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Samstag, 21. November 2015 Kapitel 16

Geduld bringt manchmal Rosen

Salomon S. Salomon haderte mit dem Schicksal. Er konnte rückblickend nicht nachvollziehen, weshalb er sich – kurze Zeit zurück - überhaupt mit Kitty eingelassen hatte. Ja, das Mädchen hatte ihm während einiger Wochen Freude bereitet, ihm in unerwarteter Weise zu jugendlichen Gefühlen verholfen, ihm eine gute Zeit geschenkt. Nun war die Affäre aber eben auch mit diesem unglückseligen Fall ins Bodenlose negativ gezeichnet. Und das liebe Kind hatte diese Eskapade unverdienterweise wohl hiermit mit dem Leben bezahlt, dessen war sich Salomon sicher. Der Schuss in den Kopf, den er damals im ganzen Durcheinander mit grossem Schrecken realisiert hatte, musste tödlich gewesen sein. Er wusste dies, ohne dass es ihm jemand vermittelt hatte. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit aufrichtiger Trauer.

Was ihn selbst betraf, frage sich Salomon, ob er je wieder auf die Beine kommen würde. In einer Nacht, in der man nicht schlafen kann, quälen viele Ängste, oft noch drängender als in der Wirklichkeit bei klarem Kopf, bei Tag. Und jede Minute kann zu einer Stunde werden. Selbst wenn die Schmerzen erträglich sind, wie in seinem Fall. Er stellte fest, dass Gedanken noch drängender, schmerzvoller plagen können als physische Pein. Die vielen Apparate an seiner Seite und über seinem Kopf, die blinkenden Lichter, das Weiss des Zimmers vermittelten ihm Unbehagen, genauso wie das Personal, das immerzu Fragen stellte, andererseits nicht bereit war Antworten zu geben, wenn er Fragen hatte. «Haben sie Schmerzen, Monsieur Salomon?» «Wo haben sie Schmerzen, Monsieur Salomon?» «Hunger? Sie können jetzt noch nicht essen. In einigen Tagen vielleicht, Monsieur Salomon. Jetzt ist es noch nicht möglich, zu früh!». Die fremde Sprache verunsicherte ihn zusätzlich, dabei konnte er sich schlecht konzentrieren. Französisch, sonst kein Problem, jetzt schon, und kein unbedeutendes!

Eigentlich sah Salomon in diesem Moment nur Probleme.

Der Morgen dämmerte heran. Salomon hatte in der Tat Hunger. Doch er verstand, dass der operierte Verdauungstrakt noch keine Nahrung akzeptierte. Die Ernährung des Körpers fand durch die Venen an den Armen statt und diese Arme schmerzten zunehmend peinvoller.

Eine Stunde später erschien Cintia, so wie die Tochter dies am Vortag angekündigt hatte. Salomon freute sich darüber, empfand aber ihr Gebaren einmal mehr als ausgesprochen kühl, so wie er dies an ihr gewohnt war. Seit Cintia erwachsen war, hatte Salomon nie mehr ein warmes Verhältnis zu ihr finden können. Aber umgekehrt war es wohl genauso. Jede Seite, er wie sie, glaubte, dass die Schuld für diese Spannungen beim anderen liegen würde. Jetzt, da er viel Zeit hatte über alles in der Vergangenheit nachzudenken, fand er, dass dieses problematische Verhältnis zwischen ihm und Tochter Cintia vielleicht auch oder sogar vornehmlich an ihm liegen konnte. Cintia war ihm in vielem ähnlich, dies war eine allseitig anerkannte Wahrnehmung. Nun, in seiner Situation hatte er dankbar zu sein, dass die Tochter immerhin seinetwegen nach Paris gereist war, um zweimal eine Viertelstunde mit ihm zu verbringen – ein wahrlich grosser Aufwand! Oder lag die Bitternis, die er empfand, vielleicht darin, dass er sich so elend, so abhängig fühlte und Cintia diesen abscheulichen Mondanzug, die Kopfhaube und die Nasen-Mund-Maske trug? Alle diese Gedanken ermüdeten ihn an Leib und Geist gleichermassen.

Cintia hatte Salomons Koffer und die Tasche dabei, die Salomon im Zimmer des Peninsula Hotels zurückgelassen hatte. Die Tochter wuchtete die Gepäckstücke in eine Ecke des Raumes. Denn einen Kasten gab es in diesem Zimmer nicht. Was das rosafarbene Köfferchen anbelangte, hatte sie die Hotelleitung gebeten, dieses der Polizei zu übergeben. Da auch kein Stuhl im Raum zur Verfügung stand, blieb Cintia in einem Abstand von zwei Metern zu Salomons Bett stehen.

«Einige Fragen habe ich noch, Vater!» Salomon wurde aufmerksam. «Was soll mit der Post geschehen, die täglich zuhause an dich anfällt? Soll ich diese sichten?»

«Nein, in einen Korb legen! Ich werde diese bearbeiten, sobald ich zurück bin! Das kann warten!»

«Fühlst du dich im Stand die elektronische Post durchzusehen? Dein Laptop ist im Koffer!»

«Cintia, dies ist eine Intensivstation, kein Büro! An solche Sachen werde ich erst denken können, wenn ich hier draussen bin! – Kannst du mir die Lesebrille aus der Tasche geben, bitte. Und entnimm der Tasche den Parkschein für das Auto im Flughafenparkhaus. Du wirst auch die Angaben über das Parkhaus und das Parkfeld finden, welche ich darauf notiert habe. Bring den Cadillac nachhause!»

In diesem Moment erschien der Abteilungsarzt und machte unmissverständliche Zeichen mit seinem Zeigfinger auf die Uhr. Er richtete sich an Cintia: «Sind sie die Tochter von Monsieur Salomon?»

Cintia nickte.

«Bitte begeben sie sich umgehend zum Spital-Sekretariat und legen sie den Nachweis für die Krankenversicherung von Monsieur Salomon vor. Ist wichtig! – Und: Diese Gepäckstücke müssen hier sofort verschwinden! Wir sind hier steril!»

Cintia war nachdenklich. Sie nickte erneut und machte sich auf die Suche nach Salomons Versicherungskärtchen. den Parkschein und die Lesebrille. Sie wurde in der Tasche schnell fündig.

«An sie habe ich eine Frage, Herr Doktor: Wann kann der Vater die Intensivstation verlassen? Wann rechnen sie damit, dass er in die Schweiz überführt werden kann – mit einem Ambulanzflugzeug natürlich?»

Der Arzt machte eine abwehrende Geste. «Als Erstes müssen wir den Gesundheitszustand von Monsieur Salomon stabilisieren. Danach können wir uns entsprechende Ziele setzen! Für einen Transport wird Monsieur Salomon nicht vor zwei Wochen bereit sein! Wahrscheinlich wird es eher länger dauern bis zur Entlassung!»

Salomon empfand diese Nachricht wie ein Keulenschlag. Noch zwei Wochen! Oder mehr! Doch dann sah er ein, dass er sich mit jenem zu arrangieren hatte, was die Ärzteschaft vorgab, was der Realität entsprach. Und Salomon fühlte: Im Moment befand er sich punkto Rehabilitation noch ganz unten. Da würde gewiss noch ein weiter Weg vor ihm liegen. Er seufzte.

Die Verabschiedung seiner Tochter war kurz. Immerhin glaubte er zum Abschluss noch einen Blick der Zuneigung aus ihren Augen erhascht zu haben.

Cintia empfand die Essenz der Aussprache mit ihrem Vater als mager. Sie war vor allem über sich selbst enttäuscht, nämlich dass sie nicht die Courage aufgebracht hatte, ihm die aktuellen wichtigen Neuigkeiten zu vermitteln: Dass die Mutter offiziell und amtlich als tot erklärt worden war. Und dass die Öffnung des Testaments der Erblasserin Salomé vorlag mit eher unerwarteten Resultaten. Und auch dass sie und Sarah zusammen nun die Aktienmehrheit der S&S SMD besitzen würden. Und sie – Cintia - als Folge der Logik der Umstände zur Firmenchefin erkürt worden war.

Doch vielleicht war es auch gut so wie es war: Aufregung ist bei einem schwer Darniederliegenden kaum ein Antrieb zu Genesung.

Doch in Wirklichkeit empfand Cintia diese Selbstentschuldigung feige, billig, unverzeihlich!

*

Die Zofe des Herrn Salomon

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