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7 Syrien 2020

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Eine offene Wunde

Dienstag, 6. Januar 2020. Die Abfangjäger der russischen Luftwaffe, die das Passagierflugzeug links und rechts seit dem Eintritt in den syrischen Luftraum eskortieren, sind eine Schutzmaßnahme für die hochrangige Delegation, die auf dem Weg nach Damaskus ist. Wladimir Putin und Sergei Shoigu, der russische Verteidigungsminister, haben sich an diesem Morgen des russischen Weihnachtsfests auf den Weg gemacht, um mit dem syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad vor Ort die Lage in dem Bürgerkriegsland zu erörtern. Um den Flug so lange wie möglich geheim zu halten, hat die Sicherheitstruppe des Präsidenten vor dem Abflug in der russischen Hauptstadt alle Handys der kleinen Delegation eingesammelt und stillgelegt.

Wladimir Putin hatte mich am Abend zuvor nach dem traditionellen Weihnachtsgottesdienst in St. Petersburg kurzfristig eingeladen, ihn zu begleiten. Am Flughafen in Damaskus wartet ein Dutzend schwarzer SUVs, die den Besuch im Eiltempo über abgesperrte Straßen und an den zerschossenen Häusern der Vorstädte vorbei in die Innenstadt fahren, die von den Spuren des Krieges verschont blieb. In der Kommandozentrale des russischen Militärs in der Innenstadt von Damaskus wartet Baschar al-Assad auf die Gäste aus Moskau.

Der syrische Präsident hat sich dank der Unterstützung Russlands seit dem Beginn des Bürgerkriegs 2011 im Amt gehalten, obwohl der Westen seit Jahren vehement seinen Rücktritt fordert. Assad wirkt angespannt, auch wenn die Lage für die syrische Regierung militärisch weit besser ist als 2013, als ich ihn zum letzten Mal in Damaskus für eine ARD-Fernsehdokumentation getroffen hatte.

Eine Stunde lang erklären die Generäle im Besprechungsraum den enormen Geländegewinn, den Assads Soldaten in den vergangenen Monaten erzielt haben. Seit Putins erstem Besuch im Dezember 2017 auf der russischen Luftwaffenbasis Hamaimim in Syrien, als er Assad in der Provinz Latakia traf, hat sich die Lage drastisch verändert. Der syrische Präsident kontrolliert nun gut zwei Drittel des Landes. Vor drei Monaten spürte eine amerikanische Spezialeinheit Abu Bakr al-Baghdadi auf, den Kopf der Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS). Im kleinen Ort Barischa in der Provinz Idlib, kaum fünf Kilometer von der türkischen Grenze entfernt, endete nach fünf Jahren die Flucht des meistgesuchten Terroristen der Welt.

In aussichtsloser Lage, umzingelt von amerikanischen Spezialkräften, sprengte sich al-Baghdadi bei dem letzten Gefecht mit seiner Sprengstoffweste in die Luft. Wegen des Lufteinsatzes der amerikanischen Kampfhubschrauber auf syrischem Gebiet hatten die USA kurz zuvor Moskau informiert. Russische Einheiten in Syrien halten die Lufthoheit über dem Gebiet. Putin hatte den USA die Überflugrechte für die Operation eingeräumt.

Der IS war der stärkste Gegner der syrischen Regierung und hielt weite Teile Syriens besetzt. Heute spielt er militärisch keine Rolle mehr. Milizen der kurdisch-syrischen Partei, die im Norden Syriens leben, haben die Einheiten des Kalifats zusammen mit Spezialeinheiten der amerikanischen Armee in einem jahrelangen Kampf aufgerieben. Seit 2014 haben die USA die kurdisch geführte Miliz der »Syrian Democratic Forces« (SDF) mit Waffen und Luftangriffen unterstützt.[57]

Schon seit Monaten haben sich Assads Truppen mit Hilfe der russischen Luftwaffe immer weiter nach Norden und Westen durchgekämpft. Die Provinz Idlib nahe der türkischen Grenze und einige Gebiete, die türkisch besetzt sind, sind das letzte Rückzugsgebiet der Opposition. Dschihadisten wie die Hai’at Tahrir al-Scham (HTS), eine Abspaltung von al-Qaida, Hurras al-Din oder die »Islamische Turkestan-Partei«, in deren Reihen auch viele chinesische Uiguren im Namen Allahs kämpfen, beherrschen die Szene. Idlib hat sich zu einer Art Gazastreifen mit drei Millionen Menschen auf engstem Raum entwickelt. »Ein schmaler überbevölkerter Streifen Land entlang der türkischen Grenze, unter absoluter Herrschaft einer radikal religiösen Organisation«, analysiert die Stiftung Wissenschaft und Politik.[58]

Die Lage in der Provinz ist explosiv und hoffnungslos zugleich. Es fehlt an Wasser und Essen, an den wichtigsten medizinischen Versorgungsmitteln. Und mit der Türkei mischt nun ein alter Gegner Syriens mit. Die türkische Armee ist dreißig Kilometer auf syrisches Gebiet vorgestoßen und liefert sich täglich Scharmützel mit Assads Truppen. Erdoğan war immer gegen die Kooperation der USA mit den Kurden. Seine Regierung betrachtet die Miliz als syrischen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, die sich seit Jahrzehnten im bewaffneten Kampf gegen Ankara befindet. Jetzt will der türkische Präsident auf kurdischem Gebiet eine Dutzende Kilometer tiefe »Sicherheitszone« schaffen, entlang der gesamten Grenze, in Abstimmung mit Washington. Außerdem will Ankara syrischen Flüchtlingen die Rückkehr in die Heimat ermöglichen, so die Botschaft Erdoğans. Die Türkei hat seit dem Krieg über drei Millionen Menschen aus dem Nachbarland aufgenommen. Erdoğan will sie in die Kurdengebiete deportieren, um sein Land von der Flüchtlingslast zu befreien. Gleichzeitig setzt der türkische Präsident mit dem Versuch, die Syrer in den Kurdengebieten anzusiedeln, auf eine demographische Veränderung auf dem gegnerischen Terrain. Die meisten der Flüchtlinge stammen aus Homs, Aleppo und Damaskus, dem arabischen Teil Syriens. Sie haben mit den syrischen Kurden wenig zu tun. Eine Garantie für langfristige Unruhe in der Gegend.

Der Einmarsch der türkischen Armee hat die Lage verschärft, darüber sind sich Wladimir Putin und Baschar al-Assad an diesem Nachmittag einig. Putin hat sich seit Beginn von Russlands militärischem Einsatz für die nationale Unversehrtheit Syriens ausgesprochen. Auch Assad will die Verletzung der nationalen Grenzen nicht akzeptieren. Moskau, Ankara und Syriens Verbündete in Teheran verhandeln zwar seit Mai 2017 regelmäßig im Rahmen der Gespräche in Astana darüber, die Eskalation der Gewalt in dem Bürgerkriegsland zu verringern, doch Ankara steht auf der Seite der Gotteskrieger und hat die Zusage, die Dschihadisten in Idlib zu entwaffnen und aufzulösen, bislang nicht eingehalten. Für Assad und Putin der Grund, militärisch weiter in der Offensive zu bleiben.

Der Rest des Tages ist politisches Protokoll. Ein gemeinsamer Besuch in der Umayyaden-Moschee. Der einstige römische Tempel in Damaskus ist seit dem 8. Jahrhundert eine der ältesten und größten Moscheen der Welt. Putins Gastgeschenk an den Imam ist ein Koran aus dem 17. Jahrhundert. Weil es Weihnachten ist, zünden Assad und Putin anschließend in der griechisch-orthodoxen Kathedrale in der Hauptstadt gemeinsam Kerzen an. Dann verabschiedet Assad den Gast am Flughafen. Die russische Maschine fliegt von Damaskus direkt nach Istanbul weiter. Putin hat am nächsten Tag einen Termin mit Erdoğan in Ankara.

Beim improvisierten Weihnachtsessen im Flugzeug antwortet Wladimir Putin auf meine Frage, was denn nun den Krieg in Syrien ausgelöst hat, nach kurzem Überlegen: »Es gibt eine ganze Menge von Gründen. Aber ein Grund für das Elend von heute war der Irak-Krieg, den Deutschland und Frankreich aus gutem Grund 2003 abgelehnt haben. Und Russland hatte sich damals der Entscheidung von Bundeskanzler Gerhard Schröder und des französischen Präsidenten Chirac angeschlossen, wenn Sie sich noch erinnern.«

Putins Macht

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