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Israel in Ägypten

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Exodus 1

Dies ist die Geschichte des Volkes,

das Gott aus der Sklaverei befreit hat

und zu seinem Volk gemacht hat.

Und so beginnt diese Geschichte:

Josef war tot.

Auch seine Brüder lebten nicht mehr.

Aber ihre Nachkommen wurden

überaus zahlreich und stark.

Sie breiteten sich mehr und mehr aus.

Volk Israel nannten sie sich

nach ihrem Stammvater Jakob,

der auch den Namen Israel trug.1,1ff

Aber das Volk Israel

lebte immer noch in Ägypten.

Es war als fremdes Volk nur geduldet.

Hebräer, so wurden sie

von den Ägyptern verächtlich genannt.

Es war ein Volk ohne eigene Rechte

und ohne Hoffnung, jemals wieder

in das Land heimzukehren,

das Gott seinen Vorfahren zugesagt hatte.

Zu jener Zeit kam in Ägypten

ein neuer Pharao auf den Thron.

Dieser König wusste nicht mehr,

was Josef für Ägypten getan hatte.

Er sah nur, wie sich das fremde Volk

in seinem Land ständig vermehrte.

Und er beriet sich mit seinen Fürsten.

„Seht“, rief er, „diese Hebräer

sind bald größer und stärker als wir.

Wir müssen sie mit List klein halten.

Sonst führen sie am Ende noch

gegen uns Krieg.“1,9f

So machte der Pharao

alle Israeliten zu seinen Sklaven:

Und er setzte Fronvögte über sie ein,

die sie gnadenlos unterdrückten.

Tag für Tag wurden die Israeliten

zur Arbeit getrieben.

Ziegel mussten sie stechen und brennen,

Häuser, ja ganze Vorratsstädte,

mussten sie für den Pharao bauen.

Aber je mehr sie unterdrückt wurden,

desto zahlreicher wurde das Volk

und breitete sich immer mehr aus.

Als aber die Ägypter sahen,

wie sich das Volk Israel weiter vermehrte,

graute ihnen noch mehr vor dem Volk.1,11f

Schließlich fasste der Pharao

einen grausamen Entschluss.

Er bestellte Schifra und Pua,

die hebräischen Hebammen, zu sich

und er befahl ihnen:

„Wenn eine Israelitin

einen Sohn zur Welt bringt,

dann tötet ihn sofort bei der Geburt.

Die Töchter aber lasst leben.“1,15f

Aber die Hebammen

fürchteten Gott mehr

als des Königs Gebot.

Als sei nichts geschehen,

so setzten sie ihre Arbeit fort.

Sie besuchten die Mütter,

halfen ihnen bei der Geburt

und retteten die Neugeborenen

vor dem sicheren Tod.1,17

Aber es dauerte nicht lange,

da ließ sie der Pharao erneut

in seinen Palast rufen.

„Was habt ihr getan?“, schrie er sie an.

„Habe ich euch nicht befohlen,

alle neugeborenen Söhne zu töten?1,18

Doch ihr, was macht ihr?

Ihr lasst sie am Leben!“

Doch die Hebammen erwiderten:

„Der König kennt unsere Frauen nicht.

Sie sind kräftiger als eure Frauen.

Wenn wir in ihr Haus kommen,

haben sie das Kind schon geboren.“1,19

Da wusste der Pharao

nichts mehr zu sagen.

Wütend jagte er die Hebammen weg.

Diese aber setzten

furchtlos ihren Dienst fort.

Und weil sie Gott mehr fürchteten

als Menschen,

segnete Gott ihre Häuser,1,21

sodass niemand wagte,

Hand an sie zu legen.

So wuchs das Volk Israel

von Tag zu Tag mehr

und wurde überaus zahlreich und stark.1,20

Als aber der Pharao sah,

wie sich das Volk weiter vermehrte,

ging er zum offenen Angriff über.

Er befahl seinen Männern:

„Holt alle neugeborenen Söhne

aus den Häusern der Israeliten

und werft sie in den Nil!“1,22

Und so geschah es.

Die Ägypter taten,

was ihr König ihnen befahl.

Und niemand von ihnen wagte,

sich seinem Befehl zu widersetzen.

Der Anfang der Exodusgeschichte beschreibt eine wahrhaft aussichtslose Situation. Die Verheißung an Abraham hat sich zwar endlich erfüllt: Aus Abrahams Nachkommen ist ein großes Volk geworden. Aber dieses Volk hat im Gastland Ägypten keine Zukunft. Je mehr es sich vermehrt, desto mehr stellt es für Ägypten eine akute Bedrohung dar. Der ägyptische Machthaber reagiert darauf mit einem raffiniert ausgeklügelten Plan zur Vernichtung dieses Volkes, noch ehe es sich richtig als Volk konstituiert hat.

Unheimlich realistisch wird die Ausrottungsstrategie des Pharaos beschrieben, die typische Merkmale eines systematischen Völkermordes aufweist: Zunächst schürt Pharao Angst und Fremdenhass unter seinem eigenen Volk. Darauf unterdrückt und schwächt er das gefürchtete Volk durch harte Zwangsarbeit. Es folgt der Plan zur Dezimierung des Volkes, zunächst heimlich, durch die Tötung der ungeborenen Söhne beim Austritt aus dem Mutterleib. Damit soll die Zukunft dieses Volkes schon im Ansatz zerstört werden. Dass sich der Pharao dazu der Hebammen aus dem Volk Israel bedient, verrät sein gnadenloses und hinterhältiges Vorgehen. Erst als sein infamer Plan nicht aufgeht, greift er zum letzten, äußersten Mittel. Er ruft sein Volk öffentlich zum Massenmord an den schwächsten Gliedern auf und schneidet damit diesem Volk jeden Weg in die Zukunft ab.

In deutlichem Kontrast zu Ägyptens König wird das Volk der „Hebräer“ dargestellt. Es hat keine Kraft, sich zu wehren. In stummer Ohnmacht reagiert es scheinbar widerspruchslos auf die Schikanen. Der einzige Protest ist seine wachsende Kinderzahl, die in dieser Erzählung wiederholt erwähnt wird. Aber gerade sein Kinderreichtum wird diesem Volk zum Verhängnis. Nichts erinnert in dieser einleitenden Erzählung daran, dass dieses Volk unter Gottes besonderem Schutz steht. Gott kommt in dieser Geschichte gar nicht zur Sprache. Allein der Widerstand der Hebammen und deren mutiges Zeugnis vor dem Pharao hält die Erinnerung an Gott wach. Es ist das einzige Zeichen der Hoffnung in dieser Geschichte.

Betont ist die Erinnerung an die eigene Ohnmacht und die Übermacht des Pharaos an den Anfang der Befreiungsgeschichte Israels gesetzt worden. Nie soll Israel vergessen, wer es ursprünglich war: ein gering geachtetes Volk von Fremden – dies klingt in dem Begriff „Hebräer“ an –, ein Volk ohne Zukunft, versklavt „ohne Erbarmen“ (1,14) und ohne Hoffnung, sich jemals aus eigener Kraft befreien zu können. Es ist allein Gottes Erbarmen, das dieses Volk aus Ägypten befreit und zu seinem Volk gemacht hat (vgl. Ex 13,14f; 20,2; Dtn 6,21 u.ö.). Dies soll das Volk Israel mit seiner ganzen Existenz bezeugen und selbst Erbarmen an den Fremden und Unterdrückten im eigenen Volk üben. Die Urerfahrung Israels in Ägypten schafft die Voraussetzung für das Erbarmensrecht, das Israel durch die Geschichte hindurch bewahrt und immer neu erinnert hat: „Du sollst das Recht des Fremden und der Waise nicht beugen … Denn du sollst daran denken, dass du Knecht in Ägypten gewesen bist und der Herr, dein Gott, dich von dort erlöst hat“ (Dtn 24,17f, vgl. Ex 22,20; Lev 19,33f u.ö.).

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