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ОглавлениеSamstag, 8. März 2014 Das erste Kapitel
Vom Ende des Anfangs
Ms. Salomé Salomon (65) war müde, abgespannt und übel gelaunt, als sie die Kabine der Businessclass der Boeing 777 der Malaysia Airline mit Flugnummer MH 370 betrat. Abflüge um Mitternacht oder gar noch später betrachtete die Dame in jedem Fall als eine Zumutung, eigentlich noch eher eine Anmassung, mit einem Wort ein Ärgernis. Aber Ms. Salomon war erfahren genug zu wissen, dass es manchmal unumgänglich ist solche Flüge zu buchen. An diesem Tag litt Madame zudem unter Migräne, einer Unpässlichkeit, die sie üblicherweise kaum kannte. Ms. Salomon war am Vortag von Zürich nach Kuala Lumpur angereist, hatte mit einer Delegation des Ministeriums für Gesundheit Malaysias eine Geschäftsunterredung betreffend Anschaffung von medizinischen Testgeräten aus der Produktionspalette der Firma, die von ihr und ihrem Gatten betrieben wurde. Das Ziel dieses Fluges war Peking.
Ms. Salomon wies das Glas Champagner der Flugbegleiterin zurück und bat diese, ihr sofort nach Abschluss des Steigfluges das Bett zurecht zu machen. Die Dame erklärte ausserdem, dass sie auf jegliches Essen verzichten wolle.
Zwischenzeitlich war man schon im neuen Tag angelangt, dem 8. März 2014. Der Jet hob um 00.42 Uhr Ortszeit ab mit Kurs Nord-Ost. Das Flugzeug war mit 227 Passagieren besetzt. Das Abfertigungsprozedere war normal verlaufen, genauso wie der Start der Maschine. Um 01.07 Uhr gab der Kapitän der Maschine, Zaharie Ahmad Shah (52), ordnungsgemäss die ACARS Meldung an die Flugkontrolle durch. Die für 01.37 Uhr vorgesehene Meldung an die Flugsicherung erfolgte nicht. Hingegen waren in den Minuten zuvor einige Meldungen über sehr unterschiedliche Flughöhen durchgekommen, die keinen Sinn ergaben, zumindest ungewöhnlich waren. Irrtümliche Meldungen dieser Art kommen selten vor, man misst ihnen nicht sehr grosse Bedeutung bei, weil sie in den weitaus meisten Fällen auf Fehlmessungen beruhen. Das Ausbleiben der 01.37-Uhr-Meldung von Flug MH 370, einem verpflichtenden Signal, verursachte in der Flugüberwachung dann allerdings weit bedeutendere Beachtung. Noch grösser wurde die Aufregung, als Flug MH 370 nirgendwo mehr geortet werden konnte und insbesondere, weil alle weiteren Rückmeldungen von allen im Bereich befindlichen Peilstationen ausblieben. Hierfür gab es nur eine Erklärung: Entweder war das Flugzeug abgestürzt oder aber es wurden die Transponder missbräuchlich ausser Funktion gesetzt. Möglich waren auch technische Probleme, wodurch die Datenübermittlung in der Folge nicht mehr funktionierte.
Am Morgen dieses Tages – Stunden später, gab Malaysia Airlines bekannt, dass die Boeing 777 des Fluges MH 370 vermisst sei und niemand eine Ahnung habe, ob ein Unglück geschehen sei. Allerdings müsse man tragischerweise von einem Absturz ausgehen. Denn die Maschine sei nirgendwo gelandet und die Kerosinration an Bord längst aufgebraucht.
Der Ehegatte der Passagierin Ms. Salomé Salomon, Mr. Salomon S. Salomon (70), ein massiger Kerl mit Gardemass (195 cm) und kahlem Schädel, wurde um zirka 6 Uhr früh Schweizer Zeit durch einen Telefonanruf auf sein Mobiltelefon geweckt. Herr Salomon war aufgebracht und beschwerte sich lautstark über die frühmorgendliche Störung, dies, ohne abzuwarten, wer der Anrufer sei und worum es gehe. Am anderen Ende der Leitung war der Station Manager der Malaysia Airways in Zürich, der sich entschuldigte. Er sprach von einem eventuellen Unglück, von der tragischen Möglichkeit, oder noch eher Wahrscheinlichkeit, dass Ms. Salomé Salomon vielleicht nie mehr nachhause zurückkehren werde.
Von einer Sekunde zur anderen war Salomon nun hellwach. «Nein!» schrie er. Er hoffte inständig, dass dies ein böser Traum sei. Er flehte Gott an, dass er helfend eingreifen möge… – Wann hatte Salomon das letzte Mal Gott um einen Gefallen gebeten…!? Dann überkam Salomon nicht nur Verzweiflung, sondern auch Wut, Wut über alles, was so unfassbar plötzlich in dramatischer Weise in sein Leben hereinzubrechen drohte. Er schrie: «Weshalb musste Salomé genau dieses Unglücksflugzeug nehmen? Weshalb? Weshalb nur!?»
Doch schon kurze Zeit später keimte wieder Hoffnung in Salomon auf. Er klammerte sich an den kleinen Strohhalm, dass die Maschine vielleicht irgendwo notgelandet sei, Passagiere und Crew heil wären und sich alles als voreilige Panikbotschaft erweisen würde. Dass man die Maschine vielleicht gekapert hatte und Piraten ein Lösegeld fordern würden.
Xenia Ionescu (51), die rumänische Hausangestellte des Ehepaars Salomon, von Herrn Salomon seine Zofe genannt, ein Begriff, der von Xenia als despektierlich empfunden und deshalb nicht geschätzt wurde, klopfte an die Zimmertür, fragte mit gedämpfter Stimme: «Ist alles in Ordnung, Herr Salomon?»
«Nein!» brüllte Salomon in einem Modus der Verzweiflung, «nichts ist in Ordnung, Schreckliches ist passiert!»
Die Haushälterin öffnete von aussen die Tür zu Salomons Schlafgemach – ein Vorgang, den sie zuvor noch nie je gemacht hatte, wenn der Hausherr in der Kammer war. Xenia glaubte aus Salomons Stimme herauszuhören, dass überaus Ungewöhnliches geschehen sein musste. In der Tat hatte Xenia ihren Chef noch nie je in einer auch nur annähernd ähnlichen Verfassung des Elends gesehen. In sich zusammengefallen sass er an der Bettkante. Er hatte die Contenance verloren, er weinte. Die Emotionen hatten ihn gepackt, sein Körper wurde von Zuckungen geschüttelt. «Das Flugzeug mit Salomé an Bord ist verschollen… irgendwo in Asien! Wahrscheinlich abgestürzt!»
Das war in der Tat eine dramatische Nachricht, die auch Xenia erschreckte. Allerdings hielt sich Xenias persönliche Anteilnahme in Grenzen und dies betraf sowohl Salomé als auch Salomon. Xenia war schon seit Jahren für die Herrschaften tätig, konnte aber weder den Chef noch die Chefin gut leiden.
Xenia hatte beim Ehepaar Salomon schon seit längerer Zeit keine echte gegenseitige eheliche Zuneigung mehr spüren können. Also deutete die Haushälterin Herrn Salomons Emotionen weniger als ein Zeichen von ehrlicher Trauer ob des Verlustes seines liebsten Menschen, als eine Art Selbstbemitleidung, als eine Reaktion des Bedauerns, weil der Mann offensichtlich erkannt hatte, dass ihm gerade eben etwas Wertvolles für immer abhandengekommen war. Er schien im Begriff zu sein zu realisieren, dass Salomés Tod für ihn der grösstmögliche materielle Verlust darstellte, der ihm überhaupt widerfahren konnte. Er sah sich seiner wichtigsten wirtschaftlichen Komponente beraubt. Denn in Salomons Wertegefüge war Salomé der Hauptpilar, eine sozusagen unverzichtbare Grösse. Dieses Wertegefüge meinte im Wesentlichen die Firma, die er einst zusammen mit seiner Gattin gegründet hatte und nun seit Jahren bis dato erfolgreich aufgebaut und geführt hatte.
Andererseits hatten die Chefin und Xenia seit längerer Zeit ein gespanntes Verhältnis miteinander, was nachvollziehbar war: Die beiden Frauen sahen sich in einem gewissen Sinn als Konkurrentinnen. Salomon hatte keine Skrupel sich bei Abwesenheit seiner Gattin hin und wieder mit Xenia sexuell zu vergnügen - nicht aus Zuneigung oder Liebe von dieser oder der anderen Seite, sondern nur zur Abreaktion des männlichen Triebs, vielleicht auch als exzessiver Ausdruck seines nur zu bekannten gebieterischen Machtgehabes. Fünf Minuten dauerte ein solcher Akt, kaum länger. Im Anschluss daran steckte Salomon dann Xenia jeweils eine oder gar mehrere Banknoten zu, welche die Frau nötig gebrauchen konnte - nicht für sich selbst, nur für ihre Familie in Rumänien. In Xenias Heimat warteten ein chronisch arbeitsloser Gatte und vier aufwachsende Kinder darauf finanziell versorgt zu werden. Salomé hatte von der immer wieder stattfindenden Untreue ihres Gatten Kenntnis, stellte dafür aber nie ihren Mann zur Rede, sondern ausschliesslich Xenia, die Haushälterin – Salomons Zofe. Fallweise war Salomé so wütend geworden, dass sie mit einem ihrer Schuhe oder einem Kleiderbügel tätlich auf Xenia losgegangen war und auf sie eingeschlagen hatte. Xenia wusste sich in solchen Situationen zu verteidigen, indem sie sich in ihr Zimmer einschloss und wartete, bis sich der Rauch verzogen hatte.
Xenia hatte Verständnis für Salomés Zornausbrüche. Andererseits empfand Xenia wenig Skrupel in ihrem Tun. Dies umso eher als Xenias Ehemann diese Unmoral nicht nur duldete, sondern seine Frau noch dazu aktiv antrieb. Für Xenia war Salomon, ihr Arbeitgeber, ein gepflegter, attraktiver, aber sehr skrupelloser Mann, den sie wegen seiner eher miesen Charaktereigenschaften verachtete, ja fallweise sogar hasste, wegen seiner Grosszügigkeit andererseits schätzte. Immerhin wandte Salomon niemals Gewalt an, wenn ihn die Lust überkam. In jedem Fall der Fälle hatte er sie zuvor in einer sonderbaren Form von Pflichtbewusstsein gefragt, ob sie bereit sei für das Abenteuer, wie er es nannte. Und sie war stets bereit gewesen, hatte ihn nie abgewiesen. Auf diese Weise garantierte Salomon der Hausangestellten Xenia und ihrer Familie ein überdurchschnittlich gutes Überleben. Es gab niemand in Xenias Familie in Rumänien, der auf diesen etwas höheren Komfort verzichten mochte.
Xenias Gatte zuhause in Rumänien mit Name Adonis war ein blöder Kerl, im Grunde ein armes Schwein mit einer niederen Stirne und demnach auch bescheidener Hirnmasse. Adonis war einer, der immerzu forderte, selbst aber nicht bereit war etwas Substantielles dem Familienbudget beizusteuern, um damit für ein menschenwürdigeres Leben der Familie zu sorgen. Die halbe Zeit seines Erwachsenendaseins hatte Adonis innerhalb von Gefängnismauern verbracht, weil er betrogen hatte, weil er geschmuggelt hatte, weil er vom Wildern nicht ablassen konnte, weil er seine Gattin und alle seine Kinder, von der Grössten bis zum Kleinsten, wiederholt windelweich geschlagen hatte, wenn er betrunken war. Unglückseligerweise war er oft betrunken gewesen. Xenia war aus diesem Grunde froh nun schon seit vielen Jahren auf Distanz zu ihrem Gatten leben zu können, nämlich in der Schweiz. Einmal, manchmal zweimal im Jahr reiste die Frau nach Rumänien. Sie gestand ehrlich ein, dass es nicht die Sehnsucht nach ihrer Familie war, die sie jeweils nachhause gedrängt hatte, schon gar nicht diejenige nach ihrem Gatten, sondern nur ihr persönliches Pflichtbewusstsein. Die Kinder waren zwischenzeitlich aus dem Dreck, der Kleinste Ion – 20-jährig, die anderen drei alle älter. Sie hatten sich ihre Wege allein gebahnt, jede und jeder für sich. Die älteren beiden Söhne hatten ihre Existenzen in Deutschland aufgebaut, der Jüngste war an einer Arbeitsstelle bei einem Gärtner in der Schweiz. Nur die Älteste – Dana - war in Rumänien geblieben. Sie hatte einst ein Stipendium ergattert und Medizin studiert, arbeitete seit Kurzem in einem Krankenhaus in Constanza. Dass den Kindern in all den vielen Jahren die Mutternähe gefehlt hatte, war eine Tatsache, die niemand abstreiten oder gar verleugnen konnte und auch niemand verharmlosen wollte. Es schmerzte alle Beteiligten. Und dies gegenseitig. Doch alles hielt sich in Grenzen, weil es eine energievolle, resolute, aber gerechte Grossmutter gab, Xenias Mutter. Diese versuchte mit Xenias regelmässig eintreffenden Finanzleistungen einerseits und mit einer selbstlosen persönlichen Hingabe andererseits das Fehlende zu kompensieren. Und das gelang der Frau passabel. Xenias Mutter, eine Witwe mit 60 Euro Rente im Monat, war eine Frau mit Herz und Verstand, eine vernünftige Frau. Sie sagte im Tone grösster Selbstverständlichkeit: Im Leben muss man stets Prioritäten setzen. Xenias Ziel war es in jeder Phase die Familie materiell zu versorgen und sie schaffte dies. Ich fragte nie, wie sie das macht, weil ich es gar nicht wissen wollte! Wenn eine Tochter einen Nichtsnutz zum Ehegatten wählt, ist dies einfach so und nicht zu ändern!
Xenias Beobachtung in Bezug des Ehepaar Salomon war nicht falsch: In der Beziehung von Herrn und Frau Salomon herrschte seit längerer Zeit Flaute, die gegenseitige Zuneigung schien weitgehend abgenutzt. Echte Liebe sieht anders aus, stellte Xenia nüchtern fest. Xenia vermutete, dass das vornehmlich materielle Streben von ihm wie auch von ihr alle sensiblen Gefühle füreinander mit den Jahren abgetötet hatte. Immerhin hatte der ausgelebte Hedonismus des Ehepaars den gegenseitigen Respekt nicht zum Erliegen gebracht. Soweit es die geschäftliche Ebene betraf, herrschte bei Salomon und Salomé Eintracht. Salomon S. Salomon (S Punkt für Joseph, oder eben Sepp) schätzte seine Gattin Salomé wegen ihrer Geschäftstüchtigkeit, ihrer Zuverlässigkeit, ihrer Loyalität, im Besonderen auch wegen ihrer Kreativität. Salomon betonte es oft und wiederholt, wie er seine Ehefrau diesbezüglich bewundere. In der Tat war Salomon zwar der Chef, Salomé aber viel mehr als nur Salomons rechte Hand, auch mehr als die linke und rechte Hand zusammen. Sie war die Ideengeberin und die Entwicklerin von immer neuen Geräten und Vorrichtungen. Salomon war dann für die konkrete Umsetzung dieser Neuentwicklungen bis hin zur Produktionsreife zuständig.
Für Salomon bedeutete diese neue Situation, der Verlust von Salomé, den Anker des Lebens zu verlieren. Salomons Leben war gleichgestellt, ja gleichgeschaltet mit seinem Geschäft. Seine Firma bedeutete für ihn der Mittelpunkt seines Daseins. Salomon war ein typisches Exemplar eines selbstherrlichen, selbstverliebten Narzisses, wie sie in der Geschäftswelt in grosser Zahl vorkommen, nie ausgerottet werden können.
Jetzt machte sich der Mann ernsthafte Gedanken, wie es mit seiner Company weitergehen sollte ohne sie, den Spiritus Rektor. Die trüben Aussichten verdüsterten sein Gemüt, verdunkelten seine Seele. Sie drohten ihn aus der Balance zu bringen, ihn seiner sonst mentalen Stärke zu berauben.
Salomon erhob sich von der Bettkante. Er wischte sich eine Träne aus den Augen, die keine der Trauer war, sondern eine der Wut. «Xenia, meine Zofe, bringen sie mir einen Kaffee!»
Trotz der gegebenen Portion Intimität verkehrten Salomon und Xenia nicht per DU miteinander. Xenia bestand darauf, dass diese virtuelle Barriere nicht fallen dürfe. Das gebot ihr der eigene Stolz, der trotz allem nicht abhandengekommen war.
«Ich muss die Kinder informieren – ein verdammter Job ist das!» Salomon fand in kleinen Schritten zu seinem sonst üblichen, dem bekannten Gehabe zurück. Der Ton seiner Stimme wurde wieder rauer. «Xenia, wo bleibt der Kaffee, verdammt». Dass Salomon laut sprach, ja oft sogar brüllte, hatte durchaus Methode. Er vertrat schon seit je die Ansicht, dass die Stimme eines Chefs laut sein müsse, um nicht der Gefahr anheim zu fallen, überhört zu werden.
Als Erstes wählte Salomon die Handynummer seines jüngsten Kindes Alex (30) – der Versager innerhalb der Familie, wie sich Salomon bei jeder passenden und vor allem jeder unpassenden Gelegenheit ausdrückte. Alex war Clown, oder präziser gesagt Pantomime-Künstler. Er hatte bei Dimitri gelernt, war – wie man hörte - eine grosse Nummer im Geschäft geworden. Alex hatte regelmässig Engagements in Las Vegas, am Broadway in New York, in Los Angeles, Moskau, London, Berlin und anderswo. So wie Salomon jegliche Art künstlerischer Tätigkeit grundsätzlich geringschätzte, vielleicht noch eher verabscheute, im Besonderen diejenige seines Sohnes, war Alex stolz auf sein eigenes Können und sehr glücklich mit seinem Leben. Vor allem war er glücklich über den Umstand, durch seine Lebensart den Fängen seiner Eltern entkommen zu sein. Er hätte ihre Nähe, die Brutalität ihrer kalten, berechnenden Dominanz nicht ausgehalten. Salomon brüllte in sein Handy: «Alex, bist du es? Ich habe eine schlechte Nachricht: Die Mutter ist tot!»
Keine Antwort von der Gegenseite.
Man hätte jetzt denken können, dass dies die normale Reaktion eines Pantomimen sein würde. So dachte aber Salomon nicht. Und überdies war wohl die Situation zu ernst, um auf Gedanken dieser Art zu kommen. «Bist du da, Alex?»
«Ja, Vater, ich bin da! - Aber ich kann nicht glauben, was du sagst. Ich will es nicht glauben!»
«Mutters Flugzeug ist verschollen. Man nimmt mit grösster Wahrscheinlichkeit an, dass es ins Meer abgestürzt ist. Irgendwo in Asien. – Alex, ich bin verzweifelt! Ich bin am Boden zerstört! Kannst du das verstehen!?»
Nach einer weiteren längeren Pause sagte Alex: «Soll ich nachhause kommen, das aktuelle Engagement absagen?»
Die Stimme des Sohnes erstarb. «Es wäre schwierig, aber ich würde es tun, weil ich es der Mutter, uns allen schuldig bin!»
«Alex, ich weiss nicht, wo du aktuell bist. – Doch, wo immer du bist, bleib dort! Du könntest mir nicht helfen, uns nicht helfen, wärst du hier. Aber ich danke dir für den guten Willen! - Ich liebe dich, mein Sohn!»
Salomon hörte, wie sein Sohn weinte.
«Ich werde dich weiter auf dem Laufenden halten. Mach es gut, Alex!»
«Ich bin bei dir, Vater!»
Salomon trank den Kaffee, den Xenia ihm hingestellt hatte. Er tat dies in kleinen hastigen Schlucken. Dann arrangierte er einen Conference-Call über Skype mit seinen beiden Töchtern Cintia (34) und Sarah (32). Er überbrachte ihnen beiden gemeinsam die Unglücksnachricht. Danach glaubte Salomon zu vernehmen, dass eine oder gar beide seiner Mädchen weinten, was ihn erstaunte. Denn seine Töchter waren nicht eben bekannt dafür, übermässig Emotionen zu zeigen in welcher Situation immer. Die beiden Frauen hatten offensichtlich realisiert was diese Situation bedeuten würde. Es ging dabei nicht nur um die Trauer über den Verlust der Mutter, sondern auch um die Zukunft der ganzen Familie und nicht weniger um die der Firma. Bis jetzt hatten sich die Eltern hartnäckig gesperrt eine Strategie auszuarbeiten und mitzutragen, wie die Firma in die nächste Generation zu führen sei. Die beiden jungen Frauen glaubten grundsätzlich die Fähigkeit zu besitzen, die Firma in der nächsten Generation weiterführen zu können. Andererseits war ein Test, bei dem Cintia vor einem Jahr vorübergehend versucht hatte in der Firma Fuss zu fassen, kläglich gescheitert. Der Grund des Fiaskos war einzig und allein der Umstand, dass der despotische Patriarch nicht bereit war eine Nebengöttin zu dulden. Und auch Salomé, die Mutter, hatte wenig Bereitschaft zur Kooperation gezeigt.
Cintia fragte ihren Vater: «Welche Art Hilfe können wir dir anbieten?»
«Ich habe keine Hilfe nötig!»
Damit verblieb man beim Status Quo, so wie er seit Jahren bestand. Doch da war hier und jetzt ein gravierender Unterschied: Ab jetzt würde der aktive Part der Mutter fehlen. Vielleicht würde sich über kurz oder lang doch noch was verändern!
Salomon war froh, dass dies ein Samstag war und er sich nicht vor seinem Personal zeigen musste. Dazu wäre er an diesem Tag kaum imstande gewesen. Dies musste er sich selbst eingestehen.
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