Читать книгу Luftgitarrengott - Herbert Hirschler - Страница 22
Abtanzen, Ausziehn, Luftgitarre!
ОглавлениеDie Party war wieder voll im Gang. Die Bergers ließen sich doch nicht von Kleinigkeiten wie leicht entzündbaren Vorhängen oder Ausfällen in Form von Gehirnerschütterungen und Alkoholvergiftungen die Lust am Feiern nehmen. Wer das glaubte, kannte sie schlecht. Business as usual – jetzt wurde so richtig abgetanzt, bis der Verputz von den Wänden bröckelte.
Okay, der bröckelte nicht erst seit heute, der Saal war doch eher prähistorisch und der leichte Brandgeruch hob den Level des Raumes auch nicht wirklich. Dafür war die Musik umso cooler, das machte alles wieder wett. Bastian hatte einige Boxen aus seinem Studio aufgebaut, daraus hämmerten abwechselnd Songs aus den Charts und uralte Rocknummern, zu denen es sich fabelhaft headbangen ließ. Langsam gab es auch von Papa wieder erste Lebenszeichen, Mama war mit Tante Finni in den Gastraum geflüchtet, wo sie bei Kaffee und Kuchen über den Sittenverfall der heutigen Jugend diskutierten.
Erst die Karaoke-Anlage vom Hosenscheißer trieb die ältere Generation wieder in den Party-Saal. Jeder kam mal dran, nur Tante Finni weigerte sich. Langsam wurde sie ungeduldig und wollte, dass Bastian mit dem Hosenscheißer »Weiße Rosen aus Athen« sang. Dessen Stimme klang gar nicht mal so schlecht, Country Roads war erste Sahne. Bastian suchte verzweifelt nach einer Vorhangstange, die sich lösen könnte, aber wenn man sie mal brauchte, war keine da. Einmal noch konnte er Tante Finni vertrösten, aber beim nächsten Mal ginge das bestimmt nicht mehr. Bastian wollte unter keinen Umständen mit dem Hosenscheißer Weiße Rosen singen, das wäre ja noch peinlicher, als es die ganze Katastrophe ohnehin schon war.
Um Tante Finni wieder auf andere Gedanken zu bringen, wurde der Karaoke-Anlage der Saft abgedreht. Den brauchten jetzt wieder voll und ganz die Studioboxen. Papa Berger weilte wieder unter den Lebenden und wusste, was er der versammelten Meute schuldig war. Gerade, als er mit seiner legendären Luftgitarrenshow starten wollte und sich die besoffene Bande um ihn herum versammelte, kam Lisa im Nuttenfummel in den Saal. Sie strahlte über das ganze Gesicht, zeigte Bastian ihren nach oben gestreckten Daumen, und für ihn war alles geritzt – die Berger-Kids werden Rockstars – yes!
Papa wollte sich gerade die Kleider vom Leib reißen, aber Mama hatte etwas dagegen. Das Hemd fehlte schon, aber sie konnte ihn daran hindern, auch noch die Hose auszuziehen. Dass er es in seinem Zustand kaum schaffte, den Gürtel zu lockern, half ihr etwas dabei. Alle schrien »Ausziehn! Ausziehn!«, doch Mama blieb hart! Aber auch alleine mit nacktem Oberkörper wurde die Show zur absoluten Sensation, und die Menge tobte. Bastian aber konnte es kaum mehr erwarten, mit Lisa zu reden.
Sie stand mittlerweile neben ihm, doch im Lärm der ekstatischen »Ausziehn!«-Rufe konnte er sie nicht richtig verstehen. Irgendetwas von »Vorvertrag« und »erster Produktion« drang dann doch an sein Ohr, und sein Grinsen wurde immer breiter. Hatte es das kleine Biest doch tatsächlich geschafft! Er liebte seine Schwester.
Papas Show war zu Ende. Tante Finni stand seit dem Beginn der Vorführung wie versteinert in einer Ecke. Es war für sie absolut unverständlich, dass sich ein alter Mann so zum Narren machen konnte. Überraschenderweise erholte sie sich schnell wieder von ihrem Schock und sah erwartungsvoll zu Lisa und Bastian. Und die beiden wussten, was das bedeutete. Nach dem, was heute passiert war und was dank Lisa noch alles passieren würde, ergaben sie sich dem Schicksal und sangen dieses Scheißlied.
Lisa gab Vollgas, völlig enthemmt schmetterte sie »Scheiß auf Rosen aus Athen!« in den Saal und die Börthday-Gäste, die gerade noch teils mitleidsvoll, teils hämisch, gegrinst hatten, jaulten begeistert mit. Tante Finni bekam wieder mal nichts mit und freute sich, dass ihr Lied so gut ankam. Doch auch wenn sie Tränen in den Augen hatte, vor Rührung, es war das absolut letzte Mal, dass sich ihre »Kleinen« so zum Affen machen würden. Als zukünftige Rockstars hatten sie das nicht mehr notwendig. Die zehn Mark von Tante Finni waren lächerlich im Vergleich zu dem, was sie in den nächsten Jahren erwarten würde. Dachten sie.