Читать книгу Putins Macht - Hubert Seipel - Страница 13

4 Europa und die Suche nach Gemeinsamkeit

Оглавление

Der Besuch der Kanzlerin in Moskau Anfang 2020 findet zu einem heiklen Zeitpunkt statt. In der Nacht zuvor hat US-Präsident Donald Trump den iranischen General Qasem Soleimani, den Chef der Quds-Brigaden, mit einem gezielten Raketenangriff im Irak töten lassen. Die QudsBrigaden sind die Militäreinheit des Irans im Ausland, und der Iran hat blutige Rache geschworen. Trumps einsame Entscheidung, den Konflikt mit Teheran weiter zuzuspitzen, hat die Europäer wieder einmal überrascht. Seither ist die instabile Lage im Nahen Osten noch gefährlicher geworden. Syrien, Irak, Iran und Libyen sind nur einige der vielen explosiven Krisengebiete. Nirgends gehen die Überzeugungen in Berlin und Washington so weit auseinander wie beim Thema Iran. Kurz zuvor hatte die deutsche Regierung einen Vorschlag der USA abgelehnt, sich unter Führung der Vereinigten Staaten an einem Militäreinsatz an der iranischen Küste zu beteiligen.

Der neue Schulterschluss zwischen Deutschland und Russland ist der Beginn einer neuen Realpolitik, die weniger von persönlicher Zuneigung, sondern von politischer Notwendigkeit diktiert wird.

Angela Merkel setzt auf Verhandlungen, auch mit dem Iran, und dazu braucht die deutsche Bundeskanzlerin Russland nötiger denn je. Unter Putin ist der russische Einfluss im Nahen Osten und auf den schwierigen Nachbarn Iran gewachsen. Der russische Präsident ist am Vorabend des deutsch-russischen Gipfels von einer viertägigen Erkundungsreise nach Moskau zurückgekehrt. Er hatte während des russisch-orthodoxen Weihnachtsfests in Damaskus und Istanbul mit Syriens Präsident Baschar al-Assad und dem türkischen Präsidenten Recep Erdoğan weitere Verhandlungspositionen für den Merkel-Besuch ausgelotet.

Welcome to the new world disorder! Die Weltordnung, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die internationale Politik bestimmt, löst sich auf. Amerika ist nicht länger Garant für Stabilität, analysiert die Zeitschrift Foreign Affairs, und das traditionelle Zentralorgan der amerikanischen Außenpolitik hat neben den Bösen vom Dienst Russland und China den neuen Auslöser für das globale Chaos ausgemacht: Der Schuldige heißt Donald Trump. Er missachtet nicht nur die Regeln, die Amerika einst selbst für den Welthandel und in diversen Militärbündnissen durchgesetzt hat, schreibt das Magazin, sondern verprellt auch Verbündete ohne Rücksicht auf Verluste. Vor allem Deutschland ist ins Visier geraten.[30]

Im Sommer 2018 fasste der amerikanische Präsident in einem CBS-Interview sein außenpolitisches Konzept in ein paar kurzen Sätzen zusammen. Der Reporter fragt, wen er weltweit als die größten Gegner der USA sieht, und Donald Trump hat sich keine Hemmungen aufgelegt. Seine Antwort: »Well, I think we have a lot of foes. – Nun, ich denke, wir haben eine Menge Gegner. Ich denke, die Europäische Union ist ein Feind, wenn ich an unseren Handel denke. Russland ist in verschiedener Hinsicht ein Feind. Ich denke, China ist sicherlich ein Feind.«

Und dann präsentierte der amerikanische Präsident auf dem eigenen Golfplatz in Schottland seine exklusive Einschätzung von Deutschland. Das Land sei »komplett von Russland« kontrolliert, so Trump, »ein Gefangener Moskaus«, weil die Deutschen zusammen mit Russland das Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 verfolgten. »Ich sage Ihnen«, so Trump zu dem Reporter, »es gibt eine Menge Ärger wegen der Tatsache, dass Deutschland den Russen Milliarden bezahlt. Das ist ziemlich ärgerlich. Das ist eine böse Sache, was Deutschland da tut.«[31]

Der Senat in Washington hatte dem Präsidenten allerdings schon vor der öffentlichen Schmähung mit großer Mehrheit der Demokraten und Republikaner massive Sanktionen bewilligt, um alle, die an der Pipeline beteiligt sind, zu bestrafen – deutsche und europäische Firmen gleichermaßen. Nicht nur wegen der jederzeit abrufbaren Russophobie aus den Zeiten des Kalten Krieges, sondern aus wirtschaftlichen Interessen. Amerikanische Firmen wollen ihr Fracking-Gas nach Europa transportieren. Die Deutschen sollen Flüssiggas aus Texas kaufen, nicht Erdgas aus Sibirien.

Donald Trump handelt nach dieser Devise. Gegen Russland setzt der US-Präsident nahtlos auf die politische Tradition der vergangenen Jahrzehnte und verhängt eine Sanktion nach der anderen. Wegen angeblicher Einmischung in den amerikanischen Wahlkampf, wegen der Ukraine und schließlich ganz generell »wegen bösartiger Aktivitäten«.[32]

Und sollte sich Deutschland in absehbarer Zeit nicht Trumps Wünschen fügen, hat Trump Angela Merkel wissen lassen, könnten deutsche Autos in den USA durchaus als eine Gefahr für die nationale Sicherheit gesehen werden. Die Kanzlerin sollte sich dann auf hohe Zölle einstellen für die Ware made in Germany.

Seit Trump seine »America first«-Parole ausgegeben hat, bemüht sich die deutsche Bundeskanzlerin wieder um mehr Nähe zu Russland – für die amerikabegeisterte Ex-DDR-Bürgerin ein ungewohnter Balanceakt. Wie ungewohnt, zeigt eine Äußerung der Kanzlerin im Mai 2017: »Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt. Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.«

Der Ort für das Statement war eher zufällig gewählt, ein Bierzelt im Münchner Stadtteil Trudering. Es ist die erste öffentliche Kampfansage der deutschen Kanzlerin an die Adresse eines amerikanischen Präsidenten. »Merkels Rede«, schrieb die Washington Post, »war keine impulsive Reaktion. Stattdessen versucht Merkel, eine andere EU zu bilden, eine, die stärker und selbstständiger ist und weniger geneigt, die Führung den USA zu überlassen.«[33]

Auf Angela Merkels Äußerung angesprochen, zuckt Wladimir Putin bei einem unserer Treffen nur mit den Schultern: »Angela Merkel macht jetzt mit Verspätung ähnliche Erfahrungen, wie ich sie schon seit Jahren mache. Sie sagt mit anderen Worten nun das Gleiche, was ich 2007 in meiner Rede in München gesagt habe.« Damals hatte sich Wladimir Putin bitter über die Ausbreitung der Nato beschwert und den Vereinigten Staaten attestiert, sie überschritten »ihre Grenzen auf allen Gebieten«, in der Politik ebenso wie in der Wirtschaft. Monopole und die Vorherrschaft eines einzigen Hausherren hätten noch nie ein Problem gelöst. Die Welt werde nur unsicherer, so Putins Kommentar damals.

Putins Macht

Подняться наверх