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»Was gut ist, müssen wir behalten, was böse ist, muss vernichtet werden.«

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Es sind nicht nur die Minister des republikanischen Präsidenten Trump, die an diesem Tag versuchen, eine gemeinsame Front gegen China zu errichten. Auch Nancy Pelosi, die ranghöchste Vertreterin der US-Demokraten und Gegenspielerin der Trump-Regierung, warnt in München die Europäer vor dem Kauf der Spitzentechnik, die Amerika selbst nicht bieten kann. Ein 5G-Netz aus China wäre die heimtückischste Aggression, die man sich denken könnte, so Pelosi. Wie wichtig Infrastruktur für das Wohl der Welt sei, belegt die Sprecherin des Repräsentantenhauses mit einem historischen Beispiel. Nur weil die Römer frühzeitig in ihrem großen Reich so viele Straßen gebaut hätten, konnte sich die frohe Botschaft des Christentums weltweit verbreiten. Sonst hätten die Jünger Jesu nie den christlichen Glauben in alle Welt tragen können. Aber was ein kommunistisches China mit Hilfe der neuen Technik ungehemmt verbreiten würde, könne man sich ja wohl vorstellen.

Was sich in diesem Jahr auf der Münchner Sicherheitskonferenz offenbarte, war ein selten offener Kampf um geopolitisches Gelände und eine eingeforderte Loyalität Europas – die Wiederauflage einer nahezu identischen Auseinandersetzung dreizehn Jahre zuvor. Nur ging es damals nicht um den Konflikt im eigenen Lager, sondern um die Abgrenzung Russlands gegen die Ansprüche des Westens. 2007 war es der erste Auftritt des neuen russischen Staatspräsidenten auf der Sicherheitskonferenz, der – ähnlich wie jetzt der deutsche Bundespräsident – die transatlantische Selbstgewissheit störte. Die Einladung biete ihm die Gelegenheit, einmal »ohne diplomatische Rücksichten zu sagen«, was er denke – und dann kam Wladimir Putin schnell zur Sache. Für ihn besteht der Zweck des transatlantischen Bündnisses darin, dass die USA anderen Staaten Regeln aufzwingen, die diese nicht wollten. Er nennt als Beispiel den Irak-Krieg, den Deutschland zusammen mit Frankreich und Russland abgelehnt hatte. Putins Analyse: Die USA strebten zur monopolaren Weltherrschaft und hätten »ihre Grenzen in fast allen Bereichen überschritten«.

An diesem Morgen des 9. Februar 2007 machte Wladimir Putin auch klar, dass Moskau Washington nicht als alleinige Weltmacht akzeptieren werde: »Eine monopolare Welt, das heißt: ein Machtzentrum, ein Kraftzentrum, ein Entscheidungszentrum. Dieses Modell ist für die Welt unannehmbar.« Zu den konkreten Rücksichtslosigkeiten zählte Putin die Osterweiterung der Nato, weil deren militärische Infrastruktur »bis an unsere Grenzen« heranreiche.

»Gegen wen ist diese Provokation gerichtet?«, so der russische Präsident. »Die Garantien, die uns gegeben wurden, wurden nicht eingehalten. Ist das normal?« Putin erinnerte daran, dass Michail Gorbatschow 1990 zwar einem vereinigten Deutschland innerhalb der Nato zugestimmt hatte, um eine Verlegung der Nato-Grenze nach Osten sei es dabei aber selbstverständlich nicht gegangen.[19]

Dass politische Garantien ein frühes Verfallsdatum haben, ist eine Erfahrung, die jetzt, Jahre später, Verbündete wie Deutschland und Frankreich teilen. Weil Russland 2007 nicht in der Lage war, mehr als nur den guten Willen der Nato-Partner einzufordern, hat Moskau längst eine strategische Partnerschaft mit Peking geschlossen und sich im Osten positioniert. Europa brauchte erst Donald Trump, um festzustellen, was eigene Interessen sind, und streitet sich seit dessen Amtsantritt, wie es sich aufstellen soll, nachdem die USA sich ausschließlich auf »America first« und die eigenen Interessen konzentrieren.

Ob Nato-Erweiterung, Nord Stream 2 oder China – die Vereinigten Staaten setzen nach wie vor auf den Traum vom »American Exceptionalism« – der amerikanischen Einzigartigkeit, jener evangelikalen Vorstellung der weißen Siedler in der Neuen Welt, in einem höheren Auftrag zu handeln. »What is good we desire to preserve and improve – was gut ist, müssen wir erhalten und verbessern«, brachte die New York Daily Times die US-Mission in ihrer Erstausgabe 1851 auf eine griffige Formel. Und der Vorläufer der New York Times predigte in dem Leitartikel auch die Konsequenz der harmlos klingenden Vorstellung: »Und was von Übel ist, muss beseitigt oder reformiert werden.« Dies ist zugleich bis heute das Leitmotiv der Zeitung geblieben. Eine Vorstellung, mit der auch Deutschland gerne kokettiert.

Die offene Konfrontation auf der Münchner Sicherheitskonferenz von 2020 markiert nicht nur für den deutschen Bundespräsidenten das Ende eigener Illusionen. Jenes triumphale Hochgefühl eines historischen Gesamtsieges des Westens dank einer moralischen Überlegenheit, für das die Ereignisse des 9. November 1989 stehen. Als damals im geteilten Berlin die Mauer fiel und sich einen knappen Monat später im Dezember Michail Gorbatschow und Bush senior zu einem Gipfeltreffen an Bord des Kreuzfahrtschiffes Maxim Gorkiy vor Malta trafen. Als der US-Präsident und der Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, beide gemeinsam, den Kalten Krieg für beendet erklärten.

Dreißig Jahre später ist es jetzt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der auf der Münchner Sicherheitskonferenz dem deutschen Bundespräsidenten zustimmt und die Vorstellung von der Dominanz einer einzigen Weltmacht in dem Nato-Zirkel verbal beerdigt. »Wir brauchen eine europäische Sicherheitskultur«, sagt Macron. Und: Wir können nicht jeden »Sicherheitsaspekt durch eine amerikanische Brille sehen«. Gerne mit der Nato, aber nicht mehr mit Amerika als Oberbefehlshaber. Kurz: Wir brauchen eine europäische Politik, nicht nur einfach eine Transatlantik-Politik.[20] Und wer diese europäische Politik formulieren sollte, dafür präsentierte Macron gleichfalls einen Vorschlag: Frankreich und Deutschland sollten sich zusammentun und einen neuen Anfang machen.

»Der Westen wird gewinnen, sagt Pompeo«, fasst die New York Times das denkwürdige Treffen der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2020 zusammen, »aber der Westen glaubt ihm nicht.«[21]

Putins Macht

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