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Die Tage wurden kürzer und trüber, und so auch meine Laune.

Seit der Beerdigung von Miss LeFroy hatte sich in unserem Haus eine beinahe erleichterte Stimmung ausgebreitet. Es war, als ob mit dem Verschließen des Grabes auch alle düsteren Gefühle mit beerdigt worden wären. Selbst Edward LeFroy schien gelöster und beteiligte sich an der Planung des Wiederaufbaus von Stonehall. Wenn man mit dieser Geschwindigkeit weiterbaute und der Winter nicht allzu heftig würde, könnte man vielleicht Weihnachten bereits im neuen alten Heim feiern, so hatte er am Vortag verkündet. Einzelne Zimmer des Anwesens wären womöglich schon eher bewohnbar, so daß man uns als Gastgebern nicht mehr allzu lange zur Last fallen müßte.

Niemand sehnte dies mehr herbei als ich. Es war ein schreckliches Gefühl, ständiger Beobachtung ausgesetzt zu sein. Zumindest empfand ich es so. Kaum traute ich mich mehr aus meinem Zimmer, weil ich immer damit rechnen mußte, einem der beiden Herren zu begegnen und ihren kritischen Blicken standhalten zu müssen. Helena dagegen genoß die Aufmerksamkeiten und Komplimente, die Louis LeFroy ihr widmete.

Jeden Abend vor dem Einschlafen erzählte sie mir haarklein, was er tagsüber getan und zu ihr gesagt hatte. Jede Nichtigkeit wurde zu ihren Gunsten ausgelegt. Beinahe hatte ich das Gefühl, daß sie sich schon mit ihm verlobt wähnte. Sie setzte alles daran, ihm zu gefallen und hoffte, daß er sie recht bald zur Herrin von Stonehall machen würde.

Meine Gedanken galten einem anderen. Eine Woche war mein letztes Aufeinandertreffen mit Jean in unserem Rosenpavillon nun her. Seitdem war ich zwar viel spazieren gegangen, ihm jedoch nicht mehr begegnet. Vielleicht lag es auch daran, daß ich mehrere Male mit Edward LeFroy ausgegangen war. Möglicherweise hatte Jean uns gesehen und falsche Schlüsse gezogen.

Dieser Mr LeFroy war mir ein Rätsel. Er schien – wie absurd! - meine Nähe zu suchen, war aufmerksam und zuvorkommend. Jedoch nur, wenn wir allein in einem Raum oder in der freien Natur waren. Er behauptete, ich helfe ihm dabei, seine Trauer zu vergessen. Es ginge ihm gut, wenn er mit mir reden könnte. Mit mir, der es so schwer fiel, ein Gespräch aufrecht zu halten! Obwohl ich zugeben mußte, daß er es geschickt anstellte. Er redete mit mir über Dinge, die anscheinend uns beide interessierten. Kunst, Musik, Literatur, die Natur… Ein Stichwort von ihm, und es gelang mir sogar, einige zusammenhängende Sätze dazu zu äußern. Eines jedoch war seltsam: sobald sein Sohn oder jemand aus meiner Familie in der Nähe war, wurde er merklich kühler und richtete kaum mehr ein Wort an mich.

Endlich gelang es mir einmal, allein einen Spaziergang zu unternehmen. Bewußt wählte ich den Weg, auf dem ich Jean zum ersten Mal begegnet war. Lange lief ich durch die Einsamkeit und beobachtete dabei besorgt die dunklen Wolken, die sich am Horizont zusammenbrauten. Wieder einmal drohte ein heftiger Regenguß. Warum nur war dieser Herbst so entsetzlich feucht? Schließlich beschloß ich, umzukehren, um nicht vollkommen durchnäßt zu werden. Doch es war zu spät – die ersten Tropfen fielen, als ich gerade den Entschluß zur Umkehr getroffen hatte. Es blieb nach kurzer Überlegung nur eine Möglichkeit – die alte verfallene Hütte von Precious Wilson. Sie lag nicht weit vom Weg entfernt. Als Kind wäre ich nicht einmal in die Nähe dieser Hütte gegangen, zu groß war die Angst vor dem Fluch, der angeblich über dem Ort liegen sollte. Doch jetzt – Fluch hin oder her, ich brauchte ein Dach über dem Kopf.

Es gelang mir, die Hütte zu erreichen, bevor der große Wolkenbruch kam. Doch als ich die Tür öffnete, mußte ich feststellen, daß ich nicht die einzige war, die Schutz suchte.

Es schien, als ob ich immer auf ihn treffen würde, wenn ich es am wenigsten erwartete. Er saß auf einem verrosteten Bettgestell und erhob sich, als er mich erkannte:

„Miss Devane. Sie verfolgen mich, geben Sie es zu!“

Seine Worte waren sicher scherzhaft gemeint, doch sie verletzten mich ungewollt ein wenig. Vielleicht deswegen, weil er ohne es zu wissen den Kern getroffen hatte. Schließlich war ich aufgebrochen in der Hoffnung, ihm zufällig zu begegnen. Doch das hätte ich natürlich niemals zugegeben. Er schien es an meinem Gesichtsausdruck zu ahnen, denn er fügte hastig hinzu: „Ein kleiner Scherz. Ich freue mich, Sie wiederzusehen.“

Stumm bemühte ich mich um ein Lächeln und suchte nach einer Antwort:

„Ich freue mich auch.“ Wie phantasielos. „Ich meine… jedenfalls… welch ein angenehmer Zufall.“

„Nicht wahr? Ich war noch auf der Suche nach den letzten Kräutern, bevor der Frost kommen würde, als mich das Gewitter überraschte. So fand ich hier Zuflucht.“ Er ließ seinen Blick durch die Ruinen der Hütte schweifen. Es war wirklich nicht viel mehr als die alten Mauern und ein löchriges Dach. Außer dem verrosteten Bettgestell gab es noch einen halb vermoderten Stuhl und einen ebensolchen Tisch. Jean unterbrach meine Betrachtung mit der Frage:

„Kennen Sie die Geschichte von Precious Wilson?“

„Nein, leider nicht. Ich weiß nur, daß auf der Hütte ein Fluch liegen soll. Wie albern, finden Sie nicht?“

Seine Miene verfinsterte sich ein wenig.

„Flüche sind nicht albern. Im Gegenteil. Sie können großen Schaden anrichten, auch wenn man nicht daran glaubt. Und in diesem Fall scheint wirklich etwas dran zu sein.“

Erstaunt hakte ich nach:

„In der Tat? Erzählen Sie, bitte!“

Er lud mich ein, mich neben ihn auf das Bett zu setzen, aber ich wählte den alten Stuhl, der in der Nähe der ehemaligen Feuerstelle stand. Mir war ein wenig kalt, doch glaubte ich nicht, daß man ein Feuer hier noch einmal zum Brennen bringen könnte. Jedoch fühlte ich mich allein durch den Gedanken an das Feuer schon ein wenig wärmer. Schließlich begann Jean zu erzählen:

„Precious Wilson war eine weise Frau. Sie wußte alles über Kräuter und Heilmittel. Manche mögen sie eine Hexe nennen, aber sie verwendete ihr Wissen immer nur, um Menschen zu helfen. Die Dorfbewohner schätzten und achteten sie, einige fürchteten sie jedoch auch. Wie es so ist auf der Welt: wenn jemand etwas besonders gut kann, ruft dies immer auch Neid und Mißgunst hervor. Und Precious war nicht nur äußerst klug, sondern dazu auch noch schön und unabhängig.

Eines Tages kam ein Mann zu ihr, dessen Frau ein Kind erwartete. Er hieß John Palstake. Seiner Frau ging es schlecht, sie hatte fürchterliche Schmerzen, aber der Termin für die Geburt war erst in vier Wochen. Precious begleitete John zu seiner Hütte und bereitete der Frau – sie hieß Emilia - einen beruhigenden Kräuteraufguß zu. Es half für den Moment. Am nächsten Abend kam John wieder zu Precious, weil die Schmerzen erneut eingesetzt hatten. Wieder ging sie mit ihm und half Emilia. Johns Besuch in dieser Hütte hier wiederholte sich von da an jeden Abend. Nach einer Woche ging Precious nicht mehr mit ihm, sondern gab ihm nur noch die Kräuter mit, denn der Weg war weit und sie hatte auch andere Patienten zu versorgen.

Nun geschah es, daß John sich in die geheimnisvolle Precious verliebte. Auch die junge Frau war gegen den Charme von John nicht immun, doch ihr Verstand besiegte ihr Herz und sie widerstand der Versuchung. Nur einmal – ein einziges Mal – gab sie ihr nach. Das war die Nacht, in der Emilias Kind zur Welt kam. John erkannte nicht, daß die inzwischen gewohnten Schmerzen nun richtige Wehen waren. Wieder begab er sich zu Precious, um die Kräuter zu holen. Und so war niemand bei Emilia, um ihr bei der schweren Geburt beizustehen. Sie war zu anstrengend für die junge Frau. Emilia und das Kind starben, während Precious ein einziges Mal schwach wurde.

Als John nach Hause kam und seine tote Frau und das tote Kind vorfand, wurde er rasend vor Schmerz. Er beschuldigte Precious, ihn verhext zu haben. Ihre Unschuldsbeteuerungen halfen nichts. Jeder kannte ihre Fähigkeiten, und in dieser von Aberglauben geprägten Zeit war es leicht, die falschen Anschuldigungen zu beweisen. Precious kam vor Gericht, wurde verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.“

Er schwieg und ich sann über die tragische Geschichte nach. Schließlich fragte ich:

„Und der Fluch? Was passiert, wenn man das Haus betritt?“

Er sah zu Boden und es dauerte eine Weile, bis er antwortete:

„Sie hat den Fluch auf dem Scheiterhaufen ausgesprochen, kurz bevor sie starb. Aber was genau er beinhaltete, werde ich Ihnen besser nicht sagen.“

Enttäuscht sah ich ihn an und wollte protestieren, ließ es dann aber bleiben. Er sollte mich nicht für übertrieben neugierig halten, obwohl es mich brennend interessierte.

Draußen regnete es immer noch. Wir würden noch eine Zeitlang hierbleiben müssen. Um die entstandene peinliche Stille zu brechen, sagte ich:

„Das Haus muß seit Jahrhunderten leerstehen. Ein Wunder, daß es noch nicht zusammengefallen ist.“

„Kein Wunder, sondern eine technische Meisterleistung. Sehen Sie, dort an der Stelle bröckelt ein wenig der Putz ab. Wenn Sie genau hinsehen, erkennen Sie die Balken unter dem Putz.“ Mit den Augen folgte ich seinem Fingerzeig und sah, was er meinte. Er fuhr fort: „Die Balken wurden zur Verstärkung schräg angelegt. Dieses Haus wird noch stehen, wenn es uns nicht mehr gibt.“

Unvermittelt begann ich zu zittern, ob wegen der schaurigen Umgebung oder weil ich mich verkühlt hatte, weiß ich nicht. Er trat einen Schritt auf mich zu, nahm seinen Mantel ab und legte ihn mir um die Schultern. Dabei erkannte ich ihn wieder. Er hatte ihn mir schon einmal um die Schultern gelegt. Damals, auf dem Ball bei den LeFroys.

„Danke.“

Er setzte sich wieder auf das morsche Bett. Um die Stille nicht noch unheimlicher werden zu lassen, fragte ich:

„Sie haben also etwas mit Kräutern zu tun? Sie erwähnten dies vorhin…“

Doch seine Antwort war nur ein kurzes „Ja“. Er konnte so wunderbar erzählen – über andere. Nur über sich selbst mochte er nicht reden. Als ich nichts mehr sagte, weil ich begann, mich über seine Verschlossenheit zu ärgern, sagte er scheinbar ungezwungen:

„Sie müssen aufpassen, daß Sie sich nicht erkälten. Das Wetter ist geradezu ideal dafür. Wenn Sie nach Hause kommen, lassen Sie sich einen Aufguß aus getrockneten Kräutern herstellen: Thymian,…“

„Genug.“ Einen Augenblick war ich erschrocken über mich selbst, doch ich konnte es nicht mehr ertragen. „Ich… ich weiß sehr wohl, wie man einen solchen Aufguß herstellt. Ich kenne eine weise Frau, die es mir als Kind beigebracht hat.“

Er schwieg betroffen und hielt den Blick gesenkt. In diesem Moment ahnte ich, daß ich dabei war, alles zu zerstören. Eilig versuchte ich, es wieder in Ordnung zu bringen.

„Verzeihen Sie. Ich wollte Sie nicht kränken, Jean. Ich wollte nur… es ist so… Jean! … Ich weiß so wenig über Sie! Immer wieder weichen Sie aus, wenn ich Ihnen eine persönlichere Frage stelle. Warum all diese Geheimnisse? Warum haben Sie kein Vertrauen zu mir? Was … was erwarten Sie von mir?“

Endlich hatte ich sie ausgesprochen, diese Frage, die mich seit Wochen quälte, obwohl ich die Antwort fürchtete. Was konnte er von mir wollen? Ein wenig Gesellschaft. Eine harmlose Plauderei hier. Ein Guten Tag dort. Im besten Fall eine Freundschaft. Mehr nicht. Gleich würde er es mir sagen.

Aber dieses eine Mal irrte ich mich.

***

Das Geheimnis von Sunderley

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