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2. Gesamtwürdigung

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Zur Beurteilung der konkreten Gefährlichkeit (Rn. 38) ordnet das Gesetz eine erneute Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung im Strafvollzug an. Mit Tat oder Taten des Verurteilten sind alle Straftaten gemeint, die der gegenständlichen Verurteilung zugrunde liegen. Sind dies etwa bei einer Einheitsjugendstrafe (s. Rn. 38) neben der Anlasstat i.S.v. Nr. 1 oder 2 auch andere Verbrechen oder Vergehen, müssen diese nach dem Gesetzeswortlaut nicht unberücksichtigt bleiben. Allerdings kommt es insgesamt nur auf deren Indizcharakter für die zu erwartenden erneuten Straftaten im Sinne von Satz 1 Nr. 1 an (Rn. 38).

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Ergänzend ist die Entwicklung im Strafvollzug zu berücksichtigen. Mit dem Wort ergänzend ist zum Einen klargestellt, dass die Entwicklung des Verurteilten nach der Anlassverurteilung ein zusätzlicher Aspekt für die Gesamtwürdigung ist, nicht aber der Schwerpunkt, denn mit dem Vorbehalt der Sicherungsverwahrung im Urteil hat das erkennende Gericht bereits die Wahrscheinlichkeit einer spezifischen Gefährlichkeit festgestellt (vgl. amtl. Begr. BT-Drucks. 17/9874, S. 23 unten i.V.m. BT-Drucks. 17/3403, S. 30). Zum Anderen ergibt sich aus diesem gesetzlich geforderten inneren Zusammenhang der Feststellungen in der Anlassverurteilung und der Entwicklung des Verurteilten im Vollzug die erforderliche Kausalität zwischen Verurteilung und Anordnung der Sicherungsverwahrung (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Bst. a EMRK; vgl. auch EGMR NJW 2010, 2495). Mir der Berücksichtigung der Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung fordert der Gesetzgeber schließlich, dass sämtliche Umstände zwischen Anlassverurteilung und Entscheidung über die Anordnung in die Gesamtwürdigung einzustellen sind.

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Es ist stets eine individuelle Gefährlichkeitsprognose vorzunehmen. Eine abstrakte, auf statistische Wahrscheinlichkeiten gestützte Prognoseentscheidung kommt nicht in Betracht (vgl. BGHSt 50, 121, 130 f.; BVerfGE 109, 190, 242). Wesentliche Kriterien für die Gesamtwürdigung sind etwa, soweit vorhanden, die frühere Delinquenz, die Umstände der Anlasstat. insbesondere wenn dieser Symptomcharakter für die festgestellte persönliche Befindlichkeit des Betroffenen zukommt (vgl. BGH NJW 2010, 1539 ff. Rn. 35), die Persönlichkeitsstruktur und der Verlauf der Haftzeit (Seifert Gutachten zur Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 28.5.2008 zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung BT-Drucks. 16/6562). Bloßes Fehlverhalten im Vollzug oder etwa die Verweigerung einer Therapie reichen für sich allein allerdings nicht aus, die Sicherungsverwahrung anzuordnen (BGHSt 50, 121, 127). Von wesentlicher Bedeutung vor allem bei erkennbar bisher nicht ausreichender Therapie können schließlich auch die Perspektiven nach der Entlassung sein, insbesondere das Vorhandensein eines gesicherten „sozialen Empfangsraums“ oder die weitere therapeutische Anbindung des Verurteilten (BGH NJW 2010, 1539 ff. Rn. 38; NStZ 2013, 225 ff., 227). Die in der Literatur teilweise befürchtete „Scheinanpassung“ (Ostendorf § 7 Rn. 21 m.w.N.) dürfte bei einer Gesamtwürdigung solcher Gesichtspunkte alsbald entlarvt werden können.

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Zwei Sachverständige sind zur Entscheidungsfindung heranzuziehen, die im Rahmen des Strafvollzugs nicht mit der Behandlung des Verurteilten befasst waren (§ 81a i.V.m. § 275a Abs. 4 S. 2 und 3 StPO). Das Gericht ist dabei, wie auch sonst, nicht an deren Gutachten gebunden, eine Abweichung hält aber nur dann revisionsrechtlicher Beurteilung stand, wenn sie mit tragfähigen Gründen ausgestattet ist (vgl. BGH NJW 2010, 1539 Rn. 37), also keine Rechtsfehler aufweist.

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