Читать книгу Luftgitarrengott - Herbert Hirschler - Страница 14
Musik liegt in der Luft
ОглавлениеEin Leben ohne Musik konnte Bastian sich nicht mehr vorstellen. Lisa war da ganz ähnlich und Papa Berger freute sich, denn endlich hatte er zwei Nachwuchs-Wahnsinnige, mit denen er seine Leidenschaft teilen konnte. Als Mama ihren Kindern eine Flöte für den ersten Musikschulunterricht kaufen wollte, marschierte Papa höchst persönlich zum Direktor und erklärte ihm, dass seine Kids die musikalische Früherziehung schon längst hinter sich hätten. So begann Bastian gleich mal mit Schlagzeug und E-Gitarre. Er hatte zwar große Probleme, mit seinen kleinen Händchen die dicken Saiten zu greifen, aber irgendwie schaffte er es. Und irgendwann hatte er alle durchprobiert, sämtliche Instrumente, die sie in der Musikschule zu bieten hatten. Völlig egal, ob man auf ihnen klimpern, schlagen, zupfen oder blasen musste, Bastian lernte schnell.
Mama wollte unbedingt, dass ihr Mädchen ein anständiges Instrument spielte. Geige! Lisa sah das völlig anders. Obwohl auch sie jede Menge Talent besaß, fabrizierte sie absichtlich die schrägsten Töne und war schon bald wieder raus aus der Nummer. Ihr Instrument stand sowieso längst fest. My Heart Will Go On von Céline Dion war gerade ganz vorne in den Hitparaden, und sooft Lisa diesen Song mit dramatischen Posen vom Wohnzimmersofa aus durch das Haus schmetterte, war Gänsehautfeeling angesagt. »Ewri neit in mei drims – Ei si ju …« war zwar nicht wirklich lupenreines Englisch, aber Lisa brauchte ganz eindeutig keine Hilfsmittel, um sich musikalisch auszudrücken, da genügte einzig und allein ihre sensationelle Stimme.
Papa war mächtig stolz auf seine Kleinen und prophezeite ihnen eine große Karriere. Mama jedoch war da völlig anderer Meinung. Wichtig sei eine ordentliche Ausbildung, denn von der Musik würde heute bestimmt keiner mehr leben können.
»Dein Papa war auch mal so ein Träumer. Weißt du noch, Gustav?«, spöttelte Mama, »eure Band, wie hat sie geheißen? Ah ja …«, sie lachte laut auf, »›The Flying Zebras‹, die stand ja kurz vor ihrer Weltkarriere. Habt ihr zumindest damals gedacht.«
Okay, mit diesem beschissenen Namen konnte man unmöglich eine Weltkarriere starten, das war selbst Bastian als musikalischem Jungspund klar.
Mama stichelte weiter. »Bis auf den legendären Auftritt beim Feuerwehrfest in Hinterhammelstetten ist diese Karriere aber nie so richtig ins Laufen gekommen. Ganze zwanzig Minuten habt ihr gespielt wie die Weltmeister, dann hat ein Orkan das Zelt weggeblasen und vorbei war’s.«
Papa war nicht wirklich begeistert von Mamas Schilderungen seiner unglaublich intensiven, aber extrem kurzen Laufbahn als Hardrocker. Eigentlich war es ein Segen, dass der Wind damals zwei Drittel vom Zeltdach abgedeckt hatte. Die Leute im beschaulichen Hinterhammelstetten waren ebenso beschauliche Volksmusik gewohnt und hatten schon nach dem ersten Song entrüstete Buh-Rufe durch das Zelt gellen lassen. Jedes Mal, wenn jemand von diesen dunkelsten Minuten in Papas Musikerleben erzählte, bekam er diese roten Flecken auf den Wangen.
Mama Berger kratzte gerade noch die Kurve, indem sie ihm einen Kuss auf die Wange drückte und lachend hinzufügte: »Aber es war schon gut, dass ihr in Hinterhammelstetten gespielt habt, denn da haben wir uns kennengelernt. Und das alleine zählt, mein Schatz! Egal was sonst passiert ist …«
Am leicht gequälten Lächeln von Papa konnte man sehen, dass er das doch etwas anders sah. »Der Auftritt war zwar scheiße, aber trotzdem irgendwie cool! Als bei You Really Got Me plötzlich das Zeltdach davonschwebte und überall Sirenen zu hören waren, das war schon eine Mega-Show.«
Und dann wandte er sich an seinen musikalischen Nachwuchs: »Das müsst ihr mir erst mal nachmachen!« Und lachend fügte er hinzu: »Aber ihr zwei, ihr werdet nicht im verschissenen Hinterhammelstetten vor dreißig Leuten spielen, bei euch werden tausende Menschen dabei sein. Da bin ich mir ganz sicher!«
Jetzt bekam Mama rote Flecken.
Papa hatte erkannt, was in seinen Kids steckte. Und wenn es auch bei ihm nicht geklappt hatte mit der großen Musikerkarriere, bei ihnen, davon war er überzeugt, würde sich dieser Traum erfüllen.
Trotzdem hatte Bastian beim Tischler im Ort eine Lehre absolvieren müssen. Zwei Jahre zuvor hatte er sie abgeschlossen, ohne einen einzigen Finger zu verlieren, alles noch dran an beiden Händen. Und Mama war auch zufrieden.
Mama war das genaue Gegenteil des restlichen Clans. Keine Spur von Wahnsinn. Sie war der ruhende Pol der Bergers. Wenn Papa sie in der Küche im Sex Bomb-Fieber zum Dirty Dancing überreden wollte, lachte sie nur, hieß ihn einen »Spinner« und kehrte den Küchenboden. Sie putzte und kochte den ganzen Tag und freute sich, wenn es allen gut ging. Papa war keine wirklich große Hilfe im Haushalt und seine Kids auch nicht.
Mama konnte manchmal auch ganz schön nerven. Vor allem, wenn sie wieder mal ihre Herz-Schmerz-Schlager-Stunde hatte. Da war Weiße Rosen aus Athen gar nicht das Schlimmste, es gab noch viel ärgere Schnulzen. Das Fett tropfte förmlich aus den Boxen, so schmalzig ging’s in ihrer Küche zu. Als Kinder waren Lisa und Bastian dann meist mit dem Rad zu Oma geflüchtet. Egal was war, Oma war immer für sie da gewesen. Und ganz in der Nähe wohnten auch Susi und Georg. Die vier waren den ganzen Tag zusammengesteckt und Oma hatte sie mit Süßem und viel Liebe versorgt.
Vor drei Jahren war Oma dann beim Backen einfach umgekippt. Nach Opa und ihrem Hamster, den sie vor ewiger Zeit im Garten hatten verbuddeln müssen, war das der dritte Todesfall, den Lisa und Bastian miterlebt hatten. Wenn es Zoff zu Hause gegeben hatte, Probleme in der Schule oder auch Liebeskummer, bei Oma war alles wieder gut gewesen. Doch der Arzt, der von Papa gerufen worden war, als er sie gefunden hatte, hatte leider nichts mehr machen können. Seither hatten die Berger-Kids einen zweiten Engel im Himmel, der auf sie aufpassen würde.
Derselbe Arzt war etwas später ausschlaggebend dafür, dass sich Bastian im Keller sein eigenes musikalisches Königreich einrichten konnte. Zuvor waren dort Papas Weinregale gestanden, aber seit ihm Dr. Schuster das Trinken verboten hatte, soff er nur mehr heimlich. Stellagen voll Rotwein mussten von einem Tag auf den anderen entsorgt werden, weil Mama das so wollte. Doch da es völliger Unsinn gewesen wäre, 118 Bouteillen besten Rotweins einfach so zu vernichten, wanderten sie heimlich in einen kleinen Raum hinter der Garage. Einige der Jutesäcke, in denen Erdäpfel eingelagert waren, wurden auf dem Gemeinde-Kompost entsorgt und somit war genug Platz für den Alkohol. Papa Berger war zufrieden, er musste sich nur ab jetzt durch drei Reihen von furchtbar kratzenden Jutesäcken kämpfen, bis er zu seinem Stoff kam.
Der vom Alk befreite Kellerraum wurde zum Studio umgebaut. Ein gebrauchter Musikcomputer, ein uraltes Keyboard und ein nicht mehr wirklich taufrisches Mischpult waren der ganze Stolz von Bastian. Sein gesamter Lohn und all die Ersparnisse, die er vor allem mit hemmungslosem Weiße Rosen aus Athen-Singen für Tante Finni angehäuft hatte, steckten in diesem Keller. Und trotzdem stand er bei seinem Rocker-Papa tief in der Kreide.