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ОглавлениеFreitag, 30. Oktober 2015 Kapitel 10
Wenn Alter nicht vor Torheit schützt
Das Umfeld von Salomon S. Salomon betrachtete sein Verhalten in den Wochen dieses Herbstes zumindest als eigenartig. Manche nannten es fragwürdig, andere exzentrisch, obskur oder bizarr. Nun ja, man konnte sich in der Tat die Augen reiben: Immerhin befand man sich im Herbst und nicht im Frühling!
Wenn Salomon mit diesem Escort-Girl, das sich Kitty nannte, in Wirklichkeit aber zweifellos einen anderen Namen trug, nur herumgezogen wäre, hätte die Gesellschaft dieses Gebaren wohl mit Gelassenheit toleriert. Da hätte man mit einem Quantum an Grosszügigkeit die flachen Hände über die eigenen Augen gelegt und geschwiegen. Man hätte gesagt, dass es eine vorübergehende irre Phase eines alten Kerls unmittelbar vor dem Verwelken sei, vielleicht ein letztes eher verzweifeltes Aufflackern einer offensichtlich noch vorhandenen Glut. Man hätte es als eine Art Gegenschock zum Tod seiner Gattin, mit der er viele Jahrzehnte liiert war, abgetan. Nun aber, nachdem dieses junge Mädchen alles andere als heimlich in Salomons Villa eingezogen war und Salomon sogar ab und zu davon sprach diese Frau zu heiraten, schieden sich die Geister nicht mehr. Denn das war nun für jeden und jede doch des Guten zu viel, oder eben wohl eher das Mass des Üblen am Überlaufen. Salomons Argument, dass er ein mündiger Mensch sei, dem ein privates Leben zustehe, war zwar im Grund nicht unrichtig und konnte in Wahrheit von niemandem bestritten werden. Doch da waren die anderen Aspekte, welche die ungewöhnliche Situation in einem anderen Lichte erscheinen liess:
Salomon kümmerte sich nur noch rudimentär um seine Firma. Der Mann ging kaum mehr persönlich hin ins Geschäft, sondern erledigte das Notwendigste auf die Schnelle per Telefon, per WhatsApp, Skype oder per Internet im Stile einer Minimalstabfertigung. Dies nicht mal täglich. Telefonanrufe lehnte er unkommentiert ab, Emails beantwortete er selten bis nie. Wichtige Entscheide wurden vertagt, verschleppt oder unerledigt abgehakt. Dieses Gebaren konnte man beim besten Willen nicht mehr als eine professionelle Geschäftsführung bezeichnen. Im Gegenteil. Die Inaktivität des Chefs färbte sich auch erkennbar auf die ganze Belegschaft ab, mal abgesehen vom kaufmännischen Direktor Dr. Thomas Sauter, der verzweifelt versuchte Gegensteuer zu geben. So wie Salomon im geschäftlichen Bereich zunehmend immer noch passiver wurde, schärfte sich Sauters Profil, wodurch zumindest ein Teil der negativen Effekte abgefedert werden konnten. Aber niemand kann gleichzeitig als Torhüter, Verteidiger und Stürmer agieren, sowie ausserdem noch als Schiedsrichter fungieren, wenn Kräfte aller Art versuchen, ebenfalls Einfluss auf das Game zu nehmen. Und insbesondere, wenn es dem betreffenden Spieler des Weiteren an Erfahrung mangelt und wohl eben auch an einer Portion Cleverness.
Salomons Töchter Cintia und Sarah schämten sich ob der sonderbaren Eskapaden ihres Vaters. Noch gravierender als die Scham war allerdings ihre Angst, dass Salomons Verhalten weiterreichende Folgen zeitigen könnten. Würde Salomon die junge Frau tatsächlich heiraten, bestünde wohl die Gefahr, dass er ihr einen Teil seines Vermögens vermachen könnte und sich damit ein ungebetener Kuckuck ins Nest setzen würde. Und überdies hatten Sarah und Cintia Angst, dass die Dame schwanger werden könnte, wodurch die Sache mit einem weiteren Erbanwärter noch vertrackter würde. Sie flüsterten hinter vorgehaltener Hand einander zu: Mein weiss ja nie, vieles ist möglich!
Wenn Cintia und Sarah mit Xenia telefonierten, um einen Tatsachenbericht vom intimsten Ort des Geschehens zu erhaschen, beschrieb die Haushälterin das ungemütliche Geschehen auf genüsslich diabolische Art. Dabei hielt sie sich einerseits nicht zurück, bewusst und mit weiblicher Hinterlist eine Prise ausschmückende Aufbauschung einzustreuen. Andererseits schwang stets auch unüberhörbar ein Quantum an Wut und Verzweiflung in Xenias Stimme mit in Anbetracht der Tatsache, dass die junge Widersacherin im Begriff war Xenias hochfliegende (geheime) Pläne in ärgerlicher Weise zu Staub zu pulverisieren. Diese Seite der Medaille interessierte allerdings weder Cintia noch Sarah. Denn Salomons Töchter waren überzeugt, dass ihr Vater nichts oder noch weniger als nichts an Xenia sehen würde. Für sie zählte nur das nicht unwichtige Faktum, dass die Hausangestellte Xenia imstande war in der väterlichen Villa den Laden in kompetenter Weise zusammenzuhalten. Darüber waren sie dankbar. Denn dies hiess, dass sie sich nicht auch noch darum kümmern mussten, nach dem Heimgang der Mutter.
Kitty im Haus war ein Problem. Xenia und Kitty fochten beinahe täglich ihre persönlichen Kämpfe aus, und zwar fallweise sogar körperlich, mit Händen und Füssen, sowie mit Gekreische, weniger mit Worten. Denn Kitty sprach nur französisch und von dieser Sprache hatte Xenia keinen Schimmer. Salomon sass bei diesen Konfrontationen physischer Art dann meist entspannt in seinem Sessel und schaute dem Catch belustigt zu, ja er feuerte die sehr unterschiedlichen Frauen noch an: Gib es ihr, meine Zofe! Schlag zurück, Kitty! Blaue Flecken an den Körpern waren die Folge. Ab und zu floss sogar Blut, nicht viel, nur wenig. Salomons Ansicht war, dass dies die Sache noch vergnüglicher mache. Xenia ärgerte sich nicht nur über Kittys Dominanz, welche diese dumme Ziege in jeglicher Hinsicht über Salomon gewonnen hatte, sondern genauso sehr über die Unordentlichkeit der Demoiselle. Nie hängte sie ihre Fetzen an Bügeln oder Ständer, alles liess sie zu Boden fallen. Sie trennte frische und getragene Wäsche nicht. Wenn sie das Badezimmer verliess, zeigte dieses eine Wasseruntergangsstimmung von seltener Intensität. Im Schlafzimmer herrschte jeden Morgen das nackte Chaos. Nie kam es der jungen Frau in den Sinn etwas Ordnung zu schaffen. Sie musste eine verdammt miese Kinderstube genossen haben, mutmasste ihre Kontrahentin. Und wenn Xenia kochte, störte Kitty die Hausdame mit Vorliebe mit gebieterischen Befehlen, zum Beispiel sofort ihre Bluse oder ihre Hose zu bügeln, einen abgefallenen Knopf wieder anzunähen oder ihre Schuhe zu putzen. Widersetzte sich Xenia, wurde nicht nur Kitty laut, sondern fallweise auch Salomon. Diese unkorrekte Parteinahme Salomons störte Xenia erheblich, traf sie in der Seele.
Cintia und Sarah - ihre Ehemänner miteingeschlossen - sahen die Zeit als gekommen, den Vater als Geschäftsleiter zu ersetzen. Doch Salomon wäre nicht Salomon gewesen, hätte er sich in dieser Situation auf eine Diskussion oder eben ein klärendes Konfrontationsgespräch eingelassen. Strategisch gekonnt hielt er jegliche Art von Kontaktnahme von sich fern – die persönliche, die telefonische, die elektronische. Es sah aus, als hätte sich Salomon auf die Hinterseite des Mondes verzogen. Er war mit einem Wort unerreichbar. Immerhin war auf Xenia Verlass, dies realisierten Cintia und Sarah zunehmend. Sie meldete Salomons Töchtern unverblümt den jeweils aktuellen Wasserstand: Ja doch, er lebe noch, er sei da! Und sie leider ebenso!
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