Читать книгу Das Geheimnis von Sunderley - Isa Piccola - Страница 11
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ОглавлениеAm Tag nach dem großen Ball war meine Familie bereits um acht Uhr wieder auf den Beinen.
Meine Frau Catherine hatte eine ganz eigene Philosophie, was solche Ereignisse betraf. Auch wenn man einmal später zu Bett ging, durfte man dies nicht als Entschuldigung zum Müßiggang am nächsten Tag nutzen. Am Abend zuvor hatte ich nach meiner Heimkehr gegen Mitternacht noch kurz nach Lizzie geschaut. Es tat mir leid, daß der Abend für sie so endete. Ich hätte gern noch mit ihr geredet, doch sie schlief schon. Catherine und Helena waren erst nach zwei Uhr morgens zurückgekehrt, als auch ich schon selig in Morpheus’ Armen lag.
Wir frühstückten etwas weniger üppig als gewohnt, denn wir hatten am Vorabend reichlich Köstlichkeiten genossen. Am Nachmittag unternahmen wir dann gemeinsam eine kleine Spazierfahrt. Schließlich hatten wir am Vortag wegen der plötzlichen Einladung nicht viel Zeit gehabt, um Lizzies Geburtstag angemessen zu begehen. Sie hatte sich diesen Ausflug als kleine Entschädigung gewünscht.
Während der Fahrt berichtete Mrs Devane ihrer Tochter gewohnt wortreich alles Wichtige über den vergangenen Abend, was diese aufgrund ihrer frühen Abreise verpaßt hatte:
„Gleich nachdem du gefahren warst – was ich immer noch sehr bedauere, aber du wolltest es ja nicht anders – sind wir wieder in den Saal zurückgekehrt, damit ja niemand etwas bemerkte. Du weißt ja, die Leute reden so leicht. Wir standen zunächst etwas verloren da, weil wir niemanden weiter kannten. Plötzlich – stell dir nur vor! - kamen die beiden Herren LeFroy auf uns zu. Edward LeFroy wollte uns seinen Sohn persönlich vorstellen, da wir immerhin seine nächsten Nachbarn sind. Das hatte ich im Grunde auch erwartet! Ich schickte deinen Vater nach Helena, während ich mit den beiden Herren am Rande der Tanzfläche Platz nahm. William fand deine Schwester zum Glück auch bald. Nun, kurze Vorstellung und so weiter, du kennst das ja. Aber dann forderte Mr LeFroy senior seinen Sohn auf, von seinem Dienst bei der Marine zu erzählen. Ich sage dir, der junge Mann kann das langweiligste Thema interessant machen. Er hat eine sehr angenehme Art zu erzählen. Und er hat drei Mal mit Helena getanzt! Drei Mal! Stell dir das einmal vor – wenn das nicht ein eindeutiges Zeichen ist, daß er sie all den anderen Damen vorzieht! Oh, man muß ihn einfach mögen, er ist so gutaussehend und charmant und gebildet und… einfach wunderbar! Und genau wie sein Vater ein Gentleman durch und durch.“
Dabei warf sie einen Seitenblick auf mich, der ich ihr wohl zu gelangweilt die Landschaft betrachtete. Ich kannte Catherines Ansichten und ihre großartige Menschenkenntnis nach all den Jahren, die wir verheiratet waren, nur allzu gut. Jeder, der ihr oder ihren Töchtern ein gutes Wort widmete, wurde sofort in den Kreis der Menschen aufgenommen, mit denen sich eine weitere Beschäftigung lohnte. Bei mehr als zehn Worten rückte das Prädikat ‚sehr lohnenswert’ in unerhörte Nähe. Und die Herren LeFroy hatten nun natürlich dieses Prädikat mit Auszeichnung erhalten. Catherine fuhr fort:
„Nur von Miss LeFroy haben wir nicht viel gesehen. Sie war den Abend über mit anderen Gästen beschäftigt und widmete uns kaum einen Blick. Ich weiß nicht, was sie nur gegen uns hat? Nun ja, wenn ihr andere Leute wichtiger...“ Sie konnte ihre sicherlich gehässige Bemerkung nicht zu Ende führen, denn Helena unterbrach sie:
„Seht einmal, dort hinten, die beiden Reiter. Das könnten die Herren LeFroy sein, meint ihr nicht?“
Mrs Devane warf einen Blick in die angedeutete Richtung und rief ganz aufgeregt:
„Natürlich, das sind sie! Das erkenne ich doch sofort! Gut aufgepaßt, Helena! Oh mein Gott, wir müssen uns sofort bemerkbar machen! Am besten fahren wir ihnen hinterher, hier gleich über das Feld. - Weißt du, Lizzie, der junge Mr LeFroy hat gestern nach dem letzten Tanz noch so nett mit Helena geplaudert. Er schien sehr von ihr angetan zu sein... James! Wir müssen sofort…“
An dieser Stelle unterbrach ich sie, um den Kutscher selbst anzuweisen, denn ich ahnte, was meine Frau vorhatte:
„Wir müssen gar nichts, Catherine! James, bleiben Sie ja auf dem Weg, wir können die Herren ohnehin nicht einholen. Sie biegen gerade in den Wald ein, und ich will meinen Hals bestimmt nicht auf einer Querfeldeinfahrt riskieren. Außerdem scheint sich dort hinten ein Gewitter zusammenzubrauen. Wir sollten lieber umkehren.“
Mrs Devane protestierte heftig. Sie wollte diese einmalige Gelegenheit, wie sie sagte, nicht ungenutzt lassen. Aber ich hörte nicht auf ihr Gezeter und befahl dem Kutscher noch einmal deutlich, sofort umzukehren. Der Rest der Fahrt verlief schweigend. Eine wahre Wohltat für meine Ohren, und auch von Lizzie fing ich ein dankbares Lächeln auf.
Wir erreichten das Haus gerade noch rechtzeitig, bevor die ersten Tropfen fielen. Und dann goß, hagelte und blitzte es fürchterlich. Mrs Devane konnte sich an kein solches Unwetter im Herbst erinnern. Auch ich wunderte mich über die Laune des Wetters – schließlich war es Anfang Oktober, also nicht mehr die Zeit für heftige Sommergewitter.
„Ein Glück, daß wir rechtzeitig heimgekehrt sind“, meinte meine Frau, als wir alle im Salon versammelt waren. Auf ein Feuer im Kamin wurde verzichtet, um die Blitze nicht anzuziehen. „Wenn ich nicht diese Wolken am Horizont beobachtet hätte...“
Sie konnte ihre Betrachtungen nicht fortsetzen, denn unser Dienstmädchen Josephine brachte zwei Visitenkarten. Die Herren LeFroy baten um Unterschlupf vor dem Gewitter. Selbst in solch einem Moment wahrten sie noch die Form! Ich trug Josephine auf, sie sofort hereinzuführen.
Die Herren waren vollends durchnäßt und hatten dabei noch Glück, daß sie auf ihrem Ausritt die Richtung zu unserem Haus eingeschlagen hatten. Es war das nächstgelegene sichere Gebäude für sie; der Weg nach Stonehall wäre doppelt so weit gewesen. Edward LeFroy entschuldigte und bedankte sich gleichzeitig:
„Mr Devane, wer hätte gedacht, daß wir Ihren Besuch bei uns so schnell erwidern würden?! Bitte verzeihen Sie das unangemeldete Eindringen und unser unangemessenes Auftreten, aber… Sie waren sozusagen unsere letzte Rettung. Sonst hätten wir uns sicher den Tod geholt, wenn wir noch weiter geritten wären. Dieses Unwetter ist aber auch ungewöhnlich heftig!“
Josephine half den Herren, die nassen Mäntel abzulegen und führte sie in ein Nebenzimmer, wo Catherine ihnen auf meine Bitte hin inzwischen trockene Kleidung von mir herausgesucht hatte. Es dauerte eine Weile, bis sie wieder im Salon auftauchten.
Edward LeFroy bedankte sich für diese großzügige Geste, doch ich winkte ab – es war wirklich nicht der Rede wert. Ich bat die Herren, Platz zu nehmen und unsere kleine Runde zu ergänzen. Louis suchte sich einen Platz in der Nähe von Helena, während sich Edward sich mit einem freundlichen Lächeln neben Lizzie auf dem zweisitzigen Sofa niederließ. Dann musterte er den Salon und sagte schließlich:
„Sie haben übrigens ein bemerkenswert geschmackvoll eingerichtetes Haus, wenn ich mir diese Feststellung erlauben darf. Nicht wahr, Louis?“
Er sah aufmunternd zu seinem Sohn, der sich gerade die nassen Haare glattstrich und versuchte, wieder etwas Form hineinzubekommen. Er antwortete:
„Ja, Vater, du hast vollkommen recht. Eine solche Stilvollkommenheit findet man auf dem Lande selten. Die meisten Leute haben eine sehr seltsame Ansammlung aller möglichen Epochen der englischen Möbelgeschichte in ihren Zimmern zu stehen. Nichts paßt da zusammen. Aber das ist bei Ihnen gänzlich anders...“
Mrs Devane fühlte sich sehr geschmeichelt. Sie würde bald eine neue Stufe für ihre Prädikatvergabe einführen müssen und sah nun endlich eine Gelegenheit, in das Gespräch einzugreifen:
„Vielen Dank, meine Herren, Sie sind zu liebenswürdig! Ja, wenn der erste Schwiegersohn hier seinen Zweitwohnsitz haben wird, sollte er sich sehr wohlfühlen.“
Sie konnte sich diese Bemerkung einfach nicht versagen. Stets kreisten ihre Gedanken darum, wie sie denn Helena am besten verheiraten könnte. Im Grunde ist das die ehrenwerte Aufgabe einer Mutter, aber sie sollte sich doch etwas geschickter anstellen und nicht zu offensichtlich mit der Tür ins Haus fallen. Diplomatie wird in jedweder Beziehung stets mehr von Erfolg gekrönt… Aber diese sich so unverhofft bietende Gelegenheit mußte sie einfach nutzen. Und sie nutzte sie gründlich:
„Darf ich mir vielleicht erlauben, Ihnen das Haus zu zeigen, meine Herren? Inzwischen wird ein kleiner Imbiß bereitet sein.“
Die Angesprochenen stimmten bereitwilligst zu.
Mrs Devane begann gleich an Ort und Stelle im unteren Stockwerk. Da es das Haus ihrer Vorfahren war, überließ ich ihr die Erklärungen:
„Sie befinden sich also hier in unserem Salon, der sozusagen der Dreh- und Angelpunkt unseres Hauses ist. Ganz besonders stolz sind wir auf den Kamin. In die Umrandung wurde ein Feldstein eingemauert, auf dem der Herzog von Wellington während des Krieges anno 1815 Rast gemacht haben soll. Einer meiner Vorfahren war als Offizier zufällig dabei und nahm den Stein mit. Wir wissen allerdings nicht mehr, welcher genau es war, da vor einigen Jahren das zum Markieren gedachte Kreidekreuz von einer übereifrigen neuen Hausangestellten entfernt wurde.“
Der junge Mr LeFroy schien sich seine eigenen Gedanken zu machen. Er bemerkte lächelnd zu seinem Vater:
„Wie konnte besagter Offizier den Stein einfach mit sich umhertragen, mitten in der Schlacht von Waterloo?“
Doch Mr LeFroy senior winkte unwillig ab und bedeutete seinem Sohn, lieber zuzuhören. Mrs Devane tat, als ob sie die Bemerkung nicht gehört hätte, und führte die Herren zum nächsten Raum. Die Familie folgte griesgrämig hinterdrein. Ich sah Helena an, daß sie auf diese Hausführung gern verzichtet und den guten Louis LeFroy lieber anders umgarnt hätte. Auch Lizzie wirkte sehr ungeduldig und mißmutig. Sicher hatte sie nicht gedacht, daß der Tag nach ihrem Geburtstag – im wahrsten Sinne des Wortes – dermaßen ins Wasser fallen würde. Sie trat neben mich und bat mich flüsternd um die Erlaubnis, sich zurückziehen zu dürfen. Ich fragte sie nicht nach dem Grund, denn ich sah die Traurigkeit in ihren Augen. Also nickte ich, und Lizzie zog sich unauffällig zurück. Dann widmete ich mich wieder unseren Gästen. Eben tönte Mrs Devane:
„Kommen wir nun zu einem weiteren Glanzpunkt – zu unserer Bibliothek. Sie ist nebenbei auch das Arbeitszimmer von William (wenn er einmal etwas zu arbeiten hat.)“
Hier mischte sich zu meinem Entsetzen Helena ein und sagte: „Man erzählt in unserer Familie, es beginne dort ein Geheimgang. Aber wir haben ihn bis heute nicht gefunden...“
Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Warum mußte sie so geschwätzig sein? Manche Dinge sollten nur innerhalb der Familie bekannt sein und nicht dem erstbesten Fremden anvertraut werden, dachte ich zornig bei mir. Und woher wußte sie überhaupt von dem Geheimgang? Ihr gegenüber hatten wir nie etwas davon erwähnt. Unglücklicherweise ging Louis LeFroy auf die Bemerkung ein:
„Wenn Sie erlauben, Mrs Devane, könnte ich Ihnen vielleicht helfen, diesen Geheimgang zu finden. Sie müssen wissen, daß ich in unserem alten Haus in Paris einen Gang gefunden habe, von dessen Existenz bis dato niemand etwas wußte...“
Edward LeFroy unterbrach seinen Sohn:
„Louis, übertreibe bitte nicht. Es war doch wohl eher Zufall, daß du mit deinen zehn Jahren über den Schwanz des Marmorlöwen gestolpert bist und dabei den Mechanismus ausgelöst hast.“
Er sah nicht, daß er seinen Sohn mit dieser Bemerkung verletzte, denn Louis wandte sich mit leichter Röte im Gesicht ab. Es entstand eine unangenehme Pause, die Edward LeFroy durch die belanglose Frage überspielte:
„Welche Bücher sind denn der Stolz Ihrer Sammlung, Mr Devane?“
Ich war froh, endlich auch einmal zu Wort zu kommen. Die Gelegenheit war günstig, da meine Frau nicht viel von Büchern hielt und verstand – eine von ihren vielen Schwächen, die ich aber mit Freuden tolerierte. Dadurch hatte ich wenigstens von Zeit zu Zeit meine Ruhe, wenn ich mich in meine geliebte Bibliothek zurückziehen konnte. Ich setzte zu einer Präsentation meiner Sammlung an:
„Nun, sicherlich Dantes ‚Göttliche Komödie’ in einer Ausgabe von 1592.“ Ich holte das Buch aus einem der Regale und zeigte es ihm voller Stolz. „Sehen Sie, wie abgegriffen der Einband schon ist. - Dann besitze ich einen großen Teil der Werke von Shakespeare. Ich denke, er gehört einfach in jede gute Bibliothek. Er ist einfach der größte Dichter unseres Landes, ja, wenn nicht gar der ganzen Welt. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, meinen Töchtern sein Gesamtwerk zu hinterlassen und bin fleißig am Erwerben. Neulich erst habe ich bei einem Antiquitätenhändler in London (ich vermied das Wort ‚Trödler‘, da Catherine sonst das Buch sofort dem Kamin überantwortet hätte) den ‚Hamlet‘ erstanden. Ein großartiges Werk, voller Dramatik und Tiefe, nicht wahr?“
Mr LeFroy nickte zustimmend. Ich fuhr fort, „Weiterhin findet sich noch einige ausländische Literatur, die Deutschen Goethe und Schiller zum Beispiel, teils sogar in Originalsprache, und auch Werke von moderneren Dichtern unseres Landes. Da gibt es zum Beispiel eine ganz besondere junge Dame - leider viel zu früh verstorben -, die in einem ganz reizenden Stil schreibt. Miss Jane Austen, vielleicht haben Sie schon von ihr gehört? Schließlich...“
Ich wollte noch eine Reihe weiterer Dichter aufzählen, wurde aber von Mrs Devane unterbrochen, die ihr eigenes Schweigen nicht lange ertragen konnte (schon gar nicht, wenn jemand in ihrer Gegenwart über Bücher redete):
„William, ich denke, darüber könnt ihr später gemütlich nach dem Diner plaudern. Wenn ich die Herren nun zu dem Raum mit unseren Sammlungen führen dürfte?“
Ich stimmte notgedrungen, aber murrend zu. Bevor wir jedoch die Bibliothek verließen, warf Edward LeFroy noch einen neugierigen Blick auf eine gerahmte Darstellung über dem Kamin und fragte:
„Mr Devane, ist das der Stammbaum Ihrer Familie?“ Ich nickte, wollte mich auf keine tieferen Betrachtungen einlassen, doch er ließ nicht ab: „Eine ungewöhnliche Darstellung, muß ich sagen. Es sind keine Familiennamen angegeben, und ich sehe auch nicht die Namen der Ehemänner…“
Ich verspürte kein Bedürfnis, ihm diese Darstellung zu erklären und tat seine Beobachtung mit einer harmlosen Bemerkung ab:
„In der Tat, gut beobachtet, Mr LeFroy. Wir wissen allerdings nicht, wer diese Darstellungsart gewählt hat und warum. Dieses Exemplar ist schon mehrere hundert Jahre alt und wurde immer nach der Geburt eines Kindes ergänzt. Ich kann Ihnen leider nicht mehr dazu sagen. Kommen Sie, wir wollen weitergehen.“
Ich hoffte, damit sein Interesse befriedigt und nicht noch weiter gefördert zu haben und nötigte ihn mehr oder weniger, die Bibliothek mit mir zu verlassen. Die Hausführung sollte auf Wunsch meiner Frau bei den Sammlungen fortgesetzt werden. Ich schloß die Tür auf, während sie den LeFroys erklärte:
„Wie Sie wissen, meine Herren, kann man in dieser einsamen Gegend nicht vorsichtig genug sein. Und da sich unter den Sammlungen doch einige wertvollere Stücke befinden, halten wir das Zimmer in der Regel lieber verschlossen.“
Ich relativierte ihre Aussage etwas und bat die Gäste, einzutreten:
„Es sind nur eine bescheidene Gemäldesammlung mit wenigen Originalen und noch mehr Kopien sowie eine kleine Münz- und Tabaksdosensammlung. Alles sicher nichts gegen das, was die Herren LeFroy ihr eigen nennen.“
Catherine war mit dieser Bescheidenheit nicht einverstanden und sagte beim Eintreten:
„Lassen Sie sich nicht täuschen, meine Herren. William neigt leider viel zu sehr zu Untertreibungen... Wenn ich an die Münze aus dem Jahre 1435 denke... Oder an unsere meisterhafte Kopie von Rubens... Schauen Sie hier: dieses Bild ist der Stolz unserer Sammlung. Es heißt ‚Die webende Penelope’. Es soll schon seit über vierhundert Jahren in Familienbesitz sein. Leider hat man die Signatur des Künstler nicht finden können…“ Die Herren gaben ihrer Bewunderung Ausdruck. Catherine ruhte sich auf dieser Anerkennung jedoch nicht aus. Sie holte einen Gegenstand aus einer Vitrine und reichte ihn Edward LeFroy.
„Aus dieser Tabaksdose soll sich schon der Herzog von Wellington bedient haben...“
Ich sah, wie sein Sohn zusammenzuckte. Er wollte jetzt wohl die Probe aufs Exempel machen und fragte:
„Hat diese Dose auch Ihr Vorfahr mitgebracht? Der mit dem Stein im Kamin?“
„Das wollte ich gerade erzählen, Mr LeFroy.“ Ein mißbilligender Blick traf den jungen Mann. „Mein Vorfahre Abraham stand damals schon in den sechziger Jahren seines Lebens. Dennoch wollte er seine letzte Schlacht für das Vaterland treu an der Seite seines Herrn schlagen. Nach dem glorreichen Sieg bei Waterloo hat der Herzog ihn mit allen Ehren in den Ruhestand versetzt und ihm als besonderen Dank eine seiner liebsten Tabaksdosen geschenkt. Ist damit Ihre Neugier befriedigt?“
Der Angesprochene nickte. Diese Geschichte mußte ihm zwar kaum glaubwürdiger als die mit dem Feldstein erscheinen, aber sein Anstand verbot ihm jeglichen Kommentar. Mrs Devane bemerkte zu Louis’ Vater:
„Ihr Sohn ist sehr wißbegierig. So sollte es bei jungen Männern auch sein, nur manchmal denke ich, zeugt es auch in seltenen Fällen von Dummheit, wenn man zu viele Fragen stellt. Was bei Ihrem Sohn natürlich nicht der Fall ist, aber wenn ich generell an die heranwachsende Generation denke, fehlt da doch manchmal das kleine Quentchen Taktgefühl.“
Mr LeFroy wußte offensichtlich nichts zu erwidern; er senkte nur wie zustimmend leicht den Kopf. Er schien ein wenig bestürzt ob der Offenheit von Mrs Devane, die er in den Kreisen, in denen er bisher verkehrt hatte, sicher nicht gewöhnt war. Ich schämte mich für die Taktlosigkeit meiner Frau und versuchte, die Situation zu retten. So forderte ich alle dazu auf, sich den anderen Zimmern zu widmen, damit über das Ausbleiben einer Antwort hinweggesehen werden konnte.
Man begab sich in das obere Stockwerk und bewunderte dort die Zimmer unserer beiden Töchter und die Gästezimmer. Ich wunderte mich zwar, daß Lizzie nicht in ihrem Zimmer war, doch schien meine Frau ihre Abwesenheit noch nicht einmal bemerkt zu haben, und daher hielt ich lieber den Mund. Nach dem Rundgang begab man sich zurück in den Salon. Es entwickelten sich angeregte Gespräche in kleineren Gruppen. Die Herren hatten keine Eile, nach Hause zu kommen, da der Regen nur wenig nachgelassen hatte und weder an einen halsbrecherischen Ritt noch an eine ebensolche Fahrt auf durchweichten Wegen zu denken war.
Ich hatte eine Gesprächspause zwischen meiner Frau und Edward LeFroy genutzt, um auf eines meiner Lieblingsthemen, die Literatur, zurückzukommen. Doch Catherine hatte es geschickt verstanden, meinen Gesprächspartner schnell wieder für sich zu vereinnahmen. So konnte ich ungestört meine Tochter beobachten.
Helena saß mit Louis in einer Ecke des Salons und wandte offensichtlich all ihre Konversationskünste an, um den jungen Mann zu beeindrucken. Ich sah ihre ein wenig affektierte Mimik und Gestik, hörte aber nicht, worüber sie sprach. Louis lächelte freundlich, doch, wie mir schien, auch ein wenig gelangweilt.
Keiner von uns ahnte, welches Unglück bald über uns hereinbrechen sollte.
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