Читать книгу Luftgitarrengott - Herbert Hirschler - Страница 23
Geiles Leben
ОглавлениеIrgendwann muss jeder Tag zu Ende gehen, selbst ein so denkwürdiger wie dieser. Tante Finni war schon vor Stunden selig lächelnd mit dem Taxi heimgefahren. Mama hatte sich kurzerhand bei Papa, der partout noch nicht gehen wollte, eingehängt und die beiden wackelten zu Fuß nach Hause. Der Rest der Horde verließ laut singend das Wirtshaus, und der Besitzer betete drei Vaterunser, weil er diese Wahnsinnigen los war. Endlich war Bastian mit Lisa allein. Es sprudelte nur so aus ihr raus. Sie erzählte ihm mit roten Wangen, wie spannend es war, als sie hineingeführt wurde in den Besprechungsraum von Star Records.
»Das war eigentlich kein Besprechungsraum, sondern die Sky-Lounge im vierzehnten Stock«, berichtete sie ihm mit leuchtenden Augen. »Stell dir vor, Bastian, da war eine riesengroße Bar, edles Holz, Marmor und was so dazugehört. Die Typen hinter der Bar sahen richtig heiß aus. Ich glaube, da muss ich öfters hin.« Lisa zwinkerte Bastian zu, der wollte gar nicht daran denken, was ihr jetzt alles so durch den Kopf ging.
»Wir tranken Cocktails, und die schnuckeligen Kellner servierten kleine Häppchen. »Finger-Food« nennt man das.«
Ja, schon gut, dachte Bastian, ich bin ja nicht von gestern. Das interessierte ihn aber nicht die Bohne, er wollte jetzt endlich erfahren, wie die Songs angekommen waren.
Aber Lisa schwärmte weiter: »Und überall goldene Schallplatten und Fotos von Joe und Madonna. Der ist eine ganz große Nummer, mein Joe.«
»Gratuliere! Was hat diese große Nummer zu unseren Songs gesagt?« Langsam wurde Bastian die Schwärmerei zu viel.
»Er war begeistert! So eine große Nummer ist er aber auch wieder nicht, dass das wirklich zählt.«
Was jetzt?
»Dann kam der Big Boss rein, Mr. T. Ich glaube, keiner weiß, wie der wirklich heißt. Egal, er hat mich begrüßt, als wäre ich seine Tochter. So mit Umarmung und Kuss links, Kuss rechts und so. Ich glaube, der mag mich wirklich!«
Wahrscheinlich wollte er auch nur mit dir vögeln. Das dachte sich Bastian nur. Er wollte Lisa jetzt nicht in ihrem Begeisterungsdelirium stören.
»Und als er die Songs gehört hat, wurde gleich eine Flasche Champagner aufgemacht.«
Yes, Bastian hatte es gewusst!
»So etwas gibt’s nur alle zehn Jahre, hat er gesagt.«
»Lisa, das ist ja der Hammer! Wir haben es geschafft. Du bist unglaublich. Schade, dass ich nicht dabei sein konnte.« Jetzt war Bastian im Begeisterungsdelirium. »Wann sind wir im Studio und nehmen die Songs auf?« Er konnte es kaum glauben, dass es endlich soweit war. Ihre erste gemeinsame Produktion! Wahnsinn!
»Oh, habe ich dir das noch nicht gesagt?«
Was kam jetzt? Was hatte sie ihm noch nicht gesagt? Wollte er das überhaupt wissen?
Und dann erzählte ihm sein liebes Schwesterherz, dass sie alles Menschenmögliche versucht habe, aber die Plattenfirma einfach nicht davon überzeugen habe können, sie beide als »Rock-Duo« unter Vertrag zu nehmen.
»So etwas funktioniert heute nicht mehr, haben die gesagt. Basti, sei mir nicht böse, aber ich muss das jetzt erst mal alleine durchziehen, sonst hätten sie mir keinen Vertrag gegeben!«
Bastian hatte das Gefühl, als ob ihm seine Gesichtszüge entgleisen würden.
»Lisa, das kann nicht dein Ernst sein? Wir wollten das doch nur gemeinsam machen. Entweder beide oder keiner. So geht das nicht!«
»Die haben mir keine andere Wahl gelassen, Basti. Ich hab’s wirklich probiert.«
Er glaubte ihr kein Wort! Und weil ihn da gerade so ein blöder Ficus benjamina aus einem noch blöderen Blumentopf so richtig ultrablöd anschaute, trat er aus purer Verzweiflung gegen die rote Tonschüssel. Der Ficus benjamina verzog keine Miene, Bastian dafür umso mehr, und es war durchaus möglich, dass er sich zwei bis drei Zehen gebrochen hatte.
Erschrocken rief Lisa: »Bastian, was machst du da? Der Blumenstock kann doch nichts dafür.«
Nein, der konnte nichts dafür, das wusste er. Aber über ihm stürzte gerade eine kurz zuvor noch in allen möglichen Rosatönen schimmernde Welt zusammen, da konnte er keine Rücksicht auf blöd herumstehende Blumenstöcke nehmen.
»Basti, das wird schon wieder. Freust du dich denn gar nicht für mich? Du wirst dabei ja auch nicht leer ausgehen, da mach dir mal keine Sorgen. Übrigens, ich habe sogar schon einen Namen vorgeschlagen, was hältst du von Lucy Hill? Die waren total begeistert!«
Großartig, seine Schwester würde als Lucy Hill Karriere machen, und er durfte als Bastian Berger weiter Möbel tischlern – gut gemacht, Lisa. Selbst ihr neuer Künstlername war von ihm geklaut, zumindest teilweise. Super gelaufen! Danke!
Bastian brauchte einige Zeit, bis er wieder etwas klarer denken konnte. Vor ein paar Minuten hatte er eine mehr als rosige Zukunft vor sich, er sah sich im grellen Scheinwerferlicht gemeinsam mit Lisa in den größten Stadien dieses Planeten vor tausenden entfesselten Zuschauern. Und jetzt, innerhalb von fünf Sekunden, war plötzlich alles ganz anders. Für ihn! Für Lisa nicht, denn sie hatte einen Produktionsvertrag, der ihr alle Türen ins Musik-Biz öffnen würde. Während er vielleicht irgendwann mal vor zwanzig besoffenen Gummistiefelträgern im hintersten Hinterhammelstetten Weiße Rosen aus Athen trällern und auf einen ordentlichen Hurrikan hoffen konnte, der ihm all seinen Frust aus den Adern blies, hatte Lisa das große Los gezogen. Mit seinen Songs. Okay, das war wenigstens ein kleines Trostpflaster. Sein Name würde zumindest als Komponist auf den CD-Covers aufscheinen, wenn auch in der kleinsten möglichen Schriftart, nur sichtbar für Briefmarkensammler mit extrastarken Leselupen, aber immerhin. Wenn Lisa die Songs zu Hits machen würde, hätte er ja auch was davon. Und außerdem, wer weiß, vielleicht konnte Lisa ja wirklich nichts dafür. Man weiß ja, wie hart dieses Musikbusiness ist.
»Lisa, tut mir leid, dass ich so reagiert habe. Natürlich freue ich mich für dich. Nur, ich habe mir das ganz anders vorgestellt.«
»Ich versteh dich ja. Wenn ich erst mal im Business bin, dann ist es bestimmt keine große Sache mehr, dich da auch reinzubringen.«
Jetzt war der Augenblick gekommen, seine Schwester in den Arm zu nehmen. »Lisa, du wirst ein Superstar, da bin ich mir ganz sicher. Ich freu mich so für dich.«
Sie schaute ihn liebevoll an und in ihren Augen glänzten ein paar Tränen. »Bastian, du bist der Beste, ich werde dir das nie vergessen, was du alles für mich getan hast.«
»Ich werde noch viel mehr für dich tun. Ich schreibe dir die tollsten Songs, genauso, dass sie hundertprozentig zu dir passen. Authentischer könntest du sie selbst nicht schreiben. Ich kenne dich in- und auswendig, da kann gar nichts schiefgehen. Ich lass dich bestimmt nicht allein.«
»Ah ja, wegen der Songs, da muss ich dir noch etwas sagen. Star Records meint, der Markt wäre zurzeit geradezu ideal für Interpreten, die man als Singer-Songwriter verkaufen könne. Und die schreiben sich ihre Songs alle selbst. Die Leute lieben das. Ich musste denen einfach sagen, dass die Songs von mir sind. Das ist doch bestimmt kein Problem für dich, nicht wahr, Basti?«