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Fremde Frauen im Mythos Medea – Die Fremde aus dem Kaukasus

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Um sich an ihrem Mann zu rächen, tötet sie ihre Kinder. So lautet, kurz zusammengefasst, der Kern der Geschichte der Medea. Einer der populärsten Stoffe der Antike, mit einer bis in die Gegenwart reichenden Rezeption in der Literatur, der Kunst, auf den Theaterbühnen. Medea ist ein Mythos. Die antiken Griechen arbeiteten gerne mit Mythen. Sie dienten ihnen dazu, allgemein menschliche Probleme, Situationen, Konstellationen dramatisch und fantasievoll zu beleuchten. Und sie sollten Erklärungen und Begründungen für Verhältnisse und Ereignisse liefern, an die man nur noch eine vage Erinnerung hatte und die man gerne konkreter mit Inhalt füllen wollte.

Medea gehört in den Kontext der Geschichte der Argonauten, die nach dem Schiff benannt sind, mit dem sie sich auf die Suche nach dem Goldenen Vlies, dem goldenen Fell eines Widders mit Zauberpotenzial, machten. Das Ziel der Expedition lag in der Landschaft Kolchis am Kaukasus, im frühen geografischen Weltbild der Griechen am Rande der Welt, weit weg von aller Zivilisation. Anführer der Schatzsucher war Jason, ein Königssohn aus Iolkos in Thessalien. Den historischen Hintergrund dieses Mythos bildete die seit dem 8. Jahrhundert v. Chr. erfolgte Kolonisation des Schwarzmeergebietes durch die Griechen.

Das Unternehmen Goldenes Vlies gestaltet sich kompliziert, ist aber letztlich erfolgreich, weil Jason eine höchst aktive Helferin gewinnt – jene Medea eben, die Tochter des Königs Aietes von Kolchis. Die Frau aus dem Kaukasus verliebt sich in den Griechen, sie heiraten, bekommen zwei Söhne und ziehen schließlich, nach einigen Irrungen und Wirrungen, nach Korinth. Dort regiert ein König namens Kreon, der die Begeisterung für die Fremde vom Ende der Welt nicht teilt. Er bietet Jason seine eigene Tochter als Ehefrau an. Jason geht, mit Blick auf die mit der geplanten Heirat verbundenen beruflichen Perspektiven, auf diesen Handel ein. Er verstößt Medea, reklamiert aber die Kinder für sich. Medeas Rache ist furchtbar: In der Fremde isoliert und als Fremde stigmatisiert, vom Ehemann schmählich verlassen, ermordet sie die eigenen Kinder. Jason wird König von Korinth, wird aber nicht mehr glücklich und nimmt sich aus Verzweiflung das Leben. Medea macht indes Karriere in Athen, wo sie den König Aigeus heiratet und zur Stiefmutter des Helden Theseus avanciert.


Medea vor dem Kindermord, Wandmalerei aus Herculaneum, 1. Jh. n. Chr., nach einem griechischen Original, Archäologisches Nationalmuseum Neapel

Wie jeder antike Mythos, so ist auch der Medea-Mythos vielschichtig, aus verschiedenen Quellen gespeist und in unterschiedlichen Versionen überliefert. Am bekanntesten ist die Tragödie des athenischen Dichters Euripides, die 431 v. Chr. erstmals aufgeführt wurde. Der Tragiker porträtiert Medea gemäß ihrer Herkunft als wild und unzivilisiert, mit magischen Kräften versehen. Jedoch zeigt er, was den tragischen Konflikt zwischen Medea und Jason angeht, mehr Sympathie für die Frau aus der Fremde als für den abtrünnigen griechischen Ehemann. Zwar lässt er ihn in einem ehelichen Streit mit der überlegenen Zivilisation der Griechen argumentieren, wodurch Medea als Fremde, sogar als Barbarin erscheint. Doch angesichts der Situation wirken diese Worte nicht sehr überzeugend, eher überheblich. Das athenische Theaterpublikum war auf der Seite der Medea.

Fremde und Fremdsein in der Antike

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