Читать книгу Luftgitarrengott - Herbert Hirschler - Страница 10
Bleib so lieb, wie du bist heut
ОглавлениеZurück zu Bastians Geburtstag. Er war schon ziemlich aufgeregt, in einer Stunde sollten alle da sein. Mama hatte das Wohnzimmer dekoriert. Überall hingen bunte Girlanden, auf den Tischen standen ebenso farbenprächtige Lampions, und mittendrin saß schon seit Stunden Tante Finni und löste Kreuzworträtsel – beinahe unbemerkt von allen anderen. Mit den gewagten Farbkombinationen ihrer Bluse hob sie sich überhaupt nicht ab von dem knalligen Papierzeug, das sich über das gesamte Zimmer verteilte. Hätte sie nicht ab und zu mal beim Luftholen ein paar der winzigen Papierkonfettischnipsel in ihre übernatürlich große Nase gesnifft, hätte man durchaus glauben können, der Raum wäre zwar bunt, aber menschenleer.
So aber gab es alle Minuten einen Vulkanausbruch im großen Ohrensessel, weil die Papierschnipsel ja irgendwie Tante Finnis Nase auch wieder verlassen mussten. Und wenn Tante Finni nieste, dann hörte man das in ganz Singing.
Ihr Geschenk hatte sie Bastian schon am frühen Morgen überreicht – ein richtig großes Paket in einem Geschenkpapier mit rotgelbem Blümchenmuster. Fies war dabei jedoch, dass er es erst öffnen durfte, wenn alle da waren. Super, vielen Dank, Tante Finni. Die Karte dagegen durfte er gleich lesen, obwohl er auf die nicht halb so scharf war:
Happy Börthday, Bastian!
Kleiner Mann,
irgendwann bist du ein großer Mann!
Doch das dauert noch ewig lang.
Ich habe einen Wunsch:
mach eine große Freude uns.
Bleib so lieb, wie du bist heut
und lernen musst du auch, dann wirst du gescheit.
Jetzt bist du zehn, die Jahre vergehen.
Die Sonne soll dir scheinen schön.
Und wenn sie mal nicht scheinen tut,
hau nicht gleich drauf deinen Hut,
alles wird gut!
Na bumm. Wenn Bastian nicht gewusst hätte, dass Mama ihm dann die Schokotorte verweigern würde, wäre er sofort aufs Klo zum Kotzen gelaufen. Die Reime waren grenzwertig, und »Börthday« schrieb man ganz bestimmt anders, das wusste er schon mit zehn! Seinen Versuch, Tante Finni das zu erklären, stoppte sie sofort: »Was fällt dir ein, du kleiner Hosenscheißer. Ich hab schon Englisch gesprochen, da bist du noch in Abrahams Wurstkessel geschwommen!«
Sollte er ihr erklären, dass er in einem Ambulanzwagen zur Welt gekommen war? Wenn Tante Finni sich einen Wurstkessel in den Kopf gesetzt hatte, dann würde sie von ihrem Wurstkessel auch kein Mensch abbringen. Bastian schon gar nicht. Er war knapp davor, auf die Schokotorte zu verzichten und aufs Klo zu laufen …
Langsam trudelten auch die restlichen Gäste ein. Georg und Susi gingen in Bastians Klasse, beide hatten denselben Friseur. Die Haare hingen wie Spaghetti von ihren Köpfen – schulterlang. Bei Georg waren sie auch wirklich nudelgelb, Susi hatte schon Ketchup drauf. Ihre roten Fransen passten gut zu der dicken Brille, die ebenfalls knallrot war und ihr so richtige Riesenkulleraugen verpasste. Im Gegensatz zu Georg war sie etwas pummelig, aber das war Bastian ja auch. Selbst sein tägliches Luftgitarrentraining konnte die vielen Schokokekse nicht wettmachen, die Oma ihm immer zusteckte.
Ja, Oma war auch da. Die Mama von Papa Berger hatte erstaunlicherweise gar nichts Wahnsinniges an sich. Okay, vielleicht bis auf den Umstand, dass sie ununterbrochen lächelte. Bastian hatte sie noch nie mürrisch erlebt. Traurig schon, als sein Opa ein paar Jahre zuvor von der Küchenbank gekracht war und die Augen verdreht hatte, da hatte er sie sogar weinen sehen. Aber mit dem Lächeln hatte sie auch beim Weinen nicht aufgehört.
Bastian konnte damals durch den Türspalt genau beobachten, wie Opa am Boden ihrer Küche lag. Er hatte so einen komischen Blick drauf, Bastian wusste sofort, dass Opa jetzt keine der üblichen Grimassen schnitt, mit denen er die Kleinen sonst zum Lachen bringen wollte. Bastian war gleich auf den Dachboden verschwunden und hatte sich im großen Kleiderschrank versteckt, der so herrlich nach Opa roch. Oma hatte ihm und Lisa damals erklärt, dass Opa immer auf sie aufpassen werde. Und wirklich, das machte er: Denn Lisa und Bastian fielen in den kommenden Jahren von jedem Baum in ihrem Garten, brachen mehrmals im Winter im viel zu dünnen Eis auf dem Tümpel ein und nötigten zahllose Autofahrer zu einer Vollbremsung, weil ihr Ball über die Straße gesprungen war und sie hinterher. Nie war ihnen etwas passiert, weil Opa sich um sie gekümmert hat, da oben, wo immer er gerade war.
In der Nacht schlichen sich Lisa und Bastian oft heimlich aus ihrem Zimmer im ersten Stock hinaus in den Garten zum »Sternderlschaun«. Den Weg über das knarrende Vordach bis zur verrosteten Dachrinne, auf der sie dann runterkletterten, kannten sie schon blind. Niemand hatte sie da je erwischt, weil sie einen Deal mit Opa hatten. Dann lagen sie im weichen Gras, Hand in Hand, und schauten sich die vielen Sterne an, die über ihnen strahlten. Mama hatte ihnen erzählt, dass die Menschen, die sie am meisten lieb hätten, irgendwann zu Sternen würden. Damit man sie in schönen Nächten sehen könnte und in schlimmen Nächten wüsste, dass es sie trotzdem gab, auch wenn sie gerade hinter dicken Wolken versteckt waren. Opa war bestimmt auch so ein Stern. Wahrscheinlich der, der da links oben am hellsten funkelte. Dem schickten die beiden nächtlichen Ausbrecher oft ihre grauenhaftesten Grimassen rauf, genauso wie sie es mit Opa früher in der Küche gemacht hatten. Und manches Mal schnallten sie sich sogar ihre Luftgitarren um und rockten für ihn. Und sie stellten sich vor, wie er mitrockte, da oben …