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4.2 Sprache, Macht, Manipulation

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Meinungslenkung erfolgt im Rahmen eines Geflechts aus Sprache und Klischees, denn neben dem unbewussten Tradieren von Stereotypen durch Sprache gibt es bewusst eingesetzte lexikalische und grammatische Strategien, die zum eigenen Nutzen verschweigen, verschleiern oder beschönigen. Eine Bezeichnung wie religiöse Gemeinschaft ist neutralNeutralform, während Sekte negativ wertet. Ein und dieselbe Person kann beschützenswert und harmlos als junge MutterMutter oder aber abwertend als Partygirl bezeichnet werden. Thibodeau/Boroditsky (2015) zeigen, wie die Wahl der Metapher in einem Zeitungsartikel die Einstellungen der Rezipient/innen zu Gewalt und den Umgang damit lenkt. Während bei „Crime is a VIRUS ravaging the city of Addison“ (ibd.: 4/22) die Versuchspersonen das Problem analysieren und mit Sozialreformen und besserer Schulbildung beheben möchten, wollen sie sich bei „Crime is a BEAST ravaging the city of Addison“ (ibd.) wehren, die Einsatzkräfte der Polizei verstärken und härtere Strafen verhängen. Gezielt aktivierte Konnotationen dienen der Assoziations- und Meinungssteuerung (Elsen 2009). Solche nicht neutralen Begriffe arbeiten über einen Text verstreut noch wesentlich intensiver. Es kommt zu einem komplexen Geflecht, das auch zwischen den Zeilen wirkt (vgl. auch Lakoff/Wehling 2008).

Andererseits lassen sich aber auch eigentlich neutraleNeutralform Termini wertend verwenden. Wenn das oft genug geschieht, entwickeln sie die entsprechenden Konnotationen, also Zusatzbedeutungen, mit lexikalisiertem StatusStatus. Ehrlich/King (1994) zeigen, wie die Lexeme chairperson und spokesperson als gendergerechte Alternativen zu chairman und spokesman in den untersuchten Texten ausschließlich für Frauen gebraucht wurden und so ihre Aufgabe, genderneutral zu fungieren, verloren. Ms. als Parallele zu Mr. (anstelle von Miss vs. Mrs.) wurde teilweise nur für geschiedene Frauen verwendet. Statt also wie Mr. auf eine Bestimmung des Familienstands zu verzichten, zeigte Ms. eine dritte Möglichkeit an, und die (für Männer durchaus interessante) sprachliche Unterscheidung zwischen verheirateten und nicht verheirateten Frauen scheint sich zu halten.

Um Texte zu verstehen, greifen wir neben dem lexikalisch-grammatischen auch auf unser Weltwissen zurück, denn Informationen stecken nicht nur in Wörtern und ihren Kombinationen, sondern zusätzlich in den Assoziationen, Metaphern und Interferenzen, die sich u.a. durch Stereotype aktivieren lassen. In dem Satz U. seufzte laut und lehnte sich fröstelnd an Manfred an können wir aus dem ersten Namen keine klaren Aussagen über das Geschlecht treffen. Da jedoch typischerweise Männer nicht so leicht frösteln wie Frauen, interpretieren wir U. als weiblich, obwohl es dort nicht steht. Wir nutzen die aus Erfahrung gewonnenen Wahrscheinlichkeiten, vgl. den folgenden Text, eine Anzeige, die eine Frau in einer Zeitung aufgibt:

Vor Kurzem bekam ich einen kleinen Welpen geschenkt. Er ist noch ganz klein und so süß. Aber mein Mann ist gegen Hunde und Katzen allergisch, deswegen kann ich ihn leider nicht behalten. Wer ihn haben möchte, solle sich bitte bei mir melden. Er ist 30 Jahre alt, 1,70 groß und heißt Karl-Heribert.

In diesem Text geben die PronominaPronomen er und ihn keine genauen Hinweise darauf, wer gemeint ist, da es zwei maskuline Referenten, Welpe und Mann, gibt. So sind die Leser/innen auf die Erfahrung angewiesen, die mit nicht behalten können typischerweise nicht auf Ehemänner zielt, wodurch der Bezug des Pronomens auf Welpe aktiviert wird. Die Leser/innen verstehen also ‚ich kann den Welpen nicht behalten‘. Der Schlusssatz wiederum zählt Eigenschaften auf, die sich nur schwer auf Hunde beziehen lassen, so dass dann doch mit ihn der Mann gemeint sein muss, denn Hunde sind wahrscheinlich nicht so groß, werden erfahrungsgemäß nicht so alt und heißen auch eher nicht Karl-Heribert. Von dem Effekt, dass zwei unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten aufeinandertreffen und die Frau ihren Ehemann abholen lassen will, lebt der Witz.

Auf lexikalischer Ebene beeinflussen Wortspiele, Euphemismen, Synonymie, Polysemie oder verwandte Begriffe mit gezielt anderer Konnotation oder Denotation die Veränderung der Perspektive, vgl. Ermordung aller Juden vs. Endlösung, Freiheitskämpfer vs. Terrorist, Täter vs. Mörder. In dem Satz das Krebsgeschwür des FeminismusFeminismus verbreitet sich immer weiter wird über das erste Nomen, die Krebs-Metapher, das semantischeSemantik, -isch Netz zur bösartigen und häufig tödlichen Krankheit eröffnet und auf den neutralen Terminus Feminismus übertragen. Weiter kommen unnötige Übertreibungen vor, vgl. es herrscht ein absolutes Vertrauensverhältnis.

Die Macht einzelner Wörter lässt sich am Beispiel der Begriffe Vergewaltigungsopfer und Vergewaltigungsüberlebende (rape victim, rape survivor) zeigen, ein Thema, bei dem es bedauerlicherweise auch zahlreiche männliche Opfer gibt. Hockett et al. (2014) führten verschiedene Experimente mit englischsprachigen Versuchspersonen durch. U.a. sollten Studierende fünf Charakteristika von rape victims und rape survivors benennen. Das Geschlecht wurde nicht erwähnt. Rape victims wurde zumeist assoziiert mit afraid, attractive, female, aber auch distrusting und young. Der Begriff rape survivors war sehr stark mit afraid und strong, weniger mit angry, distrusting oder depressed gekoppelt. Der Begriff ‚Vergewaltigungsopfer‘ ruft offenbar das Bild einer hübschen, eher schwachen Frau hervor. Außerdem ist rape victim häufiger mit Selbstverschulden und Machtlosigkeit assoziiert. Solche Personen werden auch mehr als Objekt gesehen, ‚Vergewaltigungsüberlebende‘ hingegen als aktiver, fähiger und stärker. Dazu gibt es Hinweise, dass mit Opfer und der damit verbundenen Hilflosigkeit ein Zustand assoziiert wird, während die Rolle als Überlebende ein Ergebnis ist. Am Opferstatus wäre dann kaum etwas zu ändern, während Überlebende über Hilfsmaßnahmen erreicht werden. Im Vergleich zu Frauen schreiben Männer einer rape victim häufiger die Schuld zu. Einer Frau who has been raped oder einer rape survivor wird weniger oft die Verantwortung für die Vergewaltigung gegeben als einer rape victim. Bewusste oder unbewusste Schuldzuweisungen hängen also auch mit den Begriffen zusammen. Der verfehlte Ausdruck und die dazugehörenden Assoziationen können darüber hinaus den Heilungsprozess und die Unterstützung durch andere behindern (Hockett et al. 2014).

Auf syntaktischer Ebene eignet sich das PassivPassiv (grammatische Kategorie) gut, um Täter unsichtbar zu machen. Dadurch rückt das Patiens in den Fokus der Leser/innen. Auffälligerweise verwenden einige Massenmedien überwiegend Passivstrukturen ohne Agensangabe, um über sexuelle Gewalt zu berichten (vgl. Kap. 11.4). Außerdem ist die Akzeptanz eines Verbrechens bei der Passivformulierung höher. Die Versprachlichung der Täter korreliert mit weniger Toleranz gegenüber dem Verbrechen (Parker/Mahlstedt 2010, Henley et al. 1995). Hier lässt sich also gut zeigen, wie sich über Sprache Blickwinkel verschieben lassen.

Manche sprachlichen Einheiten und Strukturen weisen auf Machtlosigkeit hin. Oft lässt sich ein Tatbestand sprachlich so darstellen, dass bestimmte Verantwortlichkeiten verschleiert oder erst impliziert werden. Auch wenn im Satz „Frau in rotem Minirock nach Diskobesuch vergewaltigt“ die eigentlichen Fakten stimmen, bleibt das Opfer ohne Namen, was die Frau weniger wichtig erscheinen lässt. Der Minirock im Zusammenhang mit dem Diskobesuch impliziert eine Mitschuld („hätte sie sich vernünftig angezogen, wäre das nicht passiert“). Die Tat wird anonymisiert und bagatellisiert, im PassivPassiv (grammatische Kategorie) und ohne Agensangabe ist der Täter nicht präsent. In der Formulierung „In der Nacht zum Montag kam es zu einer Vergewaltigung“ wirkt die Tat abstrakt, weniger vorstellbar, ohne aktive Beteiligte oder Opfer und noch harmloser1. Die Formulierungen mögen journalistischem Kalkül oder fehlenden Informationen zum Tathergang eher geschuldet sein als gezielter Manipulation. Sie entfalten gleichwohl ihre Wirkung. Aufgrund von Häufungen derartiger Strategien bestätigen und verstärken sich Stereotype. Diese werden von den Sprachbenutzer/innen unbewusst weitergepflegt. Implikationen etablieren sich als Tatsachen. Vergewaltigungen erscheinen weniger schlimm und von den Opfern mitverschuldet. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, wie sich Denken, Einstellungen und Meinungen mit der Zeit verändern lassen.

Direkte Kommunikationssituationen bilden einen weiteren Bereich, in dem Beeinflussung anderer stattfindet. Ein dominanter, einflussnehmender Gesprächsstil zeichnet sich durch wenig HeckenausdrückeHeckenausdrücke, <i>hedges</i>, Zöger- und Verunsicherungssignale, Bestätigungsfragen, Pausenfüller und Intensivierungen aus. Der Machtlosigkeit ausstrahlende Stil hat davon viel (wirklich, irgendwie, glaub’ ich, nicht wahr?, äh, mmh, total), er wirkt unsicherer, höflicher. Ein dominanter Sprachstil wird zudem mit höherem StatusStatus in Verbindung gebracht und er ist trotz gleichem Inhalt bzw. Aussage überzeugender (Hosman 2015).

Menschen mit Macht und bestimmte Formulierungsweisen nehmen Einfluss darauf, wie Diskurse strukturiert und geführt werden, nicht nur auf deren Inhalte.

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