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ОглавлениеMittwoch, 23. Dezember 2015 Kapitel 17
Ein verlorener Sohn kehrt selten mit Rosen in der Hand heim
Dieser Tag vor Weihnachten ging als ein besonderer in die Familienannalen der Salomons ein. Denn ein Ambulanzflugzeug der Rega hatte Salomon S. Salomon aus Paris zurück in die Schweiz gebracht. Für Salomon war es ein erster Etappensieg in einem mühsamen Rennen, das erst begonnen hatte und sich der Weg zurück ins Leben nannte. Denn nun startete der eigentliche Aufbau zur Wiedererlangung der Leistungsfähigkeit in einer Rehaklinik im Appenzellerland. Bis zur Entlassung nachhause könne es noch Wochen, vielleicht gar Monate dauern, lautete der Bescheid der Ärzteschaft. Von der medizinischen Seite her machte man Salomon keine Illusionen. Denn noch immer konnte Salomon S. Salomon keine selbstständigen Schritte tun, was den ungeduldigen Patienten frustrierte. Er befand, dass ein Leben im Rollstuhl kein menschenwürdiges Leben sei.
An diesem Tag kam auch das vierte Kind von Sarah zur Welt, was sowohl die Eltern als auch die Geschwister – ein Tag vor Weihnachten - glücklich machte. Aus Cintias Sicht war dieser Kindersegen in der Familie der Schwester allerdings eher des Glückes zu viel. Denn sie konnte schlecht ertragen, dass Sarah so reich an Nachwuchs beschenkt wurde, während sie und ihr Gatte bisher leer ausgegangen waren - trotz redlicher Bemühungen. Die ungleiche Verteilung der Gunst der Natur hatte in der jüngeren Vergangenheit immer wieder zu kleineren Friktionen zwischen den beiden Frauen geführt. Immerhin waren diese Verstimmungen nie von langer Dauer und vor allem arteten sie in keinem Falle aus, wurden mit Stil ausgetragen und beendet. Wobei es für Sarah jeweils leicht war als Siegerin aus jedem dieser Techtelmechtel herauszukommen. Doch es war auch in jedem Fall gut ersichtlich, dass sich die Schwestern Cintia und Sarah im Grunde ausgesprochen gut leiden konnten. Deshalb kehrte stets rasch wieder Friede ein und Giftpfeile, die zuvor Verwendung gefunden hatten, wurden nachwirkungslos in die Köcher zurückgesteckt.
Und dies war auch der Tag, an welchem Alex für einen kurzen Heimaturlaub aus Amerika heimgekehrt war. Nachdem er gegen vier Millionen Schweizerfranken aus dem Erbe seiner Mutter zugesprochen erhalten hatte, konnte er sich eine Auszeit von seiner künstlerischen Tätigkeit - aktuell vornehmlich in Las Vegas – im Handgalopp leisten. Die grosse Überraschung in diesem Fall war, dass Alex in Begleitung eines anderen Mannes war, der sich Ken nannte und als sein Lebenspartner vorgestellt wurde. Niemand hatte zuvor gewusst, nicht mal geahnt, dass Alex homosexuell veranlagt sei. Diese allgemeine Ahnungslosigkeit war insofern nicht verwunderlich, weil Alex sich vor Jahren aus den heimatlichen Gefilden verabschiedet hatte und seither vom Radar sowohl der Eltern als auch der Schwestern weitgehend verschwunden war.
Insbesondere das Wiedersehen von Alex mit seinem Vater Salomon war emotional. Alex weinte. Alex sagte, dass er nicht ob des Wiedersehens mit dem Vater Tränen vergiesse, sondern weil die Mutter fehle. Diese Lücke schmerze. Er habe kein Problem sein Empfinden frei auszusprechen: Wie man wisse, sei der Vater nie im Stande gewesen, Wärme an seine Kinder zu vermitteln, weder an ihn noch an die Schwestern. Doch während Cintia und Sarah anscheinend in der Lage gewesen seien, diese Härte zu ertragen, sei dies für ihn nie möglich gewesen.
Dies waren offene oder wohl noch eher schonungslos brutale Worte, die man vielleicht in Gedanken durchspielen konnte, es aber wohl besser gewesen wäre, sie nicht auszusprechen, schon gar nicht an Weihnachten und vor versammelter Familie.
Die Antwort der Angehörigen auf Alexes verbale Ausfälligkeit war betretenes Schweigen. Die Frage lautete: Wie konnte Alex nur zu dieser sonderbaren Mentalität gelangt sein? Hatte er schon so sehr jenes Amerikanische angenommen, jene Extrovertiertheit, die wohl nicht untypisch sei für die Menschen jenseits des Atlantiks!?
Nun, Tatsache war, dass dieses Vater-Sohn-Verhältnis schon seit je belastet, oder vielleicht noch eher gestört war. Der Vater hatte Alex stets als infantile Kreatur betrachtet, als einen Weichling, was dem Jungen einst einen wichtigen Teil seines Selbstvertrauens geraubt hatte. Die eiserne Dominanz des Vaters hatte sich seit Alexes Jugendzeit wie ein kalter Schatten im Jungen verankert und ihn in seiner Entwicklung gehemmt. Alex brauchte lange bis er im Stande war diesen Schatten abzustreifen. Und dies gelang ihm nur, weil er sich radikal vom Elternhaus absetzte, um schliesslich als Künstler seinen eigenen Weg zu gehen und dort den Durchbruch schaffte. Jetzt aber waren die Rollen gründlich vertauscht. Der Vater war zu einer hilflosen, ja eigentlich jammervollen Figur verkommen, die man auf einen Stuhl mit Rädern verladen musste, um sie von A nach B bewegen zu können.
Alex empfand seine Rückkehr ins mutterlose Elternhaus nicht als die eines verlorenen Sohnes, der vom Vater mit ausgebreiteten Armen empfangen wurde, sondern eher umgekehrt, nämlich dass der verlorene Vater zugegen war, dieser aber nicht auf ihn, Alex, seinen Sohn, gewartet hatte. Der Sohn andererseits aber auch nicht in der Lage war, seine Arme auszubreiten.
Die Familie bereitete sich auf ein gemeinsames Weihnachtsfest vor, auch wenn dieses unter speziellen Vorzeichen stattzufinden hatte. Immerhin bestand die allgemeine Hoffnung, dass jeder und jede den guten Willen auf Harmonie mitbringen würde. Zur Feier in einem separaten kleinen Saal eines gediegenen Restaurants war auch Xenia eingeladen. Darauf hatte Salomon mit Vehemenz bestanden. Und dies nicht vornehmlich deshalb, weil er auf ihre physische Unterstützung unabdingbar angewiesen war. Es bedeutete eine Art Inauguration in den Kreis der Familie, was Xenia als eine Ehre, als einen Vertrauensbeweis, aber auch als eine Verpflichtung betrachtete. Jedermann konnte sich leicht ausmalen, dass Xenia früher oder später mit einer grossen Belastung konfrontiert sein würde, dann nämlich, wenn Salomon aus der Rehaklinik zurück nachhause kommen würde. Auf Xenia konnte man sich verlassen, dies stand fest. Die Frau habe sich sowohl in ruhigen wie auch in stürmischen Zeiten bewährt, wurde befunden. Man sei glücklich, sie zu haben, man sei dankbar, sagten sie ohne Einschränkung.
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