Читать книгу Luftgitarrengott - Herbert Hirschler - Страница 12

Immer dieses Scheißlied

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Susi, Bastians moppelige Freundin mit der Brille, hatte Lisa längst durchschaut. Bastian hoffte, dass sie die Tränen nicht in seinen Augen sehen konnte, als sie ihm ihr Geschenk, eine Riesentafel Schokolade, raus in den Garten brachte und die beiden gemeinsam innerhalb von vier Minuten zweihundert Gramm Nuss-Nougat verputzten. Irgendwie tat es gut, gemeinsam zu futtern, wenn es einem schlecht ging.

»Entschuldigung, wenn ich das sage, aber Lisa ist schon ein echtes Biest. Ich habe genau gesehen, wie die Rosinen in den Pudding gekommen sind«, verriet Susi. »Und wie sie dich dann bei deiner Oma schlecht gemacht hat, das war nicht besonders nett von ihr.«

»Ich weiß, aber sie hat das bestimmt nicht so gemeint.«

Er wunderte sich selbst, warum er sein Schwestern­monster immer noch verteidigte, und wischte sich die letzten Tränen aus den Augenwinkeln.

»Gut, dass Oma nichts vom Pudding abgekommen hat. Tante Finni ist ja noch etwas jünger, der macht das bestimmt nichts aus. Aber wer weiß, was mit Oma los gewesen wäre? Das hast du toll gemacht.«

Susi versuchte ihn zu trösten.

»Danke Susi!«, langsam vergaß Bastian, was Lisa da soeben gemacht hatte, weil Susi gerade besonders lieb lächelte.

»Wer weiß, vielleicht hätten sich die Fliegen in ihren dritten Zähnen verfangen und Oma hätte ihre Beißerchen vor lauter Schreck verschluckt?«

Jetzt lachten beide, und nicht nur die Schokolade schmolz in Bastians Händen. Susi sah mit ihren ketch­up­roten Haaren so richtig knuffig aus. Dass er Oma mit heldenhaftem Einsatz vorm Ersticken bewahrt habe, sei schon ein kleines Küsschen wert, meinte sie dann. Bastians Wangen wurden die reinsten Heizkissen. Susi schmeckte nach Brausepulver, und er wusste gar nicht, was er sagen sollte. Zum Glück rief Mama, dass sie alle reinkommen sollten.

Langsam beruhigte sich die Lage, das Aquarium war evakuiert, und die Fische in der Badewanne freuten sich über mehr Bewegungsfreiheit. Aber da war noch Tante Finni. Zuerst sollte Bastian ihr Geschenk auf­machen, und dann wollte sie ihr Lieblingslied hören: Weiße Rosen aus Athen. Bastian bedankte sich still bei seiner Mama, dass sie ihnen dieses Lied in einem Anfall von geistiger Abwesenheit irgendwann beigebracht hatte. Seither wartete Tante Finni bei jeder Gelegenheit darauf, dass Lisa und er dieses griechische Scheißlied singen würden.

Vielleicht ließ sie sich heute umstimmen. »Iiiichhh«, krächzte er, »Iiiich kann nicht singen, ich habe mich vorhin verkühlt, draußen. Meine Stimme …«

Mama fiel ihm in den Rücken und meinte: »Bastian, mach kein Theater, vor einer halben Stunde hat man von deiner Verkühlung noch gar nichts bemerkt. Wo soll die denn plötzlich herkommen?«

»Ich verstehe das, bei mir geht das auch immer so schnell.« Yeah, Papa hielt zu seinem Sohn. »Bastian, hast du die Kraft, Tante Finni statt der Weißen Rosen unsere unglaubliche Luftgitarrenshow zu zeigen?«

Ja, natürlich! Ehe er noch den Mund aufmachen konnte, mischte sich Tante Finni ein und meinte: »Nichts da, der Junge singt. So schlimm kann das nicht sein.«

Sie sah ihm tief in die Augen. »Bastian, du wirst doch deiner lieben Tante wegen dem bisschen Verkühlung nicht ihren Wunsch abschlagen, oder?«

Du bist nicht meine Tante, dachte Bastian! Sagen traute er sich das nicht. Er wusste, es hatte keinen Sinn, und auch Papa gab sich geschlagen. Lisa verhielt sich überhaupt ganz ruhig, sie hatte wieder einmal gehofft, dass Bastian die Sache alleine schaukeln würde. Wie immer. Diesmal hatte das aber nicht geklappt, nach dem Geschenkeaus­packen würde auch sie Weiße Rosen trällern müssen.

Hektisch holte Lisa das riesige Paket von Tante Finni aus der Garage, wo es seit heute früh zwischengelagert wurde. Bastian konnte es beinahe nicht mehr erwarten, denn in dieser Verpackung hätte durchaus auch eine ausgewachsene E-Gitarre Platz haben können. Vielleicht würde es Tante Finni auf ihre alten Tage ja doch noch schaffen, ihn mit einem richtig coolen Geschenk zu überraschen. Papa hatte ihr bestimmt verraten, dass er sich nichts sehnlicher wünschte als eine eigene Gitarre.

Das Ding dürfte schwer sein, Lisa musste ganz schön schleppen. Dass ihr die große Schachtel auf dem langen Weg ins Wohnzimmer zwei Mal runtergefallen war, erwähnte sie mit keinem Wort.

Jetzt saßen alle auf der Ledercouch und starrten erwartungsvoll auf Bastian. Irgendwie musste der Karton feucht geworden sein, im Viervierteltakt tropften kleine Wasserperlen auf den Teppichboden. Mama half Bastian beim Öffnen. Als sie den Deckel hoben und Tante Finni von der Couch begeistert »Happy Börthday!« schrie, bemerkten die beiden ganz unten in der Box jede Menge Glasscherben, und dazwischen drei mickrige Goldfische, die friedlich vor sich hindösten. Im Licht des Wohnzimmerleuchters glitzerte es aus der Schachtel wie aus einem winterlichen Schneehaufen, ein kleines Rinnsal träufelte fröhlich durch den Karton auf Mamas Filzpantoffel. So sah keine E-Gitarre aus! Bastians Träume vom eigenen, megageilen Musikinstrument lösten sich in diesem Moment in Luft auf.

Tante Finni war immer noch begeistert, verstand aber nicht, warum Bastian sich nicht freute.

»Bastian, jetzt hast du dein eigenes kleines Goldfisch-Aquarium. Wer Verantwortung für Tiere übernimmt, der lernt dabei fürs ganze Leben.«

Allzu viel Verantwortung würde er da nicht mehr über­nehmen müssen. Denn die dösenden Goldfische dösten gar nicht, die waren schon im Goldfisch­him­mel, weil ihnen vor einer halben Stunde die flüssige Lebensgrundlage genommen worden war. Dank Lisa!

»Ihr hättet beim Öffnen besser aufpassen müssen!«, schrie Tante Finni, die endlich die Bescherung entdeckt hatte und sich im Stadium der Schnappatmung befand.

»Ich hab mir solche Mühe gegeben, ein ordentliches Geschenk für Bastian zu finden, und dann das!«

Mama und Bastian waren sich keiner Schuld bewusst, mussten das aber jetzt gemeinsam ausbaden. Ausbaden war gut, das hätten die Goldfische auch gerne getan, aber leider war es nun mal, wie es war. Warum Lisa so scheinheilig vor sich hinlächelte, würde Bastian erst viel später erfahren. Er drückte Tante Finni trotzdem zwei schnelle Küsschen auf ihre rot angelaufenen Wangen und sagte artig »Danke schön«, während Papa die leblosen Goldfische mitsamt der feuchten Aquariumskatastrophe im Müll entsorgte.

»Könnte man da nicht Fischstäbchen draus machen?«, wollte Lisa wissen.

Kaum konnte Tante Finni wieder einigermaßen normal schnaufen, beschwor sie neues Grauen herauf: »Puh. Auf den Schrecken brauch ich jetzt meine Weißen Rosen.«

Und weil sie schon in der Tasche nach ihrer Geldbörse suchte und niemand die angespannte Stimmung noch mehr aufheizen wollte, verzichteten Bastian und Lisa auf den neuerlichen Versuch eines Gegenvorschlages in Form einer noch nie dagewesenen Luftgitarrenshow und beugten sich dem Schicksal:

»Weiße Rosen aus Athen …« – sie hassten dieses Lied!

Luftgitarrengott

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