Читать книгу Gender - Sprache - Stereotype - Hilke Elsen - Страница 37

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5.3 Probleme

5.3.1 AsymmetrienAsymmetrie

Das Deutsche weist AsymmetrienAsymmetrie auf mehreren Ebenen auf, was Benennung von und Bezug auf Frauen anbelangt, z.B. bei PersonenbezeichnungenPersonenbezeichnung, Ableitungen, Reihenfolgen und Häufigkeiten, Sprachwandel, PhraseologismenPhraseologismus und Metaphern.

Bei der Referenz einer sprachlichen Form gibt es mehrere Untertypen. Unter anderem kann zwischen Klassen und Individuen getrennt werden. In dem Satz Dozenten an der Fakultät verdienen zu wenig Geld bezieht sich der Begriff Dozent auf eine ganze Klasse, nicht auf spezielle Individuen, daher generische (‚verallgemeinernd, generalisierend, nicht-spezifisch‘) bzw. klassenbezogene Referenz. Genauso könnte es heißen Alle Dozenten an der Fakultät verdienen zu wenig Geld. Wenn ein bestimmtes Individuum gemeint ist, handelt es sich um spezifische Referenz, vgl. der Dozent (gemeint ist Herr X.Y. Müller) verdient zu wenig Geld. Dieser Satz kann auch klassenbezogen gemeint sein, wenn er darauf hinweist, dass generell alle Dozenten nicht viel Geld verdienen (vgl. der Dozent an sich verdient zu wenig Geld). Hier muss der Zusammenhang entscheiden oder die Formulierung bleibt mehrdeutig. Die verschiedenen Referenztypen sind unterschiedlich wichtig für die Versprachlichung von Geschlecht (Diewald/Steinhauer 2017).

Dazu tritt die Trennung in die Geschlechtergruppen. Das generische Maskulinum ist eine maskuline Form, die sich auf beide Geschlechter beziehen kann, etwa, wenn in dem Satz Dozenten an der Fakultät verdienen zu wenig Geld sowohl Frauen als auch Männer gemeint sind. Die gängige Behauptung ist, dass Frauen selbstverständlich mitgedacht werden. Diese Interpretation ist, wie bereits erwähnt, historisch entstanden und hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt.

Allerdings entspricht der allgemeine Sprachgebrauch nicht immer den grammatischen Vorgaben. Sprecher/innen grenzen klassenbezogene und spezifische Referenzweisen nicht genau voneinander ab, sie verwenden sie nicht präzis. Rein grammatisch gesehen kann nur in verallgemeinernden Verwendungsweisen das generische Maskulinum stehen. Der allgemeine Sprachgebrauch trennte jedoch oft nicht zwischen dieser klassenbezogenen und der spezifischen Referenz. So kommt es zu Sätzen wie Frau Dr. Müller, unser Arzt hier am Klinikum, wird Ihnen weiterhelfen mit einem falsch verwendeten generischen Maskulinum. Auch im Falle der Prädikative scheiden sich die Meinungen. Für Diewald/Steinhauer (2017: 82f.) sind Sätze wie sie ist Tischler möglich, aber veraltet, für Kotthoff et al. (2018: 94) grammatisch fraglich, für Motschenbacher (2016) spezifisch. Sie subsumieren Frauen unter der männlichen Norm. Wir finden sie regelmäßig (vgl. auch Schröter et al. 2012). Bei Geschichten wie

Ein Vater fährt mit seinem Sohn im Auto. Sie verunglücken. Der Vater stirbt, der Sohn wird schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert und muss operiert werden. Der Arzt kommt, aber sagt: „Ich kann nicht operieren. Dies ist mein Sohn.“

wird Arzt männlich ausgelegt, und die Geschichte verwirrt daher, weil es sich um die MutterMutter des Sohnes handelt. Im allgemeinen Sprachgebrauch kann die mit dem bestimmten Artikel eingeführte Berufsbezeichnung geschlechtsindifferent interpretiert werden, wenn der individuelle Sprachgebrauch keine Femininformen zulässt, was für eine Vielzahl der Sprecher/innen noch der Fall ist (vgl. auch Irmen/Köhncke 1996). Dann klingt Arzt aufgrund der Stereotype nach einem Mann. Oft genug wird noch immer nicht zwischen generischen und spezifischen Gebrauchsweisen unterschieden. Klare Trennungen bei PersonenbezeichnungenPersonenbezeichnung im allgemeinen Sprachgebrauch zwischen klassen- und individuenbezogener Referenz sind ein Zeichen für Sprachwandel, der mit der verbreiteten Verwendung femininer Ableitungen zu erwarten ist.

Ein anderes Beispiel für das generische Maskulinum sind PronominaPronomen wie man, niemand oder jemand, zu denen es keine feminine Entsprechung gibt. Sie gelten daher für Männer und Frauen. Der grammatische Bezug ist Maskulinum, was zu irritierenden Formulierungen führen kann, vgl. wer seine Tage hat, der ist oft müde.

Unschärfe und Unklarheit sind ein Kritikpunkt am generischen Maskulinum, was mit weiteren Bedenken eng zusammenhängt, nämlich, dass Frauen sprachlich nicht sichtbar sind (vgl. Kap. 6) und sie darum weniger Identifizierungsmöglichkeiten haben. Eine AsymmetrieAsymmetrie ergibt sich, weil einerseits eine maskuline Form wie der Dozent für weibliche Inhalte ohne formale Markierung stehen kann, während sich eine Femininform immer nur auf Frauen bezieht, und weil andererseits die Selbstverständlichkeit des Mitgemeintseins nicht immer gilt. Mit anderen Worten, Feminina haben eine Verwendungsweise, Maskulina jedoch zwei. Welche gerade erwünscht ist, ist nicht immer klar.

Das generische Maskulinum fasst Frauen unter Männern zusammen. Es ist nicht geschlechtsneutralgeschlechtsneutral, denn es macht Frauen sprachlich und kognitivKognition, kognitiv unsichtbar.

Es gibt eine Vielzahl von Begriffen für Frauen, die in der Regel schlechtere Bedeutungen, auch Konnotationen und Assoziationen aufweisen, vgl. Beißzange, Heulsuse, Giftnudel, Klatschbase, alte Jungfer. Das wird bei verwandten Paaren besonders deutlich, vgl. Gouverneur/Gouvernante, Sekretär/Sekretärin, Hausherr/Hausfrau, Jungfrau/Junggeselle. Beim Sprachwandel verschlechtern sich Frauenwörter mehr als Wörter für Männer, vgl. Weib, das ursprünglich neutral verwendet wurde (Bußmann 1995: 134f.). Für Keller (1994) liegt das an einem Abnutzungseffekt. Männer wollen über und mit Frauen gern höflich sprechen, mit der Zeit werden die höflichen Ausdrücke neutralerNeutralisierung. Wohl eher aber dürfte das mit veränderten „Aufgaben“ bzw. mit der Einstellung gegenüber Frauen zusammenhängen. Das Wort Dirne bezeichnete zunächst eine Jungfrau, bedeutete auch ‚Mädchen‘, dann ‚Dienerin‘ (Kluge 1999 und Pfeifer 1999 sind sich hier nicht einig) und schließlich ‚Prostituierte‘. Noch heute werden freizügige Frauen schnell als Schlampe beschimpft. Außerdem führt die InteraktionInteraktion mit sozialen Umständen dazu, dass an sich neutrale Sprache nicht neutral verwendet wird und sich dieser Gebrauch mit der Zeit als Bedeutungswandel niederschlägt (vgl. Kap. 11.4.1).

Ein weiteres Ungleichgewicht existiert auf der morphologischen Ebene (vgl. Bußmann 1995: 137, Scheele/Rothmund 2001: 86). So werden Vornamen in der Regel von Männernamen abgeleitet (Michael/Michaela), andersherum nicht, und es gibt keine Nachnamen auf -frau. Weibliche Nomen werden von männlichen abgeleitet, andersherum gibt es bei Bedarf in der Regel neue Wörter statt Ableitungen, vgl. Krankenpfleger, Entbindungspfleger.

Auf der syntaktischen Ebene erweisen sich Reihenfolgen als genderungerecht. Bei zweigliedrigen Titeln oder Namenpaaren steht in der Regel der männliche vorn, damit wird automatisch eine Hierarchisierung vorgenommen, vgl. Herr und Frau Müller, Romeo und Julia, Adam und Eva, Tristan und Isolde, Männer und Frauen, Brüder und Schwestern (Hellinger 1990: 43), in den Grammatiken auch er, sie, es. Frequenzanalysen ergeben für männliche und weibliche Formen unterschiedliche Häufigkeiten in Satz und Text.

Auch PhraseologismenPhraseologismus und Sprichwörter versprachlichen stereotype AsymmetrienAsymmetrie. So lernen Kinder schon früh, dass Frauen viel reden und listig, boshaft und dumm seien. Männer seien überlegen, männlich und standhaft (Daniels 1985), vgl. einem Problem Herr werden; ein Mann, ein Wort; Herr im Haus.

Auch auf der Wortebene werden Stereotype versprachlicht, vgl. staatsmännisch, Mannschaft, beherrschen, Herrgott, bemuttern, Rabenmutter, Milchmädchenrechnung.

Sprache lenkt unsere Gedanken über Reihenfolgen, denn was zuerst genannt wird, ist wichtiger (Mann und Frau). Ebenso sind Häufigkeiten und KollokationenKollokation relevant. Was zusammen genannt wird, gehört zusammen, vor allem, wenn das oft geschieht (Frau und MutterMutter). Sprache lenkt über Konnotationen, Assoziationen und mitaktivierte Wortfelder.

Die Unterschiede auf lexikalischer und phraseologischer Ebene lassen sich teilweise aus der früheren Rollenverteilung herleiten. Frauen waren keine Seeleute, daher Mann über Bord. Sie hatten privat und beruflich Nebenrollen – Herr im Haus, Herr und Meister. Dies erklärt jedoch nicht, warum die Studien mehr negativ konnotierte Beispiele und mehr Themenbereiche für Frauen finden als für Männer. Hier sind fehlende Manneskraft oder HomosexualitätHomosexualität, Trunksucht und Gewalt kritisch (warmer Bruder, Schlappschwanz, Saufbruder, Trunkenbold, Raufbold). Bei Frauen werden Abweichungen von der „natürlichen“ Ordnung und den auferlegten Normen in Form von „zu viel“ Sprechen, Ungehorsam, Bosheit, Unsauberkeit, auch mangelnde Intelligenz, immer wieder aber sexuelle Freizügigkeit sanktioniert. Dies spiegelt gesellschaftliche Klischees wieder: Männer müssen stark und potent sein, Frauen schön, brav, fleißig, schwach. Sexualität ist nur im Rahmen der Ehe angebracht.

Aufgrund des generischen Maskulinums kommt es zu AsymmetrienAsymmetrie bei Personen- und Berufsbezeichnungen, weil es mehr männliche Formen gibt, weil manche davon flexibel interpretierbar sind als männlich oder neutral und weil demgegenüber weibliche Formen klar weiblich aufgefasst werden. Asymmetrien lassen einerseits Frauen sprachlich und damit gedanklich verschwinden, andererseits wirken Femininmarkierungen als auffällig, negativ konnotierend und als abweichend, zumindest anfangs. Durch weitere Asymmetrien wirken darüber hinaus Stereotype. So entwickeln und stabilisieren sich unterschwellige Botschaften zu Hierarchien und Klischees.

5.3.2 GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus als unabhängige Kategorien

Grammatisch gesehen seien GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus zwei unabhängige Systeme. So argumentieren vor allem viele Gegner/innen einer gendergerechten Sprache und berufen sich auf strukturalistische Ansichten, die der LangueLangue die Priorität einräumen. Für sie ist sowohl die neutrale Interpretation als auch die Verwendung des generischen Maskulinums generell auf sprachsystematischer Ebene anzusiedeln und damit regelhaft und notwendig. Dies kollidiert jedoch mit der tatsächlichen Verwendungsweise, denn die Sprachbenutzer/innen interpretieren Genus als Hinweis auf das natürliche Geschlecht. Das ist einer der Hauptdiskussionspunkte der Feministischen LinguistikFeministische Linguistik, da daraus Forderungen nach Änderungen des Sprachsystems folgen. Auch wenn dies auf rein grammatischer Ebene eigentlich gar nicht sein sollte, weil hier grammatische Eigenschaften von Lexemen und Bedeutungsaspekte verwechselt werden, tendieren die Sprachnutzer/innen dennoch immer wieder zu dieser Interpretation. Deswegen werden maskuline Formen auch männlich aufgefasst. Da außerdem Sprachwandel in der Regel vom Gebrauch ausgeht und sich irgendwann als Regelhaftigkeit und damit Teil des Sprachsystems niederschlägt, verbinden sich hier zwei Pseudoprobleme, die weniger an der Sprachwirklichkeit als vielmehr an der theoretischen Position hängen.

Eine Veränderung des Sprachsystems, um Änderungen im Denken zu erreichen, ist für strukturalistisch und generativ orientierte Sprachwissenschaftler/innen nicht möglich. Gerade die zweite Gruppe setzt Sprache unabhängig von anderen kognitiven Fähigkeiten als Modul an. Bei solchen Diskussionen geht es darum immer auch um die Verteidigung eigener sprachpolitischer Ideologien, so dass ein Konsens nicht angestrebt wird. Daher sind in den Diskussionen immer wieder die Argumente zu hören, das generische Maskulinum sei neutral und systemhaft und daher nicht zu beanstanden. Deswegen seien Änderungen nicht nötig. Dabei werden historische und psycholinguistischePsycholinguistik, -isch Fakten ignoriert.

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