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Nur noch Augen für Susi

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Susi? Bastian kannte nur eine Susi, aber die war fett wie eine Wikinger-Mami aus Flake. Die Susi vor ihm lachte ihn an, und plötzlich fiel bei ihm der Groschen. Es war dieses Lachen von früher, das ihre blauen Augen so strahlen ließ, dass man glauben konnte, direkt die Sterne am Himmel zu sehen. Und die ­lustigen Sommersprossen rund um die spitze Nase ­waren auch noch dieselben. Sie passten perfekt zu den leuchtend roten Haaren, die sie jetzt viel kürzer trug und die frech und etwas ausgeflippt in alle möglichen Richtungen standen. Und da war auch diese Figur – nein, die war nicht so wie damals, die war – was sollte man sagen – wauuuuuuh – alles war dort, wo es hingehörte. Da war nichts zu viel und nichts zu wenig, im Gegenteil, es war … Konnte es sein, dass man sich innerhalb einer Sekunde Hals über Kopf verliebte? Und dabei völlig vergaß, dass man in Kürze jede Braut auf Erden flachlegen könnte, weil man als Rockstar nicht mal mehr Anmachsprüche brauchen würde, um den Mädchen zu imponieren? Bastians Gefühle fuhren Hochschaubahn.

Da er keine unbeschadete Schulter mehr hatte, boxte ihm Georg freundschaftlich in den Bauch und meinte: »Na, da schaust du, ist das eine Überraschung?« Dann legte er seinen Arm um Susi, und im selben Augenblick verabschiedeten sich Bastians Träume ins Nirvana. Er musste in Zukunft wohl doch die »Variante Rockstar« wählen. Er wusste allerdings nicht, ob er das nach diesem Moment noch wollte.

»Susi, wie schaust du denn aus?« Bastian war immer noch nicht ganz zurechnungsfähig, aber bevor er noch weiterstammeln konnte, drückte ihm dieser Engel einen Kuss links und rechts auf die Wangen, dass er rot anlief wie ein pubertierender Schüler, der beim Pornoheftgucken erwischt wurde.

»Happy Börthday, Bastian! Danke, dass du mich eingeladen hast!« Und schon zog Georg sie weg, weil er Susi jetzt auch den anderen vorstellen wollte.

»Wir sehen uns noch, Basti.« Und fort war sie.

»Bastian, wie groß du geworden bist!« Tante Finni war jetzt kein wirklich aufmunterndes Kontrastprogramm, aber was soll’s. Jedes Mal dasselbe, Bastian müsste längst fünfeinhalb Meter groß sein, so oft wie er diesen Spruch von ihr gehört hatte. Dabei hatten sie sich erst vor drei Wochen gesehen, aber das hatte Tante Finni längst vergessen. Und außerdem gehörte es einfach dazu. Wie das Singen von – stopp, daran wollte Bastian nicht mal denken, er wollte den Teufel nicht an die Wand malen. Vielleicht konnte er sich das heute sparen, wenn Lisa doch länger in ihrem Nuttenfummel die Plattenproduzenten bezirzen musste.

Mittlerweile waren alle Freunde Bastians da, auch seine Eltern hatten die zweihundert Meter von zu ­Hause geschafft. »Na, Rockstar, wie fühlst du dich? Gut schaust du aus!«

Endlich, auf Papa war halt Verlass. Mama drückte ihm einen Schmatz auf die Wange und meinte nur: »Alles Gute, mein Kleiner! Und trink nicht zu viel heute!« Obwohl er das nicht wirklich versprechen konnte, nickte er nur kurz und schaute schnell mal, was sich bei der halben Susi von früher so tat. Wie hatte sie das bloß gemacht? Bastian hatte immer noch seine Mops-Figur, aber Susi war kaum wiederzuerkennen. Und leider, das musste Bastian zugeben, passte sie perfekt zu Georg. Er war einer von diesen dürren Möchtegernextremsportlern, und Bastian hätte sich nicht gewundert, wenn die beiden gemeinsam joggten und vielleicht sogar ins Fitnesscenter gingen. So etwas wäre Bastian nie in den Sinn gekommen, er hatte ja andere Prioritäten. Oder eigentlich nur eine. Seine Musik. Für Sport blieb da keine Zeit.

Bisher hatte sich Bastian auch keine großen Gedanken über seine Figur gemacht, aber jetzt ging er mal im Geiste die Heroes der Rockmusik durch. Bis auf Meat Loaf fiel ihm kein fetter Bühnengott ein, es sei denn, man würde Elvis mitzählen, aber der war schon ewig Geschichte und hatte ein Korsett getragen. Sollte ihm das zu denken geben? Die meisten Rocker waren gut gebaut und schlank. Zumindest schlanker als Bastian, was eigentlich nicht so schwer war. Wahrscheinlich hatten die alle gar keine Zeit zum Essen, weil sie sich permanent die härtesten Drogen reinzogen und sich nach jedem Auftritt die Birne volllaufen ließen. Im nächsten Moment waren diese Gedanken wieder völlig vergessen, weil Susi vor ihm stand und ihn anlachte. Ihre blauen Augen strahlten, dass man glauben konnte, die Sterne am Himmel zu sehen, und … aber das hatten wir schon. Bastian war ein Rockstar, und der hatte cool zu sein.

»Hi Susi, was geht ab?«

Ha? So etwas hatte er sein ganzes Leben noch zu niemandem gesagt, aber Susi brachte ihn völlig durcheinander. Sein cooles Lächeln wurde zu einem sabbernden Zähnefletschen, und seine Knie fühlten sich an wie der Schokopudding im Aquarium – inklusive den im ganzen Körper kribbelnden Fliegen und Spinnen, die offenbar von den Toten auferstanden waren. Cool war anders.

»Ich hab gehört, dass du mit Lisa an neuen Songs gearbeitet hast? Gibt’s eine Chance, die mal zu hören?«

Ja sofort, bitte komm mit mir ins Studio, dachte Bastian. Papa hatte anscheinend geplaudert.

»Nein, sei mir nicht böse, bevor wir da kein Okay vom Plattenlabel haben, darf ich die niemandem vorspielen.«

Verfluchte Scheiße, dachte Bastian, wie blöd kann man eigentlich sein, warum sag ich denn das?

»Schade, ich wünsche euch von ganzem Herzen, dass dieser Traum in Erfüllung geht!«

Er auch! Welcher Traum? Ach so, der von der Musik. Dieses eine Mal hatte er an einen anderen, an seinen ­neuen Traum gedacht.

»Möchtest du Schokolade? Wie früher?« Ihre Augen strahlten … Okay, wir wiederholen uns, aber es war so.

Langsam lösten sich einige Knoten in Bastians Sprachzentrum und in der nächsten halben Stunde quatschten die beiden von alten Zeiten und vergaßen völlig, dass um sie herum zufällig eine Geburtstagsparty lief. Und so nebenbei verputzten sie dabei zweihundert Gramm »Nuss-Nougat«.

»Happy Börthday to you!«

Was sollte jetzt diese Störung? Bastian bekam zuerst gar nicht mit, dass die gesamte Meute ein Geburtstagsständchen für ihn sang. Mittendrin stand Tante Finni mit einer selbstverbrochenen Torte, auf der zwanzig Kerzen darauf warteten, von ihm ausgeblasen zu werden.

Musste das sein? Er war doch so schön am Quatschen mit Susi. Sie lachte ihn an, sprang auf und stellte sich zu seinen, teilweise schon unverkennbar betrunkenen, Freunden. Und dann schrie die Menge »Ausblasen! Ausblasen! Ausblasen!«

Weil Bastian so in Stimmung war und er sich durch die Nähe von Susi plötzlich so richtig stark fühlte, blies er vielleicht ein bisschen zu kräftig in die Flammen. Tante Finni hatte wohl etwas gespart beim Verzieren des Tortendesasters, denn mit der Schokoglasur verabschiedeten sich auch einige Kerzen und flogen lustig durch die Gegend. Ein paar davon konnte die verdutzt dreinschauende Tante gerade noch abwehren, aber dass hinter ihr zufällig ein leicht entzündbarer Fenstervorhang auf seinen großen Auftritt wartete, war so nicht geplant.

Es sah enorm feierlich aus, als der Stoff explosionsartig zu brennen begann. Normalerweise wäre jetzt Panik ausgebrochen, aber bei der Ansammlung von Wahnsinnigen wurde als erstes begeistert applaudiert und auf die tolle Einlage angestoßen. Bis kreidebleich der Wirt die Bühne betrat, lauthals schrie: »Seid ihr komplett irre?« und mit seinem Handfeuerlöscher auf den Vorhang spritzte.

Zum Glück entpuppte sich alles als halb so schlimm, der Brand war bald unter Kontrolle, nur den Stoff konnte man eher nicht mehr benutzen. Papa stellte sich völlig selbstlos zur Verfügung und startete eine Friedensmission mit dem Wirt. Weil die beiden am Tresen so viel zu bereden hatten, kam er erst eine halbe Stunde später wieder in den Saal, leicht wankend und seiner Stimme beraubt. Er lallte etwas von »schweren Verhandlungen« und zog sich für eine längere Nachdenkpause auf die harte Bank beim Kachelofen zurück.

Luftgitarrengott

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