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3. Die Revolution 1848/49 und die Loge „Zum heiligen Joseph“

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Die Revolution von 1848/49 in Österreich wurde auf Grund des metternichschen politischen Systems in der Forschung als bürgerliche Umwälzung ohne bürgerliche Revolutionäre bezeichnet. In Österreich war der Vormärz trotz oder gerade wegen der restaurativen Politik Metternichs nicht ohne politische Spannungen geblieben. Allerdings konnten sich wegen der Härte des Regimes und der zahlreichen repressiven Maßnahmen der Polizei keine liberalen oder demokratischen Bewegungen herausbilden. Dafür entstand aber eine meist von Adeligen und städtischen Bürgern organisierte liberale Opposition zumindest in einigen Landtagen und im außerparlamentarischen Bereich. Die Forderungen der politischen Opposition bewegten sich durchaus im Rahmen des konstitutionellen Liberalismus und stellten daher keine ernsthafte Bedrohung des politischen Systems dar. Radikaldemokratische Ideen wurden nur von wenigen Theoretikern vertreten.126

Für die konkretere Ausbildung und Abgrenzung einer liberalen Ideologie in Österreich war nach der Julirevolution 1830 in Frankreich die zunehmende Politisierung maßgeblich, die auch Österreich ergriff. Das Unbehagen an der metternichschen Politik und die sozialen Probleme der Industrialisierung bezogen den kulturellen Bereich in die kritische Reflexion mit ein. Sie durchbrach gleichsam die Abschirmung, hinter der die Literatur und Philosophie der Romantik und des Idealismus unter den Bedingungen der Restauration einen gewissen Höhepunkt erreicht hatte. Die Dichtung wurde politisch, zunächst im Roman, seit den 40er Jahren auch in der Lyrik. Dazu kam noch die Abspaltung eines radikalen Demokratismus vom Liberalismus, die sich auf zwei Ebenen, einer politischen und einer theoretischen, vollzog, ohne allerdings die Schärfe der deutschen Entwicklung zu erreichen. Gemeinsam war dem liberalen und demokratischen Politikverständnis die rationale Begründung des Staates von den Individuen her durch die Annahme eines Gesellschaftsvertrages. Während jedoch der Liberalismus den Missbrauch der Macht des Souveräns durch verfassungsmäßige Sicherungen, durch Freiheitsrechts, Gewaltenteilung und rechtsstaatliche Vorkehrungen zu verhindern und seine politischen Ziele auf dem Wege von Reformen und der Vereinbarung mit den bestehenden Gewalten zu erreichen versuchte, hob die demokratische Theorie die mögliche Differenz zwischen dem Inhaber der Staatsgewalt und den seiner Macht Unterworfenen dadurch auf, dass sie beide, den Souverän und das Volk, gleichsetzte. Dies war das Konzept der Volkssouveränität. Diese Unterscheidung war allerdings in Österreich nur in Ansätzen vorhanden, während in den Staaten des Deutschen Bundes der Abspaltungsprozess zu einer Radikalisierung und zu starken ideologischen Spannungen führte. In Österreich wurde dieser Prozess durch die repressiven politischen Maßnahmen Metternichs zwar gehemmt, beschleunigte aber in den 40er Jahren jene gesamtgesellschaftliche Krise, die dann zum Ausbruch der Revolution 1848 führte.127 Ehemalige Freimaurer konnten sich mit den liberalen Ideen durchaus anfreunden, insbesondere mit den liberalen Hauptanliegen, wie z.B. die Entfaltung des Individuums, Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung. Zu den entscheidenden liberalen Forderungen zählte vor allem eine schriftliche Verfassung, die dem Staat gewährt werden sollte und in der die Organisation der politischen Herrschaft sowie die Rechte und Partizipationsmöglichkeiten der Bürger festgelegt sind. Wichtige Impulse gingen hier auch von den Freimaurern aus, die großenteils diese Grundlagen förderten und ihre Logen selbst als Demokratie im Kleinen betrachteten.128

Im Zentrum der Forderungen des liberalen Bürgertums stand die Gewährung einer Konstitution. Die Verfassungsfrage war im Verlauf der Märzereignisse als dringendes Bedürfnis empfunden worden, allerdings war diese Forderung theoretisch-konstitutionell noch nicht ausgereift. Die Regierung oktroyierte schließlich eine Verfassung, die mit Ausnahme des Großbürgertums von allen Bevölkerungsschichten aufgenommen wurde.

War es um die Freimaurerei im Vormärz in Österreich leiser geworden, gab es ein erstes Aufflackern maurerischen Lichtes in Wien erst wieder im Oktober 1848, nachdem Dr. Ludwig Lewis129, Sprachlehrer und Inhaber einer Sprachschule in Wien sowie Professor an der k.k. Ingenieur-Akademie in Wien, schon ab dem späten Frühjahr Vorbereitungen zur Errichtung einer Loge traf.130 Samuel Lasz schrieb über ihn: „Nachdem Br. Lewis vor 50 Jahren in Stettin unserm Weltbunde zugeführt worden war, erglühte er in reiner Begeisterung für die maurerischen Interessen und im Jahre 1848 suchte er die Loge zum heiligen Joseph in Wien, welche 1771 gegründet wurde, aber lange gefeiert hatte, zu reactiviren, und die Reden, welche er als Meister vom Stuhl bei der Einweihung derselben und bei den spätern Arbeiten hielt, zeigen uns, wie tief und rein er das Ideal des Bundes auffasste.“131 Wegen seiner Bemühungen, ungarische Logen zu unterstützen, wurde er sogar als „Gründer der ungarischen Maurerei“ bezeichnet. Er hielt auch Vorlesungen zum Thema Freimaurerei, die größten Beifall beim Publikum fanden. Zudem schrieb er auch eine „Geschichte der Freimaurerei in Oesterreich und Ungarn“, die in Leipzig erschienen ist.132

1825 wurde er – wie bereits erwähnt – in Stettin in die Loge „Drei goldene Anker zur Liebe und Treue“ aufgenommen. Im Juli 1848 erhielt er von der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland ein Attest, das ihm eine Wiederbelebung der Bauhütte „Zum heiligen Joseph“ in Wien gestattete, und zwar „in schuldiger Beachtung der desfalligen landesherrlichen Verordnung die Reaktivierung quiescierender St. Johannis Freimaurerloge genannt ‚zum heiligen Joseph‘ ins Werk zu setzen, oder auch den Umständen nach, die Stiftung einer neuen St. Johannis Freimaurerloge in Wien dergestalt vorzubereiten, daß wir dazu die nach den Vorschriften unserer alten, die Ehre Gottes und das Wohl der Menschheit bezweckenden Ordens, Genehmigung erteilen und die Konstitutionsurkunde ausfertigen können. Vor allem ist zu dem beregten Vorhaben die Genehmigung der betreffenden hohen Staatsbehörde in Wien einzuholen und uns in Urschrift vorzulegen.“ Lewis hat sich allerdings erst am 30. Juli in dieser Angelegenheit an Minister Doblhoff gewandt.133

Im August 1848 richtete er an das Ministerium des Inneren das Ansuchen, „die freimaurerische Loge ‚Zum heiligen Joseph‘, die 1794 ‚ihre Versammlungen und Arbeiten freiwillig für solange eingestellt hatte, bis günstigere Zeitumstände wieder ihrer sodann erneuerten Wirksamkeit einen gedeihlichern Erfolg und ihren Wünschen die lebendige Zuversicht geben würde.“134 Von Seiten der österreichischen Regierung gab es keine Schwierigkeiten, sodass die feierliche Reaktivierung dieser Loge am 05. Oktober 1848 stattfinden konnte. Der österreichische Minister des Innern, Joseph Freiherr von Doblhoff, sandte am 02. September 1848 an Lewis einen Bescheid, „daß es mit Rücksicht auf das freie Vereins- und Assoziationsrecht einer besonderen Genehmigung nicht bedürfe, die Loge ‚Zum heiligen Joseph‘ wieder ins Leben treten zu lassen“, da der Minister von der Voraussetzung ausgehe, „daß diese Verbrüderungen staatsgefährlichen Zwecken wohl eher entgegenwirken, als dieselben begünstigen werden“.135 Nun wurde die Loge unter der Konstitution der Großen Landesloge von Deutschland ins Leben gerufen. Am 05. Oktober 1848 fand am Abend im Hause des Grafen d’Harnoncourt in der Teinfaltstraße in Wien in Anwesenheit des Provinzial-Großmeisters der deutschen Landesloge und vieler Brüder die feierliche Einweihung der Bauhütte statt. Die Eröffnungsrede hielt Lewis.136

Der Bauhütte war jedoch auf Grund der revolutionären Ereignisse nur kurzer Bestand beschieden, zumal nach der Belagerung und Einnahme Wiens durch die kaiserlichen Truppen ein absolutes Versammlungsverbot erlassen wurde. Neuerliche Ansuchen um Zulassung der Loge wurden von der Behörde abgelehnt. Einzelne Brüder bemühten sich schon einen Tag nach der Gründung auf Grund der revolutionären Ereignisse in Wien beim Militärgouverneur die Erlaubnis zur Weiterarbeit der Loge zu erhalten, diese Bemühungen waren aber vergeblich. Lewis schrieb in seiner „Geschichte der Freimaurerei in Oesterreich im allgemeinen und der Wiener Loge zu St. Joseph insbesondere“ über diese Situation: „So von allen Militär- und Zivilautoritäten zurückgewiesen, blieb der Loge nichts übrig als die Zeit abzuwarten, wo günstige Verhältnisse für die Maurerei eintreten“.137 Durch den Sieg der Reaktion ist dieser Versuch einer Reaktivierung des Logenlebens in Wien nur eine kurze Episode geblieben. Aus dem Jahr 1848 sind Polizeiberichte vorhanden, betont Lewis, die einem polizeilichen Vertrauensmann zugeordnet wurden. Solche Vertrauensleute gab es während der Revolution sehr viele. In einer polizeilichen Relation vom 21. Juli 1868 heißt es dazu: „Im Jahre 1848 ist von dem gegenwärtig in Pest domizilierenden Dr. Louis Lewis die Reaktivierung der in der josefinsichen Epoche in Wien bestandenen Freimaurerloge Zum heiligen Joseph unternommen worden, jedoch nur von kurzer Dauer gewesen, da infolge des Belagerungszustands die kaum hergestellte Loge sich wieder aufgelöst hat. Seither ist der Versuch, die Freimaurerei in Wien einzuführen, nicht wieder erneuert worden.“ Von den Mitgliedern jener „ephemeren“ Loge des Jahres 1848 lebten nur noch: Lewis, Baron Andreas Stifft, der Abgeordnete Ignaz Kuranda, dann Anton Kuranda, der Hofschauspieler Löwe und vielleicht noch einige andere.

„Der Eröffnung der Loge im Oktober 1848 hat zwar der Prof. Kampmann aus Breslau – ein Freund von Lewis – beigewohnt, ein eigentlicher Verband mit Preußen aber ließ sich nicht nachweisen. Allerdings liegt es im Wesen und in der Konstitution des Freimaurertums, dass zur Eröffnung einer neuen Loge oder zur Wiederherstellung einer früheren bestandenen, wenn sie als eine echte gelten soll, die Zustimmung und Anerkennung von Seiten einer inländischen oder in deren Ermanglung einer auswärtigen Haupt- oder Mutterloge erforderlich ist, so wie die Statuten der Freimaurerei zum legalen Bestande einer Loge die Genehmigung der Landesregierung und die Unterordnung unter das Landesgesetz ausdrücklich voraussetzen. Demgemäß hatte auch Lewis sich im Jahre 1848 an das Ministerium des Innern mit diesbezügliche Genehmigung gewendet, die ihm sohin mit Erlass des Ministers des Innern Baron von Doblhoff vom 2. September 1848, Z. 2436, erteilt wurde, worauf erst Lewis am 5. Oktober 1848 zur Eröffnung der mehrerwähnten Loge Zum heiligen Joseph geschritten ist. Dieselbe wird übrigens, da sie sich aufgelöst hat, von den auswärtigen Logen als nicht mehr bestehend angesehen.“

Eine weitere „vertrauliche“ Meldung eines Konfidenten vom 23. April 1869, Z. 1330, enthält das folgende „vollständige“ Verzeichnis der im Jahre 1848 in Wien bestandenen Freimaurerloge ‚Zum heiligen Joseph‘. Diese Mitglieder waren:

„1. Dr. Ludwig Lewis, Meister vom Stuhl;

2. Anschütz, Hofschauspieler (tot), war erster Aufseher;

3. Sauer, Rechnungsrat (tot), zweiter Aufseher;

4. Baron Baldamus (tot), Sprecher der Loge;

5. Leicht, Handschuhmacher;

6. Koberwein, Sparkasse-Liquidator (tot);

7. Koberwein, Maler, Bruder des Vorigen und Schwiegersohn des Anschütz;

8. Kollmann, Buchhändler, von Wien;

9. Robert Diller;

10. Anton Kéler, derzeit unbekannt, hatte ein Kommissionsgeschäft;

11. Gustav Brabée, derzeit Sparkasse-Liquidator;

12. Franz Fitzinger, Kustos im k.k. Mineralienkabinett;

13. Baron Andreas Stifft, wohnt Bürgerspital;

14. Richter, Goldarbeiter auf dem Stephansplatz.“138

Die Freimaurer in Österreich galten als „Geheimbündler“ und blieben deshalb auch weiterhin verboten. Jegliche Versuche zu einer Vereinsbildung wurden mit dem Hinweis auf die geheimen Ziele der Freimaurerei untersagt. Erst der Ausgleich mit Ungarn 1867 änderte dann die Lage, da nun die Freimaurer in Österreich ihre rituellen Arbeiten auf ungarischem Boden im Grenzbereich abhalten konnten.139

Verbot, Verfolgung und Neubeginn

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