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»Nicht alles hat geklappt, aber alles klappt nie«

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Der wichtigste Punkt, den er in der Verfassung festschreiben will: die dominante Stellung des Präsidenten. Russland müsse eine präsidiale Republik bleiben, weil das Land als größter Flächenstaat der Welt nicht anders zu regieren sei. Das Parlament soll allerdings mehr Macht erhalten und künftig Premierminister und Kabinett bestimmen können. Dann listet er die Bedingungen für künftige politische Ämter auf: Wer künftig Präsident werden will, muss einen russischen Pass besitzen, fünfundzwanzig Jahre lang vor der Kandidatur in Russland gelebt haben und darf nur zwei Amtsperioden regieren. Wer in der Duma sitzt oder im Föderationsrat, Gouverneur ist oder Richter, darf gleichfalls keine ausländische Staatsangehörigkeit haben. Putin will dem »Staatsrat«, in dem die Gouverneure und regionalen Regierungen sitzen und der bisher nur eine beratende Funktion hat, in der Verfassung einen neuen Rang einräumen, ähnlich dem des Bundesrates in Deutschland. Alles Vorschläge, die zunächst das Verfassungsgericht prüfen müsse und anschließend in einer Kommission beraten werde, bevor das gesamte Paket in einem Volksentscheid zur Abstimmung kommen solle.

Als die Rede an die Nation vorbei und die Nationalhymne gesungen ist, trifft sich Putin demonstrativ mit Medwedew und dem Kabinett. Er sei der Regierung dankbar für ihre Arbeit, sagt der Präsident in freundlichem, wenn auch leicht unterkühltem Ton – auch mit den Ergebnissen, die diese erzielt habe. »Natürlich hat nicht alles geklappt, aber alles klappt nie.« Noch am selben Tag tritt die Regierung geschlossen zurück.[27]

Stunden später steht Medwedews Nachfolger fest. Er heißt Michail Mischustin, ist dreiundfünfzig Jahre alt und in Moskau geboren. Der neue Hoffnungsträger stand unter anderem zehn Jahre lang an der Spitze der russischen Steuerbehörde. Er hat sie modernisiert und digitalisiert. Der promovierte Ökonom kennt wie kein Zweiter die Verwaltung und gilt auch sonst als gut vernetzt. Eine Arbeitsgruppe erhält den Auftrag, die Vorschläge aus der Rede aufzunehmen, weitere hinzuzufügen und die Artikel der neuen Verfassung auszuformulieren. Es wird ein ziemlich dickes Paket. Hunderte von Vorschlägen werden eingereicht, geprüft, verworfen oder in den Entwurf der neuen Verfassung aufgenommen.

Putins Schachzug wirft Fragen auf. Die Medien rätseln wie zu den besten Zeiten der Kreml-Astrologie. »Der frühere KGB-Agent« habe eine Geheimoperation eingeleitet, bei der »niemand weiß, was passiert«, raunt die New York Times und wärmt die üblichen Klischees auf. Möglicherweise sei »er krank und hat keine Zeit mehr zu verlieren, bevor er gezwungen ist aufzuhören«, spekuliert die Zeitung.[28] »Putin regelt seine Nachfolge«, weiß der Spiegel, der seit Jahrzehnten regelmäßig das nahe Ende des Präsidenten verkündet. Aus unerfindlichen Gründen wolle er »seine Reform unbedingt dem Volk vorlegen, obwohl eine Abstimmung über die Verfassungsänderungen« nicht nötig sei. Dafür regt sich der Korrespondent über die russischen Entwürfe auf: In der Präambel »kommen wahlweise schöne Sätze über Gott, über den Sieg Russlands im Großen Vaterländischen Krieg und über die Ehe als Bund von Mann und Frau« vor, mokiert sich der Kritiker.[29] Er ist nicht der Einzige, der offenkundig den Gottesbezug in der Präambel des deutschen Grundgesetzes nicht kennt. »Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen«, steht dort zu lesen, »hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.« Und: »Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.« Erst 2017 hat der Bundestag dafür gestimmt, auch Schwule und Lesben diesen besonderen Schutz angedeihen zu lassen. Bundeskanzlerin Merkel stimmte damals dagegen.

Was mit Putin passieren wird, dessen Amtszeit 2024 nach dem neuen Statut ausläuft, weiß bis zu diesem Tag im März 2020 keiner. Sechs Wochen später liegt das Paket der Duma zur Abstimmung vor. Es ist die Abgeordnete der Kremlpartei Einiges Russland, Walentina Tereschkowa, die in der zweiten Lesung des neuen Verfassungsentwurfs im Parlament Wladimir Putins Zukunft auf die Tagesordnung setzt. Sie ist nicht irgendeine Abgeordnete. Der goldene Stern am Revers ihres schwarzen Blazers weist sie als Heldin der Sowjetunion aus. Walentina Tereschkowa war in ihrem früheren Leben Kosmonautin und 1963 die erste Frau im Weltall. Sie ist bekannt und wird geschätzt. Da es eine neue Verfassung ist, seien die neuen Regeln auch für alle gleich, argumentiert sie. Deswegen müsse auch Wladimir Putins bisheriges Amtszeitkonto wieder auf Null gestellt (»obnullit’«) werden. Damit könnte der russische Präsident unter Berufung auf die neue Rechtslage erneut noch zweimal den Gang in den Kreml antreten. Wladimir Putin eilt selbst kurze Zeit später ins Parlament und stimmt zu. Vorausgesetzt, das Verfassungsgericht erhebe keine Einwände und »selbstverständlich nur in dem Fall, dass die Bürger diesen Vorschlag, diese Verfassungsänderung unterstützen. Wenn sie Ja sagen bei der Abstimmung am 22. April dieses Jahres«, gibt Putin zu Protokoll. 382 Abgeordnete stimmen dafür, 44 enthalten sich. Auch das Verfassungsgericht gibt grünes Licht.

Was der Kreml zu diesem Zeitpunkt nicht auf der Rechnung hat, ist die Corona-Pandemie, die auch in Russland zuschlägt. Die Volksabstimmung verzögert sich um drei Monate. Anfang Juli 2020 liegt das Ergebnis vor, und das ist eindeutig. Wladimir Putin hat die Stimmung in Russland richtig eingeschätzt. Nahezu drei Viertel aller Wähler gehen zur Abstimmung. 77 Prozent stimmen dafür, knapp 23 Prozent dagegen. Putins politisches Testament wird mit großer Mehrheit angenommen. Er kann theoretisch bis 2036 Präsident bleiben – länger als Katharina die Große, die 34 Jahre lang regierte. Vorausgesetzt, er gewinnt die nächsten beiden Wahlen. Die Option ist sein politisches Kapital. Ob er 2024 tatsächlich noch einmal antritt, lässt er offen. Die Operation Machterhalt ist geglückt. Mit Wladimir Wladimirowitsch Putin ist weiter zu rechnen.

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