Читать книгу Luftgitarrengott - Herbert Hirschler - Страница 19
Beste Freunde
ОглавлениеSeit es Oma nicht mehr gab, hatte Bastian auch die pummelige Susi nicht mehr gesehen. Ein paar Tage zuvor hatten ihn sentimentale Gefühle gepackt und er hatte sie angerufen, um sie zur Party einzuladen. Sie hatte schon davon gewusst und gemeint, sie wäre sowieso gekommen, weil Georg ja auch dabei sein würde. Aha, was sollte das jetzt? Bastian war etwas überrascht. War sie mit Georg zusammen? Egal, er freute sich, sie mal wieder zu sehen. Die Schokolade zum zehnten Börthday war ihm immer noch tröstlich in Erinnerung, auch wenn sich Susis Liebe zu Schokolade schon damals an ihrer Hüfte und Taille erkennen ließ. Süßes tut eben manchmal einfach gut. Und Bastian war ja auch nicht gerade ein Spargel.
Nach einer sehr oberflächlichen Gesamtreinigung schaffte es Bastian gerade noch rechtzeitig zum Wirten. Hannes, der Lastwagenchauffeur aus dem Nachbarort, mit dem er sechs Jahre in die gleiche Klasse gegangen war, bis der sich entschieden hatte, eine Wiederholungsrunde einzulegen, war schon leicht illuminiert. Der »Hosenscheißer«, wie ihn nur sein bester Freund nennen durfte, war immer schon etwas anders gewesen, er hatte immer schon mehr Alkohol in sich reingeschüttet als seine Kumpels, immer schon mehr bei den Mädchen gebaggert als alle anderen und er hatte immer schon mehr Ohrfeigen abbekommen als der Rest. Eigentlich war er ein netter Kerl und brachte Stimmung in jede Hütte.
Und er war immer da, wenn man etwas von ihm brauchte. Ohne zu murren, zwei, drei Bierchen, und schon konnte man von ihm alles haben. Er war zwar mehr der Mann fürs Grobe, aber wie bei vielen anderen Arbeiten war er auch beim Einrichten von Bastians Studio Gold wert gewesen.
Dass dieser etwas raue Kerl ein Faible für Musik hatte, war eigentlich gar nicht zu glauben. Sein Opa hatte angeblich mal mit den Beatles im Star-Club in Hamburg gespielt. Ob Karten oder Musik, das wusste niemand. Aber genauso einen Höfner Violin Bass 500/1, den Opa Hosenscheißer seinem Enkel Hosenscheißer vererbt hatte, den zupfte damals auch Paul McCartney. Hannes war von diesem ehrwürdigen Instrument so fasziniert, dass er es mittlerweile fast genauso gut beherrschte wie der pilzköpfige Pauli aus Liverpool. Hannes und Bastian verband also nicht nur die Liebe zu riesengroßen Biergläsern, auch musikalisch passten die beiden gut zusammen.
»Hallo Bastian! Na, eine schwere Nacht gehabt? Du schaust aus, als ob du schon irgendwo vorgefeiert hättest, ohne uns.«
»Wäre wahrscheinlich besser gewesen, um den Tag mit euch Hohlbirnen heute durchzustehen.« Bastian lachte ihm ins Gesicht.
»Ohne uns gibt es keine Party. Zumindest keine ordentliche. Das weißt du.«
Ja, das wusste Bastian. Und langsam wurde ihm auch etwas flau im Magen. Wenn seine Kumpels erst einmal losgelassen wurden, konnte viel passieren.
»Ich war die ganze Nacht im Studio …«, versuchte er Hannes zu erklären.
»Oh, du hast bestimmt geübt, für deinen Auftritt mit Lisa?« Der Hosenscheißer konnte so ein richtig blöder Kerl sein. Dann fing er auch noch zu singen an: »Weiße Rosen aus Athen sagen dir ›Komme recht bald wieder …‹ Bastian, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich darauf freue.«
»Arsch!« Der Hosenscheißer würde eben jetzt noch nicht erfahren, dass er heute Abend die Geburt eines Rock-Duos miterleben dürfe, wie es die Welt noch nie gesehen hatte. Bastian hatte überhaupt keine Zweifel daran, dass Lisa mit seinen Liedern und ihrem Aussehen im Plattenlabel für Furore sorgen würde, selbst wenn sie noch so nuttig daherkam.
»Nein, im Ernst.« Hannes gab keine Ruhe. »Wenn ihr beide das singt und Tante Finni in Tränen ausbricht, das ist ganz großes Kino.« Der Hosenscheißer konnte sich jetzt gar nicht mehr halten vor Lachen. »Du hättest euch sehen sollen bei der Gartenparty im letzten Sommer! Mit diesem Gesichtsausdruck kann man ganze Landstriche lahmlegen. Ich glaube, heute werde ich mal ganz laut ›Zugabe‹ rufen.«
Ganz schön fies. Das konnte Bastian auch! »Wenn du das machst, muss ich nach Weiße Rosen halt eine kleine Geschichte erzählen, davon, wie man von einem Moment zum anderen den Namen ›Hosenscheißer‹ verpasst bekommen kann.«
»Nein, das machst du nicht? Du hast es mir versprochen! Bastian! Bastian? Okay, keine Zugabe! Alter Sack!«
Nur Bastian allein wusste, wie Hannes zu diesem Namen gekommen war, und der Hosenscheißer rechnete es ihm hoch an, dass er von seiner kleinen Unpässlichkeit vor einem Jahr bisher niemandem etwas verraten hatte. In einer Disco in München hatten sie mal wieder »Schnecken checken« gewollt, wie es Hannes immer so schön ausdrückte. Davor waren die beiden bei einem Chinesen futtern gewesen, und irgendwie hatte sich das Glutamat nicht mit den zehn Bacardi Cola vertragen, mit denen Hannes sich in der Bar die Birne vollgedröhnt hatte.
»Schau dir nur diesen steilen Hasen an! Die hat Hoppelbeine bis zum Himmel!«, hatte der Hosenscheißer anfangs noch geschwärmt. Irgendwann hatte er seine Eroberung mutterseelenalleine auf der Tanzfläche stehengelassen, weil seine Eingeweide ganz plötzlich eine Frühlingsrolle, acht Schätze und zehn Bacardi Cola hatten loswerden müssen. Wie ein verhaltensgestörter Hürdensprinter war der Hosenscheißer, der bis zu diesem Augenblick schlicht Hannes genannt worden war, über fünf Tische in Richtung Ausgang gesprungen. Leider zu spät, beim dritten Tisch schon war die Verdauung schneller und eine Duftnote verfolgte ihn wie der Kondensstreifen eines Düsenjets. Das war die Geburt eines neuen Namens. Man kann jetzt auch verstehen, warum die beiden seit damals niemals wieder in dieser Disco waren. Bastian musste Hannes Hosenscheißer hoch und heilig versprechen, dass niemand von diesem Fiasko erfahren würde. Auch darüber, wie Bastian den Stinker zuerst aus der Disco und dann nach Hause gebracht hatte, wurde Stillschweigen vereinbart. Aber so eine Nacht verbindet.
Nachdem mit dem Hosenscheißer alles geklärt war, trudelten schön langsam auch die restlichen Gäste ein. Plötzlich donnerte jemand seine Pranke auf Bastians Schulter. »Basti, alter Schurke! Schön, dich zu sehen.« Der brutale Handaufleger war Georg, der mit dieser Therapie keine großen Erfolge feiern würde, so viel war sicher.
»Wie schaust denn du aus? Hast du die Nacht schon durchgemacht?«
Hatten die sich alle abgesprochen und wollten kollektiv lustig sein? Wie bei den unsäglichen Faschingssitzungen im Fernsehen? »Helau, Helau, Helau – wolle ma ihn reinlasse?« Bastian schaltete auf stur und verlor absichtlich kein Wort von den Aufnahmen im Keller. Die würden heute schon alle noch mitbekommen, was los war. Außerdem blieb ihm gerade die Spucke weg, und das nicht nur wegen der Schmerzen in der Schultergegend, sondern eher wegen dem Sonnenschein, der hinter Georg gerade hervorlachte. Wo hatte dieser Kerl bloß so ein Mädchen her?
Ohne Spucke kann man nur schwer sprechen. Irgendwie stammelte er etwas von »Wauh, wo kommt du da her, bist du Geschenk?«
Bastian war völlig von der Rolle. Einmal wollte er es noch probieren, aber so richtig gelang auch der zweite Anlauf nicht: »Tschuldigung, hab Börthday! Und du so?«
Das war mal ein Anmachspruch der ganz besonderen Art. Als Rockstar sollte er sich eventuell später mal etwas Kreativeres einfallen lassen. Aber wahrscheinlich würde er sowieso niemals wieder einen Anmachspruch brauchen, weil ihm in Zukunft die Groupies von ganz alleine zufliegen würden. Sex, Drugs and Rock and Roll warteten auf ihn. Die Drugs waren nicht so ganz seins, wenn man Bier allerdings auch dazu zählen konnte, dann vielleicht doch. Auf die anderen beiden Attribute eines echten Rockmusikers würde er sich aber liebend gerne einlassen, wenn es soweit war. Jetzt jedoch musste er schleunigst versuchen, seinen Mund wieder zu schließen, sonst würde das Mädchen noch glauben, er hätte einen Schlaganfall.
Zack, nochmal die Pranke auf die Schulter, diesmal auf die andere Seite. Danke, Georg!
»Erkennst du sie nicht?«
Nein, Bastian erkannte niemanden. In ihm ratterten alle Nummer-Eins-Mädchen runter, von denen er irgendwann mal geträumt hatte. So ein echter Womanizer war er bisher ja noch nicht und an diese Zaubermaus hätte er sich bestimmt erinnert.
»Hi Bastian, ich bin’s – Susi.« In der Hand hielt sie eine 200-Gramm-Tafel Nuss-Nougat-Schokolade, die bestimmt im nächsten Moment zu schmelzen beginnen würde, so heiß sah diese Susi aus.