Читать книгу Luftgitarrengott - Herbert Hirschler - Страница 9
Rocker-Baby und Kuschel-Prinzessin
ОглавлениеBastian fand nichts dabei, dass Papa den ganzen Ort mit Rockmusik überflutete. Er hatte Wichtigeres zu tun. Gut, dass er nur einen Tag zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben musste, wer weiß, vielleicht wäre sonst sein großer Tag ins Wasser gefallen – sein zehnter Geburtstag. Vor zwei Tagen war er entlassen worden. Es gab ein heftiges Donnerwetter vom Direktor für die vier Rabauken, die Bastian zu der schmerzhaften Bekanntschaft mit dem Golf gezwungen hatten, und die Warnung, dass sie beim nächsten Verstoß gegen Ordnung und Sitten von der Schule fliegen würden. Das war’s dann auch schon.
Bastian war also Kummer gewohnt. Heute wollte er davon nichts wissen, seine Geburtstagsfeier ließ er sich bestimmt nicht vermiesen. Heute gab es alles, was seine Mama sonst nicht so gerne sah: Schokoladezigaretten, klebrigen Bazooka-Kaugummi, prickelnd süßes Afri-Cola und obendrein zehn Mark extra von Tante Finni, wenn Lisa und er für sie Weiße Rosen aus Athen singen würden. Für Papa war das ein »Scheißlied«, und die beiden Miniatur-Bergers konnten es auch nicht ausstehen, aber die zehn Mark entschädigten die wehrlosen Kids doch für die dreiminütige Misshandlung. Eigentlich hätte man in diesem Moment das schöne Singing in »Whining« oder »Crying« umbenennen müssen.
Lisa war im Gegensatz zu ihm ein Mädchen geblieben, die ganze lange Zeit, vom Bauch bis zur Zustellung. Bei Bastian war in der Lieferzeit ja irgendetwas schiefgegangen. Der Arzt hatte damals beim Ultraschall eindeutig keinen Schniedel gesehen, jetzt aber hatte er einen! Mama Berger war doch etwas überrascht gewesen, sogar ein bisschen enttäuscht, könnte man sagen, denn darauf war sie nicht vorbereitet. Und Papa auch nicht, denn der musste ganz allein das Kinderzimmer von Rosa auf Blau umgestalten. Papa, der eigentlich Gustav hieß, hatte sich damals nach Bastians fulminantem Start in dieses Leben doch sehr gefreut. »Aus dir mach ich einen echten Rocker!«, versprach er ihm noch im Ambulanzwagen, in dem der kleine Berger-Bonsai das Neonlicht der Welt erblickte. Mama Maria war nur am Weinen. Sie behauptete, das wäre vor lauter Glück, aber eigentlich wollte sie alles andere als ein Rocker-Baby und weder Lederstrampelhose noch »Hells Bells« auf dem Latz. Sie hatte von herzigem Rosa und permanentem Kuscheln geträumt, und genau das hatte sie sich dann fünfzehn Monate später nachliefern lassen – Lisa. Lisa und Mama hingen fast den ganzen Tag zusammen, die kleine Göre wusste genau, wie sie Mama Berger um den Finger wickeln konnte. Und die bekam gar nicht genug von ihrer süßen Kleinen. Eigentlich gut, dass Bastian das mit dem Schniedel passiert war, dachte er manchmal, sonst müsste er beim Fernsehen auf Mamas Bauch liegen. So konnte er sich daneben ganz allein auf dem Sofa ausbreiten, während die beiden aus dem Kuscheln gar nicht rauskamen.
Wenn Papa am Abend mal früher nach Hause kam, konnte Mama hin und wieder zu ihren Freundinnen fahren. Dann dröhnten aus einer mächtig überdimensionierten Stereoanlage Rocknummern in einer Lautstärke durch das Haus, dass die Scheiben klirrten. Die Stereoanlage im Wohnzimmer brauchte sich vor dem alten Plattenspieler in der Garage nicht zu verstecken, da war ordentlich was los bei Bergers »ultimativer Rock-Night«, wie Papa das Spektakel nannte.
Papa, Lisa und Bastian waren mittlerweile zu absolut unglaublichen »Luftgitarrenheroes« geworden. Irgendwie war er schon etwas verrückt, der Papa Berger. Vor allem, wenn er in seiner Unterhose auf dem Sofa stand und zu Deep Purple mit seiner imaginären E-Gitarre Smoke On The Water grölte. Bastian konnte das inzwischen auch schon perfekt, aber was Lisa aufführte, konnte keiner der Männer toppen. Die spielte in einer eigenen Liga, da musste man aufpassen, dass der Kristallleuchter und die Wohnzimmervorhänge heil blieben. Wie ein Gummiball hüpfte sie durch das Haus, und nichts war vor ihr sicher. Während einer Jam-Session zu Bruce Springsteens Born In The USA musste das Aquarium dran glauben, weil Lisa rücklings vom Sofa in die Zierfische krachte. In einer turbulenten Hilfsaktion konnten einige der am Boden nach Luft schnappenden Wasserzappler gerettet werden. Mama war nicht wirklich erfreut, als ihr die bergerische Luftgitarrengang erklärte, dass an diesem Tag das Baden ausfallen musste, weil in der Wanne ein Flüchtlingslager für heimatlose Zierfische eingerichtet hatte werden müssen.
Mama dachte im ersten Moment, dass eines der männlichen Familienmitglieder das Aquarium zerstört hatte.
»Das schaut euch wieder ähnlich! Könnt ihr nicht aufpassen?«
Lisa sah sie mit großen Augen an und flüsterte ganz leise: »Das war ich. Aber ich wollte das nicht!«
Und schon war für Mama wieder alles in Ordnung. Dass die Fische ihre Heimat wegen der süßen, kleinen Lisa verloren hatten, war etwas ganz anderes. Den Männern hätte sie dieses Kapitalverbrechen noch tagelang nicht verziehen, zu Lisa aber sagte sie nur: »Ist ja nicht so schlimm. Zum Glück ist dir nichts passiert, mein Schatz!«