Читать книгу Luftgitarrengott - Herbert Hirschler - Страница 13
2000: MUSIK, WAS DENN SONST Ervögelt
ОглавлениеJetzt hatte sich dieses Biest doch tatsächlich einen Termin beim angesagtesten Musikproduzenten des Landes ervögelt. Ja, »ervögelt«, genauso nannte es Lisa, als sie ihrem Bruder vor zwei Wochen davon erzählt hatte. Und dieser Termin sollte morgen sein, genau zu der Zeit, zu der Bastians zwanzigste Börthday-Party beim Kirchenwirt in Singing steigen sollte. Also unmöglich für ihn, dabei zu sein, sie musste das also alleine durchziehen.
»Warst du da nicht gerade mit diesem schnuckeligen Bankbeamten zusammen? Du hast doch so von ihm geschwärmt!«, fragte Bastian damals.
»Nein, ja, egal! Ich war allein auf dieser Hammerparty, und da war plötzlich dieser Typ und dann …«, Lisa machte eine Pause.
»Was dann?«
»Dann bin ich mit ihm noch in seine Bude gefahren und da ist es halt passiert! Ist ja nichts Schlimmes, oder?«
Für Lisa war das nichts Schlimmes, sie sah das nicht so eng. Bastian hatte eine etwas andere Vorstellung von Liebe. Er hatte diesen Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da versicherte ihm Lisa: »So etwas hat nichts mit Liebe zu tun! Da treffen sich einfach zwei junge Menschen, die gerade nichts Besseres zu tun haben, als miteinander zu vögeln.«
Wo hatte seine Schwester bloß diese Ausdrucksweise her? Und außerdem, konnte sie Gedanken lesen? Bastian war einigermaßen verwirrt.
»Jetzt schau nicht so, Basti! Der Typ war echt abgefahren. Er heißt übrigens Joe. Dass er ein Macher in der Musikbranche ist, habe ich erst am nächsten Tag erfahren. Ehrlich!«
Lisa dachte bestimmt, dass sie Bastian damit beruhigen konnte. Sie war also nicht aus purer Berechnung mit dem Kerl ins Bett gesprungen, sondern hatte anständigerweise erst später erfahren, dass er ihr auch bei ihrer Musikkarriere nützlich sein konnte.
Und wieder las sie seine Gedanken. »Das ist ja auch gut für dich, oder? Wir spielen Joe unsere Songs vor und du wirst sehen, im Handumdrehen sind wir im Musik-Biz.«
Aha, sie hatte das also für ihn gemacht. Jetzt bekam Bastian rote Flecken.
»Du wirst noch sehen, was so ein bisschen Vögeln alles auslösen kann.«
Bastian wunderte sich oft, wie es möglich war, dass Geschwister so unterschiedlich sein konnten. Beide träumten sie denselben Traum, aber die Wege, die sie dorthin einschlagen wollten, konnten unterschiedlicher nicht sein. Musikalisch war Lisa genauso gepolt wie Bastian, aber im Gegensatz zu ihm führte sie schon jetzt das exzessive Leben einer Diva. Es gab keine Party im Umkreis von hundert Kilometern, die vor ihr sicher war. Selbst wenn sie gar nicht eingeladen war, fand sie immer einen Weg. Und meist später auch noch ins Bett eines x-beliebigen Partygasts. Die Frage »Zu dir oder zu mir?« war ihr völlig egal, sie hatte mit ihren achtzehn Jahren schon mehr Lover nach Hause gebracht, als im Spätsommer Schwalben auf der Telefonleitung saßen, das war eine ganze Menge. Dabei wurde ihr ständig das Herz gebrochen, »Liebeskummer« war Lisas zweiter Vorname. Und Bastian, als uneingeschränkter Experte für fast alles, was seine Schwester betraf, war ihr Kratz- und Heulbaum. Wenn sie nicht gerade unter jemandem lag, lagen die beiden oft bis nach Mitternacht Seite an Seite im weichen Gras ihres Gartens und sahen in den Nachthimmel, wie sie es schon als Kinder getan hatten. Das »Sternderlschaun« war mittlerweile eine Familientradition geworden.
Hier unter den Sternen hatten sich die beiden geschworen, die Bühnen dieser Welt zu erobern. Als Rock-Duo wie Ike and Tina Turner. Nur besser! Und auf Deutsch, in ihrer Muttersprache. Falco und Nena hatten es geschafft, da würde es doch kein Problem sein, damit ebenfalls durchzustarten. Weltweit! Und einen Namen hatten sie auch schon gefunden. Von Bastians erster Idee Hill & Hill war Lisa nicht wirklich begeistert, Beli Ba gefiel ihr schon bedeutend besser. Das klang wie einer der gerade hippen Fantasie-Bandnamen, aber Bastian hatte sich sogar etwas gedacht dabei: Es waren jeweils die ersten beiden Buchstaben von Berger, Lisa und Bastian.
Lisa lachte laut, als ihr Bastian nochmal ins Gewissen reden wollte:
»Scheiß dir nicht ins Hemd, Basti! Bleib locker, das wird schon! Ich komme etwas später zu deiner Party, und dann feiern wir auch gleich meinen ersten Produktionsvertrag.«
»Unseren!«
»Was unseren?«
»Unseren ersten Produktionsvertrag!«
»Natürlich unseren! Beli Ba goes Hollywood – wirst schon sehen! Okay?«
»Okay, Lisa.«
Und genau diese Aussicht auf einen Produktionsvertrag bei einem Major-Label war schuld daran, dass Bastian und Lisa schon seit Tagen im Keller an neuen Songs arbeiteten und das Wort »Sonnenlicht« nur mehr vom Hörensagen kannten. Jeder Rockstar hat einmal klein angefangen. Eine stickige Kammer ohne Fenster, dafür mit einer gehörigen Duftnote nach Schweiß und Zigaretten, das würde sich später als Stars bestimmt hervorragend im Lebenslauf machen. Und dass sie beide mal Stars würden, das stand für Lisa und Bastian aber so was von fest!