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2. Die politische Entwicklung in der Habsburgermonarchie nach 1815 und Metternich
ОглавлениеDie Eigenart und Bedeutung der Restauration und des Vormärz in der Habsburgermonarchie manifestierten sich am deutlichsten in der zum Teil widersprüchlichen Tendenz zur progressiven Entwicklung und restaurativen Beharrung und im Spannungsfeld zwischen Staat und Gesellschaft. Diese Entwicklung war in der Habsburgermonarchie vor allem geprägt durch die gesellschaftliche Umwälzung von der feudalen zur bürgerlich-kapitalistischen Ordnung. Dazu verhinderte noch ein stark ausgeprägtes Überwachungssystem die ideologisch-politische Diversion. Die neue Generation von liberal Denkenden und Freiheitskämpfern erlebte eine bittere Enttäuschung, da die alten Herrschaftsstrukturen in der Restauration erhalten blieben und teilweise sogar gefestigt wurden. Diese Enttäuschten schlossen sich ab 1815 in Geheimzirkeln zusammen, um Wege und Möglichkeiten zu finden, ihren Staat zu erneuern. Hier waren besonders die Universitäten, aber auch Geheimgesellschaften Zentren des liberalen bis demokratischen Radikalismus, die deshalb auch von Staatskanzler Klemens Wenzel Lothar Graf von Metternich einer strengen Kontrolle unterzogen wurden. Metternich störte vor allem der Freiheitsgedanke, der von den Burschenschaften und den Geheimgesellschaften ausging. Kaiser Franz I. scheint sich allerdings erst seit dem Wartburgfest mit diesem Problem näher beschäftigt zu haben, da er den Polizeikommissar Sicard nach Jena und Eisenach sandte, um dort Informationen über das Wirken der deutschen Burschenschaft einzuholen.109
Besonders schwer traf Metternich die französische Julirevolution von 1830, die auf Europa großen Einfluss ausübte. Metternich bezeichnete sie als Durchbruch eines Dammes in Europa. In der Tat setzte nach 1830 auch in Österreich eine breitere soziale Protestbewegung ein, die auch fast alle deutschen Teilstaaten erfasste. Metternich, der sehr klare Vorstellungen über den Kampf gegen die Revolution und Geheimgesellschaften entwickelt hat, formulierte seine „Verschwörungstheorie“ und negative Einstellung zu den Ereignissen vorwiegend in Briefen und Berichten.110 Revolutionäre Ideen und Freiheitsgedanken der Freimaurerei waren für ihn stets hohle, nicht realisierbare Versprechen. „Alle Revolutionen sind Lügen“ und zu ihnen „gehört das Verheißen der wohlfeilen Regierung“. Revolutionen werden in seiner Auffassung durch gezielte Agitation verbreitet.111 Die Revolution – für ihn war die allgemeine Situation nach dem Wiener Kongress eine revolutionäre – verglich er mit einer schleichenden Krankheit, die das Volk vergifte und stets zu heftigen Fieberausbrüchen führe.112 Durch die Juli-Revolution in Frankreich verstärkte sich seine Ablehnung gegen revolutionäre und demokratische Bewegungen, in dem er betonte, dass der Thron des Bürgerkönigs auf dem republikanischen Prinzip aufgebaut sei.113 Im Brief vom 21. Mai 1833 an seinen Freund Wilhelm L. E. Fürst von Sayn-Wittgenstein schrieb er über die Revolution:
„Zu allen Zeiten gibt es Revolutionäre. Längst vor Catilina gab es Demagogen, und dies zur Mitte in der Republik. Das 18. Jahrhundert hat die verfeinerte Revolution in der Sektenform geschaffen. In Frankreich benannte sich dieselbe Philosophie und unter diesem gefälligen Namen hat sie sich in die Salons eingeschlichen und endlich bis in die höchste Regierungssphäre verbreitet. Damals war das Geschäft der Propaganda das Verwirren und Lösen der Begriffe, auf denen jede bürgerliche Gesellschaft wie auf ihren Grundpfeilern ruht. Wie bald solche Grundsätze zu modern vermögen, hat der Ausbruch der Französischen Revolution bewiesen … Die Philosophen fielen zuerst unter dem Beile der Freiheit und der Gleichheit, und die Nachbarländer wurden abgeschreckt. Indem sich die damalige Propaganda die Benennung von Regicides beilegte, hat sie sich den Eingang ins Ausland versperrt, und ebenso hat das Schreckenssystem in Frankreich wohltätig auf die Erhaltung der Ruhe im Ausland gewirkt“.114
Erst mit der Restauration habe – so Metternich – die Revolution eine weit gefährlichere Form angenommen. Er sprach in diesem Zusammenhang von einer „parfümierten Revolution“. Auf Grund der bestehenden politischen Situation in Europa nach der Julirevolution in Frankreich unterschied Metternich vier Staatenkomplexe:
„1. Länder, in denen die Propaganda regiert: Frankreich, Belgien, die Schweiz.
2. Länder, in denen sie im zweiten Stadium ist: die deutsch-konstitutionellen und einige italienische Staaten und vor allem England.
3. Länder, welche in dem Mißbehagen des ersten Stadiums sind: Preußen, Österreich usw.
4. Ein Land, welches vermöge seines Nationalsinns die Extreme in sich balanciert: Spanien“.115
Das Hambacher-Fest vom Mai 1832 und den Frankfurter Wachensturm vom Frühjahr 1833, einen missglückten Studentenputsch, stufte Metternich als deutsche Auswirkung der Juli-Revolution ein, da hier die republikanischen Tendenzen des politischen Liberalismus erstmals deutlich geworden seien. In einem weiteren Brief an den österreichischen Botschafter in Berlin, Josef Graf Trautmansdorff-Weinsberg vom 15. September 1831 erwähnte er die Hauptursachen des bestehenden Übels und der bedenklichen Lage:
„1. In den inneren politischen Umwandlungen, welche im Verlaufe der letzten 50 Jahre in Deutschland statt gefunden haben,
2. in der Auflösung so vieler Bande zwischen Fürsten u. Unterthanen, welche insbesondere seit dem Jahre 1803 eingetreten ist;
3. in dem Souveränitäts-Schwindel, der sich so mancher deutscher Fürsten in Folge ihrer Aufnahme in den Rheinischen Bund bemächtigte, und von dem sie insbesondere in den meisten administrativen Beziehungen einen leidigen Mißbrauch gemacht haben;
4. in der gezwungenen Rückkehr zu einem geregelten Stande der Dinge in Folge der Einführung der deutschen Föderation;
5. in der ursprünglich fehlerhaften Organisation der landständischen Verfassungen mehrerer Bundesstaaten, u. der geringen Rücksicht, welche auf die in der Schluß-Acte vom Jahre 1820 in Bezug auf diese Verfassungen, enthaltenen Bestimmungen genommen worden ist;
6. in dem Mangel an Ueberlegung und richtiger Berechnung der Mittel, den inneren Haushalt der einzelnen Staaten zu regeln;
7. in der Verkehrtheit der Begriffe der meisten deutschen Staatsdiener und deren Hang zum modernen Liberalismus, und dem Haschen der Fürsten nach einer übelverstandenen Popularität;
8. endlich in der Einwirkung der moralischen allgemeinen Krankheit unserer Zeit; einer Einwirkung die unter den eben bezeichneten Verhältnissen leicht bis zur Lösung aller gesellschaftlicher Bande, in so fehlerhaft regierten Staaten gesteigert werden konnte.“116
Metternich betonte ausdrücklich, dass dem „verheerenden Strome der Revolution“ in Deutschland Grenzen gesetzt werden müssen. Da nach Metternichs Meinung die Höfe in Wien und Berlin die Abwehr dieser Entwicklung nicht alleine verhindern können, schlug Metternich eine Verständigung mit den deutschen Fürsten im Deutschen Bund vor. Geschickt stellte er die Verschwörungsfurcht in den Dienst seiner restaurativen Politik. Seine Hinweise auf Umsturzgefahr waren in erster Linie ein taktischer Schachzug, um für seine politischen Projekte Anhänger zu gewinnen.117
Für Metternich war Straßburg der eigentliche Sitz der revolutionären Filialanstalt für Deutschland. Unter den Verschwörern nannte er Professoren, Literaten, Beamte, Bürgermeister, liederliche Adelige und auch die Freimaurer. Besondere Aufmerksamkeit widmete Metternich seit der Julirevolution auch der Schweiz, die zur bevorzugten Asylstätte der politischen Flüchtlinge geworden war. So schrieb der österreichische Staatskanzler, dass die Schweiz die „Avantgarde der europäischen Propaganda“ sei.118
Metternich ergriff erneut Abwehrmaßnahmen gegen das „Junge Italien“ und das „Junge Deutschland“. Hatte noch 1821 Kaiser Franz I. vor dem Geheimbund der Carbonari gewarnt, so betraf diese Warnung nun auch die geheime Gesellschaft „Giovine Italia“, die als überaus staatsgefährlich bezeichnet wurde. In Österreich entstand die Bewegung des „Jungen Österreich“, der u.a. Moritz Hartmann und Hermann Rollett angehörten. Auch gegen diese Bewegung wurden Abwehrmaßnahmen eingeleitet, sodass mehrere Mitglieder dieser Vereinigung Österreich den Rücken zuwenden mussten.119
Die Freimaurer, die im Untergrund noch vereinzelt tätig waren, litten sehr unter diesen schwierigen Bedingungen, weil sich vor allem auch das Spitzelwesen im politischen System Metternichs so stark entwickelte, dass Polizeibeamte sogar den Auftrag erhielten, die verdächtigen Zirkel zu unterwandern. Am 28. Juni 1817 nahm Polizeiminister Sedlnitzky zu einer großen Freimaurerversammlung in Dresden Stellung, worauf der Kaiser folgende Entschließung verfügte,
„Ich nehme diese Anzeige mit dem Bemerken zur Nachricht, dass der Oberstburggraf darauf aufmerksam zu machen ist, ob nicht der Polizeikommisär Preißler, welcher vor einigen Jahren auf Meinen Befehl gerade deshalb um in Hinsicht auf die Freimaurerei Verbindungen in Dresden anzuknüpfen und die Resultate derselben der Staatsverwaltung mitzuteilen, Freimaurer geworden ist, mit Nutzen zu Nachforschungen über das Treiben und das Streben der Freimaurer in Dresden gebraucht werden könnte …“120
Dies ist ein eindeutiger Hinweis auf die gezielte Unterwanderungspolitik der Polizei, die darüber hinaus auch Broschüren, Bücher und Schriften einer genauen Kontrolle unterzog. So schrieb Franz I. am 14. Juni 1824 aus Prag an seinen Polizeiminister:
„Ich übersende Ihnen in der Nebenlage eine mir zugekommene Broschüre, welche unter dem Titel einer Beleuchtung geheimer tiefliegender Wahrheiten sehr gefährlichen Inhalts zu sein scheint. Für den Fall, als Ihnen dieses böse Produkt noch nicht bekannt und Sie daher noch nicht in der Lage gewesen sein sollten, hierüber zu urteilen und das Nötige zu veranlassen, werden Sie sogleich diese Broschüre der Zensur unterziehen und hierüber gehörig Ihres Amtes handeln, damit die Verbreitung dieses schädlichen Werkes in Meinen Staaten verhindert und jene Exemplare, die etwa schon hereingeführt worden sein sollten, soviel nur immer möglich, unterdrückt werden.“121
Sedlnitzky übergab diese Broschüre dem Zensor, der in einem Bericht die Freimaurerei als „Durchbruch eines kranken Gehirns“ bezeichnete.122
Von Spitzeln wurde schließlich auch der „achte Freimaurergrad“ entdeckt, worin die Polizei verbrecherischen Umsturz und Hochverrat vermutete. Der Kaiser, der über alle freimaurerischen „Geheimnisse“ informiert werden wollte, erteilte den Auftrag, möglichst genaue Auskünfte über diesen Grad einzuholen. Am 01. Mai 1821 antwortete dann Sedlnitzky,
„… daß die orthodoxe Freimaurerei nur drei, höchstens sechs Grade in den Dogmen und Mysterien zählet, daß schon der siebente Grad als eine bestimmt mit politischen Zwecken sich befassende Arbeit, sohin als eine Abart von den orthodoxen Freimaurern betrachtet wird, und daß man den achten Grad der neuen Freimaurerei beinahe identisch mit dem sogenannten Priestergrade der Illuminaten nehmen kann, dessen antireligiöse und staatsverderbliche Instruktion der Carbonari sich zum Modell ihrer Lehrsätze genommen haben …“123
Auch die im Vormärz entstandenen Vereine standen unter polizeilicher Beobachtung, insbesondere der 1841 in Wien gegründete Juridisch Politische Leseverein, der bürgerliche Intellektuelle, darunter auch Freimaurer, gleichsam die Spitze des geistigen Lebens zusammenfasste und von dem Polizeiminister Sedlnitzky meinte, die Leute würden sich hier „zu Verbrechern“ lesen. Schon Ende 1840 wurden bei der Polizeihofstelle zwei Gesuche um Gründung juridischer Lesevereine eingereicht. Während das erste Ansuchen sofort auf Ablehnung stieß, hatte das zweite, das von 15 angesehenen Juristen unterschieben wurde, mehr Erfolg. Die Zielsetzung des Vereins bestimmte, dass „durch Auflegung von Zeitschriften und Journalen des In- und Auslandes, die sich mit den Staatswissenschaften und den damit im Zusammenhang stehenden Fächern beschäftigen“, die vorgesehen Aufgaben erfüllt werden sollten. Die Polizeihofstelle war mit der allgemeinen Formulierung zwar einverstanden, doch legte sie genau fest, welche Zeitschriften und Journale gehalten werden durften. Kaiser Ferdinand genehmigte den Verein am 14. Juli 1841, dessen erster Präsident Karl Freiherr von Sommaruga wurde.
Sicherlich war der besonders hervorgehobene wissenschaftliche Zweck des Vereins ein Vorwand, um die erwünschte Genehmigung zu erreichen. In Wirklichkeit wollte er sich mit den Fortschritten der Literatur auseinandersetzen und sie in breiten Kreisen bekannt machen. Diese Absicht verlangte auch politisches Engagement. Seit der Ankündigung, dass der Verein sich vor allem kritisch mit der neuen Literatur befassen wolle, begannen auch die Auseinandersetzungen mit der Polizeihofstelle. Die Mehrheit der Mitglieder war sicher liberal eingestellt und wünschte im Grunde eine Reform des Staates auf konstitutioneller Grundlage. Dem Verein gehörten auch entschiedene reaktionäre Persönlichkeiten verschiedenster Schattierungen und auch begeisterte Anhänger republikanischer-demokratischer Ideen an. Viele der Mitglieder waren Staatsbeamte, Advokaten, Hochschullehrer, Bankiers und Industrielle. Konfidenten der Polizei meldeten dem Polizeiminister, dass in den Rauchzimmern des Vereins sehr häufig politische und kriminalistische Diskussionen geführt würden. Die Tätigkeit des Vereins wurde daher genau überprüft, was zu einer Dezimierung verbotener Bücher und Journale der Bibliothek des Vereins führte.124
Der Polizeiminister ließ nicht nur den Leseverein überwachen, sondern bot nun Vieles auf, um alle geheimen Gesellschaften in Österreich aufzuspüren und in ihre Systeme einzudringen. Dementsprechend ließ er auch intensiv über den „achten Grad“ der Freimaurerei nachforschen.125 Bei dieser fast schrankenlosen Herrschaft der Geheimpolizei, die nach der französischen Julirevolution im Vormärz ihre Fortsetzung fand, musste sich jeder geheime Verein im Untergrund organisieren, wobei nun u.a. die in der Zwischenzeit stärker werdenden politischen Geheimbünde nach Ansicht der Polizei eine besondere Gefahr darstellten. Die Freimaurerei stand durch diese Entwicklung nicht mehr in erster Linie im Fokus der Polizei.