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Freitag, 27. Februar 2015 Kapitel 7

Die Bilanz bringt es an den Tag, wer den Rappen ehrt

Die Jahreshauptversammlung der Firma S&S Swiss Medical Devices AG stand in diesem Jahr unter keinem glücklichen Stern. Der Verlust der Chefin Salomé Salomon drückte sich in mannigfaltiger Weise negativ aus. Das Fehlen von Salomé schlug nicht nur aufs Gemüt, sondern eben auch auf das nackte Resultat, wie man aus den Zahlen des Jahresabschlusses für das Jahr 2014 herauslesen konnte. Woche für Woche, Monat für Monat durch das Geschäftsjahr hindurch war immer noch offensichtlicher geworden, was die Frau über all die verflossenen Jahre zum Nutzen der Firma geleistet hatte. Sie war es gewesen, welche die unzähligen persönlichen Verbindungen zu den Kunden gehalten hatte. Und diese Kunden vermissten nun den persönlichen Kontakt zu Salomé. Damit schwächte sich die Bindung zur Firma S&S SMD AG sukzessive ab. Die gravierende Folge war: Eine fortschreitende Ausdünnung des Auftragseinganges, was schliesslich auch ursächlich war für den Niedergang des Umsatzes und des Gewinns.

Es existierte ein schmerzliches Vakuum, das der neue Direktor Dr. Thomas Sauter unmöglich auf die Schnelle ausfüllen konnte, wie sehr sich der grundsätzlich fähige Mann auch bemühte.

Die Jahresversammlung war ein kleiner Event, weil nur die Aktionäre, der kaufmännische Direktor Sauter und der Treuhänder teilnahmen. Weil sich alle Aktien im Besitz von Mitgliedern der Familie Salomon befanden, waren nur Salomon S. Salomon als Hauptaktionär und Mitgründer, sowie die zwei Töchter des Gründerehepaares, Cintia und Sarah, als Aktionäre anwesend. Sohn Alex fehlte, weil er erstens bekanntlich kein Interesse am elterlichen Geschäft hatte und sich – nach Ansicht des Vaters – störrisch weigerte Firmenaktien anzunehmen. Und zweitens war Alex ohnehin unabkömmlich infolge seines künstlerischen Engagements in Übersee. Der Grund, weshalb die andere Hauptaktionärin – Salomé – bei diesem Anlass fehlte, war so bekannt wie beklagenswert.

Zu Beginn der Versammlung erhoben sich die fünf Personen von ihren Sesseln und gedachten während einer stillen Minute Salomé, von der ein Porträtfoto auf dem Tisch aufgestellt war.

Der Treuhänder war sichtlich bestrebt die Versammlung professionell und schnell abzuwickeln, so wie es schon in all den vorhergehenden Jahren der Fall war. Es schien gar so zu sein, als hätte dem Mann das übliche, der Versammlung nachfolgende Mittagessen der reichen Art so sehr am Herzen gelegen, dass er übertrieben schnell, ja hastig vorwärts und zum Ende drängte. Doch schon beim Traktandum der Präsentation der Jahresabschlusszahlen für das abgelaufene Jahr 2014 sorgten Salomons zwei Töchter für Unruhe. Denn der Umsatz war in diesem Jahr gegenüber den Vorjahren um fast einen Viertel eingebrochen und der Gewinn gar um fünfzig Prozent tiefer. Sie, die Damen, die nicht aktiv im Geschäft tätig waren – nicht, weil sie nicht wollten, oder weil sie dazu nicht fähig gewesen wären, sondern eben weil ihr Vater Salomon aus Sicht der Töchter aus absolut nicht nachvollziehbaren, wohl selbstsüchtigen Gründen sich dagegen sperrte, ihre aktive Tätigkeit ablehnte – verlangten explizit Hintergrundinformationen, eine entsprechende Aufklärung. Sie verlangten nach Gründen, und zwar als Fakten auf den Tisch gelegt, weshalb dieses schlechte Resultat passieren konnte. Dabei fixierten die zwei blondhaarigen Frauen mit kalten, schon beinahe herausfordernden Blicken gemeinsam ihren Vater. In der Tat hatte die eine wie die andere eine grosse Portion des kalten Teils ihrer beiden Eltern vererbt bekommen, während Alex, der Bruder, der nicht zugegen war, in Gänze von der Natur mit dem warmen Teil von Mutter und Vater beschenkt worden war.

Salomon S. Salomon schnipste mit den Fingern, nickte fast bewegungslos mit seinem kahlen Kopf in Richtung seines Direktors: «Thomas, erklär es ihnen!»

Sauters Erklärung fiel unbeholfen aus, weil er auf diese Situation nicht vorbereitet war, weil ihn alles überforderte. Er faselte etwas von schwieriger Marktsituation, von veränderten, negativen Marktbedingungen und technischen Schwierigkeiten bei der Abwicklung von Exportaufträgen, weil einerseits Exportzulassungen nicht termingerecht erbracht werden konnten und Importlizenzen bei den Empfängerländern verschleppt worden waren. In diesem Jahr würde man aber einen grossen Teil des Umsatzes wieder wettmachen können und er sei zuversichtlich, dass man so wieder in die Balance käme, man zurück auf die Erfolgsstrasse finden werde.

Es schien nun allerdings so, als dass Dr. Sauters Erklärungsversuche die zwei Frauen wenig überzeugten und wohl im Grund auch wenig interessierten. Cintia ergriff das Wort: «Vater, wie uns berichtet wurde, bist du seit dem Fehlen der Mutter nur noch unregelmässig im Werk anwesend. Du bist in einem Alter, wo dir dieser Freiraum redlich zusteht. Du hast genug gearbeitet, genug geleistet. Sarah und ich denken, dass die Zeit reif ist, das Szepter der nächsten Generation zu übergeben. Wir sind bereit zu übernehmen!»

Der Treuhänder blickte erstaunt auf, während Dr. Sauter von einer Sekunde zur anderen in sich zusammenzufallen schien. Das Geschehen überforderte ihn immer noch mehr. Auf der anderen Seite des Tisches reckte sich Salomon S. Salomon in seiner ganzen Mächtigkeit empor, doch unmittelbar fehlten ihm die Worte. Begriffe wie feindliche Übernahme, kalte Abservierung durch die eigene Familie und ähnliches schwirrten durch seinen Kopf. Doch schnell fand er zurück zu seinem ihm angeborenen Selbstbewusstsein. Seine Antwort war ein Wutausbruch, wie das bei ihm nicht selten geschah. Salomon schrie: «Wollen mich meine Töchter oder vielleicht gar die Herren Schwiegersöhne entmündigen!? Wie kommen sie zu einem solchen Ansinnen bei den wenigen Aktien, die sie besitzen!? Von der mangelnden Kompetenz möchte ich gar nicht reden. Alles ist nur lächerlich!»

Cintia war nicht überrascht über die Reaktion ihres Vaters, zu gut kannte sie ihn und seinen cholerischen Charakter. Zu gut kannte sie auch sein Dominanzgehabe. «Wir wollen dir, Vater, nur Gutes. Und dies auch im Sinn der Sache. Denn es ist nach dem Ableben der Mutter Zeit für diesen Schnitt, einem Generationenwechsel! Dabei wäre es wichtig, dass dies geschieht, so lange du, lieber Vater, noch bei Kräften bist! Eine möglichst baldige Übergabe wäre vor allem auch für dich gut. Damit du künftig in Ruhe das Alter geniessen kannst!»

«Aber ich will das nicht. Ich weise dieses Ansinnen mit aller Entschiedenheit zurück. Ich möchte mich keinesfalls jetzt schon zur Ruhe setzen! Ich bin der Gründer der Firma und mein Einsatz ist notwendiger denn ja nach dem Tod von Salomé! Der Erfolg der Firma hängt wesentlich von meiner Erfahrung, meinem Knowhow ab! Ich kann und darf nicht loslassen! Der Moment ist ungünstig. Diese Sache ist noch nicht reif!»

«Vater, du warst wichtig, zweifellos! Aber irgendwann muss eine Generationenablösung geschehen. Alle Firmen, welche den richtigen Zeitpunkt verpassen, generieren grosse Probleme, aus denen sie nur schwer wieder herauskommen. Genau dies wollen wir vermeiden! Du bist in der glücklichen Lage Nachkommen zu haben. Dies ist ein Privileg!»

Nun fühlte sich der Treuhänder bemüssigt aktiv ins Geschehen einzugreifen. «Das Ziel, die Firmenleitung zu verjüngen, ist ohne Zweifel positiv zu bewerten. In diesem Sinn kann ich den Antrag der Töchter nachvollziehen. Allein der Zeitpunkt scheint mir für diesen Moment nicht glücklich gewählt. Eine solche Übergabe muss geplant und vorbereitet werden. Mein Vorschlag ist: Bereiten wir uns in diesem neuen Geschäftsjahr darauf vor, damit die Übergabe der Geschäftsleitung wenn möglich per nächstem Geschäftsjahr erfolgen kann!»

Die Zornfalte auf Salomons Stirne glättete sich nicht – im Gegenteil, sie wurde grösser! Der Chef nahm nun den Treuhänder ins Visier. «Wollen sie mich herausfordern? Wollen sie mich zwingen, ihnen das Mandat zu entziehen. Ist ihnen daran gelegen, dass ich sie durch einen anderen Treuhänder ersetze!? Ich möchte sie darauf aufmerksam machen, dass ich hier der Chef bin und jegliche Veränderung nur mit meinem ausdrücklichen Einverständnis erfolgen kann! Dies nur schon aus dem Grund, weil ich die Aktienmehrheit besitze!»

Der Treuhänder versuchte zu beruhigen: «Die Geschäftsleitung zu verjüngen ist oft ein dornenvoller Vorgang für die abtretende Generation! Ich habe das schon mehrfach erlebt. Emotionen müssen zugunsten der Vernunft zurückgestellt werden. Aber es ist ein Vorgang, der früher oder später unausweichlich ist. Man sollte ihn vollziehen, wenn er gut vorbereitet und im Einklang aller Beteiligten möglich ist. Wir sehen es wie plötzlich alles gehen kann am Beispiel unserer unglücklichen Salomé. - Überdenken sie die Sache ernsthaft, Herr Salomon!»

Weil niemand am Tisch unmittelbar reagierte, fuhr der Treuhänder fort: «Und bedenken sie: Irgendwann in der Zukunft wird es zum Erbgang kommen. Nämlich dann, wenn Salomé offiziell für tot erklärt werden wird. Sollte der Erbgang nach dem allgemein gültigen Recht vonstattengehen, dürfte die Hälfte von Salomés Aktien an sie, Herr Salomon, fallen. Die andere Hälfte aber an die drei Kinder. Diese werden dann entsprechend legitim über die Firma mitbestimmen können! Immer vorausgesetzt, dass Salomés Testament nicht Überraschungen beinhalten wird!»

Diese vom Treuhänder aufgeworfenen Gedanken schienen Salomon Unbehagen noch zu vergrössern. Denn niemand wusste, was in Salomés Testament geschrieben stand, so wenig wie Salomé den Inhalt von Salomons Testament gekannt hatte. Es bestand nämlich eine einvernehmliche, ziemlich geheimnisvolle Abmachung zwischen den Eheleuten, welche diese seinerzeit – vor Jahren – spannend gefunden hatten, jetzt aber eine Unbekannte war, die vielleicht für Salomon nicht lustig ausgehen konnte. Von dieser Abmachung aber wusste ausser Salomon niemand etwas, geschweige denn vom Inhalt.

In Salomons Innerstem stieg grosse Wut auf den Treuhänder auf, obwohl dieser in keiner Weise schuldig war an der Eskalation der Ereignisse. «Sie spielen in bedenklicher Weise mit meinen Gefühlen, Herr Doctor Advocatus!»

«Ich halte mich nur an die Realität! Es ist meine Pflicht, meiner Klientel diese nicht vorzuenthalten! – Ich habe gesagt, was gesagt werden musste! – Lasst uns nun die Versammlung weiterführen und abschliessend zu einem positiven Ende bringen!»

Eine Viertelstunde später war die Versammlung geschlossen. Es wurden die Protokolle unterschrieben und man ging zur Tagesordnung über, indem die fünf Menschen den Lunch einnahmen. Dabei verbesserte sich die Stimmung allerdings nicht um den Bruchteil einer Tonlage, sie verblieb im frostigen Bereich. Dafür hatte jede und jeder der Anwesenden seine eigene persönliche Erklärung. Und jede und jeder hatte nicht den geringsten Zweifel voll im Recht zu sein.

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Die Zofe des Herrn Salomon

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