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Freitag, 20. November 2015 Kapitel 15

Sich nicht wohlfühlen in der eigenen Haut, ist wie der Wunsch zu Skifahren in Zeiten ohne Schnee

Xenia hatte in diesen Tagen der Prüfung nur einen Wunsch, nämlich dass die Flipperkugel des Lebens auf die für sie glückliche Seite fallen möge. Nein, mehr noch, Xenia betete dafür – und dies laut, nicht im Stillen. Sie bat Gott inständig, dass er ihr Flehen erhören möge. Ihr sehnlichster Wunsch war, der Himmel möge Salomons Sterben verhindern. Denn in ihrem Innersten wusste sie, was im Fall von Salomons Tod herauskommen würde: Sie wäre ihren Job los! Würde Salomon hingegen wiedergenesen, hätte sie möglicherweise eine Lebensstellung auf sicher. Dann würde der Mann vielleicht auf ihre Pflege, ihre Zuwendung angewiesen sein. Es ging bei diesen ihren Gedanken nicht um eine Sympathiebekundung zugunsten ihres Arbeitgebers, sondern es handelte sich im Gegenteil um ihre eigene persönliche, ihre nackte Überlebensstrategie, die für sie existentiell war.

Cintia sass im TGV nach Paris. Sie hatte die Zusage bekommen den Vater im Spital besuchen zu dürfen, mit Auflagen zwar, aber immerhin. Sie nutzte die lange Bahnfahrt dazu die Monatsabschlüsse ihrer Firma S&S SMD AG in diesem Jahr zu studieren. Dabei fiel ihr auf, dass grosse Schwankungen in der Effizienz der Firma bestanden. In einem Monat lagen der Auftragseingang und der Auslieferumfang auf einem sehr guten Level. In einem anderen Monat waren nur sehr wenige Aufträge eingegangen und auch die Lieferungen stockten. Sie wollte die Ursache dieses Phänomens eruieren, und zwar sofort nach ihrer Heimkehr von dieser Reise. Ihre persönliche Vorgabe war, diese wiederkehrenden Schwankungen ins Negative ausmerzen. Ihr Ziel war es eine gleichmässige Erfolgskurve zu erreichen mit einem soliden Drive nach oben.

Und immer wieder ging ihr Mutters Testament durch den Kopf. Dass sich die Eltern gegenseitig die Freiheit gewährt hatten, ihre Testamente individuell zu verfassen und dabei die Gesetzessituation ausser Kraft setzten, fand sie mutig, fortschrittlich, cool. Cintia fragte sich, ob sich Vater und Mutter wohl einen gegenseitigen Blick in ihre jeweiligen Testamente erlaubt hatten. Wahrscheinlich nicht! Darin lag höchst wahrscheinlich der Reiz dieser unüblichen Entscheidung, welche die Eltern seinerzeit tätigten. Cintia konnte gewisse Teile des Testamentes gut nachvollziehen, andere befand sie erst nach gründlichem Hinterfragen zumindest einigermassen plausibel:

I) Dass der Vater das Haus der Familie erbte, empfand Cintia sonderbar. Sie hatte geglaubt, dass sich die Familienliegenschaft im Fifty-Fifty-Besitz des Elternpaares befinden würde. Doch wenn sie überlegte, ahnte sie den Grund: Das Ehepaar Salomon übernahm seinerzeit Salomés Elternhaus, das sich Villa Salathé nannte. Dieses war damals beim Erbgang der Vorgängergeneration der Mutter zugefallen.

II) Dass Alex mit Mutters Bargeld, das diese auf der hohen Kante hatte, bedacht wurde, war eine gute Entscheidung. Als freier Künstler schwamm der Bruder mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht im Geld. Die Frage war, um wieviel Geld es sich handeln würde. Denn dies musste ja erst abgeklärt werden. Doch durfte man davon ausgehen, dass Alex ab sofort keine arme Maus mehr sein würde.

III) Dass sie und ihre Schwester Sarah Mutters Aktien der S&S SMD AG bekommen würden, das war gewiss ein wohl überlegter Schachzug. Denn damit wurden automatisch die Weichen zur Nachfolgeregelung gelegt. Dass Salomon S. Salomon an diesem Passus wenig Freude empfinden würde, war vorauszusehen. Doch letztlich hat jeder Mohr irgendwann mal seine Schuldigkeit getan!

Cintia erreichte die Endstation Paris Gare du Nord schnell und bequem. Dabei hatte sie kaum je einen Blick zum Fenster hinaus in die Landschaft geworfen, so vertieft war sie in ihre Lektüre und auch in ihre Gedanken gewesen.

Cintias erster Gang war das Hotel Peninsula, wo Salomon einigen Tagen zuvor abgestiegen und nicht wieder zurückgekehrt war. Die Hotelleitung hatte das Zimmer längst geräumt und Vaters Habseligkeiten befanden sich in Salomons Koffer und der Aktentasche, die im Locker abgestellt worden waren. Cintia buchte im selben Hotel ein Zimmer für eine Nacht. Sie liess Vaters Koffer und die Tasche auf ihr Zimmer bringen. Das kleine rosafarbene Köfferchen, das der Boy ausserdem daneben abgestellt hatte, irritierten Cintia im ersten Moment. Sie nahm an, dass es sich dabei um den Besitz der unglücklichen Kitty handelte. Am liebsten hätte Cintia dieses lächerliche Gepäckstück durch das geschlossene Fenster hinaus auf die Strasse geschmissen.

Der Gang ins Krankenzimmer des Vaters im Spital war für Cintia mit Herzklopfen verbunden. Als erstes befremdete sie die massige Anzahl von Geräten und Apparaten im Raum, insbesondere die Schläuche und Kabel, mit denen der Verletzte verbunden war. Doch dann nahm Cintia augenblicklich ihre Emotionen zurück, als sie auch S&S SMD Installationen, Geräte aus ihrem Haus, erblickte. So würde es eben standardmässig aussehen in einem Spitalzimmer mit Intensivbetreuung, sagte sie sich. Und sie realisierte, wie weit Theorie und Praxis auseinander liegen, nämlich die Kreation und Erschaffung von immer neuen Einrichtungen und Geräten für den medizinischen Bedarf einerseits und der Realität im Spitalalltag andererseits, nämlich deren Verwendung am Patienten, wenn es Not tut.

Salomon tief in den Kissen sah fahl und gealtert aus. Seine Stimme war kraftlos, der Blick apathisch. Dem Mann ging es offensichtlich nicht nur schlecht, sondern es schien ihm auch unangenehm zu sein, sich seiner Tochter in diesem erbärmlichen Zustand zeigen zu müssen. Ausserdem schienen ihm die Umstände peinlich, unter welchen er in diese unerfreuliche Situation gelangte. Aber es nützte nichts, sie beide, der Vater wie auch die Tochter, mussten der Realität ins Auge blicken. In diesem Zwang standen sie.

Salomon ging direkt auf die für ihn anscheinend wichtigste Frage los: «Wann kann man mich in die Schweiz überführen? Ich will hier weg, sobald das möglich ist!»

Cintias Antwort: «Vater, ich weiss das nicht. Das müssen die Ärzte dieses Spitals entscheiden. Auf jeden Fall werde ich sofort die Reha organisieren. Damit wird man sofort nach deiner Rückkehr in die Schweiz bereit sein, deine Gesundheit wieder aufzubauen!»

Weniger als eine Viertelstunde später komplimentierte man Cintia zum Zimmer hinaus, höflich, aber sehr bestimmt.

«Vater, ich werde morgen nochmals vorbeikommen, bevor ich wieder zurückreise!»

Diese Aussicht schien Salomon mentalen Auftrieb zu verleihen. Nun lächelte er, wenn auch gequält.

Cintia küsste ihren Vater nicht, weil sie Bedenken hatte, dass dies gegen die Hygieneregeln verstossen würde. Denn aussen an der Tür war zu lesen: Keimfreier Raum! Wichtig: Hygienevorschriften beachten! Mundund Nasenschutz ist obligatorisch. Desinfizieren Sie ihre Hände und ziehen Sie die Kopfhaube, den Schutzmantel und die Plastiküberschuhe über, bevor Sie dieses Zimmer betreten! Cintia hatte alle diese Vorschriften ignoriert.

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Die Zofe des Herrn Salomon

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