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5 Der Kampf um Nord Stream 2

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Der Brief, den Edward Heerema, Vorsitzender der Allseas Group im Schweizer Kanton Freiburg, kurz vor Weihnachten 2019 erhielt, kam nicht unerwartet, aber der Wortlaut des Schreibens hätte von einem Drehbuchautor von Mafiafilmen stammen können. Heerema erhält ein Angebot, das er unmöglich ablehnen kann. Das Schreiben an den Allseas-Manager ist allerdings kein Hollywood-Requisit, sondern ein offizieller Brief des Senats aus Washington, D.C., der Edward Heerema nachdrücklich auffordert, die Arbeiten für Nord Stream sofort einzustellen. Die USA habe harte Sanktionen verabschiedet, die »auf Sie, Ihre Angestellten, Ihre Firma und Ihre Aktionäre maßgeschneidert sind«, so die Warnung.

Die viertausend Spezialisten der Firma verlegen Unterwasserleitungen und sind mit den beiden weltweit größten Arbeitsschiffen Pioneering Spirit und Solitaire seit einem Jahr in der Ostsee unterwegs, um die Gaspipeline vom russischen Wyborg nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern zu verlegen. Die Pipeline wird von einem Konsortium gebaut, an dessen Finanzierung auch deutsche Unternehmen beteiligt sind: die BASF-Tochter Wintershall und das Düsseldorfer Energieunternehmen Uniper. Der russische Konzern Gazprom stemmt 50 Prozent der Investitionskosten von rund 10 Milliarden Euro, Uniper und Wintershall zusammen mit drei anderen westlichen Versorgern den Rest, jeder von ihnen 950 Millionen Euro. Die Strecke – 2400 Kilometer – ist fast fertig verlegt. Nur noch 140 Kilometer bis zur deutschen Küste fehlen. »Wir wissen, dass Russland Allseas viel Geld bezahlt, um die Pipeline Nord Stream 2 zu verlegen«, heißt es in dem Brief. Sollte die Firma auch nur einen einzigen Tag nach Verhängung der Sanktionen weiterarbeiten, werde Allseas Ziel von »vernichtenden rechtlichen und wirtschaftlichen Sanktionen«. Wer Schiffe für die Verlegung der Rohre zur Verfügung stelle, werde hart bestraft. Gegen betroffene Personen würden Einreiseverbote in die Vereinigten Staaten verhängt. Etwaiger Besitz von Allseas in den Vereinigten Staaten werde eingefroren. Auch das Vermögen von Allseas USA mit Sitz in Houston, Texas, sowie Schiffe des Unternehmens, die amerikanische Hoheitsgewässer befahren, seien betroffen.

Allseas habe daher zwei Möglichkeiten, so der republikanische Senator Ted Cruz im Namen seiner Kollegen: »Stoppen Sie die Arbeiten und lassen Sie die Pipeline unvollendet. Sollten Sie den törichten Versuch unternehmen, die Pipeline in aller Eile fertigzustellen, nehmen Sie in Kauf, dass Ihre Unternehmen sich ein für alle Mal ins Abseits manövrieren.«[43]

Der Vorstandsvorsitzende Edward Heerema gibt noch am selben Tag die Anweisung, die Arbeit einzustellen. »Es gab keine andere Möglichkeit«, so erklärt er einige Tage später im dänischen Rundfunk. »Die Firma Allseas ist auch mit amerikanischen Ölkonzernen im Geschäft, und der Arm Washingtons reicht weit.«

Rafael Edward »Ted« Cruz ist Senator für Texas, der Heimat der US-Ölindustrie. Der Sohn eines Wanderpredigers ist Baptist und verkörpert den Hardliner-Flügel der Partei mit allen umstrittenen Positionen wie kaum ein anderer. Er macht sich regelmäßig für das traditionelle Recht auf Waffenbesitz für jeden Amerikaner stark – ein Recht, das die National Rifle Association auch nach Tausenden von Toten durch Amokläufer bislang erfolgreich verteidigt hat. Gegen Abtreibung und für die Todesstrafe ist Ted Cruz sowieso.

Die wichtigste Funktion, die Cruz allerdings nicht nur für seinen Heimatstaat Texas erfüllt, ist die Rolle als Lobbyist der amerikanischen Öl- und Gasindustrie. Allein für die Wiederwahl des einflussreichen Politikers in den Senat 2018 hat die amerikanische Öl- und Gasindustrie knapp 800000 Dollar ausgegeben. Ein Betrag, doppelt so hoch wie die Summe, die der Verband anderen Abgeordneten als Wahlkampfspende überwiesen hat.[44]

Das Geld ist gut angelegt. Es war Ted Cruz, der federführend dafür gesorgt hat, dass der Auswärtige Ausschuss des Senats im Juli 2019 mit den Stimmen der Demokraten die Sanktionen gegen Nord Stream beschlossen hat. »Nord Stream 2 stellt eine massive Bedrohung für die nationale Sicherheit und die unserer europäischen Verbündeten dar«, so Ted Cruz’ fürsorgliche Begründung. Für die demokratische Abgeordnete Jeanne Shaheen aus New Hampshire, die ihren Kollegen tatkräftig unterstützt, sind die Sanktionen eine Hilfe für »viele Kräfte in Deutschland, die bislang nicht berücksichtigt wurden. Ich glaube, dieses Gesetz hilft, unsere gemeinsamen Anstrengungen innerhalb des transatlantischen Bündnisses aufrechtzuerhalten, um der russischen Aggression entgegenzuwirken.«[45] Und Cruz doppelt nach: »Die Pipeline muss gestoppt und Präsident Putin daran gehindert werden, seinen Expansionismus und seine militärische Aggression weiter voranzutreiben.«[46]

Hinter der vermeintlichen Hilfsbereitschaft stehen amerikanische Wirtschaftsinteressen. In dem Hunderte von Seiten langen Gesetzestext steht neben einem ausführlichen Sündenregister aller russischen Verfehlungen seit dem Zweiten Weltkrieg in Sektion 257 schließlich auch der eigentliche Grund, warum die USA gegen Nord Stream 2 in den Krieg ziehen: »Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika sollte dem Export von US-amerikanischen Energiequellen erste Priorität einräumen, um amerikanische Arbeitsplätze zu schaffen, um unsere Verbündeten und Partner zu unterstützen und um die US-Außenpolitik zu stärken.«

Die Sanktionen gegen die am Bau der Nord-Stream-Pipeline beteiligten Firmen sind »die weltpolitisch verbrämte Umsetzung der America-First-Strategie, die in diesem Fall auch von den meisten US-Demokraten geteilt wird«, schreibt selbst Chefredakteur Kurt Kister in der Süddeutschen Zeitung, die seit Jahren Kampagnen gegen Wladimir Putin fährt, weil der russische Präsident nicht so handelt, wie das Blatt aus München regelmäßig vorschlägt. »Simpel gesagt: Washington will Deutschland vorschreiben, von wem es auf welche Weise Energie kaufen soll. Und gleichzeitig möchte man verhindern, dass Russland davon profitiert.«[47]

Amerika schwimmt in Öl und Gas. Dank einer neuen Fördertechnik sind die USA zum größten Öl- und Erdgasproduzenten aufgestiegen, noch vor Saudi-Arabien und Russland. Beim umstrittenen Fracking wird in Tausenden Meter Tiefe gelagertes gashaltiges Schiefergestein angebohrt und ein Gemisch aus Wasser, Chemikalien und Quarzsand mit enormem Druck in das Gestein gepresst. Durch die Risse und Brüche steigt das Gas auf und kann zu Flüssiggas verarbeitet werden. Das so geförderte Schiefergas wird dann als »Liquefied Natural Gas« (LNG) nach Übersee verkauft.

Hunderte von kleinen und großen US-Firmen haben sich auf diese Fördermethode spezialisiert, die in Deutschland wegen der enormen Umweltschäden verboten ist. Da die Produktion allerdings extrem kostenintensiv ist, können die Unternehmen nur durch ständiges Wachstum überleben. Seit 2005 stieg die Gas-Förderung in den Vereinigten Staaten von 31 Milliarden Kubikmeter auf 435 Milliarden. Knapp zwei Drittel der zusätzlichen Gasförderung gehen nach Berechnungen der Cornell University im Bundesstaat New York auf Fracking zurück.[48]

Trotz der gigantischen Fördermenge spielt amerikanisches LNG in Europa nur eine Nebenrolle. In der Rangliste von Europas Flüssiggaslieferanten rangieren die USA noch immer unter »ferner liefen«, weit hinter Qatar, Algerien, Nigeria, Norwegen. Selbst aus Peru wurde mehr LNG über den Atlantik geschippert als aus den amerikanischen Verladestationen am Golf von Mexiko. Gas made in the USA ist deutlich teurer als russisches Erdgas. Ohne Nord Stream 2 wäre amerikanisches Gas zumindest konkurrenzfähig, wenn auch nicht weniger umweltschädlich. Deswegen haben Republikaner und Demokraten dem Gesetz gegen die Pipeline mit überwältigender Mehrheit zugestimmt, das Senator Ted Cruz angeblich in »gemeinsamer Sorge um Deutschland und Europa« eingebracht hat. Seit 2016, also schon lange vor der Corona-Pandemie, sind über zweihundert Fracking-Firmen pleitegegangen und haben 122 Milliarden Dollar Schulden hinterlassen, zitiert die New York Times eine Untersuchung der renommierten Wirtschaftskanzlei Haynes and Boone, die auf den Energiemarkt spezialisiert ist. Viele kommen aus Texas, dem Bundesstaat, für den Ted Cruz Senator in Washington ist. Die Aktie von Chesapeake Energy, einem Vorreiter der neuen Technologie aus Houston, wurde zu ihren besten Zeiten mit 70 Dollar gehandelt. Im November 2019 fiel der Wert auf weniger als einen Dollar. Chevron, der Öl- und Gasmulti aus Kalifornien, rechnet allein für 2020 mit 11 Milliarden Verlust auf dem Gassektor.[49]

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