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ОглавлениеFreitag, 13. November 2015 Kapitel 11
Wenn der Krug zum Brunnen geht, bis er bricht
Zur Feier dieses Tages, nämlich Kittys 24. Geburtstag, lud Salomon S. Salomon die junge Frau zu einem Kurztrip nach Paris ein. Mit dem Flugzeug am Freitag hin und am übernächsten Tag, dem Sonntag, zurück in die Schweiz. Die zwei Übernachtungen im traditionellen Peninsula Hotel buchte Salomon vorab. Salomon war dort Stammgast und offensichtlich nicht ungern gesehen.
Diese Reise bereitete Kitty grosse Freude, denn Paris war jene Stadt, in der sie den grösseren Teil ihrer Jungend verbracht hatte. Kittys Eltern waren seinerzeit von Haiti nach Frankreich immigriert. Nie je hatte sie auch nur davon geträumt in einem Fünfsternehotel nahe der Champs Elysées zu übernachten. Träume dieser Art wären zu weit von der Wirklichkeit entfernt gewesen. Noch vor drei Monaten war die junge Dame weitgehend mittellos, sozusagen blank, täglich auf der Suche nach ein paar Münzen in all ihren Taschen, um ein Essen bezahlen zu können. Jenes Leben damals war schwierig, eines von der Hand in den Mund.
Auf Salomons Frage, auf welche Weise Kitty den Geburtstagsabend zu verbringen wünsche, flüsterte sie etwas scheu: «Im Bataclan treten die Eagles of Death Metal auf. Das würde ich sehr gerne erleben!»
«Was ist das Bataclan?»
«Ein sehr bekanntes Konzertlokal!»
Salomon antwortete: «Und weshalb solltest du das nicht dürfen? Du hast heute Geburtstag und da hat man einen Wunsch frei!»
Kittys Reaktion war pragmatisch: «Erstens ist jede Vorstellung ausverkauft. Spontan kriegt man niemals Eintrittskarten. Und zweitens wirst du diese Musik mit Sicherheit nicht mögen!»
Salomon S. Salomon regulierte das Problem auf seine Weise. Er steckte dem Concierge des Hotels hundert Euro in die Tasche. Eine halbe Stunde später wurden die Eintrittskarten angeliefert, die Auslagen dafür auf die Hotelrechnung gesetzt.
Im Anschluss an den Nachmittagstee mit Kuchen schlenderten Salomon und Kitty durch die grosse Einkaufsstrasse. Salomon führte Kitty in eine Bijouterie, wo sie sich etwas Nettes aussuchen durfte, wie sich Salomon ausdrückt. Ihre Wahl entsprach nicht Salomons Geschmack. Die Halskette aus Silber war teuer, klobig, unästhetisch. In einer Boutique kaufte das Mädchen ein neues Kleid, das sie beim Konzertbesuch tragen werde, wie sie bemerkte. Salomon fand den teuren Fetzen zum Kotzen. Trash! Doch er enthielt sich auch in diesem Falle eines Kommentars. Er war sich bewusst, dass diese Diskrepanzen stets programmiert sein würden. Der Generationenunterschied brachte Ungleichheiten wohl zwangsläufig mit sich und diese würden nie zu glätten sein. Salomon nahm sich vor, diese sowohl jetzt und auch künftig zu ignorieren.
Und dann wollte Kitty unbedingt zu McDonalds. Sie habe so furchtbar Hunger, bemerkte sie, und eben schon so lange keinen Hamburger mehr gegessen. Auf Salomons Einwand, man werde nach dem Konzert sich noch ein festliches Geburtstagsdinner genehmigen, winkte Kitty ab. «Ich habe jetzt Hunger. - Und wohl dann auch wieder!»
Salomon verabscheute McDonalds. Doch er liess es geschehen.
Salomon empfand die Musik dieser Eagles of Death Metal abstossend: Viel zu laut, disharmonisch, aggressiv – für ihn das Erdulden des Fegefeuers auf Erden! Und da waren viel zu viele Leute auf engstem Raum! Er konnte und wollte die Zahl nicht schätzen. Es wurden Eintausendfünfhundert gezählt. Die abgefahrenen Konzertbesucher schreckten ihn. Salomon fiel durch sein fortgeschrittenes Alter auf; und mit seinem dunklen Anzug, der stilvollen Krawatte und den teuren Lederschuhen völlig aus dem Rahmen. Aber auch weil er als erstarrte Salzsäule andauernd jemandem im Weg stand, mit einem Wort völlig fehl am Platz war. Die Menschen um ihn herum hüpften mit verklärten Gesichtern wie Irrwische.
Für Salomon war dies eine fremde Welt, eine irre, schreckliche Welt!
Salomon überlegte von der ersten Minute an, wie er sich zum Saal hinausmogeln könnte, brachte es jedoch unmittelbar nicht über sich, einen schnellen Entschluss zu fassen. Er wollte Kitty nicht dieser brodelnden Menge überlassen. Zu viele Augen junger Männer warfen kecke Blicke auf die dunkelhäutige Schönheit. Zu viele musterten ihn abschätzig. Salomon konnte es aus ihren Gesichtern lesen, in ihren Augen erkennen: Alter Knacker, was hast du hier zu suchen!? Und was sieht dieser steile Zahn an deiner Seite an dir!? - Ausser vielleicht etwas Kohle auf dem Bankkonto!
Salomon war hier so falsch, wie man nur falsch sein konnte.
Aus dem Nichts zischten Schüsse in den Saal. Eine Handvoll schwarz vermummte Gestalten stürmte mit lauten Rufen in den Raum. Die Musik verstummt. Angst, Panik, Verzweiflung erfasste die Menge. Geschrei. Menschen gingen in Deckung, krochen unter die Sitze, andere versuchten zu den Ausgängen zu fliehen, dort zu entkommen. Wie Peitschenhiebe schwirrten die Geschosse durch die Luft, schlugen irgendwo ein, in Menschenkörper, in Wände, in die Decke, den Boden, die Möbel.
Salomon schrie: «Das sind Kriminelle. Das ist ein Überfall! Komm hierher, Kitty, hierher!». Die Augen des Mädchens waren weit aufgerissen. Mitten auf ihrer Stirne klaffte ein kreisrundes Loch, aus dem Blut herausquoll. Kitty sackte in sich zusammen und blieb regungslos liegen. Salomon beugte sich über sie, als ein Angreifer auf ihn zustürmte und zweimal gezielt auf ihn schoss. Im nächsten Moment sah Salomon S. Salomon nichts mehr. Vor seinem geistigen Auge wurde es rot, dann drehte sich alles, mündete in einen schwarzen, endlos langen Tunnel. Der Film seines Lebens raste in Kurzsequenzen mit weit überhöhtem Tempo in merkwürdig verzerrten Bildern in seinem Hirn vorbei: Die Kindheit. Die Jugend. Das Leben. Er traf Menschen, die er kannte und solche, von denen er glaubte, sie nie zuvor kennengelernt zu haben. Dann quoll alles, das Dasein, hinten aus der dunkeln Röhre und er verlor endgültig sein Bewusstsein.
Das Chaos im Saal war unbeschreiblich, genau wie die Schmerzen, die Angst, die Schockstarre, der Tod allüberall. Es verging unendlich lange Zeit, bis Sicherheitskräfte gewaltsam in den Saal vordringen konnten und die Verbrecher offensichtlich gezielt exekutierten. Hinter den Polizisten drängten die Mediziner und Sanitäter in den Raum. Sie versuchten hektisch die Verletzten von den Toten zu separieren. In grosser Eile wurden die Verletzten notfallmässig triagiert und dann abtransportiert, in die umliegenden Kliniken der Stadt überführt. Die Notoperationen brachten das Spitalpersonal an ihre Grenzen. Noch nie je in der Neuzeit hatte die Stadt eine auch nur annähernd ähnliche Situation erlebt.
Dieser Freitag der Dreizehnte war ein schwarzer Tag in Frankreichs Geschichte. Das Fazit lautete: 89 Tote und viele Verletzte, Traumatisierte, für immer Geschädigte an Leib und Seele. Islamische Extremisten hatten dieses Blutbad angerichtet. Dazu bekannten sie sich. Gleichzeitig geschahen an weiteren Orten in Paris Attentate, wo weitere 39 unschuldige Menschen zu Tode kamen. Frankreich, die ganze Welt war erschüttert.
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