhalten hatte.

Der Hofrat erinnerte Elisa daran, dass Cagliostro bei seiner Ankunft vor zwei Tagen mit Golshagen zu Mittag gegessen und sich anschließend geradezu wütend über ihn geäußert hatte, als sei er durch ihn beleidigt worden. „Dieser Mann soll meine Macht zu spüren bekommen, ich werde ihn für seine Unverschämtheit bestrafen!“ Genau das waren seine Worte gewesen.

Elisas Deutung, Cagliostro habe ihn durch die Macht der Magie bestrafen wollen, nicht durch ein Mittel im Schnupftabak oder in etwas anderem, wies Schwander als unnatürliche Erklärung zurück, da doch alles so natürlich sei, so beispielsweise auch Cagliostros Prophezeiung, Doktor Niemeyer werde den Kranken aufsuchen, denn alle wüssten, dass Golshagen nie einen anderen Arzt nehme. Mit Hellsehen, mit Magie oder gar mit Geistern habe das nicht das Geringste zu tun, was auch für den gegenseitigen Austausch von Küssen zwischen Elisas kleinem Vetter und der Erscheinung gelte. Der Junge habe einfach seine eigene Hand geküsst, und zwar so oft, wie jedes Mal erforderlich: Schwindel, nichts als Schwindel - genau wie die Bewusstlosigkeit des großen Magiers. Noch nie habe er einen Schauspieler gesehen, der eine Ohnmacht so überzeugend auf die Bretter gelegt hatte wie Cagliostro, womit er alle das Fürchten lehren wollte: Die Zuschauer bei seinen Geisterbeschwörungen sollten künftig unbedingt an ihre Plätze gefesselt bleiben, sozusagen mit dem Schrecken im Nacken, aus Angst vor drohenden Gefahren. Er wollte sie außer Gefecht setzen, mit wachen Sinnen alles ruhig zu beobachten und ihm so womöglich auf die Schliche zu kommen. Denn da die Dämonen sogar dem Geisterbeherrscher so übel mitspielten, sollte ihnen allen vor Augen geführt werden, was wohl ihr Schicksal gewesen wäre, hätte er sie nicht durch seine Macht gerettet. Hatte er ihnen nicht versichert, mit den bösen Geistern schwer gerungen und seine Ohnmacht mit heftigen Krämpfen und Zuckungen für sie erlitten zu haben, weil sie sonst alle unglücklich geworden wären? Wer ihm von Anfang an auf den Leim gegangen sei, der lasse sich durch solche Gaukeleien nur allzu widerstandslos einschüchtern, künftig seine Anweisungen strenger zu befolgen und nur ja nicht zu versuchen, seine Betrügereien zu entlarven. Es sei ihm unverständlich, wie Elisas Onkel und Schwägerin, ihren jüngsten Sohn einem solchen Scharlatan als Medium anvertrauen könnten.

Auf Elisas Erklärung, sie halte es für eine Auszeichnung, als Mittler zwischen uns Irdischen und den Geistern auserwählt zu sein, entgegnete Schwander, als Komplize eines Betrügers abgerichtet zu sein heiße für ihn, ein unschuldsvolles Kind zu verderben. Zwar wusste auch er nicht genau, wie Cagliostro es machte, aber seine Zusammenarbeit mit Elisas Vetter war für ihn nichts als fauler Zauber. Auffällig war, wie erhitzt und erschöpft der Kleine nach jeder Operation aussah: wohl weniger ein Zeichen äußerst angespannter Konzentration wie bei jedem Medium, als vielmehr eher Angst vor Cagliostro. Wehe, wenn er nicht sagte, was der andere ihm vorher eingetrichtert hatte, oder wenn er falsch ablas. Wenngleich der erst Fünfjährige weder lesen noch schreiben konnte, so war es dennoch denkbar, dass er ablas, nicht Geschriebenes oder Gedrucktes, sondern Bilder, die hinter dem mit Charakteren, mit magischen Zeichen beschriebenen Bogen zu sehen waren.

Elisa war gereizt. Wie konnte ihr väterlicher Freund nur eine so ungeheuerliche Verdächtigung aussprechen, ohne den geringsten Beweis in Händen zu haben!

Den Beweis hätte der Kleine leicht liefern können, man brauchte ihn nur zu fragen, was aber streng verboten war. Cagliostro hatte alle dazu verpflichtet, mit dem Kind nicht über die Erscheinungen zu sprechen: Es könnte den Kleinen verwirren, wenn er von diesen heiligen Vorgängen berichten sollte, ohne durch magische Zirkel und Zeichen gedeckt zu sein. Wie er Elisa außerdem noch anvertraut hatte, sprach das Kind während der Beschwörung eigentlich nicht selbst, sondern der Geist der Magie ruhte auf ihm und gab ihm oft ein, Dinge zu benennen, die es gar nicht sah. Ebenso hätten die Apostel an Pfingsten in vielen fremden Sprachen geredet, ohne auch nur eine davon zu kennen.

Wahrlich, ein schlauer Fuchs dieser große Magier, dachte der Hofrat. Denn würde sich der Kleine verplappern, wenn ihn jemand ausfragte, dann würde sich Cagliostro mit Phrasen herauswinden und sie alle abkanzeln: „Ich habe es Ihnen doch schon vorher klargemacht, wenn das Kind nicht durch magische Charaktere und den magischen Kreis gedeckt ist, dann weiß es nichts von dem, was sich während der Beschwörung zugetragen hat. Warum haben Sie trotzdem den Knaben ausgehorcht? Dadurch haben Sie nur den bösen Geistern die Macht gegeben, Sie zu täuschen!“ So oder so ähnlich würde der große Magier ihnen Sand in die Augen streuen, und wer an ihn glaubte, glaubte ihm auch diesmal.

Wie Elisa sich eingestehen musste, glaubte sie an ihn, und zwar so fest, dass auch die Unterstellungen des Hofrats ihre Haltung nicht erschüttern konnten. Ihre Schwärmerei und ihr Enthusiasmus waren so stark, dass sie in dieser durch hochgespannte Erwartungen aufgeladenen Gemütsstimmung selbst die abenteuerlichsten Vorstellungen für möglich hielt. Die verschworene Gemeinschaft, die Schwander zwischen Cagliostro und ihrem Vetter vermutete, war in ihren Augen ein Hirngespinst. Hätte ein unbefangener Zuschauer den Einfall gehabt, in das Zimmer einzudringen, wo das Kind anhand der gemalten Bilder alles daherschwätzte, was ihm die sogenannten Beschwörungen angeblich vor Augen führten, so wäre ihr Glaube an Cagliostros Wunderkraft nicht ins Wanken geraten. Sie hätte dadurch sogar den Wahn bestätigt gefunden, dass sie alle zur Strafe für ihren Ungehorsam durch böse Geister getäuscht worden seien, die sie von Cagliostro hätten abtrünnig machen wollen.

Auch wenn sie diese Gedanken nicht offen aussprach, so ahnte ihr väterlicher Freund dennoch, was sie dachte, dafür kannte er ihre Leichtgläubigkeit zu gut. Wer sich in den Glauben an Geisterbeschwörungen und in die Wunderkraft des Magnetismus so verrannt hatte, dass er den magnetisierten Personen prophetischen Geist zutraute, der hielt, weltfremd und unkritisch, Betrügereien für Wunder, zumal wenn er schon in frühester Jugend in dieses Fahrwasser geraten war. Nach Elisas Überzeugung war der Umgang mit höheren Geistern möglich. Wenn Gott es beschloss, so genoss jeder, der von lebendigem Glauben beseelt war, solchen höheren Umgang.

Für Schwander war dies die kennzeichnende Ansicht für die weitverbreitete mystische Strömung der Zeit, deren Richtigkeit er jedoch entschieden bezweifelte. Denn leider war es eine unleugbare Tatsache, dass viele, oft sogar Personen von höchster Tugend und mit allen Geistesgaben, sich durch die Gaukeleien eines Schrepfer, Gassner und ähnlicher Abenteurer hatten täuschen und in ihr mysteriöses und mystisches Labyrinth locken lassen.

Auf Elisas Einwand, Gassner habe doch viele Menschen geheilt, vorwiegend Nervenleidende, hielt Schwander ihr vor, dass es sich dabei vor allem um Hysteriker handelte, deren Heilung im Grunde genommen auf Suggestion und Autosuggestion beruht, ähnlich wie bei Mesmer, eine verwerfliche Methode, die ihn lebhaft an das finsterste Mittelalter erinnerte. Mit seinen Teufelsbeschwörungen nahm sich dieser Johann Joseph Gassner, ein leibhaftiger Pfarrer, wie ein Fossil im Zeitalter des Rationalismus aus. Nach seiner ausgeklügelten Theorie gab es natürliche Krankheiten und solche, die der Teufel im menschlichen Körper verursachte und durch dessen Eingriff in den Organismus zu natürlichen Leiden wurden. Doch wegen ihres teuflischen Ursprungs könnten sie nicht mit medizinischen, sondern nur mit geistlichen Mitteln, mit Gebeten und Beschwörungen beseitigt werden, wozu er, Gassner, sich berufen fühlte, was ihm in klerikalen Kreisen auch Zustimmung gebracht hatte, so vor allem beim Bischof von Regensburg. aber auch eine starke Gegnerschaft, besonders nach einigen auffälligen Misserfolgen. Dennoch waren schon Tausende und Abertausende zu ihm gepilgert, erst nach Ellwangen, dann nach Regensburg, lauter Besessene und anderweitig am Teufel Erkrankte, um bei Gassner Heilung zu suchen, und zwar keineswegs nur dumme Bauern, sondern großen Teils auch Leute aus den höchsten und gebildetsten Ständen, denen er mit Beschwörungen, oft in wild brüllender Weise, mit Segnungen, Besprechungen, Handauflegen und so weiter den Teufel und damit die Krankheit ausgetrieben hatte, was unter anderem die Erzbischöfe von Prag und Salzburg bewog, mit Hirtenbriefen gegen ihn zu Felde zu ziehen - bis ihm dann Kaiser Joseph II. jede weitere Tätigkeit verbot. Erst kürzlich hatte er vom Regensburger Bischof, Graf von Fugger, seinem Gönner, eine kleine Pfarrei bekommen. Wenngleich ihm selbst seine heftigsten Gegner niemals vorgeworfen hatten, für seine Kuren Belohnungen erhalten oder gar gefordert zu haben, so hatte er dennoch unbewusst mit dazu beigetragen, jene Atmosphäre zu schaffen, in der ein Schwindler wie Cagliostro üppig gedeihen konnte. Wie gesagt, hatten Schrepfer, Gassner und ähnliche Abenteurer durch ihre Gaukeleien selbst geistig hochstehende Personen in ihr mysteriöses und mystisches Labyrinth gelockt, und diese hatten noch nicht einmal bewusst wahrgenommen, wie sie allmählich zu diesem Glauben ans Unglaubliche verleitet worden waren. Die angeblichen Geisterbeschwörer machten sich gewöhnlich an Personen mit schwachen Nerven heran, die durch ihre überspannte Einbildungskraft leicht Visionen zu haben glaubten, Visionen in ihnen selbst, nicht außerhalb von ihnen.

Auch wenn es ihr nicht gefalle, schloss Schwander seine Ausführungen, wiederhole er es trotzdem: Cagliostro, den sie bis zur Selbstverleugnung verehre, sei ein Betrüger und kein Zauberer, woraufhin sie verwundert fragte, ob das denn nicht dasselbe sei.

Nein, antwortete er, denn Zauberei sei Nachäffung der Wunderkräfte, und Gaukelei Nachäffung der Zauberei. Abgötterei sei die Mutter von beiden: Aus einem Abgott werde ein Zauberer und aus einem Zauberer ein Gaukler - eine nicht leicht verständliche Erklärung, die aber das eigentliche Wesen, der Kern der Mystik sei: nämlich den gesunden Menschenverstand durch einen Schwall von Worten und dunklen Gefühlen zu verwirren und alles in solch ein geheimnisvolles Dunkel zu hüllen, dass niemand mehr aus diesem Irrgarten herausfände. Betrügerei sei also die Mutter der Zauberei und Gaukelei. Sich während des magischen Experiments nicht bewegen, nicht sprechen und sich nur ja nicht mit anderen Gedanken beschäftigen dürfen: Welchem unbefangenen Beobachter falle es bei diesem ausgeklügelten Gebot nicht auf, dass diese Betrüger die Seelen der Zuschauer nur mit ihren Gaukeleien hinhalten und anziehen wollten, damit diese genasführten Opfer für nichts mehr Auge und Ohr, Sinn und Gefühl hätten als für die strenge Einhaltung dieser Gebote und eben daher den Betrug nicht so leicht entdecken sollten.

Wie Hofrat Schwander hatte auch Elisas Großmutter, die Starostin von Korff, schon früh Cagliostro durchschaut und den Stab über ihn gebrochen. Den letzten Anstoß hatte ihr die Geisterbeschwörung gegeben, bei der Herr von Golshagen angeblich ihrem kleinen Enkel erschienen war und der Magier dessen Unpässlichkeit auf die Stunde genau vorhergesagt hatte.

Bald nach diesem plumpen Gaukelspiel fuhr Cagliostro mit seiner Frau bei der Starostin vor, um sie mit einem zweiten Besuch zu beehren, wie er vorgab. Im Gegensatz zu seiner ersten Aufwartung zeigte ihm die alte Dame, die in der kurländischen Gesellschaft hohes Ansehen genoss, die kalte Schulter, was umso auffallender war, als ihr Haus sonst jedem angesehenen Fremden offenstand.

Ein Freimaurer will dieser hergelaufene Jahrmarktsschreier sein, dachte sie empört, als er sich, vor ihr stehend, wie ein Pfau spreizte. Wie kann ein solcher Mensch die Dreistigkeit haben, sich als sogenannter Untergeordneter des Elias für einen der geheimen Oberen der vielen edlen, redlichen, einsichtsvollen Leute auszugeben, die sich Freimaurer nennen! Wenn sie es ihm auch nicht direkt ins Gesicht sagte, so ließ sie ihn dennoch unmissverständlich fühlen, dass sie ihn für einen Scharlatan hielt. Statt ihm einen Platz und eine Erfrischung anzubieten, fertigte sie ihn noch in der Empfangshalle ab, so kühl und kurz angebunden, damit er sich ein für alle Mal hinter die Ohren schreiben sollte, wie unerwünscht er war.

Wie ein angeschossener Eber stürmte Cagliostro ins Haus des Landmarschalls, wo sich gerade auch Elisa aufhielt, und beklagte sich lautstark über die Schmach, die ihm die Starostin angetan habe, ihn, den Grafen von Cagliostro, dem mächtige Geister zu Diensten seien, des Hauses zu verweisen. Mochte sie auch im Augenblick triumphieren, der Tag werde kommen, an dem sie für diese Beleidigung büßen müsse. Im nächsten Jahr am dreizehnten Mai werde diese Frau, noch ehe sie ihre Mittagssuppe esse, des Todes sein.

Alle Anwesenden erschraken, weil sie diese würdige, hochgesinnte Dame liebten, und redeten besänftigend auf Cagliostro ein, den so mancher gewissermaßen für allmächtig hielt. Bald zog er auch andere Saiten auf und erklärte: Er, der zum Wohl der Menschheit Gesandte Gottes, habe diese Dame, die ihn so schwer gedemütigt, nur deshalb besucht, um ihr Gutes angedeihen zu lassen, und nur weil sie ihn daran gehindert habe, sei er aufs äußerste erzürnt. Vielleicht hätte er ihre Todesstunde noch weiter hinausschieben können, vielleicht wie gesagt, jetzt aber sei ihr Schicksal unvermeidlich. Am dreizehnten Mai 1780 müsse sie sterben.

So wie er ihr Schicksal für unvermeidlich erklärte, so unerbittlich blieb er in seiner Haltung. Seit diesem Vorfall bekam der fürchterliche Racheengel seine verfluchte Todeskandidatin nie mehr zu Gesicht. Die alte Dame legte wohl auch keinen Wert darauf. Sie überlebte nicht nur den folgenden Mai, sondern zur Freude ihrer Angehörigen und Bekannten auch noch viele Wonnemonde danach.

Der Magier und die Halsbandaffäre

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